,,Den Menschen den Glauben daran zurückzugeben, dass eine andere Gesellschaft möglich ist“
Von Jan Schwab
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Veröffentlicht am 6. Februar 2018
RASH Union y Fuerza
Interview mit Zair Antonio Galbes von RASH Union & Fuerza, El Salvador
RASH Union & Fuerza ist eine anarchistische Skindheadgruppe aus dem mittelamerikanischen El Salvador. Im Gespräch mit dem Mitglied Zair Antonio Galbes hat re:volt- Redakteur Jan Schwab nachgefragt, wie die Gruppe selbst ihre politische Arbeit gestaltet, welche Verbindungen oder Abgrenzungen ihnen hinsichtlich anderer linken Strukturen wichtig sind und wie sie sich gegen Repressionen und Gewalt seitens des Staates organisieren. Das Interview ist ein Beitrag der losen Reihe zu politischen Entwicklungen in Lateinamerika im re:volt magazine und schließt inhaltlich an ein Gespräch mit Samuel Ramirez Beltran von der linken Regierungspartei FMLN ( Farabundo Martí para la Liberación Nacional - Farabundo Martí Front für die nationale Befreiung) an.
Jan [re:volt]: Die Gruppe RASH Union & Fuerza gibt es nun schon einige Jahre. Wie habt ihr euch zusammengefunden?
Unsere Bewegung entstand vor sieben Jahren als eine der Sparten von RASH International. Die Mehrheit von uns war ursprünglich Mitglied in der FMLN-Jugendorganisation, aber aufgrund methodischer und ideologischer Differenzen spalteten wir uns von der FMLN ab. Wir wollten ein eigenes Projekt auf die Beine zu stellen, mit einem eigenen Programm. Im Prinzip sehen wir unsere Arbeit als eine Reaktion auf die Realität von Armut, sozialem Ausschluss, Hunger und dem Morden in unserem Land. RASH Union & Fuerza entstand mit dem Ziel, diese Realität zu verändern.
Jan [re:volt]: Welches Arbeitskonzept habt ihr? Was sind zum Beispiel die Unterschiede zwischen euch und euren Vorstellungen von Politik und denen der FMLN, aber auch anderen Teilen der Linken in El Salvador?
Die FMLN ist ihrem Programm nach zwar eine kommunistische Organisation, aber die FMLN an der Regierung besteht weder aus KommunistInnen, noch machen sie kommunistische Politik. Wir verstehen uns grundsätzlich als AnarchistInnen und haben anderen linken Strömungen gegenüber in manchen Punkten ideologische Differenzen. Wir stehen zum Beispiel ganz grundsätzlich in Opposition zu jeder Art von Regierung, egal ob sie sich rechts oder links nennt. Zudem glauben wir auch nicht, dass die Revolution allein von ArbeiterInnen und BäuerInnen gemacht wird. Diese Idee ist faktisch mit dem Ende des Bürgerkriegs obsolet geworden, in dessen Verlauf sehr viele Salvadoreños ausgewandert sind. In der Mehrheit waren das die BäuerInnen. Damit ist die ursprünglich tragende Säule unserer Ökonomie faktisch verschwunden. Wir glauben, dass die Rolle des revolutionären Subjekts heute der ArbeiterInnenklasse und dem Lumpenproletariat, zu dem die übergroße Mehrheit unserer Bevölkerung gehört, zukommt. Unsere politische Arbeit findet unter extremen gesellschaftlichen Bedingungen, unter Armut und Gewalt, statt.
Jan [re:volt]: Woran knüpft eure Arbeit an?
Wir arbeiten natürlich im Interesse der arbeitenden Klasse. Uns geht es darum, den Menschen den Glauben daran zurückzugeben, dass eine andere Gesellschaft möglich ist. Zu unserem Klassenhintergrund können wir sagen, dass es in unserer Organisation sowohl Arme und bürgerliche AktivistInnen gibt: Es gibt zum Beispiel ÄrztInnen, aber auch Menschen, die Probleme mit Lesen und Schreiben haben. Jeder mit seinen Eigenheiten und Hintergründen ist bei uns willkommen.
Jan [re:volt]: Wie wird Gegenkultur hier vor Ort organisiert, welche Art von Veranstaltungen finden dort statt?
