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Der Kampf an den Berliner Krankenhäusern

Walk_Of_Care.JPG Hände weg vom Wedding (CC)


Die Beschäftigten bei Charité und Vivantes in Berlin mussten sich vor kurzem erneut in harten und lang andauernden Tarifkonflikten mit ihren Geschäftsführungen auseinandersetzen. Im Mutterkonzern Charité arbeiten etwa 16.300 Beschäftigte. Dazu kommen ca. 3.100 Beschäftigte in ausgelagerten Tochterunternehmen, vor allem beim Charité Facility Management (CFM) mit rund 2.800 Kolleg*innen. Zum Vivantes-Konzern, der sich selbst als „größter kommunaler Krankenhauskonzern Deutschlands“ rühmt, gehören neun Krankenhäuser, 18 Pflegeheime, zwei Senior*innenenwohnhäuser, eine ambulante Rehabilitation, medizinische Versorgungszentren, eine ambulante Krankenpflege, ein Hospiz sowie Tochtergesellschaften für Catering, Reinigung und Wäsche. Vivantes selbst beschäftigt insgesamt rund 17.900 Arbeiter*innen. In den zwölf sogenannten „Tochtergesellschaften“ sind ca. 2.900 Menschen beschäftigt, meist zu prekären Bedingungen, die wesentlich schlechter ausgestaltet sind als im Mutter-Konzern. Am Ende des Monats bedeutet das für die outgesourcten Kolleg*innen bis zu 25 Prozent weniger Lohn für die selben Tätigkeiten.

Die Charité ist, wie auch Vivantes, ein landeseigene Unternehmen Berlins, beide werden aber nicht nach den Prinzipien der öffentlichen Daseinsvorsorge, sondern nach dem privatwirtschaftlichen Prinzip der Profitabilität geführt. Das heißt, dass der Erfolg des Managements sich nicht an der Bereitstellung belastbarer Gesundheits-Infrastruktur, guten Behandlungen und gesunden Arbeitsbedingungen misst, sondern an der Höhe des Umsatzes und der erwirtschafteten Profite! Es verwundert dementsprechend nicht, dass nach Inanspruchnahme berüchtigter Unternehmensberatungen viele Bereiche und damit tausende Beschäftigte in Tochterunternehmen mit Billig-Löhnen und prekären Arbeitsbedingungen ausgelagert wurden. Dort gilt nirgends der für kommunale Arbeitgeber verbindliche Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Teilweise kam überhaupt kein Tarifvertrag zur Geltung. Neben den finanziellen Einsparungen stellt dieses Vorgehen auch eine aggressive soziale Spaltung der Arbeiter*innenschaft dar, mit der Funktion, die Klassensolidarität erheblich zu schwächen. Die Bonzen aus Führungsetagen und Landespolitik hatten diese Rechnung allerdings ohne den Wirt gemacht!

Der vereinte Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und die Rolle der Gewerkschaftsführung

Die Diktatur des Kapitals wird auch im Gesundheitssystem immer offensichtlicher, denn bei der Umsetzung ihrer Geschäftsziele gingen die Unternehmensführungen so maßlos vor, dass die Gesundheit der Beschäftigten selbst regelrecht ruiniert wird. In einem System von „immer mehr Leistung und immer größeren Profiten bei immer weniger Beschäftigten!“ haben Gesundheit und Erhaltung der Arbeitskraft der Arbeiter*innen selbst im öffentlichen Gesundheitssystem kaum mehr Bedeutung.
Seit 2011 setzten sich deshalb viele Beschäftigte, in erster Linie gewerkschaftlich organisierte Kolleg*innen, unermüdlich für bessere Arbeitsbedingen ein: Konkret für ein Ende des Outsourcing, die Rückführung der Tochtergesellschaften zum kommunalen Arbeitgeber und somit die Eingliederung in den TVöD. Auch bei den Stammbelegschaften von Vivantes und Charité wuchs das Bedürfnis nach Vereinigung der Kräfte mit den Kolleg*innen der Tochtergesellschaften, um bei Tarifverhandlungen bzw. Arbeitskampfmaßnahmen gestärkt aufzutreten und der Spaltung, die als Einschüchterungs- und Disziplinierungsmaßnahme eingesetzt wurde, vereint entgegenzuwirken.

