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Die Bombe von Düsseldorf: Aufklärung nach 18 Jahren?

Der Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn Frank Christiansen

Düsseldorf Wehrhahn – eigentlich nur eine S-Bahnstation in Düsseldorf – gelangte am 27. Juli 2000 schlagartig zu zweifelhafter Bekanntheit. Ein damals unbekannter Täter zündete eine in einer Plastiktüte versteckte Rohrbombe an der S-Bahnstation zu einem Zeitpunkt, als diese regelmäßig von osteuropäischen SprachschülerInnen frequentiert wurde. Zehn Menschen wurden durch herum fliegende Bombenteile zum Teil lebensgefährlich verletzt. Eine Frau war zum Zeitpunkt der Explosion im fünften Monat schwanger und verlor ihr ungeborenes Kind durch einen Metallsplitter, der sich in ihren Unterleib bohrte. Einige der SprachschülerInnen waren jüdischen Glaubens. Bis 2017 wurde der Fall für nicht aufklärbar erklärt. Plötzlich konnte jedoch ein Tatverdächtiger präsentiert werden, der beim Absitzen einer davon unabhängigen Gefängnisstrafe 2014 gegenüber einem Mithäftling mit der Tat geprahlt haben soll. Die Ermittlungen gegen den bereits vor 17 Jahren Tatverdächtigen Ralf S. wurden wieder aufgenommen. Am 25. Januar diesen Jahres begann schließlich der sogenannte Wehrhahn-Prozess. Es scheint, als käme doch endlich alles ans Licht. Dennoch bleiben viele Fragen ungelöst.

Damals und heute: Ralf S. und fremdenfeindliche Motive

Die direkt installierte Ermittlungskommission (EK) „Ackerstraße“ ermittelte in alle Richtungen: von „Russenmafia“ über Eifersuchtstat bis hin zu fremdenfeindlichem oder islamistischem Hintergrund. Schnell geriet der Besitzer eines Militaria-Ladens Ralf S. als Tatverdächtiger in den Mittelpunkt. Der Laden befand sich nur wenige Meter vom Tatort entfernt. Als Nazi mit intensiven Beziehungen zur örtlichen rechtsradikalen Szene und einem Hang zu Waffen, der mit seinem Hund soldatenmäßig durchs Viertel patrouillierte, war er hinlänglich bekannt. Im Jahr 2000 wurde der Verdacht trotz aller Hinweise auf ihn fallen gelassen. Auch weitere vorläufige Festnahmen, Überwachungen und Hausdurchsuchungen im rechten Milieu schienen keinen Erfolg zu bringen. Der Fall wurde 2009 geschlossen. Bis, acht Jahre später, Ralf S. erneut als tatverdächtig festgenommen wird. Seine Prahlerei soll ihn verraten haben. Der mittlerweile Angeklagte streitet die Tat ab. Sein damaliges Alibi, welches er von zwei Frauen bekam, wurde inzwischen widerrufen.

Der „Aufstand der Anständigen“

Auch die Politik – damals in Persona des Innenministers Schily – sprach schnell von einem Verdacht auf Fremdenfeindlichkeit. Nach einem Anschlag auf eine Synagoge in Düsseldorf am 2. Oktober 2000 wandte sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem Aufruf zum „Aufstand der Anständigen“ an die deutsche Bevölkerung. Ein solches Bild von Deutschland, in dem antisemitische Anschläge zunehmen, wolle man wohl nicht in der Welt haben. Die BürgerInnen sollten zeigen, dass Deutschland nicht mehr faschistisch sei. Aber: Keine Erwähnung von institutionellem Rassismus. Kein „Aufstand der Anständigen“, als weniger als zehn Jahre zuvor MigrantInnen und ihre Wohnungen in Rostock, Mölln und weiteren Orten angezündet wurden. An dieser Stelle auch zur Erinnerung: Im gleichen Zeitraum wie der Wehrhahn-Anschlag, oder der Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge und dem „Aufstand der Anständigen“ verübte der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) zehn Morde und mehrere Bombenanschläge auf vor allem türkische MigrantInnen. Der erste Mord geschah im September 2000, vier Jahre später wurde die Kölner Keupstraße von einem Nagelbombenanschlag erschüttert. Ermittelt wurde in diesen Fällen nicht im faschistischen Milieu, obwohl die Betroffenen und ihre UnterstützerInnen immer wieder genau dies verlangten. Die Opfer der Anschläge wurden zu TäterInnen umgekehrt. Kein „Aufstand der Anständigen“ für diese Menschen.

