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Neue Versammlungsgesetze? „Wir unterschreiben nicht!“

Polizeitrupp Raimond Spekking, Wikimedia Commons

Seit die Corona-Pandemie vor knapp einem Jahr die Bundesrepublik Deutschland erfasst hat, ist das soziale und politische Leben gelähmt. Zwischen dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 und den aktuellen umfassenden Einschränkungen kam es zwar zu Mobilisierungen verschiedener politischer Spektren auf den Straßen – von der rechten und verschwörungsgläubigen Querdenken-Bewegung bis zu #BlackLivesMatter-Aktivist*innen, die nach der Ermordung von George Floyd zu Tausenden protestierten. Doch klar ist, dass die Möglichkeiten politischer Organisierung und Aktionen angesichts des globalen Gesundheitsnotstands und der akuten Ansteckungsgefahr weiterhin stark eingeschränkt sind.

Reformen des Versammlungsrechts

Nichtsdestotrotz planen gleich drei Bundesländer die Reform ihrer jeweiligen Versammlungsgesetze. In Nordrhein-Westfalen, Berlin und Sachsen-Anhalt wollen die Landesregierungen die gesetzlichen Vorgaben für Kundgebungen und Demonstrationen erheblich verändern. Möglich ist dies aufgrund der Föderalismusreform aus dem Jahr 2006, welche den Ländern die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht übertragen hat. Konkret heißt das, dass die Länder – abweichend vom Bundesrecht – eigene Versammlungsgesetze erlassen können. Sie können so „das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“ nach Artikel 8 Grundgesetz für Versammlungen unter freiem Himmel beschränken. Wenig überraschend wird dieser Spielraum in den Bundesländern je nach Regierungskonstellation verschieden genutzt. Und so unterscheiden sich auch die aktuellen Gesetzgebungsprojekte inhaltlich sehr stark voneinander. Auf der einen Seite forcieren die schwarz-gelbe Regierung unter dem neuen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen und das Bündnis aus CDU, SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt massive Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit, verbunden mit dem Ausbau polizeilicher Befugnisse. Andererseits plant der rot-rot-grüne Senat in der Hauptstadt eine Liberalisierung des Versammlungsrechts.

Für die revolutionäre Linke stellen sich angesichts dieser legislativen Vorhaben verschiedene Fragen: Wie kann dem weiteren Abbau von Grundrechten entgegengetreten werden? Welche Bündnisse können hierfür eingegangen werden? Kann rot-rot-grünen Liberalisierungstendenzen getraut werden? Wie können mögliche neue Spielräume genutzt werden? Und was sollte das grundsätzliche Verhältnis zu den im Grundgesetz festgeschriebenen bürgerlichen Freiheitsrechten sein? Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen hilft es, sich die Gesetzesentwürfe aus den jeweiligen Bundesländern näher anzusehen und sie im Kontext der jeweiligen politischen Kräfteverhältnisse zu analysieren.

Das „Versammlungsverhinderungsgesetz“ in Nordrhein-Westfalen

„Wir brauchen gut und verständlich formulierte Regeln, die wenig Interpretationsspielraum lassen. So, dass jeder versteht: Das geht und das geht nicht“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), bekannt als rechter Hardliner und Vertreter einer Law & Order-Sicherheitspolitik, zu dem geplanten Versammlungsgesetz. Tatsächlich aber will die nordrhein-westfälische Landregierung das Recht auf Demonstrationsfreiheit empfindlich einschränken und lässt es dabei auch im juristisch-handwerklichen Sinne an Bestimmtheit vermissen.

So sieht der Entwurf in § 18 VersammlungsgesetzEinführungsgesetz (VersGEinfG NRW) ein sogenanntes Militanzverbot vor. Danach soll die Veranstaltung, Leitung oder Teilnahme an einer öffentlichen Versammlung schon dann verboten sein, wenn diese infolge des äußeren Erscheinungsbildes durch das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder uniform ähnlichen Kleidungsstücken, durch ein paramilitärisches Auftreten oder in vergleichbarer Weise Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt. Verstöße dagegen können mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden.

