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Das Geschäft mit der Flucht

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Auch in diesem Jahr sind wir als Medienpartner*innen an einem Broschürenprojekt aus Berlin beteiligt. In der zum 30. Jahr des „Mauerfalls“ erscheinenden Broschüre „Deutschland ist Brandstifter! Gegen den BRD-Imperialismus und den Mythos Friedliche Revolution“ steuern wir als re:volt magazine unter anderem den nachfolgenden Text zu BRD-Imperialismus und Migrationspolitik bei. Release der Broschüre ist am Donnerstag, den 7. November 2019 um 19:30 Uhr im Zielona Góra (Grünberger Straße 73 / Friedrichshain).


Carola Rackete, Pia Klemp, Claus-Peter Reisch – die Namen einiger Kapitän_innen, deren Boote und Crewmitglieder in den letzten Jahren zehntausende Menschen auf dem Mittelmeer versorgten, kennt hierzulande fast jeder_r. Gegen sie wurden, zumeist seitens des italienischen Staats, Verfahren wegen „Beihilfe zur illegalen Einwanderung“ eingeleitet. Neben einer – leider zu erwartenden – Wand an Hass und Drohungen von rechts erhalten die Angeklagten aber auch vielfältige politische und finanzielle Unterstützung. Im ganzen Diskurs um Fluchthilfe bleibt allerdings oft eines unbeachtet: Migrant_innen aus nicht-EU-Ländern sind nicht nur Opfer der europäischen Migrationspolitik, sondern werden auch als Fluchthelfer_innen massiv kriminalisiert. Während bislang kaum europäische Angeklagte rechtskräftig verurteilt wurden, werden wöchentlich Gerichtsprozesse gegen Personen aus anderen Ländern geführt, die wegen Schmuggel angeklagt sind. Diese werden zu Höchststrafen verurteilt. Die Organisation Border Monitoring hat im Frühsommer 2019 Zahlen zu den Verfahren auf der griechischen Insel Lesbos veröffentlicht. Anhand der Beobachtung von 41 Prozessen kommen sie zu folgenden Ergebnissen: Ein Gerichtsverfahren dauert im Durchschnitt 28 Minuten, die durchschnittliche Verurteilung beträgt 44 Jahre Gefängnis und über 370 000 Euro Strafe.

Die Organisation berichtet etwa von Jamil, der aus Afghanistan flüchtete. Er wurde zu 90 Jahren Haft verurteilt, von denen er 25 Jahre absitzen soll. Hinzu kommt eine Strafzahlung von 13 000 Euro. Jamil wurde festgenommen, weil er ein Boot mit Flüchtenden in Richtung Lesbos lenkte. Um die Überfahrt für seine Frau und ihn überhaupt bezahlen zu können, hatte er die Anfrage der Schmuggler angenommen, während der Überfahrt hinter der Pinne zu stehen – nicht wissend, dass dies eine Straftat darstellt. Während seine Frau zwischenzeitlich in Deutschland ist, wurde sein Gerichtsappeal erneut abgewiesen. Rûnbîr Serkepkanî von der Organisation CPT-Lesvos beschreibt: „Die meisten von ihnen sind arm, sie sind Studenten, sie sind Migranten, die es sich nicht leisten konnten, die Reise zu den Ägäischen Inseln zu bezahlen.“ Verurteilt werden – wie Jamil – zumeist diejenigen, die sich bereit erklärt haben (oder per Zwang dazu gebracht wurden), die Lenkpinne der Schlauchboote zu halten. Für manche Anklagen genügt es aber auch, diejenigen zu sein, die per Telefon Hilfe rufen, wenn das Boot kentert. Das eigentlich Perfide an diesen drakonischen Schauprozessen ist aber, dass dadurch die Menschen, die zumeist aus Zwang migrieren, als Bedrohung für Europa und seine Mitgliedstaaten inszeniert werden. Und dass die Agenturen und Konzerne, die sich die Abwehr der Flüchtenden und den Grenzschutz auf die Fahne geschrieben haben, von diesem Narrativ massiv profitieren.