'Kapital', sagt Quarterly Reviewer, 'flieht Tumult und Streit und ängstlicher Natur'. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror von Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinen Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert; selbst auf Gefahr des Galgens.“
(P. J. Dunning, zitiert von Karl Marx, Das Kapital, Bd. I, S.801, Berlin 1960)

Über Jahre wurde diesem berechtigten Vorhaben der Beschäftigten aus Mutter- und Tochterkonzernen seitens der Gewerkschaft ver.di allerdings nicht entsprochen. Die Planung und Durchführung von neuen Tarifverhandlungen sowie damit einhergehender Arbeitskampfmaßnahmen fanden stets getrennt voneinander statt. So zuletzt auch im Arbeitskampf der CFM, in dem die Beschäftigten ebenfalls den TVöD forderten. Mittels eines Schlichtungsverfahrens durch den SPD-Politiker Platzeck wurde der Streik aber von oben herab beendet, ohne den TVöD erreicht zu haben. Und das im Frühjahr des selben Jahres in dem mit der Berliner Krankenhausbewegung im Herbst die Kolleg*innen aus Charité und Vivantes ihre Forderungen gemeinsam mit den Kolleg*innen der Tochterunternehmen artikulieren sollten.

Die Illusion der Sozialpartnerschaft

Es stellt sich also die Frage, warum ver.di die Chancen der Zusammenführung der Tarifverhandlungen und Arbeitskampfmaßnahmen wiederholt nicht nutzte. Wie ist die Politik der ver.di-Führung zu erklären?
Die Logik und die Politik der Gewerkschaftsführung sind durchdrungen von der Illusion, Arbeiter*innen und Chefs, Beschäftigte und Manager*innen seien gleichberechtigte Geschäftspartner mit gemeinsamen Interessen. Gelegentlich würde diese Partnerschaft durch uneinsichtiges Vorgehen der Arbeitgeberseite gestört, sodass man manchmal um einen größeren Anteil am gemeinsam erwirtschafteten Ergebnis streiten müsse. In dieser Logik wird die Realität der Klassenunterschiede ausgeblendet. Tatsächlich sind die Interessen der Unternehmensführungen in ihrem Streben nach Profit und die der Arbeiter*innen im System der Lohnarbeit diametral entgegengesetzt. Dennoch wird in der politischen Kultur der großen Gewerkschaften kontinuierlich die Sozialpartnerschaft in den Köpfen ihrer Mitglieder verankert, obwohl diese im krassen Widerspruch zur täglichen Arbeitsrealität und den Erfahrungen im Betrieb steht.

Daraus folgt auch eine angepasste und zahme Position der Gewerkschaftsbürokratie, wenn es um die Rolle von Tarifverhandlungen und Streiks geht. Statt im Streik das zentrale Kampfmittel zur Durchsetzung unserer Interessen als Beschäftigte und als arbeitende Klasse gegenüber unseren Ausbeuter*innen zu erkennen, bevorzugt der ver.di-Apparat die Verhandlung auf vermeintlicher Augenhöhe, setzt auf Kompromisse und Entgegenkommen der Arbeitgeberseite. Der Einsatz von Streiks ist für die herrschenden Gewerkschaftsführungen ausschließlich in defensiver Haltung akzeptabel. Und wenn man dann zähneknirschend zum Streik aufruft, ist die Zielsetzung nicht die unbedingte Durchsetzung aller berechtigten Forderungen der Beschäftigten und die Erhöhung der Klassensolidarität - sondern, die gestörte „partnerschaftliche Beziehung“ wieder herzustellen.

Aus der Sicht der ver.di-Führung würde ein konsequentes und kämpferisches Vorgehen in Tarif- und Streikpolitik die seit langem bei Charité und Vivantes im Rahmen des TVöD praktizierte und vermeintlich harmonisch-sozialpartnerschaftliche Beziehung mit dem dem öffentlichen Arbeitgeber gefährden. Jede*r Gewerkschaftsbürokrat*in weiß genau, dass kollektive Arbeitskampfmaßnahmen auf betrieblicher und gewerkschaftlicher Ebene eine Stärkung des Klassenbewusstseins unter den Kolleg*innen mit sich bringen. Aus Sicht der Bürokratie droht dabei die Gefahr einer klassenkämpferischen Eigendynamik unter den Beschäftigten, die sich ihrer Kontrolle entzieht. Dies zu vermeiden, klein zu halten und schnellstmöglich zu beenden, stellt eines der „ehernen Gesetze“ der Gewerkschaftsführung dar und so wird jedes Angebot der Gegenseite als Chance gesehen, einen Kompromiss zu schließen und den „sozialen Frieden im Betrieb“ wieder herzustellen.