In der Gesetzesbegründung wird auf „uniformierte rechts- oder linksextremistische Verbände in der Weimarer Republik wie die SA, die SS und ihre Untergliederungen“ verwiesen. Als heutige Beispiele fallen den Verfasser*innen des Entwurfs neben neonazistischen Gruppierungen auch der „der sogenannte ‚Schwarze Block‘ linksradikaler Störer und Täter“ sowie die gleichfarbigen Overalls „bei den Garzweiler-Demonstrationen im Sommer 2019“, also den Aktionen zivilen Ungehorsams des Anti-Kohle-Bündnisses Ende Gelände, ein. Was das Merkmal „in vergleichbarer Weise“ betrifft, bleibt die Deutungshoheit bei den Behörden.
Auch das bereits existierende Störungsverbot (§ 7) soll weiter verschärft werden. Konkret geht es um das Verbot sogenannter Blockadetrainings, die zur Vorbereitung von Aktionen in der antifaschistischen als auch der klimapolitischen Bewegung seit Jahren üblich sind. Eine klare Antwort auf die Aktionen von Klimaaktivist*innen im Rheinland und die Blockaden von Naziaufmärschen durch antifaschistische Gruppen. Zudem soll die Videoüberwachung von Demonstrationen ausgeweitet werden.

§ 16 Abs. 2 des Entwurfs will „Übersichtsaufnahmen“ erlauben. Vordergründig, um bei unübersichtlichen Lagen eine Koordination von Polizeieinsätzen zu ermöglichen. Allerdings soll die Aufzeichnung erlaubt sein, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass von Versammlungen, von Teilen hiervon oder ihrem Umfeld erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Tatsächlich öffnet diese Regelungen die Möglichkeit zur umfassenden Erfassung aller Versammlungsteilnehmer*innen und weitet den Spielraum für nachgelagerte Repression aus.

Auch die Privatsphäre von veranstaltenden Personen wird beeinträchtigt. Der Entwurf sieht in § 4 vor, dass in der Einladung zu einer öffentlichen Versammlung der Name der Veranstalterin oder des Veranstalters anzugeben ist. Die Privatsphäre wird weiter durch § 12 Absatz 2 eingeschränkt. Schon bei der Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit muss die Veranstalterin oder der Veranstalter der Versammlung der Behörde auf deren Aufforderung hin Namen und Adressen der vorgesehenen Ordner*innen mitteilen. Zusätzlich sollen die Behörden nach § 14 Absatz 2 die Befugnis erhalten, Personen die Teilnahme an einer Versammlung zu untersagen, „wenn von diesen nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei Durchführung der Versammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.“ Bisher war eine solche Maßnahme von den Verwaltungsgerichten nur in Ausnahmefällen als rechtmäßig erachtet worden.

Daneben gibt es weitere problematische Neuerungen, wie die Einrichtung von Kontrollstellen zur Personenkontrolle rundum Versammlungen oder erhöhte bürokratische Anforderungen bei der Anmeldung von Versammlungen. Zusammenfassend will die Regierung von Armin Laschet den Behörden mehr Möglichkeiten geben, unliebsame Versammlungen einzuschränken. Und auch wenn es von Seiten der Landesregierung Lippenbekenntnisse gibt, dass diese Befugnisse ja auch gegen rechte Versammlungen eingesetzt werden sollen, ist klar, dass vor allem die Antifa- und Klimabewegung Ziel der Gesetzesreform sind.

Die „öffentliche Ordnung“ in Sachsen Anhalt

Ähnliche Bestrebungen zeigen sich auch in Sachsen-Anhalt. Dort hat die Landesregierung von Reiner Haseloff (CDU) schon im November 2020 einen Entwurf für ein neues Versammlungsgesetz in den Landtag eingebracht. Insbesondere soll der schwammige Begriff der „öffentlichen Ordnung“ Eingang in die Generalklausel des § 13 Absatz 1 finden. Dann kann bei Gefahr für die öffentliche Ordnung die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug von bestimmten Beschränkungen abhängig machen oder gar verbieten. In der Rechtswissenschaft ist der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ allerdings schon seit Langem umstritten, da er sehr weit gefasst ist und als Auffangtatbestand für behördliches Einschreiten dient.