Es gibt eine Gegenkultur in unserem Land, aber sie hat keine Organisation, die sie repräsentiert. Es handelt sich um eine amorphe Bewegung ohne klare politische Ausrichtung. Wir sind eine der relevantesten Gruppen der Bewegung und der Teil, der am konstantesten wächst. Das ist vor allem aufgrund der von uns verfolgten Politik, weil die sich eben unmittelbar auf die politische und ökonomische Situation im Land bezieht. Im Prinzip arbeiten wir in den Straßen, organisieren Konzerte, machen politische Schulungen und derzeit hauptsächlich Jugendarbeit. Die Veranstaltungen finden meistens in Bars oder auf öffentlichen Plätzen, zum Beispiel in Parks, statt. Bei Letzteren braucht es die Genehmigung der Stadtverwaltung, wo wir zum Glück nicht nur Gegner, sondern auch SympathisantInnen haben. Konzerte machen wir mit unserer Band Delito Proletario und anderen Bands, von denen viele unsere Ideen teilen, ohne Mitglied der Organisation zu sein. Es gibt hier zudem verschiedene lose Strukturen von Skinheads, auch Neo-Nazis. Die rechten Skins sind die einzigen, die neben uns auch organisiert sind.
Jan [re:volt]: In El Salvador ist ja seit einigen Jahren eine linke Regierung der Partei FMLN an der Macht, die aus der ehemaligen Guerilla hervorgegangen ist. Du hattest ja schon etwas dazu gesagt. Kannst du nochmal genauer euer aktuelles Verhältnis zur Regierungspolitik darstellen?
Wir haben praktisch keine Verbindungen mehr zur aktuellen Partei und sind politische Gegner. Mit der früheren FMLN in der Regierung wäre ein Wandel möglich gewesen. Sie hätten eine Art Keil für die Revolution im System sein können. Aber diese Partei hat ihren politischen Horizont verloren und verfolgt heute keine revolutionäre Ideologie mehr; sie gleicht heute mehr einer Firma. Ihre Führung besteht aus korrupten Multimillionären, die kein Gefühl mehr für die Bedürfnisse der Bevölkerung haben. Sie reden nicht mehr über die Revolution, seitdem sie an der Regierung sind. Es gab keine Bemühungen zur Verstaatlichung, noch zur Wiedereinführung unserer ursprünglichen nationalen Währung Colon. Die Partei verfügt noch über viele aufrechte AnhängerInnen an der Basis, die aber von einer korrumpierten Idee, von den Interessen des salvadorianischen Bürgertums und der internationalen Bourgeoisie, wie dem IWF, fehlgeleitet werden.
Jan [re:volt]: Die FMLN befindet sich nach ihren Aussagen in einer schwierigen Position. Sie stellt zwar die Regierung, ist aber im Parlament eine Minderheit und liefert sich andauernd Schlachten mit dem obersten Gerichtshof, dem Sympathien für die rechte Partei ARENA nachgesagt werden. Außerdem mischen sich die USA immer wieder in die internen Angelegenheiten des Landes ein. Findet ihr es nicht schwierig, eine so harte Position gegenüber einer linken Regierung in einer solchen Position einzunehmen?
In all den Staatsgewalten und Organen, die es in unserem Land gibt, ist diese Partei präsent. Sie verfügt über Einfluss in den Lokalparlamenten, Ministerien und stellt den Präsidenten des Landes. Vielleicht verfügen sie nicht über eine Mehrheit im Parlament, aber sie sind diejenigen, die die Art und Weise der Umsetzung von Gesetzen, die unmittelbare Auswirkungen auf unsere Bevölkerung haben, gestalten. Sie haben faktisch die relevantesten Teile des Staates in ihrer Gewalt, inklusive der Armee und der Polizei. Aber sie sind nicht in der Lage, mit dieser Macht auch nur die minimalsten ökonomischen Veränderungen einzuleiten. Sie haben schlicht kein Interesse mehr an revolutionärer Veränderung.
Jan [re:volt]: Aber die FMLN hat doch auch einiges gemacht. Eine Bildungsreform zur Ausstattung der Schulkinder, das Aufstellen von Resozialisierungsprogrammen für Straftäter, die Reform des Gesundheitssystems...
