Zum Inhalt springen

Ein Kampf um Frieden und Würde

buenaventurapacifico OpenSource

In der kolumbianischen Hafenstadt Buenaventura fanden im Mai vergangenen Jahres massive Proteste statt. Der fast zwei Wochen anhaltende Generalstreik („Paro Civico“) in der an der Pazifikküste gelegenen Stadt wurde schließlich von den militärisch ausgerüsteten und trainierten Aufstandsbekämpfungseinheiten der kolumbianischen Polizei (ESMAD) brutal niedergeschlagen. Die Polizei rückte dabei förmlich wie eine feindliche Armee in die aufständische Stadt ein. Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei der die ESMAD auch Gaskartuschen in Wohnhäuser schoss, wurden zwei Aktivist*innen ermordet.

Neben der im Bundesstaat Valle de Cauca gelegenen Stadt, gingen auch die Menschen im benachbarten, nördlich anschließenden Departamento Chocó auf die Straßen und legten die Arbeit für Wochen nieder. In beiden Fällen waren es die tiefgreifenden ökonomischen, sozialen und infrastrukturellen Probleme, welche die Menschen auf die Barrikaden trieben. Schulen, Geschäfte, Nahverkehr - bis zu 90 Prozent der schätzungsweise über 400.000 Einwohner*innen Buenventuras beteiligten sich. Massendemonstrationen legten die Ökonomie und Distributionswege und damit den wichtigsten Wirtschaftshafen des Landes lahm und übten damit massiven Druck auf die Regierung des derzeit noch amtierenden rechtskonservativen Präsidenten Juan Manuel Santos (Partido Social de la Unidad Nacional) aus. Knapp 60 Prozent des Außenhandels und sogar 80 Prozent des Kaffeeexports Kolumbiens laufen über den örtlichen Hafen.

Peitschenhiebe des Staates

Chocó sowie die Stadt Buenaventura gehören zu den ärmsten Regionen des Landes. Die katastrophalen infrastrukturellen Bedingungen sind Ausdruck eines sozial extrem gespaltenen Landes. Afrokolumbianische und indigene Bevölkerungsteile werden von den neoliberalen Wohlstandsillusionen der Cordilleras (vergleichsweise reiche Zentralregionen Kolumbiens) weitgehend ausgeschlossen. Rassismus ist in Kolumbien strukturell mit der sozialen Herkunft verbunden und steht mit der Herkunftsregion, das heißt dem jeweiligen Verwaltungszentrum in Zusammenhang. Selbst offizielle Statistiken sprechen von einer Armutsrate von mehr 64 Prozent unter den Einwohner*innen Buenaventuras. Von einigen Prozenten mehr ist realistisch auszugehen. Das merkt, wer sich die Hauptachse der Stadt entlang bewegt und in die noch ärmeren Seitenstraßen schaut.

Buenaventura ist auch ein gutes Beispiel, wie Korruption, Vetternwirtschaft und Terror in dem südamerikanischen Land zusammenwirken. In einer Stadt, in der für mehr als 400.000 Menschen kein einziges staatliches Krankenhaus existiert, Schulen zerfallen und die Hauptverkehrsstraßen eher groben Flickenteppichen gleichen, schließen sich die verarmt gehaltenen Bevölkerungsteile der Schwarzen und indigenen Gruppen nun immer mehr zusammen. Das erste Mal überhaupt, wie ein Aktivist des Komitees für den Sozialstreik uns gegenüber anmerkt. Die Stimmung in der Stadt ist dabei weiterhin angespannt. Nach dem brutalen Auflösen des Streiks mit den erfolgten Verhaftungswellen, will der repressive kolumbianische Staat sichergehen, dass soziale Proteste dieser Dimension nicht wieder auftauchen.

Immer wieder fallen Militärpatrouillen in der Stadt auf, die den Hafen und den Eingang zur Stadt kontrollieren und „sichern“. Der Generalstreik und die Blockade des Hafens hatte der mehrheitlich weißen kolumbianischen Oligarchie und der mit ihr eng verwobenen politischen Klasse einen heftigen Schlag versetzt. Während die Gewinnung von Rohstoffen mithilfe ausländischer Kapitalinvestitionen und dem Verkauf von Förderlizenzen auf Hochtouren läuft, wird die lokale Bevölkerung vertrieben. Profitinteressen werden hier brutalisiert mit paramilitärischen Söldnern oder Auftragskillern („Sicarios“) durchgesetzt, die zumeist sogar aus den ärmsten Teilen der Bevölkerung rekrutiert werden.