Die Berliner Krankenhausbewegung

Hierüber ließe sich auch erklären, was ver.di bewogen hat, mit dem 100-tägigen Ultimatum der Berliner Krankenhausbewegung weitere drei Monate auf die Einsetzung effektiver Arbeitskampfmaßnahmen zu verzichten. Aber auch die Gewinnung neuer Mitgliedschaften wird hier eine strategische Rolle gespielt haben.
Nichtsdestotrotz hat sich in diesem Zusammenhang gezeigt, wie groß der Kampfeswille der Beschäftigten von Charité, Vivantes und Töchtern ist. Die Berliner Krankenhausbewegung hat es geschafft, innerhalb kurzer Zeit einen hohen Organisationsgrad in den Betrieben zu erreichen und viele junge Kolleg*innen zu motivieren, für ihre Interessen auf die Straße zu gehen.

Die 100 Tage wurden aktiv genutzt, um eine öffentlichkeitswirksame Kampagne auf die Beine zu stellen mit dem Ziel, solidarische Unterstützung durch breite Teile der arbeitenden Klasse zu erlangen. Während die bürgerliche Presse zwar lange nur verhalten berichtete, entstand eine basisnahe Vernetzung zwischen den kämpfenden Beschäftigten mit solidarischen Nachbarn und Arbeiter*innen aus anderen Branchen. Das gemeinsame Interesse aller Lohnabhängigen an einem gemeinwohlorientierten Gesundheitswesen wurde herausgestellt und das bisher häufig verbreitete Vorurteil, in Krankenhäusern seien Streiks nicht möglich oder gar unsozial gegenüber den Patient*innen wurde aufgebrochen. Die Parole „Der Normalzustand gefährdet die Gesundheit, nicht der Streik“ steht beispielhaft hierfür. Die aktive Verbindung mit anderen sozialen Kämpfen wie der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen!“ oder den streikenden Arbeiter*innen beim Lieferdienst Gorillas stellten einen wichtigen Schritt in Richtung einer geeinten Bewegung der Lohnabhängigen für unsere Interessen dar, aus der sich die Möglichkeit ergeben kann, Arbeitskämpfe in einem größeren politischen Zusammenhang zu denken.

Klassenkampf von oben und die Antwort der Kolleg*innen

Hingegen nutzte die Gegenseite die Zeit, ihre perfiden Angriffe auf den Arbeitskampf vorzubereiten. Anhand von Einschüchterungen der Beschäftigten durch Vorgesetzte, Verleumdung der Streiks als Gefährdung der Patient*innen und letztendlich den Versuch, den Streik gerichtlich verbieten zu lassen, offenbarten die Geschäftsführungen von Charité und Vivantes ihre Sicht auf die angeblich gleichberechtigte Sozialpartnerschaft. Fakt ist, dass von oben herab unverhohlener Klassenkampf mit allen Mitteln geführt wurde, die der Kapitalseite zur Verfügung stehen.
Unter dem fadenscheinigen Vorwand fehlender Notdienstvereinbarungen, deren „sozialpartnerschaftlicher“ Verhandlung sie sich verweigerten, setzte sie ein richterliches Streikverbot durch, das schon die Warnstreiks zum Ablauf des Ultimatums im Keim ersticken sollte. Die Geschäftsführungen der unterschiedlichen Konzerne traten hierbei geeint auf und konnten sich auf Rückendeckung aus der Senatspolitik verlassen. Die Arbeitgeberseite verspottete damit das Märchen der Sozialpartnerschaft.

Erst auf massiven Druck durch Proteste der Streikbewegung wurde die gerichtliche Verfügung revidiert und ein gemeinsamer Streik in den Mutter- und Tochterunternehmen wurde ermöglicht. Statt die Beschäftigten zu spalten, trat infolgedessen das Gegenteil ein: Die Aggressivität der Arbeitgeber und die offensichtliche Verhöhnung der Interessen der Beschäftigten sorgten dafür, dass diese ihrer Wut noch mehr Ausdruck verliehen und ihren Kampf mit großer Entschlossenheit aufnahmen. Die Anfang September durchgeführte Urabstimmung verdeutlichte unmissverständlich die Bereitschaft der überwältigenden Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder, einen unbefristeten „Erzwingungsstreik“ zu führen: An der Charité stimmten 97,85 Prozent, bei Vivantes 98,45 Prozent und in den Tochterunternehmen 98,82 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Kolleg*innen für die Arbeitskampfmaßnahme! Für viele von ihnen stellte der Arbeitskampf eine letzte Chance dar, in ihrem Beruf weiterhin arbeiten zu können, ohne körperlich und psychisch auszubrennen. Die Durchsetzung der Hauptforderungen der Beschäftigten gegenüber der Arbeitgeberseite waren dementsprechend nicht nur wichtig sondern essentiell notwendig. Sie lauteten:

  • Tarifvertrag Entlastung bei der Charité und bei Vivantes mit verbindlichen Vorgaben zur Personalbesetzung und einem Belastungsausgleich bei Unterbesetzung!
  • Faire Löhne und TVöD für alle Beschäftigten!