Im bundesdeutschen Laboratorium perfektioniert

Menschen migrieren - schon immer. Wanderungsbewegungen sind ein zentraler Bestandteil der menschlichen Geschichte. Ein Beispiel: Zwischen 1850 und 1920 emigrierten 70 Millionen Menschen aus Europa. Das entsprach ungefähr 17 Prozent der Bevölkerung Europas im Jahre 1900. Einige Menschen wählten die Landroute, ließen sich im asiatischen Teil des damaligen russischen Zarenreichs nieder. Der Großteil bewegte sich allerdings in Richtung Nordamerika, viele davon aus prekären ökonomischen Gründen oder aufgrund von Verfolgung. Es waren also vielfach die Armen, die Überflüssiggemachten der kapitalistischen Industrialisierung in dieser Zeit, die den Weg über Land oder Meer antraten. „Würden heute anteilig so viele Menschen des Globalen Südens nach Europa migrieren wie damals aus Europa, wären das 800 (!) Millionen Menschen“, fasst ein Artikel im re:volt magazine pointiert zusammen. Während heutzutage kurz- oder mittelfristige Wanderungsbewegungen privilegierter Migrant_innen (damit sind Menschen gemeint, die ohne VISA-Anträge in die allermeisten Länder reisen können, etwa deutsche Staatsbürger_innen) als selbstverständlich wahrgenommen und vielfach begrüßt werden, wird gleichzeitig versucht, Migration aus anderen Teilen der Welt als „irregulär“ oder „gefährlich“ darzustellen und mit großem Aufwand zu verhindern. Die Regierungen und Bündnisse, die diese Unterscheidung betreiben, verfolgen damit offensichtlich spezifische Eigeninteressen. Darunter fällt die Bestrebung nach Einfluss darauf, wer das Recht hat, zu migrieren – oder passender: wer an welcher Stelle des Planeten von größtmöglichem ökonomischem oder strategischem Nutzen ist.

Der Blick auf die erweiterten Migrationsgründe von Menschen, die fast immer von Krieg, Konflikten, Überausbeutung und Gewalt, existenzieller Armut, Perspektivlosigkeit, Umweltzerstörung und so weiter geprägt sind, fällt dabei unter den Tisch. Nach Zahlen des UNHCR befinden sich derzeit rund 70,8 Millionen Menschen auf der Flucht, davon über 40 Millionen Binnenvertriebene (die im Land selbst migrieren), und über 25 Millionen Personen, die sich über Staatsgrenzen hinweg bewegen. 80 Prozent der Refugees bleiben in den unmittelbaren Nachbarländern, nur wenige Prozent begeben sich überhaupt auf die Reise nach Europa. Es ist offensichtlich: Migrationsbewegungen haben in den vergangenen Jahren aufgrund der Kriege und Krisen in Syrien, im Irak, in Mali, in Libyen, in Afghanistan etc. zugenommen. Krisen und Konflikte im Übrigen, die oft genug durch die imperialistische Konkurrenz und das Wettrennen um Märkte und Handelsrouten befeuert wurden. Dass Menschen dennoch der Vorwurf gemacht wird, aus „wirtschaftlichen“ Gründen zu fliehen, müsste schon allein von dieser Warte aus völlig absurd erscheinen: Millionen superausgebeutete Arbeiter_innen des globalen Südens, die für westliche Großkonzerne ihre Gesundheit ruinieren; die Unmöglichkeit, mit den Produktivitätsvorteilen und den Subventionsketten der westlichen Länder konkurrieren zu können, das immer weiter intensivierte Landgrabbing großer Konzerne aus den imperialistischen Zentren und so weiter: die allermeisten Gründe, ein Land zu verlassen und nach besseren Lebensbedingungen Ausschau zu halten, sind also im Kern des imperialistischen Weltsystems zu finden.

Dass die Menschen, die migrieren, kaum Möglichkeiten haben, die erhofften besseren Perspektiven zu finden – daran haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, allen voran Deutschland, in den vergangenen Jahrzehnten einen wichtigen Anteil geleistet. Es gelang vor allem auf der Ebene der Normalisierung und Implementierung des restriktiven Migrationsmanagements in den kapitalistischen Zentren. Oftmals fungierte die Bundesrepublik als Laboratorium für Pläne, die gemeinsam in den europäischen Kommissionen diskutiert und weiterentwickelt wurden. So wurde in der BRD etwa zu Beginn der 1990er Jahre der „Asylkompromiss“ – ein Gesetzespaket mit Grundgesetzänderung zur Verschärfung von Asylbedingungen – verabschiedet. Das Paket etablierte die Drittstaatenklausel und ebnete den Weg für die bald darauffolgenden gesamteuropäischen Dublin-Regelungen zur weiteren Einschränkung der Bewegungsfreiheit von nichteuropäischen Migrant_innen. Dublin-Abkommen und Co. sorgten infolge dafür, dass die meisten Flüchtenden in Außengrenzen-Staaten wie Griechenland und Italien bleiben mussten. Seitdem die Migrationszahlen in der BRD wieder steigen, mischt die Bundesregierung ganz vorne bei der EU-weiten Grenz- und Migrationspolitik mit; auch, was die ideologischen Grenzziehungen zwischen einem „Europa der Werte“ und dem „Dort“, dem „Jenseits der Grenze“ angeht.

