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Risiken und Nebenwirkungen der Corona-Pandemie

solidarity corona-jo_broese.jpg Johanna Bröse

„Hinter dem Faschismus steht das Kapital“. Diese Parole, die immer noch gerne bei fast jeder Antifa-Demo gerufen wird, trifft bei der Alternative für Deutschland (AfD) (bisher zumindest) nicht zu. Nur für Betonkopf-Kommunistinnen und -Kommunisten ist auch die AfD im Sinne Georgi Dimitroffs Ausdruck der „reaktionärsten Elemente des Finanzkapitals“. In der Realität dagegen unterstützten nur vereinzelte Unternehmerinnen und Unternehmer, vorwiegend mittelständischer Firmen, die Partei, die sich unter anderem für einen neuen Nationalismus stark macht. Denn das deutsche Kapital profitiert von einer globalisierten Ökonomie und benötigt Arbeitskräfte aus dem Ausland. Sowohl gut ausgebildete Fachkräfte als auch billige Arbeiterinnen und Arbeiter sind deshalb sehr gefragt. Abschottung, Protektionismus und Rassismus, wie von der AfD propagiert, wird deshalb von diesem als geschäftsschädigend angesehen.

Das Image zählt

Das schwierige Verhältnis vieler Wirtschaftsfraktionen zur AfD wird etwa im Fall des Unternehmers Hans Wall augenscheinlich. Wall war der Gründer und erster Aufsichtsratsvorsitzender der Außenwerbungsfirma Wall AG. Im Jahr 2013 trat er aus seiner bisherigen Partei, der FDP aus und in die AfD ein. Er unterstützte die Partei im Wahlkampf mit einer Spende über 10.000 Euro. Für ihn sei die AfD „die Partei des deutschen Mittelstands“, so Wall. Nachdem die Parteimitgliedschaft Walls öffentlich bekannt wurde, distanzierte sich seine eigene Firma von ihm und von der AfD: „Wir wollen mit dieser rechtspopulistischen Partei nichts am Hut haben“, so Wall-AG-Sprecher Daniel Abbou.

Die Haltung dieserFirma ist ein Beispiel für eine verbreitete Haltung in der deutschen Wirtschaft gegenüber der Rechtsaußenpartei. Und so verwundern auch Aussagen wie die des Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Dieter Kempf nicht, der im August 2019, vor den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, den Zeitungen der Funke Mediengruppe diktierte: „Erfolge der AfD schaden dem Image unseres Landes“ und „Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus passen nicht zu einer international erfolgreichen deutschen Wirtschaft.“ Diese Aussagen machen deutlich, dass das Gros der deutschen Industrie auf die Exportwirtschaft und die internationale Vernetzung setzt. Erfolge rassistischer Parteien sind dafür kontraproduktiv, da sie einen Imageschaden auslösen können, der dann zu weniger Investitionen führen kann.

Wollten also Linke die Wahlerfolge der AfD marxistisch begründen, konnten sie bisher kaum auf die historischen Erklärungsmuster des Traditionsmarxismus zurückgreifen. Die materielle Basis des deutschen Kapitalismus aus Exportorientierung und weltweiter ökonomischer Verflechtung anhand globaler Lieferketten und billiger Arbeitskräfte stand dem entgegen. Für eine an Marx orientierte Analyse des rasanten rechten Aufstiegs der letzten Jahre musste also auf dissidente Strömungen der Arbeiterinnenbewegung zurückgegriffen werden, etwa auf das Bonapartismus-Konzept August Thalheimers oder die Theorie des autoritären Charakters der Kritischen Theorie. Doch könnte die ökonomische Entwicklung seit der Krise 2007/2008 auch Erklärungsmuster rehabilitieren, die auf einen engen Zusammenhang von Faschismus, Kapital und Staat rekurrieren.