Community Organizing als kollektive Antwort

Täglich wird der nationale Reichtum, der von internationalen Konsortien sowie kriminellen Banden abgepresst wird, über den Hafen der Stadt verschifft. Neben dem umweltzerstörenden und zumeist illegalen Abbau von Edelmetallen im benachbarten Chocó, werden Wasserquellen und Ackerland kontaminiert und Menschen aufgrund von künstlich geschaffenen Ernährungsnöten zu Binnenflüchtlingen gemacht. Nicht zuletzt aus diesen Binnenflüchtlingsströmen wurde Buenaventura eine Großstadt. Somit werden wichtige Exportwaren, wie zum Beispiel Kaffee, an den Nasen jener vorbeigefahren, die zu gefährlichen und erniedrigenden Bedingungen die Profite der Unternehmen erwirtschaften. Das Hafengelände soll nun zudem erweitert werden. Mit einem Aktivisten des Komitees Paro Civico fahren wir durch ein Armutsviertel, welches nach den Bauplänen der Regierung in den kommenden Jahren dem Erdboden gleich gemacht werden soll. Er berichtet von Einschüchterungsversuchen von rechten Paramilitärs, die bereits beginnen, Bewohner*innen des Viertels zu bedrohen und sie auffordern, ihre Bleiben zu verlassen.

Auch der Aktivist, mit dem wir sprechen, wurde mit seiner Familie bereits von Paramilitärs bedroht, seine „sozialen Aktivitäten“ besser sein zu lassen. Er fährt uns nur mit schusssicherer Weste und Pistole im Handschuhfach durch die Stadt. Die von Wirtschaftsunternehmen beauftragten Mörderbanden sollen Widerstände gegen Rendite- und Profitinteressen und ihre Akteur*innen „beseitigen“. Ein weiterer Aktiver des Komitees berichtet, dass in diesem Jahr bereits 87 Personen aus sozialen Bewegungen in dieser und benachbarten Regionen ermordet wurden. Die faktische Straffreiheit dieser Auftragsmorde, sowie die Beteiligung oder Tolerierung staatlicher Stellen ist erschreckend hoch.

Wir sind im benachbarten Viertel Barquito Marinero, wo vom Komitee zu einem Straßenfest geladen wurde. Gegründet wurde das Komitee dabei vor fünf Jahren und entwickelte sich stetig weiter. Es hat koordinierende Funktion und setzt sich aus Repräsentanten verschiedensten sozialen Gruppen zusammen: von einem katholischen Priester der örtlichen Gemeinde über Abgesandte einer LGBTIQ-Gruppe, Gewerkschafter*innen, Aktivist*innen aus Basisgruppen von Nachbar*innen aus verschiedensten Vierteln oder Studierende, die unter den gleichen unterdrückerischen Zuständen leiden.

Der Regierung trauen?

Ein Jahr nach dem Massenaufstand ist die Situation für die Menschen noch immer nicht besser. Derzeit befindet sich eine Delegation des Komitees in Verhandlungen mit dem Staat. Ein großer Erfolg des Streiks ist, dass nun staatlicherseits ein autonomer Fond unter Mitverwaltung von Vertretern der sozialen Bewegungen etabliert werden soll. Und zwar in Form eines Gesetzes. Das Ziel sind konkrete und umfangreiche Investitionsmaßnahmen, die das Leben der Menschen und ihre Perspektiven praktisch verbessern. Kein leichtes Unterfangen, wie uns das Komitee mitteilt. Alle vier Ex-Bürgermeister Buenaventuras befinden sich inzwischen aufgrund von Korruption im Gefängnis. Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist kaum noch vorhanden. Meist taucht der Staat lediglich in bestrafender Form auf, wenn die ökonomischen und sicherheitspolitischen Interessen der weißen kolumbianischen Oligarchie verteidigt werden sollen und die Subalterne zu sehr aufmuckt.

Am letzten Sonntag im Mai fanden darüber hinaus landesweit Präsidentschaftswahlen statt, aus denen nun der ultra-rechte Kanditat Iván Duque (Centro Démocratico) sowie der linke Sozialdemokrat und frühere Bürgermeister von Bogotá Gustavo Petro als vorläufige Sieger hervorgingen. Diese treten nun in einigen Wochen in einer zweiten Runde gegeneinander an. Eine wichtige Referenz für die weiteren Gespräche sowie ihre Ergebnisse wird die nun folgende zweite Stichwahl sei. Das Ergebnis wird neben Fortsetzung oder Abbruch des Friedensprozesses mit der ehemaligen marxistisch-leninistischen Guerilla und heutigen Linkspartei FARC auch die ökonomische, politische und soziale Teilhabe jener Bevölkerungsteile bestimmen, die bisher fast ausgeschlossen wurden.

Das Komitee in Buenaventura verlässt sich jedoch nicht nur auf den Ausgang der Wahlen oder die staatliche Gesetzgebung. So teilte uns das Komitee mit, dass lediglich 10 Prozent der Forderungen vom vergangenen Jahr bislang umgesetzt werden. Mit Aktionen von Gedenkgottesdiensten, einem öffentlichen Konzert, einem Straßenfest und Autokorsos will man daher den Druck auf die Verhandlungen aufrecht erhalten und signalisieren: Wenn nötig, streiken wir wieder!