Der gemeinsame Streik nahm schnell an Fahrt auf und es gab viele Aktionen und Demonstrationen, an denen nicht nur die Streikenden, sondern auch viele solidarische Menschen aus anderen Berufen, gesundheitspolitische Unterstützungskreise sowie linke, sozialistische Organisationen teilnahmen. Neben den Geschäftsführungen wurde auch die Senatspolitik direkt adressiert, da im Zuge des Tarifkampfes die grundsätzliche Frage nach der politischen Ausgestaltung des öffentlichen Gesundheitssystems aufflammte. Die zuständigen Politiker*innen hielten sich fernab von Lippenbekenntnissen und Wahlwerbung jedoch zurück und der Arbeitgeber blieb hart. Immer wenn ver.di die Bereitschaft zu Verhandlungen eröffnete, glänzten die Geschäftsführungen von Charité und Vivantes mit Abwesenheiten, Desinteresse oder absurden Angeboten, die in ihrer Konsequenz sogar noch Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen bedeuteten.

Die Logik der sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftspolitik stieß an ihre Grenzen und es kam zu einem der längsten Krankenhausstreiks in der deutschen Geschichte. Erst nach über einem Monat sah sich die Geschäftsführung der Charité genötigt, dem politischen und ökonomischen Druck des Streiks nachzugeben und Verhandlungsangebote zu präsentieren, auf die ver.di eingehen konnte, ohne sich gegenüber der Basis der Bewegung die Blöße zu geben. Der Initiative folgte kurze Zeit später die Ankündigung zur Einigung beider Seiten über ein „Eckpunkte-Papier“ zu einem TV-Entlastung.

Spaltung durch getrennte Verhandlungen

Unabhängig von der Qualität des angekündigten Kompromisses auf der Grundlage des Eckpunkte-Papiers bedeutete die Entscheidung der ver.di-Fachbereichsleitung, die Arbeitskampfmaßnahmen bei Charité einzustellen, faktisch nichts anderes, als den Kampf der Beschäftigten bei Vivantes und ihren Tochtergesellschaften massiv zu schwächen und dem Tarifgegner eine willfährige und unschätzbare Unterstützung zu leisten. Ver.di offenbarte gegenüber der Arbeitgeberseite ihren Willen, auch bei Vivantes die Arbeitskampfmaßnahmen umgehend einzustellen, sobald die Arbeitgeberseite sich kompromissbereit zeigen würde. Es lässt sich davon ausgehen, dass die Führungen von Charité und Vivantes in regem strategischen Austausch miteinander standen, sodass ein ähnliches Eckpunkte-Papier auch für Vivantes schnell beschlossen wurde. Und wer blieb übrig? Wieder einmal trifft es mit den Vivantes-Tochterunternehmen die Belegschaften, die in den prekärsten Verhältnissen arbeiten und die alleine kämpfend die geringste Macht auf ihrer Seite haben. Zwar wurde auf den letzten Demonstrationen immer wieder skandiert, dass jene in ihrem nun alleinstehenden Kampf um den TVöD nicht allein gelassen werden sollen aber die Realität sah anders aus. Für die weiteren Verhandlungen um die Vivantes-Töchter wurde erneut der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg, Platzeck, als Moderator einbezogen, der es schon ein Jahr zuvor ermöglichte, die Rückführung des Charité Facilitiy Managements in den TVöD zu verhindern. Mit dem demokratisch zweifelhaft abgeschlossenen Billig-Tarifvertrag der CFM war zu Anfang des Jahres auch schon die ideale Vorlage geschaffen worden, um den Beschäftigten eine sofortige Eingliederung in den TVöD vorweg zu nehmen.