Nationalistische Tendenzen vor Corona

Denn seit ein paar Jahren gibt es globale Tendenzen hin zu einer Schwächung internationaler Vernetzung und Globalisierung beziehungsweise eine Rückbesinnung auf nationale Märkte. Nach dem weltweiten Kriseneinbruch 2007ff. bemühten sich die Staatenlenkerinnen und Staatenlenker auf Konferenzen wie den G 20-Gipfeln noch um die Priorisierung der internationalen Kooperation. Doch durch die langandauernde Phase der Krise, des schwachen Wachstums und nun der durch die Corona-Pandemie verursachten erneuten Wirtschaftskrise, erleben vielerorts nationalistische und autoritäre Parteien und Gruppierungen einen Aufschwung. Dieser wurde auch durch die Niederlage der Protestbewegungen vom Arabischen Frühling über die Platzbewegungen in den südeuropäischen Krisenstaaten bis zur Occupy-Bewegung befeuert. Die Rechte propagiert statt internationaler Zusammenarbeit und weltweiter Wirtschaftsverflechtungen, Protektionismus und die Förderung der heimischen Ökonomie. Allen voran die USA unter Trumps Credo „America first!“

Zwar sind die USA nach wie vor die hegemoniale Macht innerhalb des Weltsystems, stemmen sich aber seit den 1970er-Jahren gegen den eigenen Abstieg und gegen den Aufstieg zahlreicher Konkurrenten. Die Corona-Krise scheint diese Entwicklung zu besiegeln. Allen Erwartungen zufolge wird China ökonomisch und moralisch gestärkt aus der Krise hervorgehen. Die von Trump vom Zaun gebrochenen Handelskriege, vor allem gegen den Hauptkonkurrenten China, und die aufgekündigten Freihandelsabkommen markieren einen Kurswechsel in der Politik der USA, die bisher zu den lautesten Verfechtern freier Märkte und der Globalisierung gehörten, und in der globalen Ökonomie. Weitere Beispiele dieser Entwicklung sind die aggressive Durchsetzung deutscher Interessen in der Eurokrise zu Ungunsten südeuropäischer Krisenstaaten und der Brexit. Was damit schon angedeutet wurde, zeigt es sich dann in der Corona-Krise klar: die EU ist zur Farce geworden. In ihren Reaktionen auf den Virus zeigt sich, wie weit eine gemeinsame europaweite Krisenbewältigung von der aktuellen Politik weg ist. Politisch wie ökonomisch ziehen die Staaten die Nation des Staatenbundes vor. Auch in Fragen der europäischen Migrationspolitik kann sich die EU in erster Linie nur auf die gemeinsame Migrationsabwehr einigen. Innerhalb Europas gibt es diesbezüglich kaum Einigkeit und die Menschen, die es nach Europa schaffen, werden auf Kosten der jeweiligen anderen (Mitglieds)Staaten zu verschieben oder vom eigenen Territorium fernzuhalten versucht.

Corona als Katalysator einer Entglobalisierung?

Durch die Corona-Krise dürfte sich diese Tendenz hin zu Protektionismus und dem Rückbezug auf die eigene Nation noch verstärken. Die Pandemie zeigt, wie verwundbar ein Kapitalismus ist, der sich auf globale Lieferketten stützt. Wenn in China Städte abgeriegelt werden, brechen auch hier ganze Produktionszweige zusammen. Diese Erfahrung begünstigt die bereits vor Corona eingesetzte Entwicklung. So wurden schon vor dem Ausbruch der Pandemie einige Zulieferbetriebe der US-amerikanischen Autoindustrie von Ostasien nach Mexiko geholt, um diese näher an den Stammwerken zu haben.

Bei dieser Strategie geht es darum die Lieferketten der Zukunft etwas weniger effizient, dafür aber widerstandsfähiger zu machen; unddies bedeutet eben auch eine stärkere Anbindung an die Heimatmärkte. Die Zulieferindustrie wird näher an die Heimatproduktion gebracht und führt damit erstmals seit Jahrzehnten zu ersten Formen der Entkopplung der internationalen Arbeitsteilung. Es wird dadurch eine Regionalisierung anstelle der Globalisierung gefördert.

Vor allem die beiden wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt – USA und China – sind davon im Rahmen des so genannten Handelsstreits betroffen. Konkret lässt sich dieses so genannte Decoupling unter anderem an den Auseinandersetzungen um den chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei ablesen. Als Reaktion auf US-Sanktionen gegen die Firma plant Huawei nun die Entwicklung eines eigenen Betriebssystems für Smartphones. Wirtschaftskolumnistinnen, wie die Financial Times Mitarbeiterin Rana Foroohar, befürchten, schon dass in Zukunft die einzelnen Wirtschaftsblöcke eigenständige technische Systeme für ihre Produkte entwickeln könnten und damit die Welt auch technisch von einem globalen System zu territorialen Systemen wechseln könnte. Dies hätte gravierende Auswirkungen sowohl auf die Industrie als auch für die Konsumentinnen und Konsumenten und natürlich auch auf eine globale Wirtschaft. Es wäre eine Paradigmenwechsel, der die bisher fast symbiotischen Beziehungen zwischen den USA und China, plastisch gefasst im Begriff „Chimerika“, auf denen die Weltwirtschaft noch basiert, beenden würde.

