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Protest, Widerstand, Revolution

Feminismus und Revolution

Drei Blitzlichter.

Erstens. „Wird Hollywood jetzt keusch?“ jammert die BILD letzte Woche, als durch den Hashtag #metoo („ich auch“) immer mehr Frauen* ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Übergriffen online sichtbar machen. Ausgangspunkt dafür waren Missbrauchsvorfälle in der Filmindustrie. Das Blatt bagatellisiert die Übergriffe als „Sex-Attacken“ und schreibt: „Heute kann ein Kompliment über das schöne Kleid einer Frau leider schon missverstanden werden – als sexuelle Belästigung! Der neue Sex-Code: Hände weg von Mitarbeiterinnen und Schauspielerinnen“. Die Mechanismen, sexualisierte Gewalt zu verharmlosen und die patriarchalen Machtverhältnisse zu normalisieren und aktiv zu schützen, in zwei Sätzen zusammengefasst. Mit #metoo wird aktuell (und mal wieder!) die Allgegenwärtigkeit dessen ins Licht gerückt. Jede Person mit Internetanschluss kann potenziell teilnehmen, jede kann gehört werden. Auch die Stimmen, die den wichtigen Schwenk vom Erzählen einer individuellen Erfahrung dorthin vollziehen, die Systematik hinter dem Einzelfall wahrzunehmen. Das heißt, die patriarchalen Strukturen, die Täter* hervorbringen und schützen, offenzulegen und verantwortlich zu machen. Denn die Unterdrückung von Frauen* ist ein zentraler Motor des Kapitalismus. Die aktuelle Aktion kann nicht nur als privilegierte Hollywoodgeschichte, Identitätspolitik oder Netzfeminismus ohne Rückgriff auf historische Entwicklungen abgetan werden [1]: Die „Me too“-Bewegung ist keine neue, und keine weiße Erfindung. Women of Color prägten schon vor Jahren den Begriff. Es ist eine radikale Bewegung, so beschreibt es die Aktivistin Tarana Burke, die insbesondere junge Frauen (of Color) wissen lässt, dass sie nicht alleine sind. Sexualisierte Gewalt, so Burke, kennt keine Ethnizität, kein Geschlecht, keine Klasse („no race, no gender, no class“). Aber die Reaktion auf sexualisierte Gewalt ist hochgradig von „race, class, gender“ abhängig: Welche Gewalt wahrgenommen wird, welche Übergriffe als „natürlich“ und „normal“ dargestellt werden, wessen Stimme gehört wird und so weiter. Die aktualisierte #metoo-Bewegung ist im Übrigen kein reines Onlinephänomen mehr, was Demonstrationen (etwa mit 1000 Aktivist_innen in Berlin) unter demselben Namen und neu entstehende feministische Bündnisse zeigen. Auch der Rahmen der Kulturindustrie ist in den Diskussionen längst überschritten, es geht auch immer mehr um Übergriffe von Männern in anderen machtvollen Positionen, in der Politik und in staatlichen Strukturen.

Zweitens. Zeitgleich in Polen. Zehntausende Frauen* (und einige männliche Unterstützer) gehen gegen die geplanten Verschärfungen des Abtreibungsrechts durch die Regierung, die von der rechtspopulistischen, ultrakonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS – Prawo i Sorawiedliwosc) gestellt wird, auf die Straße. Vorausgegangen sind jahrelange Kämpfe um umstrittene Justizreformen, nach der Frauen, die eine Abtreibung vornehmen, mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können. Frauen*organisationen in Polen machen indes nicht beim Thema Abschiebung halt. Sie üben scharfe Kritik an den rechts-nationalistischen Entwicklungen der Regierung, an der frauen- und massenfeindlichen Politik und an der zunehmenden Einflussnahme der katholischen Kirche auf alle Lebensbereiche. Nicht zuletzt solidarisieren sie sich mit Arbeitskämpfen vor Ort und europaweit, sie sind lautstarke Verbündete –  in Gewerkschaftskämpfen und Streiks, aber auch in basisorganisierten Strukturen. Kurz gesagt: Sie sind der Regierung schon lange ein Dorn im Auge. Die Behörden reagierten daher umgehend und schickten acht Frauen*organisationen, die für die diesjährigen Proteste mobilisiert hatten, die Staatsanwaltschaft an den Kragen: Die Polizei drang in die jeweiligen Räume ein und konfiszierte Unterlagen und Computer.

