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Der GroKo-Salat

Juhu, weiter so! Elias Schwerdtfeger

Der 24.September 2017: Deutschland wählt. Rund 76% der Wahlberechtigten setzen ihr Kreuz bei einer der zur Wahl stehenden Parteien. Das vorläufige Ergebnis: ein sich verschärfender Rechtsdrall mit erschreckend hohen Wahlerfolgen für die AfD. Noch am selben Abend gehen in deutschen Städten Hunderte auf die Straße, um klar zu machen, dass sie sich dieser Entwicklung in den Weg stellen werden. Mittlerweile sind vier Monate vergangen. Deutschland wird seitdem von einer provisorischen Regierung verwaltet. Die Verhandlungen zur Regierungsbildung fließen zäh wie Zuckersirup vor sich hin. Es scheint, als warte man nur noch ab, dass bitte wenigstens irgendwas passieren soll. Auch die radikale Linke äußert sich verdächtig selten zu den geplatzten und laufenden Sondierungen zur Regierungsbildung. Und das obwohl eigentlich jede/r vor der Wahl eine Meinung zum Thema zu haben schien: Wählen gehen ja oder nein, und wenn ja, wen, und wenn nein, wieso eigentlich nicht?

Nach der Wahl ist vor der Verhandlung

Die Stimmverhältnisse nach der Bundestagswahl zeigten, neben dem deutlichen Rechtstrend und der für deutsche Verhältnisse relativ hohen Nichtbeteiligung an der Wahl, vor allem, dass keine der „großen Volksparteien“ mehr vom Volk klar favorisiert wird. Im Vergleich zu den Bundestagswahlen 2013 verloren die Union und die SPD massiv an Stimmen, die FDP und die AfD sind die großen GewinnerInnen der Wahl. Es soll an dieser Stelle keine umfassende Analyse aufgestellt werden, warum das so ist. Aber wenn wir die betreffenden Menschen nach ihrem Wahlverhalten fragen würden, würden vermutlich Antworten kommen wie: „Das ist doch eh alles das Gleiche“, „Wir wollten es denen da oben mal zeigen“ oder: „So oder so, wir werden nicht repräsentiert von denen da oben“. Es läuft auf eine Legitimationskrise der bürgerlichen Parteien hinaus, aus denen insbesondere die AfD Kapital schlagen konnte – und das trotz aller kleinerer und größerer Skandale und innerparteilicher Konflikte. Die Partei die LINKE schaffte es nicht, sich trotz aller Perspektiven und Möglichkeiten, die sich ihnen als „neue Sozialdemokratie“ bieten könnte, weiter nach vorne zu katapultieren. Sie kann sich nicht als Alternative zu „denen da oben“ etablieren.

Die SPD erneut auf Regierungskurs

Im Oktober begannen also die ersten Sondierungsgespräche. „GroKo“ schien für alle Beteiligten zunächst kein Thema: Martin Schulz optierte für einen Linksschwenk, rief die „Systemfrage“ auf und verlangte gar „Mut zur Kapitalismuskritik“. Die CDU suchte sich, als immerhin noch stärkster Vertreter der Kapitalinteressen im Parlament, gefügige JuniorpartnerInnen für eine Koalition, die noch nicht so abgewirtschaftet schien wie das Modell der großen Koalition. Sie fand diese in den machthungrigen Grünen und Liberalen. Die SPD tönte zu diesem Zeitpunkt noch rum, ihre Rolle wäre nun die der Opposition und selbst wenn „Jamaika“ scheitere, würde sie nicht weiter als Koalititonspartnerin zur Verfügung stehen. Es wird sondiert, es wird verhandelt, es werden vermeintlich noch bestehende ,,Ideale“ vor allem seitens der Grünen über Bord geworfen, man erreicht einen stramm neoliberal-autoritären Konsens in fast allen Dingen – aber es kommt dennoch nicht zu einer Einigung. FDP-Lindner sah dann wohl doch größere Machtpotentiale in einer möglichen Neuwahl und ließ die Sondierungsgespräche platzen.