Die Reaktionen der in der EU zusammengeschlossenen Nationalstaaten auf die Corona-Pandemie zeigen ebenfalls diese auseinanderdriftenden Tendenzen. Statt gegenseitiger Unterstützung gab es Grenzschließungen. Diese wurden von allen Staaten einseitig beschlossen – ohne die EU-Kommission auch nur darüber zu informieren. Auch die Versuche, sich gegenseitig medizinisches Material streitig zu machen oder wegzuschnappen zeugt von einer Priorisierung nationaler Interessen, komme was wolle. In Italien und Spanien lieferten inzwischen Russland und China Hilfsgüter und inszenierten sich dabei als die großen Helfer dort, wo die EU versagt. So hatte sich wohl niemand in der EU das 25-jährige Jubiläum des Schengen-Raumes vorgestellt.

Nationalismus und Großmachtpolitik

Bereits die Finanzkrise von 2008 und die folgenden Austeritätsprogramm für südeuropäische Staaten legte das politische und ökonomische Ungleichgewicht der EU offen. Nicht anders verhält es sich nun in der Corona-Krise. Besonders betroffenen südlichen EU-Länder fordern die Einrichtung gemeinsamer europäischer Anleihen (Corona-Bonds), um gemeinsam Schulden am Kapitalmarkt aufnehmen zu können. Durch die wirtschaftliche Stärke der nördlichen EU-Staaten würden diese Bonds dazu führen, dass die Schuldenaufnahme für die Krisenstaaten deutlich günstiger ausfallen würde. Doch allen voran die deutsche Regierung lehnt diese Programme kategorisch ab. Bereits 2012 stellte sich Bundeskanzlerin Merkel auf den Standpunkt, es werde keine gesamtschuldnerische Haftung – zum Beispiel über Euro-Bonds – geben, „so lange ich lebe“.

Vor diesem Hintergrund ist es zu erwarten, dass die nationalen Krisenprogramme gegen die ökonomischen Auswirkungen der Corona-Pandemie sich noch verstärkt auf die Interessen der Nationalstaaten konzentrieren werden. Wie stark die Staaten dafür bereit, sind im Rahmen des Ausnahmezustands auch in die Interessen selbst global agierender Konzerne einzugreifen, zeigt sich momentan. In zahlreichen Ländern sind alle Wirtschaftsaktivitäten, die nicht „lebensnotwendig“ sind, gestoppt oder zumindest stark eingeschränkt.

Regierungen nutzen zudem die aktuellen Einschränkungen von Rechten dazu, ihre Macht zu festigen. Am offensichtlichsten geschieht dies momentan in Ungarn, wo Orban das Parlament ausgeschaltet hat. Zu einer weiteren Stärkung des Staates wird auch die ökonomische Krisenreaktion führen. Fast in allen Ländern wurden bereits Verstaatlichungen kriselnder Unternehmen angekündigt und die Schaffung staatlich geförderter Produktion von als lebenswichtig angesehener Produkte. Mit diesen Maßnahmen fallen dann die wirtschaftlichen Interessen dieser Konzerne mit den nationalen Interessen in eins. Die Hoffnungen einer staatsfixierten Linken in die Möglichkeiten einer neuen keynesianischen Politik gegen die Macht transnationaler Konzerne werden nur zu mehr Nationalismus und aggressiven Großmachtpolitik führen.

Es steht zu befürchten, dass die aktuelle Entwicklungen dazu führen, dass das jeweilige Kapital eines Landes ein materielles Interesse an einer politischen Vertretung gewinnt, die aggressiv die eigenen Vorteile gegen alle anderen vertritt. Ansatzweise ist dies jetzt schon zu beobachten, wenn etwa AfD und Wirtschaftsverbände ein schnelles Ende der Corona-Beschränkungen fordern. Denn längst steht hinter den rechten Formierungen nicht mehr nur der frühere Chef einer Firma, die Plakate aufhängt. Die Erklärungen des Traditionsmarxismus scheinen so doch wieder aktuell zu werden.