Eine Niederlage für die gesamte kolumbianische Linke
Die
neue Linkspartei FARC (Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común) hat bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und Senat vergangenen
Sonntag eine bleierne Niederlage erlitten. Nach derzeitigen
Ergebnissen konnte die Partei, die aus der ehemaligen
marxistisch-leninistischen Guerilla FARC-EP hervorgegangen ist, mit
gerade einmal 0,34 % und damit 52,000 Stimmen wenig mehr als die
eigene AnhängerInnenschaft mobilisieren. Eine schallende Ohrfeige
setzte es auch für den scheidenden Präsidenten Juan Manuel Santos,
dessen Partei Partido de la U mit knapp 12% auf dem fünften Platz
landete. Die explizit rechtsradikale Partei Centro Democrático des
ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez, die mit knapp 16% die
Wahl zum Senat gewann und das zweitbeste Ergebnis zum
Abgeordnetenhaus erhielt, wird dennoch mit ihrer ablehnenden Position
zum Friedensprozess in der kommenden Legislatur nicht zwangsläufig die Mehrheit
stellen. Denn die ebenfalls starken links- und rechts-liberalen Parteien Cambio
Radical und Partido Liberal unterstützten in der Vergangenheit mal
mehr mal weniger den Friedenskurs des scheidenden Präsidenten [1] und stellen zumindest derzeit eine weitere Unterstützung des Friedensvertrags in Aussicht.
Dennoch bleibt der Ausgang der Wahlen besorgniserregend, insbesondere als Signal für die im Mai stattfindenden Präsidentschaftswahlen und den Friedensprozess mit der ehemaligen Guerilla. So konnten die Rechtsradikalen um Uribe, trotz dessen anhaltender Skandale um sexuellen Missbrauch [2] und Unterstützung des rechtsradikalen Paramilitarismus [3], im Vergleich zur vergangenen Wahl an Zuspruch gewinnen. Dazu gesellte sich mit einem mehr als doppelt so guten Ergebnis auf Platz 2 die Partei des Präsidentschaftskandidaten Germán Vargas Lleras ,Cambio Radical‘, die in der Vergangenheit als zentraler Unterstützer des rechtsradikalen und weiter mordenden Paramilitarismus [4] galt, jedoch in den letzten Jahren den Friedensprozess kritisch mittrug. Besorgniserregend ist dabei auch, dass die explizite Linke, z.B. auch der sozialdemokratische Polo Democrático Alternativo, kaum zulegen konnte, und das, obwohl der ihnen nahestehende ehemalige Bürgermeister Bogotas Gustavo Petro derzeit als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat gehandelt wird.
Das schlechte Abschneiden der neuen Linkspartei FARC ist also kein isoliertes Phänomen. Vielmehr liegt die Erklärung in der faktischen Delegitimation der gesamten kolumbianischen Linken, der Delegitimation des Friedensprozesses und dem grassierenden Antikommunismus in der kolumbianischen Gesellschaft, sowie der tiefen Verankerung der rechten Hetze, die sich sowohl im Plebiszit zum Frieden 2016, wie nun in den Wahlen ausdrückt. So musste die neu gegründete Partei, die sich seit Abschluss des Friedensvertrags 2016 akribisch dokumentiert an sämtliche Vereinbarungen hielt, ihren Wahlkampf suspendieren, da ihr Präsidentschaftskandidat, der ehemalige oberste Kommandant der Guerilla Rodrigo Londoño auf der Wahlkampftournee mehrfach von aufgebrachten rechten Mobs attackiert worden war. AktivistInnen der Partei berichten, dass es nicht möglich sei, zur Wahlwerbung T-Shirts der Partei in der Öffentlichkeit zu tragen oder Werbematerial zu verteilen, ohne verbalen oder physischen Angriffen ausgesetzt zu sein. Dazu kommen die Ermordung von KandidatInnen und MitgliederInnen der neuen Partei durch rechtsradikale Paramilitärs, sowie Bombenanschläge auf Parteibüros – die Zahlen der Morde an Linken schnellen seit 2016 rasant in die Höhe. Inzwischen hat das unabhängige Nachrichtenportal las2orellas aufgedeckt, dass hinter den Mobilisierungen und gewalttätigen Übergriffen gegen die Wahlveranstaltungen der FARC auch rechte Hardliner des Centro Democrático stehen. [5] Die Eröffnungsveranstaltung des Präsidentschaftswahlkampfs der FARC im Armenviertel Ciudad Bolívar, im Süden Bogotás, konnte zwar ohne Zwischenfälle, doch nur unter massivem Polizeischutz durchgeführt werden. Nicht zuletzt aufgrund dieser repressiven Atmosphäre ist die neue Partei nur gering handlungsfähig. Nach wie vor trauen sich viele potentielle SympathisantInnen nicht, öffentlich Farbe zu bekennen – aus Angst vor den Konsequenzen.