Schutz der Außengrenzen

An den Außengrenzen errichtet Europa, unter kräftigem Antrieb von Deutschland, immer schwerer überwindbare Sperrzäune und Grenzanlagen. Dass Menschen am Betreten anderer Länder gehindert werden dürfen, darüber besteht völkerrechtlich Einigkeit. Gewichtige Gründe für Flucht und Migration bügeln die dafür Verantwortlichen, wie 2013 der ehemalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), in einem Interview weg: „Wir haben Gesetze, die klipp und klar sagen, dass diejenigen, die kein Recht haben, keinen Anspruch, hierherzukommen, auch nicht hierherkommen dürfen.“ Wenig verwunderlich: Die Menschen versuchen es dennoch. Von Westafrika aus mit kleinen Booten zu den kanarischen Inseln, über die meterhohen Zäune rund um die spanischen Enklaven Mellila und Ceuta, durch die kalten Wälder der Balkanroute, über das Mittelmeer in Richtung Italien oder hin zu den griechischen Inseln - welcher Teil der europäischen Außengrenzen von Fliehenden und mit, neben, hinter ihnen von ihren hochgerüsteten Häschern besonders Beachtung findet, ist starken Konjunkturen unterworfen. Vor allem hängt es daran, wieviel Geld die EU wie schnell in die Hand nimmt, um die Bewegung flächendeckend zurückzudrängen. War die mittlere Mittelmeerroute noch bis zum Zerfall Libyens recht wenig genutzt, nahm sie nach 2013 rasch Fahrt auf: Das Schmuggel-Geschäft mit Migrant_innen war für libysche Milizen lange Zeit eine der wichtigsten Einnahmequellen, tausende Menschen wurden so über das Meer gelotst. Im Sommer 2017 änderte sich die Strategie, in die auch die libysche Regierung eingebunden war. Beigetrage dazu haben Druck durch die EU und UN-Sanktionen. Vor allem aber die lukrativen Angebote: Aus dem EU-Hilfsfond wurden beispielsweise im Jahr 2017 46 Millionen Euro an Tripolis weitergereicht – direkt zum Ausbau des Grenzschutzes. Weitere millionenschwere Abkommen folgen. Zwei Jahre später wird die Route von Tripolis aus kaum mehr genutzt, die Schmuggler haben sich auf weiter entfernte und gefährlichere Startpunkte verlagert. Die Kooperation mit der libyschen Küstenwache hat zudem zur Internierung zehntausender geflüchteter Menschen in Lagern geführt, in denen sie Missbrauch, Folter und Ausbeutung erfahren. Die Menschenrechtsanwälte Omer Shatz und Juan Branco schätzen die Zahl auf diese Weise internierter Personen allein für die Jahre 2016 bis 2018 auf mehr als 40.000. Diese Entwicklung hat die Bundesregierung auch mit der Absage an Seerettungs-Programme wie „Mare Nostrum“ und der Unterstützung der libyschen Küstenwache forciert. In voller Kenntnis der mörderischen Folgen.

Das durch ein unabhängiges Journalist_innenkollektiv ins Leben gerufene Projekt The Migrants‘ Files fand vor wenigen Jahren medial große Beachtung: Es veröffentlichte die bisher umfassendste Studie zur Anzahl von Todesfällen und Vermisstenmeldungen von Migrant_innen auf dem Weg nach Europa. Die detaillierte Datenbank zählt über 30 000 Einträge und umfasst den Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis Mitte 2016. Innerhalb weniger Jahre starben also über 30 000 Migrant_innen bei ihrem Versuch, nach Europa zu gelangen oder dort zu bleiben. Leider wurde das wichtige Projekt danach nicht weiterfinanziert, weshalb es für alle weiteren Jahre nur unvollständige Daten gibt. Der Liste können also nochmals tausende Menschen hinzugerechnet werden, die bis heute den Tod fanden. Die Toten sind keiner „Schlepperbande“ und keinem „tragischen Unglück“ geschuldet, sondern Resultate einer bewusst gestalteten Politik.

Der maritime Raum zwischen Griechenland und der Türkei wird ebenfalls stark überwacht. Hier setzen in den letzten Jahren zahlreiche Menschen über, viele davon aus Syrien. Seit dem als „EU-Türkei-Deal“ bekanntgewordenen Abkommen, welches vor allem von Angela Merkel und ihrem damaligen Gesprächspartner Ahmet Davutoğlu eingetütet wurde, gingen die Ankunftszahlen fast vollständig zurück. Teil des millionenschweren Deals war die Vereinbarung, dass die Türkei ein Kontingent der bereits auf Lesbos angekommenen Refugees wieder zurücknehmen solle; im Gegenzug dürfe dieselbe Anzahl handselektierter Asylantragssteller_innen aus der Türkei in die EU einreisen. Es gleicht seitdem einem Schmierentheater, dass sich EU und Türkei immer wieder wechselseitig den Deal aufkündigen wollen. Er ist ein öffentlichkeitswirksamer Pappkamerad, der beiden Seiten nützt. Für die Partien ist und bleibt diese Partnerschaft gewinnbringend – die Drohgebärden sind Ablenkungsmanöver, die die jeweils kritische oder liberale Öffentlichkeit besänftigen sollen. Ein interner Bericht der EU-Kommission, der jüngst öffentlich wurde, fordert indes eine radikalere Abschiebung von Menschen aus den griechischen Lagern in die Türkei.