Weiterhin soll das Tragen gleichartiger Kleidungsstücke unter das Uniformierungsverbot aus § 3 gefasst werden. Zudem will die Landesregierung das Uniformierungsverbot auf öffentliches Auftreten, das nicht unter den Versammlungsbegriff fällt, ausdehnen. Als Begründung werden die selbsternannte „Schutzzonen“-Kampagne der NPD, sowie die „Sharia-Polizei“ von Islamisten herangezogen. Außerdem soll das Schutzwaffen- und Vermummungsverbot des § 15 auf sonstige öffentliche Veranstaltungen ausgedehnt werden, also etwa auch bei Sportveranstaltungen greifen. Obwohl die Landesregierung versucht in der Gesetzesbegründung den Kampf gegen Rechts als eines der entscheidenden Motive herauszustellen, bewertet der Republikanische Anwältinnen- und Anwälte Verein (RAV) die geplanten Änderungen als „rechtlich höchst problematisch“. Kritisiert wird vor allem, dass die Gesetzesbegründung sich mit der „Bezeichnung unspezifischer, unbelegter Annahmen“ begnügt und der öffentliche Raum in seiner Gesamtheit noch weiter reglementiert werden soll, ohne dass eine nachvollziehbare Zielsetzung erkennbar wäre.

Proteste von links

Doch auch über juristische Kreise hinaus regt sich Widerstand gegen die Gesetzesvorhaben. So kam es bereits zu Protestkundgebungen in Düsseldorf und Köln, an denen sich verschiedene linke Gruppen beteiligten. Und die kritischen Stellungnahmen häufen sich. „Als Teil der größten antifaschistischen Organisation der Bundesrepublik Deutschland, 1946 von den Überlebenden der Konzentrationslagern und des Holocaust in Düsseldorf gegründet, sehen wir in diesem Gesetzesentwurf die Gefahr, in Zukunft nicht mehr gegen den aktuell immer stärker werdenden Rechtsextremismus demonstrieren zu können,“ erklärte etwa der NRW-Landesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA).

Und auch die Rote Hilfe zeigt sich empört. „Mit der geplanten Änderung des Versammlungsgesetzes in verschiedenen Bundesländern wird insbesondere antifaschistischer Protest deutlich erschwert und die Versammlungsfreiheit eingeschränkt“, sagte Anja Sommerfeld, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe. „Unter dem Vorwand, rechte Umtriebe eindämmen zu wollen, wird die Versammlungsfreiheit beschnitten. Die Änderungen sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Sachsen-Anhalt atmen einen versammlungsfeindlichen Geist, der Demonstrationen nicht als von der Verfassung geschütztes Grundrecht schützen will, sondern sie prinzipiell als Bedrohung wahrnimmt und folglich nach Möglichkeit einschränken will. Diesen Frontalangriff auf die Grundrechte dürfen wir nicht hinnehmen.“ In Sachsen-Anhalt haben derweil mehr als 30 Gruppen eine Stellungnahme gegen die geplante Verschärfung des Versammlungsgesetzes veröffentlicht. Neben Ortsverbänden der Roten Hilfe, der Sozialistischen Jugend (Die Falken), der Freie Arbeiter*innen Union (FAU), sowie der Interventionistische Linken Halle unterschrieben auch lokale Gruppen von Fridays for Future und Seebrücke den Aufruf.

Alles liberal in Berlin?

Währenddessen will die rot-rot-grüne Koalition in Berlin noch im Februar ein neues Versammlungsgesetz erlassen. Schon im Koalitionsvertrag von 2016 hatte sich Rot-Rot-Grün (R2G) Großes vorgenommen. Darin hatten sich die drei Regierungsparteien darauf geeinigt, „ein Berliner Versammlungsgesetz [zu] erlassen, das als deutschlandweites Vorbild für ein demokratie-förderndes und grundrechtsbezogenes Versammlungsrecht dienen kann.“ Und tatsächlich enthält der Entwurf auf den ersten Blick viel Positives. So soll erstmals das Deeskalationsgebot bei der Polizei gesetzlich fixiert werden und um das Gebot des Konfliktmanagements erweitert werden (§ 3 Absatz 4).