Dass das so ist, ist das zweifelhafte Verdienst der radikalen Rechten um das Centro Democrático. Dessen Personal schürte mit gezielter Desinformation zu den Friedensverträgen von Havanna bereits während des Friedensprozesses weiter Ressentiments gegen die Guerilla. So werden bis heute bewusst Passagen des über 300 Seiten umfassenden Friedensvertrags aus dem Kontext gerissen und bösartig zugespitzt. Ein gefundenes Fressen stellte für sie die äußerst komplexe und schwierige Situation in Venezuela dar. Die dortige Situation wird d‘accord mit dem deutschen Mainstreamjournalismus eindimensional als Willkürherrschaft einer totalitären, das Volk unterdrückenden Diktatur verklärt. [6] Die ansonsten eben von den gleichen rechten PolitikerInnen in Kolumbien im Stich gelassenen und komplett deklassierten venezolanischen Flüchtlinge dürfen in diesem Fall als positives Beispiel und Beweisstück herhalten. So kann konstatiert werden, dass im öffentlichen Bewusstsein der kolumbianischen Bevölkerung nach wie vor die Menschenrechtsverbrechen der ehemaligen Guerilla weitaus präsenter sind, als die des kolumbianischen Staates bzw. der radikalen Rechten. Dass dieser Fakt nicht nur der FARC schadet, sondern der gesamten Linken, zeigen die seit Jahren schmalen Wahlergebnisse des Polo Democrático Alternativo.
Es handelt sich hier um den spezifischen Antikommunismus Kolumbiens, der sich über tendenziöse einseitige Darstellungen seitens der radikalen Rechten der Guerilla als ,,Narco-Kartell‘‘ oder ,,Terrorsyndikat‘‘ [7], bis hin zur populäreren liberalen Version vom angeblichen ,,Verlust der Ideale der Guerilla‘‘ artikuliert. Die Zahlen, die vorliegenden Fakten und die Realität weisen diese hegemoniale Erzählung zumindest als stark einseitig aus. Nach Angaben des von unabhängigen Menschenrechtsorganisationen gegründeten ,,Centro de Memoria, Paz y Reconciliación‘‘ gehen beispielhaft über 62 % der selektiven Morde auf das Konto der nach wie vor mit Straffreiheit gesegneten Paramilitärs und Narco-Kartelle, die nachweislich Verbindungen zu Armee und den Uribisten hatten, zuzüglich weiterer 10%, die der Armee zugerechnet werden. Ein weiteres Beispiel sind die Zahlen der Massaker, d.h. der gezielten Tötungen von zivilen Gruppen. Hier spricht das Zentrum von 60% Massakern durch regierungstreue paramilitärische Gruppen und weitere 8% durch die Armee, wohingegen auf die Guerilla lediglich 17% entfallen. Diese Aufzählung soll nicht unter den Tisch fallen lassen, dass die Guerilla sich zahlreicher Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat, die gut dokumentiert sind und für die sie laut Friedensvertrag in den kommenden Jahren strafrechtlich belangt werden. Ein Großteil dieser Fehlentwicklungen fällt in die Zeit der 1990er und 2000er Jahre, in denen die Regierung mit paramilitärischen Milizen gegen die FARC und ihre UnterstützerInnenbasis vorging.