Tote vor den Toren

Noch tödlicher als die Mittelmeer-Route ist die Sahara. Es ist kaum zu ermitteln, wie viele Menschen genau auf ihrem Weg durch die Wüste jährlich ums Leben kommen, sie werden auch nicht in der Studie erfasst. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) geht davon aus, dass es mindestens doppelt so viele sind wie im Mittelmeer – sie schätzt die Anzahl der in der Wüste verstorbenen auf über 30 000, alleine in den Jahren 2014 bis 2018. Die Subsahara kam in den letzten Jahren ebenfalls zunehmend in den Blick der EU-Grenzschützer – mit verheerenden Folgen für die Flüchtenden.

Dass das EU-Projekt kein explizit demokratisches, sondern vielmehr ein auf ökonomischen und geostrategischen Interessen basierendes Projekt ist, dürfte klar sein. Ihm ist die Externalisierung der Grenzen von Anfang eingeschrieben. Bei den europäischen Bestrebungen, Grenzsicherung und Migrationsmanagement in Drittstaaten zu verlagern, geht Deutschland als Brandstifter voran. „Wir übernehmen Verantwortung in der Welt, und das mit einem vernetzten Handlungsansatz: Außenpolitik, Sicherheit und Entwicklung. (…) Entwicklungspolitik hat in der heutigen Zeit einen vollkommen neuen Stellenwert bekommen“, so Bundesentwicklungsminister Müller im vergangenen Jahr im Bundestag. In der afrikanischen Sahelzone soll weiterhin Einfluss auf die „illegale Migration“ nach Europa genommen werden. Dazu verstärkte Deutschland etwa seinen 2013 begonnenen militärischen Einsatz in Westafrika und sagte den beteiligten Staaten weitere Mittel zu.

Auch das Geld der EU fließt dorthin, wo die Migrationsbewegungen am effektivsten gestoppt werden können. 3000 Millionen Euro wurden im Jahr 2016 für solcherlei Projekte (Aufstockungen der Grenzpatrouillen, Kontrolle der Einreisewege, Verschärfung von Überwachungen und so weiter) bereitgestellt, so viel wie niemals zuvor. Für die Vergabe zentral: die Bereitschaft der Länder, als willfährige Türsteher Europas im repressiven Migrationsregime zu fungieren. Einen großen Anteil erhielten die für Migrationsbewegungen zentralen Länder wie Libyen (126 Millionen) und Senegal (162 Millionen), aber auch Niger (167 Millionen), Mali (152 Millionen) oder der Sudan (106 Millionen). Die EU nutzt die militärische, politische und ökonomische Abhängigkeit der Länder dazu, um Mitarbeit bei der Migrationskontrolle zu erzwingen.

Ein Beispiel der vielen Programme, unter denen dies geschieht: Das „Better Migration Management Programme Phase II“ des European Emercgency Trust Fund (EUTF) stellt seit Mitte 2019 für die Region rund um das Horn von Afrika Gelder in Höhe von 35 Millionen Euro (wieder kommen fünf Millionen davon direkt aus der BRD) bereit – ein Großteil davon dient der Verhinderung von irregulärer Migration in Richtung globaler Norden. Diese Summen sind nur einige kurze Einblicke in das Kontrollregime, welches – im Namen von Entwicklungszusammenarbeit und Marshallplänen für Afrika – den gesamen Kontinent zu überziehen sucht.

Ein Blick auf den Sudan: Die Lage hier ist seit Jahren höchst instabil. Menschen fliehen von dort aus guten Gründen, gleichzeitig ist das Land Transitland für Fliehende aus Eritrea, dem Südsudan oder Somalia. Die jüngst beschlossene Entwicklungshilfe über 28 Millionen Euro (davon alleine 26 Millionen direkt aus Deutschland) soll natürlich die Infrastrukturen vor Ort stärken - man bemühe sich, den desaströsen Bedingungen in den Refugee-Camps Herr zu werden. Aber: Es geht vielmehr um den Verkauf von Sicherheitstechnologie und nicht zuletzt auch ganz offen um die Bekämpfung von „irregulärer Migration“. Dazu werden auch Soldaten und Sicherheitsbeamte in die Regionen geschickt, um den polizeilichen Strukturen vor Ort „effektive Grenzkontrollen“ beizubringen.