Dann plötzlich sah das auch für Martin Schulz alles ganz anders aus. Die SPD hätte Verantwortung, die Mitglieder dürften ja entscheiden und so weiter. Worum es eigentlich geht? Eine Perspektive, sich doch an der konkreten Machtausübung zu beteiligen – mit allen Mitteln und um jeden Preis. Seit dem 12. Januar 2018 liegt ein erstes Sondierungspapier vor, das als Grundlage zur Entscheidung über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen dient. Zwar gibt es Stimmen innerhalb der SPD, denen dieser völlige Kniefall vor der Union nicht so ganz gepasst hat, aber auch diese ließen sich schlussendlich überzeugen oder wurden auf dem Sonderparteitag ins Abseits gedrängt. Auf dem Parteitag in Bonn setzte sich so knapp der Schulz-Flügel durch – nicht zu vergessen dank einer siebenminütigen Brüllorgie von Andrea Nahles.

Links blinken, rechts abbiegen

Die SPD macht die Koalitionsverhandlungen zur GroKo. Zumindest für die nächsten vier Jahre wäre im Falle der Regierungsbildung die Legitimationskrise der bürgerlichen Parteien vorübergehend aufgeschoben. In den Sondierungsgesprächen konnte man sich bislang auf ein rechtes, neoliberales und in der Umsetzung sozialer Forderungen schwammiges mögliches Regierungsprogramm einigen. Zunächst wäre da eine gesetzliche Institutionalisierung von rechten und rechtsradikalen Forderungen wie der Flüchtlingsobergrenze, einer allgemeinen Verschlechterung der Lebenslage Geflüchteter in Deutschland, der strengen Reglementierung des Familiennachzugs und der Deklarierung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer. Hier wurden nahezu sämtliche Forderungen der CSU, die bei den Bundestagswahlen ebenso zu den großen Stimmverlierern an die AfD gehört, zum Regierungsprogramm in Migrationsfragen erhoben. Daneben steht eine Aufstockung der Bundeswehreinsätze in Afghanistan und Mali, sowie weitere Rüstungsexporte in Krisengebiete und an Regime, die Menschen- und Sozialrechte mit Füßen treten – ganz aktuell sehen wir den Einsatz deutscher Panzer gegen die Bevölkerung in Afrin. Die GroKo verzeichnete während ihrer Amtszeit einen Rekord an Waffenexporten.

Die SPD ist mit einem angeblichen ,,Linkstrend“ und vielen ,,sozialen Forderungen“ in den Wahlkampf gezogen. Ganz vorne mit dabei: die „Bürgerversicherung“. Im Sondierungspapier sind diese und viele weitere sozialdemokratische Versprechen im Wahlkampf auf ein Häuflein Elend zusammen geschrumpft. Aus „Bürgerversicherung für alle“ und „Steuern für Reiche“ wurde die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung und eine Nichterhöhung der Steuern, vom Spitzensteuersatz ganz zu schweigen. Veränderungsvorschläge im Arbeits- und Sozialrecht und damit in Arbeits- und Armutsverhältnissen sucht man vergebens.

Am 26. Januar haben die Koalitionsverhandlungen begonnen. Und wie sollen wir uns jetzt positionieren? Sind wir gegen die GroKo und damit für Neuwahlen? Und was, wenn die AfD dann noch mehr Stimmen kriegt. Wird es dann nicht noch schlimmer?

Die GroKo setzt den Abwärtstrend fort

Egal ob Jamaika, ob GroKo oder eine sonstige Koalition (auch R2G gehört dazu): Die Regierenden haben den Auftrag, den deutschen Staat im Sinne des Kapitals zu regieren. Sie sollen möglichst gute Bedingungen für die Profite der UnternehmerInnen schaffen. Sie haben keine Antworten, keine Perspektiven für die Mehrheit der Menschen in Deutschland, deren Lebensbedingungen sich seit inzwischen Jahrzehnten weiter verschlechtern. Betroffene der Verarmungspolitik, die durch den neoliberalen Block bereits seit den 90ern betrieben wird, gibt es jede Menge. Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche zeigen, dass die Parteien des neoliberalen Blocks und ihre ,,GroKo“ den Menschen Sand in die Augen streuen will mit billigen Versprechen und halbgaren Konzepten, auf deren Umsetzung wir wohl lange warten werden, oder Pseudo-Maßnahmen, die eine Verbesserung im besten Fall nur suggerieren.