Das sehen wir etwas anders. Was ist denn mit einer Reform des privatisierten Rentensystems? Das ist ein System, das den arbeitenden Menschen in unserem Land faktisch den Lohn raubt. Was ist mit einer Reform des Steuersystems? Unter der FMLN-Regierung gab es einen immensen Steueranstieg zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung. Und eine Bildungsreform? Wir können uns ja mal genauer ansehen, wie viele Kinder täglich dem öffentlichen Schulsystem aufgrund von Mangelernährung und Gewalt fernbleiben, oder weil sie die Kosten unseres privatisierten öffentlichen Systems nicht aufbringen können. Die aktuell gelaufene Ausstattungskampagne ist eine einzelne populistische Maßnahme, aber eine wirkliche Bildungsreform sieht anders aus. Ein Minimum einer revolutionären Bildungsreform würde beinhalten, dass historische und soziale Themen unseres Landes Eingang in die Lehrpläne der öffentlichen Schulen finden. Diese Leute hatten die Möglichkeit, Dinge zu verändern und haben es nicht gemacht. Das können sie nicht einfach mit Verweis auf die Opposition verdecken.
Jan [re:volt]: El Salvador ist ja sehr religiös und es gibt leider auch viele evangelikale Sekten – ein Import aus den USA. Das Abtreibungsgesetz gilt als eines der schärfsten Gesetze, das auch Abtreibungen im Falle von Vergewaltigungen untersagt. Wie werden feministische Themen bei euch und anderen Gruppen auf die Tagesordnung gesetzt?
Es gibt hier eine feministische Bewegung, wobei leider die Mehrheit der aktiven Gruppen ein rechtes Konzept verfolgt. Es geht ihnen in der Mehrheit um kleine Reformen, aber nicht darum, das System als Ganzes zu verändern. Sie streben keine sexuelle oder antipatriarchale Revolution an. Wir als Organisation haben noch nicht die Stärke, um eine eigenständige Frauenarbeit zu betreiben und leider ist der Frauenanteil unserer Mitglieder nicht sehr hoch. Aber wir unterstützen die fortschrittlichen feministischen Bewegungen, wo wir können.
Jan [re:volt]: In El Salvador gibt es ja auch ein großes Problem mit kriminellen Banden, die insbesondere die Armenviertel terrorisieren. Ihnen werden Verbindungen zur rechten Partei ARENA und Teilen des Staats nachgesagt. Was denkt ihr darüber?
Das Phänomen der Jugendbanden ist ein junges Phänomen in unserer Geschichte, es gibt sie erstknapp 20 bis 30 Jahre. Es hat sich jedoch Jahr um Jahr verstärkt, und zwar aufgrund der politischen Interessen der Parteien in unserem Land und der hinter ihr stehenden Bourgeoisie. Die Banden werden im Prinzip während der Wahlen genutzt, um Geldwäsche oder Stimmenkauf zu betreiben. Es ist bekannt, dass es Abkommen zwischen einigen politischen Parteien und den Banden darüber gibt, wie hoch die jährliche Todesrate ausfallen soll, um Stabilität oder Instabilität zu generieren. Das ist ein parteienübergreifendes Phänomen und nicht auf die Rechte begrenzt. Zudem werden die Banden als Todesschwadrone angeheuert.
Jan [re:volt]: Hattet ihr schon Erfahrungen mit diesen Todesschwadronen?
El Salvador ist ein Land im andauernden Kriegszustand. Zunächst der Bürgerkrieg bis 1992, danach der bis heute andauernde Krieg zwischen den Banden. Für uns als Organisation ist es aufgrund dessen unmöglich, Zugang zu bestimmten Communities zu bekommen, weil diese komplett von den Banden kontrolliert werden. Wenn du anfängst, in einem dieser Stadtteile zu arbeiten, ohne bei den Banden vorstellig zu werden, bringen sie dich einfach um. Als Organisation haben wir insgesamt sieben Morde zu beklagen. Der letzte ermordete Genosse war Toni Wolf. Er wurde vor einem Jahr entführt und eine Woche später tot aufgefunden. Nachdem er eine Woche gefoltert worden war, haben wir seine Leiche mit abgetrenntem Kopf in einer Plastiktüte in der Straße eines der gefährlichsten Stadtteile im Land aufgefunden. Bis heute gab es keine Untersuchung seines Mordfalls. Es ist unklar, ob es Todesschwadrone der Rechten oder der Linken waren. Die politische Verfolgung in El Salvador ist eine Realität, die sich über die Jahre nicht verändert hat.
Das Interview führte re:volt-Redakteur Jan Schwab