In Tunesien bilden deutsche Bundespolizist_innen Grenzpatrouillen aus, die Bundeswehr sendet Schnellboote und gepanzerte Lastwagen. 2017 lieferte Deutschland mobile Überwachungssysteme mit Bodenaufklärung, zuvor waren es schon Nachtüberwachungssysteme, Wärmebildkameras, optische Sensoren und Radarvorrichtungen von Airbus. Bezahlt wird die Hightech-Grenze von der deutschen Bundesregierung (im Jahr 2017 etwa 34 Millionen Euro). Im Dezember 2016 beschloss das deutsche Bundeskabinett, sich an der EU-Mission SAHEL-CAP („zur Bekämpfung von Drogen-, Waffen- und Menschenschmuggel“) im Niger zu beteiligen. Seither werden jährlich (Bundes)Polizist_innen nach Niger geschickt – dem wichtigsten Transitland für afrikanische Flüchtende auf dem Weg nach Europa. Ziel ist der „Aufbau und Erhalt von Sicherheitsstrukturen“ sowie der Ausbau von „Kapazitäten im Grenz- und Migrationsmanagement“. Das Interpol-Projekt Adwenpa II wurde ebenfalls von der Bundesregierung finanziert. Von 2016 bis 2018 wurden dabei in 14 westafrikanischen Staaten Grenzkontrolleur_innen ausgebildet. Interpol schulte in Mali, Marokko, Mauretanien, Niger, Tunesien, Burkina Faso und Tschad – finanziert von Deutschland. Neun Hightech-Grenzstationen zwischen Niger und Nigeria gab es gleich mit dazu. Davon bezahlte das Auswärtige Amt drei, die Europäische Union die übrigen sechs. In vielen afrikanischen Ländern wie Mali wurden Grenzübertritte massiv erschwert, ebenfalls auf „Bitte“ der EU.

Allerdings: Die Pläne der EU, in afrikanischen Ländern Lager zu errichten, in denen Migrant_innen noch vor dem Erreichen europäischen Bodens geprüft (und abgewiesen) werden sollen, scheiterten bislang. Nicht zuletzt, weil sich die Afrikanische Union (AU) dagegen wehrt, wie aus einem Papier von Februar 2019 hervorgeht: Darin wendet sie sich gegen die Pläne der EU, auf afrikanischem Boden „De-facto-Haftanstalten“ einzurichten, in denen die Rechte der Inhaftierten mit Füßen getreten werden.

Neue und gestärkte Bündnisse

370 Mitarbeiter_innen und ein Jahresbudget von 142 Millionen Euro, so sahen die Bedingungen für die „Europäische Agentur für operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“ (Frontex) vor vier Jahren aus, zu dem Zeitpunkt, an dem die genannte Studie entstand. Heute sind es 1.500 Mitarbeitende und 330 Millionen Euro Budget, im Jahr 2020 soll es sogar 420 Millionen Euro betragen. Getragen wird Frontex von den Ländern der EU sowie Norwegen, Island, Liechtenstein und der Schweiz. Für den kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 (Er trägt den vielversprechenden Namen „Ein moderner Haushalt für eine Union, die schützt, stärkt und verteidigt“ – oder wird einfach mit MFR abgekürzt) schlug die Europäische Kommission im Herbst 2018 vor, für ein aktualisiertes Mandat von Frontex eine ständige Reserve von 10 000 Grenzschutzbeamten zu schaffen.

Auch die Mittel für den zentralen Bereich Migration und Grenzmanagement sollen mit 34,9 Milliarden Euro beinahe verdreifacht werden (gegenüber knapp 13 Milliarden Euro im laufenden Zeitraum 2014-2020). Dies solle dazu dienen, „gezielt auf die zunehmenden Herausforderungen in den Bereichen Migration, Mobilität und Sicherheit zu reagieren […] und eine wirksamere Migrationspolitik [zu] ermöglichen.“ Hier werden gestärkte Mandate für Frontex im Bereich der „wirksamen Rückführung“ und der Zusammenarbeit mit Drittländern genannt. Im Februar 2019 einigten sich die EU-Botschafter_innen, den Vorschlag als Grundlage für die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament aufzunehmen.

Wichtige Entscheidungen für die Arbeit von Frontex werden im Übrigen im Verwaltungsrat der Agentur getroffen. Die stellvertretende Leitung hat Ralf Göbel inne, ein früherer Vizepräsident des Bundespolizeipräsidiums. Auch der Leiter der Frontex-Operativabteilung Klaus Rösler ist Deutscher. Im August 2019 konfrontierte ein Rechercheteam Frontex damit, an den EU-Außengrenzen Menschenrechtsverletzungen durch nationale Grenzpolizist_innen zugelassen zu haben oder gar selbst daran beteiligt gewesen zu sein. Man prüfe den Vorwurf, heißt es von Seiten der EU-Kommission. Im gleichen Atemzug wird aber seitens der Agentur der Vorwurf „kategorisch“ ausgeschlossen, die eigenen Beamten seien im Grenzeinsatz an „Verletzungen von Grundrechten“ beteiligt. Es habe sich über die Frontex-Beschwerdestellen schließlich keine_r diesbezüglich gemeldet.