Im Gegensatz zu Sachsen-Anhalt soll der unbestimmte Begriff der „öffentlichen Ordnung“ aus dem Gesetz gestrichen werden. Weiter soll § 20 es ermöglichen, von nun an auch auf privaten Flächen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, wie etwa einem Einkaufszentrum, zu protestieren oder Unterschriften für Volksbegehren zu sammeln, soweit überwiegende Interessen der privaten Eigentümer*innen der Durchführung nicht entgegenstehen. Außerdem soll das das Hör- und Sichtweiteprinzip von Gegenversammlungen, also das Recht Gegenproteste, etwa gegen einen Naziaufmarsch, in Hör-und Sichtweite zu veranstalten, sowie das Recht auf ungehinderten Zugang zu Versammlungen gestärkt werden.

Trotzdem kommt Kritik von bürgerrechtlichen Organisationen. „Die Versammlungsfreiheit ist – neben der Meinungsfreiheit – eines der wichtigsten politischen Grundrechte, das für den politischen Meinungskampf, die gesellschaftliche Teilhabe und die Sicherstellung von demokratischen Grundsätzen von zentraler Bedeutung ist. Vor diesem Hintergrund enttäuscht der vorgelegte Gesetzesentwurf bürger*innenrechtliche Erwartungen,“ heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des RAV, des Komitees für Grundrechte und Demokratie, sowie der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ). Bemängelt wird, dass die Versammlungsbehörde weiterhin Teil der Polizeibehörde ist, die Anzeigepflicht auch für Kleinstversammlungen weiter gilt und das Vermummungs- und Schutzwaffenverbot trotz erfolgter Einschränkungen weiter Bestand hat.

Außerdem habe die Regierung es verpasst, die Anwesenheit der Polizei in und an Versammlungen zu begrenzen. Zudem wird das Deeskalationsgebot in seiner verankerten Form als unbrauchbar abgelehnt, da die Polizei auch als (potentieller) Teil eines Konfliktes oder einer Eskalationsspirale zu sehen sei und dementsprechend die generelle Pflicht statuiert werden müsste, Einsätze anlässlich von Versammlungen zurückhaltend auszuführen. Vor diesem Hintergrund gelangt der Vorsitzende des RAV, Rechtsanwalt Dr. Peer Stolle, zu folgendem Fazit: „Der Gesetzentwurf sieht weiterhin Versammlungen als Gefahrenherde und nicht als Ausdruck einer gelebten Demokratie. Die Chance, die Versammlungsfreiheit zu stärken, wird verpasst.“

R2G hat ein Polizeiproblem

Zudem stellt sich die Frage, ob die Regierung von Bürgermeister Michael Müller (SPD) tatsächlich an einer Liberalisierung des Demonstrationsrechts interessiert ist. Aus linker Perspektive muss daran gezweifelt werden. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu unverhältnismäßigen Einsätzen und Polizeigewalt gegen linke Demonstrationen. Erinnert sei dabei etwa an die zahlreichen Räumungen linker Freiräume in der Hauptstadt: der Kiezladen Friedel54“ im Juni 2017, die alternativen Kiezkneipe „Syndikat“ im August 2020 oder das queer-feministische Hausprojekt Liebig34 im Oktober 2020. Statt Deeskalation bot R2G tausende Polizist*innen auf, um Kapitalinteressen gegen linke Kiezprojekte durchzusetzen. Zuletzt griff die Polizei Mitte Januar die Gedenkdemonstration an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht an – angeblich weil die eingesetzten Einheiten dachten, dass mitgeführte Symbole der Freie Deutsche Jugend (FDJ) verboten seien. Aus den Reihen der Mitte-Links-Regierung kommt dazu kaum ein kritisches Wort.

Der Vergleich mit Polizeieinsätzen bei rechten Aufmärschen, wie etwa der Großdemonstration der Corona-Leugner*innen Ende August 2020, zeigt, dass das polizeiliche Handeln politisch motiviert ist. Linke werden auch in Berlin in weiten Teilen des Behörden- und Polizeiapparats als Hauptfeind angesehen. Daran werden weder die eher marginalen Verbesserungen, die das neue Berliner Versammlungsgesetz bringen soll, noch die Lippenbekenntnisse linksliberaler Politiker*innen etwas ändern.

