Wirtschaftskrise? #NichtaufunseremRücken
Wir befinden uns am Anfang einer Weltwirtschaftskrise, die uns ArbeiterInnen hart treffen wird – und die schon vor Corona begonnen hat. Doch wie ist sie entstanden? Was für Folgen kommen auf uns zu und wie können wir unseren Widerstand organisieren? Ein Positionspapier zur Wirtschaftskrise vom Bündnis #NichtaufunseremRücken.
Wir stehen am Beginn einer der schärfsten Wirtschaftskrisen aller Zeiten. In Deutschland ist die Zahl der KurzarbeiterInnen in wenigen Wochen auf 10 Millionen geklettert – und damit fast zehnmal so hoch wie in der Krise ab 2007. Hinzu kommen unzählige LeiharbeiterInnen, befristet Beschäftigte und MinijobberInnen, die ihre Jobs bereits verloren haben. In den USA sind im April offiziell 20,5 Millionen Arbeitsplätze weggefallen. In zahlreichen Ländern Europas sieht es nicht anders aus. Der Internationale Währungsfonds erwartet die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression 1929, die Bank von England prophezeit für das eigene Land die schwerste Rezession seit 325 Jahren. Quer über den Globus schnüren die Regierungen Wirtschaftspakete wie sonst nur zu Kriegszeiten. Die Rechnung hierfür werden sie am Ende den ArbeiterInnen präsentieren. Es stehen Angriffe auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen bevor, die wir teilweise noch gar nicht absehen können. Umso notwendiger ist es, dass wir uns jetzt auf entschiedene Gegenwehr vorbereiten!
Woher kommt die Wirtschaftskrise?
Auch wenn es auf den ersten Blick so erscheinen mag – die Ursache der Krise ist nicht die Covid-19-Pandemie! Die Pandemie verschärft vielmehr die Wirtschaftskrise, die sich bereits seit dem Winter 2018/19 entwickelt hat. Dabei handelt es sich um eine Überproduktionskrise, wie sie der Kapitalismus gesetzmäßig und regelmäßig hervorbringt. Überproduktionskrisen entstehen, weil die Unternehmen ihre Produktion immer weiter ausdehnen, mit dem Ziel sich in der Konkurrenz durchzusetzen und ihre Profite zu steigern; während sie zugleich jedoch die Einkommen ihrer ArbeiterInnen, die einen Teil der Produktion kaufen müssen, möglichst gering halten.
Die aktuelle Überproduktionskrise ist besonders, weil sich jetzt jahrzehntelang aufgestaute Widersprüche und Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft zu entladen drohen:
- Die führenden kapitalistischen Konzerne haben eine solche Größe und Macht erreicht, dass sie die Krisenfolgen der letzten Jahrzehnte auf alle anderen Teile der Gesellschaft, allen voran die ArbeiterInnen, abwälzen konnten. Stagnierende Löhne, gekürzte Sozialleistungen und steigende Steuern haben das Problem der Überproduktion weiter verschärft.
- Die Konzerne und die Staaten haben die Krisen der letzten Jahrzehnte gleichzeitig mit immer mehr Krediten und Notenbankgeld behelfsmäßig abgemildert und ihre schlimmsten Auswirkungen damit hinausgezögert. Im Ergebnis ist die Verschuldung von Unternehmen, Privatpersonen und Staaten heute etwa dreimal so hoch wie die jährliche weltweite Wirtschaftsleistung. Viele Unternehmen sind bisher nur durch enorm niedrige Zinsen vor der Insolvenz bewahrt worden, sie gelten als Zombieunternehmen. In einer Studie aus dem Jahr 2017 kommt die Bank of America (BoA) zu dem Ergebnis, dass rund neun Prozent der 600 größten börsennotierten Unternehmen in Europa in diese Kategorie fallen. Dies wird nicht ewig so weitergehen können. In dieser Krise drohen daher massenweise Unternehemenspleiten. Wirtschaftsexperten sprechen schon seit Jahren von „tickenden Zeitbomben“ in den Bilanzen der Banken.
- Nach einer jahrzehntelangen Phase einer zunehmenden weltweiten Verflechtung von Produktion und Handel haben Kapital und Staaten in den letzten Jahren auf teilweise Entkoppelung und wirtschaftliche Konfrontation umgestellt. Ein erbitterter Konkurrenzkampf um Wirtschaftsräume entwickelt sich – allen voran zwischen den USA und China. Eine gemeinsame Krisenbewältigungspolitik wie 2007 ist damit unwahrscheinlicher geworden, der Wirtschaftskrieg droht zum neuen Normalzustand zu werden. Dies äußert sich beispielsweise im Kampf um den Ölpreis zwischen den OPEC-Staaten, den USA und Russland, aber auch in den in den vergangenen zehn Jahren massiv gestiegenen Zöllen.
Die Covid-19-Pandemie hat durch die weltweiten Shutdowns des öffentlichen Lebens und damit einhergehenden einbrechenden Einkommen die Überproduktionskrise massiv verschärft. Zeitweise waren die weltweiten Lieferketten der Industrie unterbrochen. Die Pandemie beschleunigt und verstärkt damit die beschriebenen Entwicklungen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass diese Krise uns einen noch viel aggressiveren Kapitalismus bescheren wird.