Drittens. Ein weiteres Hashtag: #keinemehr. Es thematisiert Femizide, Frauenmorde: Frauen*, die getötet werden, weil sie Frauen* sind. Der Hashtag und die dahinterstehende große feministische Bewegung entstanden in Lateinamerika: „Ni una meños“ (Nicht eine Frau weniger) heißt es dort. In Argentinien, Mexiko oder Peru kämpfen die Genossinnen seit Jahren in zahlreichen Städten (auch militant) gegen unterdrückerische und sexistische Strukturen an: gegen frauenfeindliche Gesetzgebungen, fehlende Schutzstrukturen für Betroffene von Gewalt, Machismo als Staatsräson und gegen das von Männern dominierte Justizsystem. Viele der Basisgruppen verknüpfen ihre Forderungen nach dem Ende der Gewalt gegenüber Frauen* mit antikapitalistischen und sozialistischen Grundsätzen. Ihre Kämpfe gegen Frauenmorde sind ein Vorbild für verbündete Frauen* in anderen Teilen der Welt. In Polen, in Italien, in der Türkei - und eben in Deutschland werden die Kämpfe thematisiert, derzeit laufen die letzten Planungen für ein Vernetzungstreffen von Aktivistinnen* am 11.11. in Berlin.

Patriarchat und Widerstand - Auftakt einer neuen Reihe

Ein Triptychon – drei Schaubilder – zu Themen, die aktuell debattiert werden, die Frauen*, aber eben beileibe nicht nur sie, sondern die gesamte Gesellschaft betreffen. Wir wollen an dieser Stelle mit einer ganzen Reihe an sehr unterschiedlichen Beiträgen einsetzen, die eines eint: Ein feministischer Blick auf das Leben in patriarchalen und sexistischen Verhältnissen und in Klassenverhältnissen; ein feministischer Blick ebenso auf die Funktionsweise des Kapitalismus, der die Unterdrückung der Frau seit Anbeginn als konstituierendes Element benötigt und ausnutzt. Wir wollen eigene Erfahrungen einbringen, als Frauen* in patriarchalen Strukturen, wollen Kämpfe und Widerstände weltweit aufzeigen und für die Bewegung im deutschsprachigen Raum zugänglich machen. Wir möchten die Geschichte der Frauenbewegungen lebendig machen und gleichzeitig nach einer Zukunft des Widerstands fragen: Welche gesellschaftliche Relevanz hat ein materialistischer Feminismus heute? Wie lassen sich Klassenkämpfe und Feminismus weiter zusammen denken? Wie steht es um das Thema der Klassenunterschiede in feministischen Bewegungszusammenhängen? Wie werden Erfahrungen von Kolonialismus und Rassismus aufgegriffen und bearbeitet? Welche Rollenvorstellungen und patriarchale Strukturen müssen wir in unseren eigenen linksradikalen Strukturen bekämpfen? Wie kann dem Wiedererstarken von antifeministischen Ideologien durch rechte Projekte begegnet werden? Und auch: Wie können wir Kämpfe gegen Prekarisierung, Ausdehnung der Arbeit, Armut, gekürzte Sozialleistungen und Wohnungsnot, also „Kämpfe von unten“ besser als bisher mit feministischen Perspektiven verknüpfen? In diesen zeigt sich nämlich die Zuspitzung in der allgemeinen Hegemoniekrise des Kapitalismus, nämlich die Zuspitzung des Widerspruchs zwischen Kapitalakkumulation und sozialer Reproduktion: Einerseits sind arbeitende und emanzipierte Frauen* super zwecks Ausbeutung ihrer Arbeitskraft, andererseits werden sie erneut auf ihre patriarchal kodierten Rollen der unbezahlten und unsichtbaren Reproduktionsarbeit heruntergedrückt. Viele der neoliberalen, individualisierten Verhältnisse sind, das wird damit deutlich, eben auch mit patriarchalen und sexistischen Verhältnissen organisch verknüpft und müssen deshalb gemeinsam bekämpft werden. Als re:volt Redaktion erhoffen wir uns im Laufe der Reihe eine fruchtbare und solidarische Debatte und auch einen Erkenntnisgewinn für unsere eigenen Auseinandersetzungen. Wir möchten Frauen*(kollektive) auffordern, eigene Beiträge einzubringen. Schreibt uns!

[1]  Eine durchaus konstruktive Kritik an der aktuellen #metoo-Bewegung liefert etwa Charlott Schönwetter bei der Mädchenmannschaft.