Grund- und Freiheitsrechte verteidigen – und in die Offensive kommen!

Trotz zaghafter Liberalisierungstendenzen in Berlin ergibt sich bundesweit also eine klare Tendenz: die Einschränkung des Versammlungsrechts, verbunden mit dem Ausbau polizeilicher Befugnisse, geht weiter. Sollten die Gesetze in NRW und Sachsen-Anhalt verabschiedet werden, ist mit mehr Schwierigkeiten und Repression für die konkrete politische Arbeit zu rechnen. Davon werden angesichts der Polizei- und Behördenmentalität vor allem linke sowie antirassistische, feministische und umweltpolitische Gruppen betroffen sein. Darauf muss die revolutionäre Linke hierzulande auf verschiedene Art und Weise reagieren.

Zunächst muss der Protest gegen die Gesetzesverschärfungen in beiden Bundesländern trotz Pandemie auf die Straße getragen werden. Dass dies in sicherer Art und Weise möglich ist, haben verschiedene Mobilisierungen im letzten Jahr gezeigt. Dabei sind Bündnisse mit Gruppen aus dem Bürgerrechtsspektrum und anderen Teilen der kritischen Zivilgesellschaft unbedingt notwendig, um die Maßnahmen der Landesregierungen anzugreifen und die öffentliche Meinung gegen den fortgesetzten autoritären Umbau des Staatsapparats zu mobilisieren. Dafür müssen alle zur Verfügung stehenden juristischen Mittel ausgenutzt werden, um den Angriff auf die Versammlungsfreiheit abzuwehren. Darüber hinaus muss im Rahmen dieser Mobilisierungen klar gemacht werden, dass es um mehr geht, als die Verteidigung des Status quo. Bei der Kritik an der Beschneidung von bürgerlichen Rechten muss eine weiterreichende, sozialistische Perspektive in die Proteste getragen werden. Dafür müssen wir uns klar machen, dass das Grundgesetz der Gesellschaftsvertrag einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ist. Doch aufgrund des historischen Kontextes seiner Entstehung trägt es auch Elemente in sich, hinter die wir als revolutionäre Linke nie zurückfallen dürfen.

Die Festschreibung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit war ein entscheidender Verdienst der Arbeiter*innenbewegung. Diese Freiheiten wurden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von links unter zahllosen Opfern erkämpft und müssen auch heute von links verteidigt und bewahrt werden. Für die Praxis bedeutet das auch, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit bewusst und gezielt eingesetzt werden muss. Kundgebungen und Demonstrationen sind kein Selbstzweck oder reines Freizeitvergnügen, sondern müssen auf die Bevölkerung abzielen und Überzeugungsarbeit für sozialistische Perspektiven leisten. Dafür muss der politische Ausdruck von Versammlungen aber anschlussfähiger gestaltet und der Austausch mit Passant*innen forciert werden.

Um in diesen Debatten glaubwürdig zu sein, muss die revolutionäre Linke sich aber auch der eigenen Geschichte stellen. In der Geschichte der realsozialistischen Versuche des 20. Jahrhunderts hat sich gezeigt, dass die Beschneidung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit gerade beim Aufbau einer anderen Gesellschaft zu Verknöcherung und Lähmung führt.

Wir unterschreiben nicht!“

Zuletzt sei an den kommunistischen Politiker Max Reimann erinnert. Dieser wurde 1948 für die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) Mitglied des Parlamentarischen Rates, welcher im Mai 1949 das deutsche Grundgesetz verabschiedete. Reimann wurde von den Nazis wegen seiner langjährigen Tätigkeit für die KPD wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Diese saß er unter anderem im KZ Sachsenhausen ab, wo er Mitglied der illegalen Lagerleitung wurde. Reimann stimmte gegen das Grundgesetz. Seine Begründung war kurz, prägnant und ist immer noch gültig: „Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben!“