Große Teile der Bevölkerung dieses Landes durchleben seit Jahren eine Abwärtsspirale, nicht nur was ihre finanzielle Sicherheit angeht, sondern insgesamt die Verschlechterung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen: Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen, massive Lohneinbrüche, wuchtige Teuerungen, insbesondere auf dem Wohnungsmarkt, große ungelöste Probleme bei der Betreuung von alten und pflegebedürftigen Familienangehörigen und Kindern, dazu die miserablen Arbeitsbedingungen gerade im Pflege- und Erziehungsbereich, die das Problem dauerhaft verschärfen. Die Liste könnte weiter gehen. Auch die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung redet mittlerweile von einer „Angst im Sozialstaat“, die sich aus einer Zerschlagung des bisherigen Sozialstaates und einer massiven Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse ergebe. Und diese Situation wird sich in den nächsten Jahren verschärfen.

Daran werden die bislang beschlossenen Maßnahmen der Regierung nichts ändern. Was bringen einem 25 Euro mehr Kindergeld in vier Jahren (also ca. 6 Euro Erhöhung pro Jahr), wenn ein Elternteil nicht arbeiten kann, weil es in den Großstädten viel zu wenige Betreuungsplätze gibt? Wie soll die Umsetzung des Rechtsanspruches auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen aussehen, wenn die Grundschulen dazu gar nicht geeignet sind, keine ausreichende Küche und Mensa vorhanden ist, und die Arbeitsbedingungen des Personals so scheiße sind, dass den Job einfach niemand machen will? Wie ein Tropfen auf den heißen Stein wirken auch die 8000 neuen Pflegestellen, die in ganz Deutschland geschaffen werden sollen.

Die Krise des neoliberalen Blocks ist eine Chance

Was die GroKo erreichen wird, ist eine weitere Enttäuschung der Menschen in die Regierung. Die Haltung: „Die machen doch eh, was sie wollen“, und die Angst vor dem Abstieg werden sich weiter verbreiten. Die vage Erkenntnis, dass irgendwas nicht stimmt in dieser Gesellschaft und sich etwas ändern muss, wird stärker werden – leider damit aber nicht automatisch auch die Bereitschaft, selbst etwas dafür zu tun. Das kann zu einer Stärkung des rechten Lagers führen. Zu einer weiteren Stärkung der AfD bei Neuwahlen oder bei den nächsten Bundestagswahlen 2021.

Aber es bietet uns auch extrem viele Anknüpfungspunkte im Leben breiter Teile der Bevölkerung, um linke Perspektiven populär zu machen. Viele Menschengruppen können von uns konkret angesprochen werden, auf ihre Lebenssituationen und wie die Regierung in keiner denkbaren Koalition willig sein wird, diese zu verbessern. Weder Studierende, noch ArbeiterInnen, noch junge Familien, noch SeniorInnen können noch etwas von der Regierung erwarten. Bei vielen schleicht sich diese Erkenntnis als eine Art Vorahnung ins Denken. Es ist die Aufgabe einer radikalen Linken, sich die Bedürfnisse der Menschen anzusehen, auch wenn diese erstmal gar nicht „revolutionär“ sind, sondern auf handfeste sozialdemokratische Forderungen hinauslaufen (wie der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, oder von ausreichend Betreuungsplätzen oder höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen) und mit unseren Antworten und Analysen darauf zu reagieren. Das kann auf der einen Seite sein, soziale Forderungen zu erkämpfen gegen den Chef oder gegen die Regierung, das kann aber auch bedeuten, im Umfeld der Menschen mit ihnen selbst Hand anzulegen, selbst Alternativen aufzubauen und so die Notwendigkeit neuer Gesellschaftsmodelle und die Ablehnung des kapitalistischen Staates ganz praktisch zu verdeutlichen.

Ein Startschuss für uns?!

Eine verschärfte Ablehnung der bürgerlichen Machtpolitik, der über den Köpfen der Menschen stattfindet, wird sich in den kommenden Jahren in der Mehrheit der Bevölkerung ausbilden. Es liegt an uns, diese Ablehnung in eine fortschrittliche Richtung zu bewegen, indem wir als Linke, die den Parlamentarismus und den bürgerlichen Staat als Ganzes konsequent ablehnt, sichtbar und greifbar werden mit sozialen Kämpfen um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen. Tun wir das nicht, müssen wir uns nicht wundern und ärgern darüber, dass sich viele Menschen nach anderen „Alternativen“ umsehen und diese in den rassistischen und faschistischen Bewegungen finden.