Bezüglich einer neuen EU-Militärunion wird nicht zuletzt die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation, PESCO) der EU-Mitgliedsstaaten immer zentraler, die Anfang 2018 an den Start ging. Faktisch kann die PESCO als eine von Deutschland und Frankreich dominierte Reorganisation der EU-Militärpolitik angesehen werden, die durch eine Aufstockung der Verteidigungshaushalte der teilnehmenden Staaten sowie eine Förderung der EU-Rüstungsindustrie und der Rüstungsexporte finanziert wird. Der Vertrag von Lissabon mit seinen Artikeln für militärische Zusammenarbeit und gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik macht es möglich. Angela Merkel dazu: „Nun sehe ich die Themen Grenzsicherung, gemeinsame Asylpolitik und Bekämpfung der Fluchtursachen als wirkliche Existenzfragen für Europa. […] Das heißt, die europäische Grenzpolizei muss das Recht haben, an den Außengrenzen eigenständig zu agieren. […] Wir brauchen einen intelligenten Ansatz auf mehreren Ebenen. Unsere Datensysteme müssen in ganz Europa vernetzt werden, damit wir wissen, wer sich bei uns aufhält.“ Migrationspolitik wird zu Grenzpolitik und zu einer treibenden Kraft der europäischen Identität, powered by Germany.

Die Absicherung der eigenen Interessenspolitik, auch auf militärischem Wege, ist ein bewährtes Mittel, welches dem Imperialismus inhärent ist, ebenso wie der Rückgriff auf territorial ausgreifende Krisenbewältigungsstrategien. Dies dient nicht den vorgeblich moralisch-ethischen Begründungsmustern, sondern grundsätzlich immer der Absicherung von Verwertungsbedingungen, der Expansion, der Unterjochung.

And the money goes to…

Das bereits genannte Journalist_innenkollektiv lancierte im Übrigen noch ein weiteres Recherche-Projekt: The Money Trails. Darin zeichnete das Team Geldströme nach, welche bei dem Geschäft mit Geflüchteten durch öffentliche und private Hände fließen. Es hat monatelang Dokumente analysiert und mit zahlreichen Vetreter_innen von Politik, NGOs und Privatunternehmen, aber auch mit Geflüchteten, „Schleppern“ und Grenzbeamten gesprochen. Das Ziel: „Manche der ökonomischen Profiteure der Abschottungspolitik Europas aufzudecken.“ Die Recherchen zeigen: Das Geschäft mit den Geflüchteten nach Europa generierte seit dem Jahr 2000 mindestens 1,6 Milliarden Euro Umsatz. Davon ging ein Großteil an organisierte „Schlepper“-Netzwerke, die damit Profite erzielen wollen; aber auch an Einzelpersonen, denen es konkret um Hilfestellung ging. Interessant ist aber auch die andere Seite: Zeitgleich wandte die Europäische Union mindestens genauso viel Geld auf, um die Menschen von den EU-Außengrenzen fernzuhalten: „für jeden Euro, den ein Flüchtling ausgibt, um nach Europa zu gelangen, (geben) die Behörden Europas einen Euro aus (…), um ihn davon abzuhalten“. Von den Maßnahmen der restriktiven Migrationspolitik profitieren Konzerne wie Rheinmetall, Airbus, Finmeccanica und Thales oder Technologiefirmen wie Saab, Siemens oder Diehl. Oft tauchen sie als Tochterunternehmen in den Unterlagen auf. Sie stellen für die „Grenzschützer“ Equipment wie Drohnen, Schnellboote, Nachtsichtgeräte und Jeeps bereit. weitere hunderte Millionen Euro fließen in Projekte der Sicherheitsforschung und -Entwicklung. Und es sollen künftig Milliarden werden: Im März 2019 hat die EU-Kommission einen gestärkten „Europäischen Verteidigungsfonds“ bewilligt, dessen Zielsetzung „darin bestehen wird, die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der europäischen Verteidigungsindustrie unionsweit zu fördern, indem gemeinsame Projekte vom Forschungsstadium über alle weiteren Phasen des industriellen Zyklus unterstützt werden.“ Direktes Geld für die Rüstungsindustrie also – und zwar laut MFR 2021-2017 rund 5,5 Milliarden Euro pro Jahr. Damit die weltweiten Mordbanden aber nicht zu lange auf ihre Hightech-Gadgets warten müssen, wird in den kommenden beiden Jahren der Verteidigungsfonds schonmal mit „Vorläufern“ getestet, mit rund einer halben Milliarde Euro für die Entwicklung der Eurodrohne und vielem mehr.