Befriedigung der Interessen der Beschäftigten auf niedrigstem Niveau

Auch wenn die Tarifverträge noch nicht unter Dach und Fach sind, kann man den roten Faden, der die Qualität der noch zu feilenden Tarifverträge weitgehend bestimmen, auf der Grundlage der beiden „Eckpunkte-Papiere“ erkennen.
Erstens sollen die Tarifverträge einen langen Zeitraum von drei Jahren umfassen. Das bedeutet, dass die Beschäftigten aufgrund der sogenannten „Friedenspflicht“ für einen langen Zeitraum zur Passivität verpflichtet werden. Zweitens wird die tatsächliche Entlastung der Beschäftigten auf einen langen Zeitraum von drei Jahren verschoben, so dass sie erst ab 2024 einen wirklich spürbaren Entlastungsausgleich erhalten. Auf der Grundlage von Patienten-Personal-Ratio sollen für die Stationen und Bereiche klare Quoten festgelegt werden. „Bei Unterschreitung der festgelegten Besetzungsregelungen erhalten die hiervon betroffenen Beschäftigten“, so ver.di, „einen Belastungsausgleich.“ „Dafür werden so genannte Vivantes-Freizeitpunkte vergeben; einen Punkt bekommt beispielsweise eine Pflegefachkraft, wenn sie eine Schicht lang in Unterbesetzung arbeiten musste. Im Jahr 2022 erhalten Beschäftigte für je neun Vivantes-Freizeitpunkte eine Freischicht oder einen Entgeltausgleich von 150 Euro; im Jahr 2023 genügen dafür je sieben Vivantes-Freizeitpunkte, und im Jahr 2024 je fünf Vivantes-Freizeitpunkte. Die Anzahl der zu gewährenden freien Tage ist allerdings gedeckelt: im Jahr 2022 auf sechs, im Jahr 2023 auf zehn und im Jahr 2024 auf fünfzehn freie Tage; über die Deckelung hinausgehende Ansprüche werden in Entgelt ausgeglichen.“

Bei der Charité sollen über den Entlastungsausgleich hinaus in den nächsten drei Jahren mehr als 700 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege eingestellt werden, um eine Entlastung für die Pflegekräfte an der Charité zu erreichen. Da aufgrund der hohen Belastung in der Pflege aber viele qualifizierte Arbeiter*innen die Vollzeitbeschäftigung oder sogar das Berufsfeld an sich verlassen, bleibt die Frage offen, welche Stellen tatsächlich besetzt werden oder ob die Geschäftsführung sich weiterhin damit herausredet, sie fände nicht genügend Personal. Der positive Erfolg bei den Eckpunkte-Papieren ist der Durchbruch, dass die Kapitalseite zum ersten Mal überhaupt die Forderung des Belastungsausgleichs grundsätzlich akzeptieren muss. Dass die Beschäftigten für den enormen Stress und die barbarische Arbeitsbelastung für ein ganzes Jahr ab 2022 nur sechs freie Ausgleichstage und 2023 nur zehn Ausgleichstage erhalten können, kann keine ernsthafte und tatsächliche Entlastung für die Betroffenen mit sich bringen.

Für die Arbeitgeber werden sowohl die wenigen freie Ausgleichstage als auch der Entgeltausgleich in Höhe von 150 Euro brutto eine hinnehmbare Summe sein und stellen nicht zwangsläufig den von ver.di erhofften ökonomischen Druck dar, um strukturelle Verbesserungen zu Gunsten der Beschäftigten in der Krankenhausökonomie anzustoßen. Drittens blieb die Arbeitgeberseite in Bezug auf die Rückführung der Tochter-Beschäftigten zum landeseigenen Betrieb und damit in den TVöD hartnäckig. Nach über sechs Wochen Streik steht als Verhandlungsergebnis ein Tarifvertrag fest, der zwar in Anlehnung an den TVöD einige materielle Verbesserungen für die Beschäftigten bedeutet, aber die eigentliche Forderung nach Rekommunalisierung nicht erfüllt. In der Konsequenz bedeutet das, dass die Kolleg*innen der verschiedenen Betriebe des öffentlichen Gesundheitssystems weiterhin in kommunale und outgesourcte gespalten bleiben. Selbst unter den verschiedenen Tochter-Betrieben werden durch unterschiedliche Staffelungen der Lohnsteigerung weiterhin Unterschiede gemacht und das Labor Berlin ist nicht einmal enthalten.

Die Beschäftigten von Charite und Vivantes sowie der Tochterunternehmen konnten angesichts des Kampfpotentials der Belegschaften zeigen, dass entschlossene und ausdauernde Streiks auch im Gesundheitswesen möglich sind. Mit den ursprünglich verbindlich aneinander gekoppelten Forderungen von Mutter- und Tochterbelegschaften sowie der zeitlichen Bündelung der Kampfkraft bestand die reale Chance, alle der wichtigen Forderungen durchzusetzen und der herrschenden Klassenspaltung ein Ende zu bereiten. Diese große Chance wurde leider vertan!