Wehrhahn-Anschlag, NSU, Verfassungsschutz und viele offene Fragen

Apropos NSU – nach dessen Selbstenttarnung durch Beate Zschäpe im Jahr 2011 gerieten auch wieder der Wehrhahn-Anschlag, sowie weitere unaufgeklärte Anschläge und Morde in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Verdacht auf einen Zusammenhang von Düsseldorf Wehrhahn und der NSU-Anschlagsserie sollte am 7. Februar 2017 im NSU-Untersuchungsausschuss NRW geprüft werden. Da kurz zuvor der Tatverdächtige festgenommen wurde, und unmittelbar von Polizei und Staatsanwaltschaft die These vom rechten Einzeltäter aufgestellt wurde, geschah diese Aufarbeitung jedoch faktisch nicht. Die Hauptbegründung, weshalb eine Verbindung zum NSU nicht bestehen könne, sei laut ErmittlerInnen das Fehlen des Wehrhahn-Anschlages im „Pink Panther“-Film des NSU, ungeachtet der Tatsache, dass auch weitere dem NSU mittlerweile zugerechnete Anschläge dort nicht auftauchen. Bereits vor 18 Jahren bestehende Zusammenhänge zwischen dem VS NRW bzw. rechten V-Leuten wie dem ehemaligen Spitzel André M. (Deckname „Apollo“), dem damals wie heute Tatverdächtigen Ralf S., sowie der rechten Szene in Düsseldorf / NRW wurden im Untersuchungsausschuss nicht aufgeklärt bzw. weitergehend thematisiert. Auch dass bereits seit 2004 in Ermittlerkreisen Erkenntnisse über André M. und den Wehrhahn-Anschlag bestanden, wurden nicht weiter behandelt. Der Deckel sollte offensichtlich zu gemacht werden.

An die Öffentlichkeit gezerrt wird dies jetzt erneut im Wehrhahn-Prozess. Spätestens seit dem ersten Prozesstag geriet die Einzeltäter-These ins Wanken: Ralf S. macht Aussagen und spricht u.a. davon, bereits Ende der 90er Jahre Gespräche mit „dem Verfassungsschutz“ (was er selber nicht näher definierte), sowie regelmäßige und gute Kontakte zu André M., der zeitweise für ihn gearbeitet hat, gehabt zu haben. Noch brisanter wird die Sache durch Hintergrundrecherchen vom Journalisten Dirk Laabs, der Unangenehmes zutage fördert: bereits 2004 bekamen die Ermittler vom LKA NRW konkrete Hinweise über den ehemaligen VS-Spitzel „Apollo“, der sich über den Wehrhahn-Anschlag konkret geäußert haben soll. Damals sagte er, der Anschlag sei begangen von ostdeutschen Nazis unter Deckung durch die Düsseldorfer Szene. Ein V-Mann, der bereits vor dem Tatzeitpunkt Kontakte zu den Tätern hatte und vielleicht bereits vor der Tat davon wusste? Verbindungen zwischen VS NRW und rechten Terroristen? Bereits 2004 bekannte Kontakte zwischen VS NRW und dem NSU? Der V-Mann-Führer von „Apollo“ gibt diesem ungefragt ein Alibi für den Tattag (er wisse, dass er Flugblätter verteilt habe), obwohl die Zusammenarbeit zwischen VS und „Apollo“ angeblich über einen Monat vorher, im Juni 2000, beendet worden war? Der gleiche V-Mann-Führer war im Übrigen für den Kölner V-Mann „Ronald“ verantwortlich, dessen Beteiligung an dem NSU-Anschlag in der Kölner Probsteigasse nie ausgeräumt wurde. Er sieht dem Phantombild des Attentäters verdammt ähnlich.

Brauner Sumpf bleibt brauner Sumpf

Angesetzt sind für den Wehrhahn-Prozess gegen den vermeintlichen Einzeltäter Ralf S. 37 Verhandlungstage. Am 17. Juli 2018 soll es ein Ergebnis geben. Bereits die Ereignisse des ersten Verhandlungstages zeigen, dass es ein unbedingt zu beobachtender Prozess werden wird, kommen immerhin weitere Verstrickungen zwischen Verfassungsschutzbehörden und faschistischen Terroristen vielleicht an die Öffentlichkeit. Der Angeklagte scheint einfach nicht so zu wollen, wie die entsprechenden Behörden. Der Blog NSU-watch veröffentlicht regelmäßig Prozessbeobachtungen. Es gilt, alle Möglichkeiten zu nutzen, das braune Netz zwischen deutschen Geheimdiensten, polizeilichen Behörden und neofaschistischen Gruppen zu thematisieren und den Sumpf damit wenigstens ein wenig trocken zu legen.