Auch die Universitäten und Forschungseinrichtungen freuen sich. Eine Reihe von Forschungsprojekten widmen sich nun schon jahrelang unterschiedlichen Aspekten der Flüchtlingsabwehr. Auf die EU-Forschungsagenda kamen sie auf Empfehlung einer Arbeitsgruppe, die die EU-Kommission 2003 startete. 39 der Forschungsprojekte, die zwischen 2002 und 2013 von der EU oder der europäischen Weltraumagentur ESA gefördert wurden, hatten mit Migration, Grenzschutz oder -überwachung zu tun. Mitglieder der Arbeitsgruppe waren neben Parlamentarier_innen und EU-Kommissar_innen auch Waffenproduzenten. Gerne werden die Projekte als zivile Grundlagenforschung ausgeben, wie etwa an der Uni Bremen. Die Liste der wehrtechnischen Auftraggeber in der Geschichte der „zivilen“ Forschung dort ist lang: vertreten ist Rheinmetall, aber auch Astrium (später Airbus Defense and Space) oder das US-Außenministerium. Selbst das Bildungsministerium fördert „zivile“ Forschungsprojekte mit Rüstungsunternehmen, wie 2017 herauskam: EADS, ThyssenKrupp und weitere erhielten in den Jahren 2015-2017 13 Millionen Euro aus dem Bildungsbudget.

Die erwähnte Vernetzung von Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik ist indes längst schon Realität. Es ist kein Zufall, dass der ehemalige Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP), Mitglied des Bundessicherheitsrats, nach dem Ausscheiden seiner Partei aus dem Bundestag als Cheflobbiyst bei der Rheinmetall AG einstieg. Die Rheinmetall AG ist nicht nur irgendein Rüstungskonzern - er ist Europas Größter und der drittgrößte weltweit. Im Geschäftsjahr 2018 setzte der Konzern rund 6,1 Milliarden Euro um. Die Geschäftsentwicklung des Unternehmensbereichs Defence, so wird auf der Webseite des Konzerns stolz berichtet, zeige sich „zunehmend geprägt von der deutlich gestiegenen Nachfrage im militärischen Sektor und von Rheinmetalls erfolgreicher Positionierung in wichtigen Märkten rund um den Globus.“ Der Rüstungskonzern stellt unter anderem Kettenfahrzeuge, Panzer (auch den Leopard II), Waffen und Munition her und ist – ganz zufällig – auch im High-Tech-Zäune-Business und in der Grenzsicherungstechnologie sehr gewichtig aufgestellt. 2017 schon recherchierten Taz-Mitarbeitende und weitere Journalist_innen für das Rechercheprojekt Schengen für Europa, Zäune für Afrika. Daraus wird ersichtlich: EU-Gelder aus dem Entwicklungshilfe-Fond finanzieren vor allem Projekte von deutschen und europäischen Rüstungskonzernen. Ganz vorne dabei ist die Rheinmetall AG. Andere deutsche Firmen wie Veridos, das Gemeinschaftsunternehmen der Bundesdruckerei und der IT-Firma Giesecke + Devrient, die auf Biometrie, Kontrollschleusen und „Identifikationslösungen“ spezialisiert sind, haben in den letzten drei Jahren Aufträge in Milliardenhöhe erhalten. Lösungen der Migrations-„Problematik“ von Marokko bis Südafrika. Meist ohne Ausschreibung und ohne parlamentarische Kontrolle.

Der Fluchthelfer von Nebenan

Am „Tag des Peacekeepers“ am 6. Juni 2019 wurde unter anderem die „zivile Fachkraft“ Kerstin Bartsch durch Außenminister Heiko Maas ausgezeichnet. Seit Oktober 2017 schult die Juristin in der nigrischen Stadt Agadez die dortigen Repressionskräfte im Umgang mit „irregulären Migranten“. Ihre Definition von „Grenzkontrollmanagement“ und dementsprechend auch ihre Haltung gegenüber Menschen auf der Flucht macht Bartsch in einem Interview deutlich: „Der Menschenschmuggel ist ein krimineller Akt gegen die Souveränität eines Landes. Menschen ohne Legitimation werden von Schmugglern gegen Geld über Grenzen gebracht – und das passiert heute in großem Rahmen.“ Terroristische Bedrohungen, Migrationsdruck, Bevölkerungsdichte – Auch EU-Kommission, FRONTEX und Innenminister_innen werden nicht müde, davon zu sprechen, dass die Eindämmung kriminellen Menschenhandels eine Notwendigkeit sei, um Leben zu retten und Menschen zu schützen. Einen Atemzug weiter sind sie bei der Fluchthilfe angelangt, als sei es dasselbe Thema.