Der Unterschied ist hier nur: Die neue Partei lässt keine Gelegenheit aus, sich für ihre begangenen Fehler öffentlich zu verantworten, sich mit den Opfern der Taten ihrer Einheiten zu stellen und um Verzeihung zu bitten – so wie in den Friedensverträgen vorgesehen. Dahingegen können wir bislang auf der Regierungsseite konstatieren, dass eine Vielzahl der Abmachungen, z.B. im Bezug zu den ZVTN, im Bezug zur Begnadigung politischer Gefangener, im Bezug zu Sicherheitsgarantien, im Bezug zur friedlichen Koka-Substitution usw. nicht eingehalten werden [8]. Auch die eher friedensorientierte Regierung um Juan Manuel Santos streitet z.B. öffentlich den politischen Charakter paramilitärischer Morde vehement ab und verklärt sie zu einem rein kriminalpolitischen Problem krimineller Banden (BACRIM), gleichzeitig werden keinerlei Bemühungen zu deren Bekämpfung unternommen. Dass das so ist, überrascht nicht. Würde der kolumbianische Staat z.B. offen seine zentrale Rolle bei der systematischen Massenvertreibung und den Massakern an der Landbevölkerung in den 1990er und 2000er Jahren zugunsten von Großgrundbesitzern mit Hilfe von paramilitärischen Gruppen offenlegen, hätte er schnell ein Legitimationsproblem vor der eigenen Bevölkerung. Die Verbrechen des Staates und seines paramilitärischen Netzwerkes umfassen, verglichen mit denen der Guerilla, ein Vielfaches an Ungeheuerlichkeiten, nicht nur numerisch, sondern auch qualitativ an dokumentierten Gräueltaten. [9] Dieser Aspekt des bewaffneten Konflikts ist nach wie vor nicht Teil des öffentlichen Gedächtnisses der kolumbianischen Gesellschaft. Seine Abwesenheit bestärkt die Isolation der Linken und den Antikommunismus.
Im Zusammenhang mit dem Wahlausgang ist zuletzt die schwierige Realität der neuen Partei auf dem Land, ihrer einstigen Hochburg als bewaffneter Organisation [10], zu nennen. D‘accord mit den Vereinbarungen im Friedensvertrag hat ein Großteil der FARC-MitgliederInnen sich in den vergangenen zwei Jahren in sogenannten ZVTN-Konzentrationszonen gesammelt und die Waffen abgegeben. Aufgrund der Bestimmungen der Friedensverträge ist der Ausgang von konzentrierten Guerilleros/as stark reglementiert. Die Möglichkeit der politischen Betätigung z.B. im Zuge des Wahlkampfs, die Interaktion mit der dörflichen Bevölkerung, ist somit wesentlich eingeschränkt für die Mehrzahl der MitgliederInnen der Partei. Gleichzeitig wurden die von den FARC aufgegebenen Territorien anschließend entweder von der kleineren noch aktiven Guerilla ELN, den FARC-Dissidenten, Narco-Kartellen und Paramilitärs übernommen. Diese, der neuen Partei nicht wohlwollend gegenüberstehenden Gruppen, dürften nicht in wenigen Fällen Einfluss auf die Wahlentscheidung der dörflichen Bevölkerung gehabt oder Beteiligung an Wahlen gleich komplett verhindert haben. Die faktische Abwesenheit der Staatsgewalt in weiten Teilen Kolumbiens macht Wahlen regelmäßig, nicht nur aufgrund der Ballung der Bevölkerung in den Zentren, zu einer Angelegenheit der Städte – also jenem Raum, aus dem die Guerilla jahrzehntelang, teils unter brutaler Gewaltanwendung gegen ihre legalen Strukturen, systematisch heraus gedrängt wurde.
Es ist müßig zu betonen, dass die kolumbianischen Elite in all ihren Facetten kein Interesse an der Agenda der neuen Linkspartei hat und daher ihr konzentriertes Medienimperium gegen diese Agenda in Anschlag bringt. Die in den Friedensverträgen vereinbarte Präsenz der Guerilla in den Medien und mit paritätischen fünf Sitzen in Senat und Abgeordnetenhaus für zwei Wahlperioden öffnet zwar eine Bühne in dieser feindlichen Medienlandschaft, ausschlaggebend wird jedoch sein, ob sich die ehemalige Guerilla bei den ärmsten Teilen der kolumbianischen Gesellschaft verankern kann oder nicht. Entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg dieses Unterfangens wird es sein, der antikommunistischen Hetze der radikalen Rechten entgegenzutreten und die Verbrechen des kolumbianischen Staates in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Eine positive Veränderung der Sicherheitssituation für die MitgliederInnen der Partei wäre dahingegen nur beim Erfolg des linken Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro bei den im Mai stattfindenden Präsidentschaftswahlen zu erwarten. Dieser liefert sich jedoch zur Zeit in den Wahlumfragen ein Kopf an Kopf-Rennen mit dem rechtsradikalen Friedensgegner Iván Duque vom Centro Democrático. Auch hier reicht Petros Biografie als ehemaliger Kämpfer der M-19 Guerilla offensichtlich zur Mobilisierung größerer Teile der kolumbianischen Gesellschaft gegen das vermeintlich mit ihm drohende ,,Szenario Venezuela‘‘ vollkommen aus.