Um es ganz deutlich zu sagen: Menschenhandel und Schmuggel können sich zwar in einigen Fällen überschneiden, tatsächlich handelt es sich jedoch um zwei völlig unterschiedliche Themen. Menschenhandel ist ein erzwungener Transfer von Menschen, der mit Entführung, Ausbeutung und moderner Sklaverei verbunden ist, während Menschenschmuggel, also Fluchthilfe, eine Reaktion auf die restriktive Grenzpolitik darstellt, die den Flüchtenden das legale Überschreiten von Grenzen zu ihren eigenen Bedingungen unmöglich macht. Für die Mehrheit der Weltbevölkerung gibt es keine sicheren Passagen und keine legale Möglichkeit, in ein EU-Land einzureisen, Asyl zu suchen oder gar ein Arbeitsvisum zu erhalten. Die Menschen sind gezwungen, sich auf illegalisierte, oftmals tödliche Wege zu begeben und haben kaum eine andere Wahl, als die Dienste von Vermittlern in Anspruch zu nehmen, die in vielen Fällen zu teuer und zu riskant sind. Die Zerstörung von Schmuggelnetzen rettet keine Leben, sondern geht auf Kosten der Sicherheit derjenigen, die man damit vorgeblich schützen will. Damit ist Deutschland nicht nur Brandstifter, sondern auch Mörder. Während Politiker_innen und Medien die „kriminellen Schleuser“ für das Leiden und Sterben an den Grenzen Europas verantwortlich machen, lenkt dies die Aufmerksamkeit von der Tatsache ab, dass der Schmuggel eine Reaktion auf die Militarisierung der Grenzkontrollen ist und nicht die Ursache irregulärer Migration.

Aktuell werden allerorts der „Mauerfall“ und die „Deutsche Einheit“ beschworen - die DDR darf dabei entweder als glücklicherweise überwundener Unrechtsstaat oder als Petrischale der erstarkenden rechten, faschistischen Kräfte im Land herhalten. Jene, die daran beteiligt waren, Menschen über die deutsch-deutsche Grenze zu bringen, gelten bis heute als Held_innen ohne Wenn und Aber. Fluchthelfer_in – das war etwas Ehrenvolles. Sie wurden, wie 2012 im Falle Burkhart Veigels, für das „Engagement für die Freiheit“ mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet - während Menschen wie Jamil für Jahre ins Gefängnis müssen. „Fluchthelfer“ Veigel hat damals mit seiner Arbeit Geld verdient – bis zu 18.000 DM –, sogar Verträge dafür aufgesetzt. In einem Das Erste Panorama-Bericht begründet er: „Es kommt darauf an, dass man seinen Job gut macht. Ein guter Arzt, ein guter Rechtsanwalt nimmt auch Geld von Menschen, die in Not sind.“ Er kritisiert, dass heute Fluchthelfer_innen durchweg als „Schlepper“ und „Schleuser“ verfolgt und kriminalisiert werden: „Es ist doch eine ehrenvolle Sache, einem Menschen in Not zu helfen. Da kann mich doch kein Gesetz daran hindern!“ Die Bundesregierung sieht das zwischenzeitlich anders. Sie stört sich nicht an dem Widerspruch zwischen der Kriminalisierung illegal Eingewanderter sowie ihrer „Schlepperbanden“ und der Glorifizierung von Fluchthelfer_innen in den 1960er und 1970er Jahren. Woher das kommt? Der Antikommunismus hat die Veigels der Welt zu Held_innen gemacht. Jede_r erfolgreich „den Roten“ entrissene war ein kleiner Sieg über das sozialistische System. Heute gibt es diese ideologische Klammer für Deutschland und die Europäische Union nicht mehr. Im Gegenteil: Fluchthilfe heute fordert die neoliberale Ordnung der Ungleichheit heraus, sie verschafft Schlupflöcher in einem globalen System, in dem Grenzen den klaren Zweck erfüllen, die Profiteure und Verursacher der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse vor den „Verdammten dieser Erde“ (Frantz Fanon) abzuschotten.

„Diese Union tötet; sie tötet durch Unterlassen, durch unterlassene Hilfeleistung.“ So kommentierte Heribert Prantl 2015 die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union in der Süddeutschen Zeitung. Bei aller Zustimmung macht es sich Prantl mit dieser Einschätzung zu leicht: Die EU tötet nicht nur durch „Unterlassen“ an den Grenzen. Sie tut weit mehr als das. Und sie profitiert von den Toten. Sie sorgt dafür, dass Geschäfte mit Geflüchteten und Fluchtgründen nicht weniger werden. Aus den Ländern, in denen EU-Mitgliedsstaaten Kriege führen oder an Einsätzen beteiligt sind, sind die meisten Menschen auf der Flucht. Auch die unerbittliche Ausbeutung der menschlichen und natürlichen Ressourcen der Länder des globalen Südens ist ein wesentlicher Grund für Flucht und Zerstörung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung. Die EU macht es sich zu leicht, den Schleusern Schuld an allem Elend an den Grenzen zu geben. Sie als die Gewinner dieser tödlichen Flüchtlingsmaschinerie zu begreifen, heißt, willentlich zu übersehen, wer die eigentlichen Profiteure des Elends sind.