Anmerkungen:
[1] Die ebenfalls starke Partido Conservador unterstützte nach einer internen Debatte in der Vergangenheit den Friedensprozess, zeigt sich jedoch regelmäßig schwankend. Derzeit debattiert, die Partei, ob sie den liberalen Kandidaten Germán Vargas Lleras oder den Uribisten Iván Duque Márquez vom Centro Democratico unterstützen soll. Die Partido Liberal gilt als zuverlässige Unterstützerin des Friedensprozesses, wohingegen der Spitzenkandidat der Cambio Radical Germán Vargas Lleras erklärte, er werde das Friedensabkommen respektieren.
[2] Die Journalistin Claudia Morales machte in einer Kolumne in der kolumbianischen Tageszeitung El Espectador ihre Vergewaltigung durch einen nicht namentlich genannten Präsidenten öffentlich. Der Zeitraum lässt nur die Präsidentschaft Alvaro Uribes zu.
[3] Bereits in den 1990er Jahren verteidigte Alvaro Uribe paramilitärische Gruppen, wie den Convivir. Während seiner Amtszeit als Präsident 2002-2010 koordinierte er mit paramilitärischen Gruppen faktisch die Aufstandsbekämpfung gegen die FARC. In einer Liste der US-Drogenbehörde DEA taucht Uribe 1991 als wichtiger Gefolgsmann Pablo Escobars und Verbindungsmann zu den Narcos auf. Ein FBI-Bericht 2010 enthüllte im Rahmen der Clinton Affäre weitere Verbindungen seiner Familie zu paramilitärischen Gruppen und Unterstützernetzwerken.
[4] Cambio Radical ist die Partei mit den meisten Verurteilungen in puncto Unterstützung des Paramilitarismus mit 19 verurteilten Ex-Abgeordneten. In der Dunkelziffer führt jedoch sicherlich das Centro Democratico. Es existiert eine Liste der ParapolitikerInnen.
[5] Der Artikel deckt eine Whatsapp-Gruppe RESISTENCIA NOFARC CALI zur Mobilisierung gegen die Wahlkampf-Events der FARC auf, darunter ultrarechte Politiker.
[6] Der Verweis wird inzwischenvon sämtlichen nicht-linken Kandidaten gegen die Linke gewandt.
[7] Es gibt abseits von fragwürdigen Publikationen der US-amerikanischen Geheimdienste und der radikalen Rechten in Kolumbien keinerlei Beweise dafür, dass die FARC jemals kartellartig agiert haben – erst recht nicht ausschließlich. Vielmehr ist lediglich bestätigt, was auch die FARC stets selbst behauptet hat: Es wurde eine Steuer auf den Transport und die Produktion erhoben, was natürlich nicht ausschließt, dass einzelne Kommandeure der Fronten nebenher Geld mit dem Verkauf gemacht haben, was aber zu beweisen wäre. In Kolumbien ist die Behauptung grundsätzlich mit dem rechtsradikalen Diskurs verbunden, um den Aufstand gegen soziale Ungleichheit zu delegitimieren. Die Behauptung eines ,,Kartells‘‘ blamiert sich allein schon am außerordentlich politischen Friedensprozess mit einem der progressivsten Friedensverträge, die je nach einem bewaffneten Konflikt abgeschlossen wurden.
[8] Die hochgradig fragwürdige, weil lebensgefährliche Vernichtung von Koka-Plantagen wurde auch nach Vertragsschluss fortgesetzt, Demonstrationen von den Aufstandsbekämpfungseinheiten der ESMAD mit Todesfolgen attackiert, vermehrt soziale AktivistInnen wurden ermordet usw. Die FARC weist in regelmäßigen Abständen auf Vertragsbrüche hin.
[9] In einer Dokumentation kommen exemplarisch Opfer zu Wort, die den Zusammenhang zwischen Militär- und Paramilitäroperationen skizzieren, beispielhaft: Das Massaker von Mapiripan. Die Methode des Paramilitarismus war dabei das systematische Massakrieren ganzer Dörfer und anschließender Terror gegenüber den Überlebenden im Dorf und in umliegenden Ortschaften.
[10] Seit dem Massaker an der aus dem ersten Friedensprozess in den 1980er Jahren hervorgegangenen Union Patriotica (UP) mit bis zu 8000 Todesopfern durch Todesschwadrone, war die FARC faktisch nur noch in Form von Untergrundzellen (Milicias Urbanas) in den Städten aktiv mit entsprechend geringer Präsenz in der Öffentlichkeit.