Folgen der Wirtschaftskrise
In der aktuellen Krise zeigt der Kapitalismus sein hässliches Gesicht besonders deutlich: Millionen ArbeiterInnen in Deutschland sind bereits jetzt von Jobverlusten und Kurzarbeit betroffen. Daneben stehen hunderttausende ArbeiterInnen, die ihre Gesundheit in der Pandemie aufs Spiel setzen müssen, um zu schlechten Löhnen und miesen Bedingungen in Krankenhäusern, Altersheimen und Supermärkten die öffentliche Versorgung am Laufen zu halten. Weitere hunderttausende ArbeiterInnen, viele davon aus Osteuropa, schuften teils unter sklavereimäßigen Verhältnissen in Schlachthöfen, in der Landwirtschaft, in Logistikzentren oder im Transportgewerbe. Dort wird ihre Infektion mit Covid-19 von den Unternehmen und dem Staat billigend in Kauf genommen.
Die genannten ArbeiterInnen in schlecht bezahlten und unsicheren Jobs sind heute von Corona und der Krise am meisten betroffen. Doch sie werden nicht die einzigen bleiben. Die Krise wird eine Welle schwerer Angriffe auf alle Teile der ArbeiterInnen, auf Arbeitslose, Studierende, Selbstständige und RentnerInnen nach sich ziehen. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Angriffe zeitversetzt und in Schüben geschehen werden:
- Die Bundesregierung hat historische 1,2 Billionen Euro für die Stabilisierung der Wirtschaft bereitgestellt. 156 Milliarden Euro Neuverschuldung sind bereits aufgenommen. Am Ende wird jemand für diese Summen zur Kasse gebeten werden – nämlich diejenigen, die durch ihre Lohnsteuern den Staatshaushalt tragen: Das sind die Arbeiterinnen und Arbeiter. In bisherigen Krisen war dafür ein gängiges Instrument der Staaten, vor allem Massensteuern, wie die Mehrwertsteuer, zu erhöhen.
- Absehbar ist auch, dass der Staat seine Ausgaben zusammenstreichen wird, und damit Kürzungen im Gesundheits- und Sozialwesen, bei der Bildung, im Öffentlichen Dienst und anderen Bereichen auf uns zukommen.
- Zur Kasse gebeten werden außerdem all diejenigen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. So fordert die CDU bereits jetzt, die vereinbarte Grundrente gar nicht erst zu beschließen. Der nächste Schritt ist dann die Kürzung bestehender Leistungen.
- Parallel zu den staatlichen Maßnahmen steigen auch die Notenbanken direkt in die Krisenrettung ein und kaufen Unternehmensanleihen auf. Zu erwarten ist, dass die Kosten hierfür ebenfalls an die ArbeiterInnen weiter gereicht werden, nämlich in Form der Geldentwertung (Inflation). Das bedeutet vor allem: Preissteigerungen im Alltag.
- Schließlich ist das Überleben vieler Firmen nur noch eine Frage der Zeit, auch wenn der Shutdown in Deutschland auf Druck von Unternehmerkreisen wieder etwas gelockert wird. Die Auto-Zulieferindustrie etwa stand schon vor der Pandemie mit dem Rücken zur Wand. Es spricht Bände, dass die Bundesregierung jetzt die Pflicht für Firmen ausgesetzt hat, im Falle ihrer Zahlungsunfähigkeit Insolvenz anzumelden. Hierdurch können sich bankrotte Firmen mit Staatshilfen durch die Krise hangeln und die Insolvenz auf Kosten der ArbeiterInnen noch einige Monate hinausschieben. Das bedeutet, dass auch die zu erwartenden Entlassungen zeitversetzt geschehen werden. Am Ende werden auch viele ArbeiterInnen betroffen sein, die heute noch bei vollem Lohn im Homeoffice arbeiten.
- Traditionell betrachten Faschisten Krisen als Gelegenheiten, die Gesellschaft noch stärker als sonst mit Rassismus und anderen reaktionären Gedanken zu vergiften. Auch in dieser Krise müssen wir damit rechnen, dass die ohnehin schon alltägliche rassistische Gewalt noch zunehmen wird.
Dies ist nur eine Auswahl naheliegender Angriffe, die uns in den nächsten Monaten und Jahren bevorstehen. Wir gehen davon aus, dass Kapital und Staaten in der Krise einen völlig neuen Standard in der Ausbeutung von Lohnarbeit durchsetzen wollen, und dass wir deshalb mit vielen weiteren Maßnahmen rechnen müssen, die heute teilweise noch über unsere Vorstellungskraft hinaus gehen.
Was tun?
Welche Angriffe auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen tatsächlich durchgezogen werden, wird vor allem davon abhängen, welchen Widerstand wir dem entgegensetzen. Hier kommt es entscheidend auf uns selbst an. Wir dürfen nicht passiv auf die nächsten Angriffe warten, sondern müssen schon jetzt beginnen, die Gegenwehr zu organisieren und sie auf die Straße und in die Betriebe zu tragen.
Aber auch hierbei dürfen wir nicht stehen bleiben, sondern müssen das kapitalistische System als Ursache dieser Krise ins Visier nehmen. Es ist die anarchische Natur des Kapitalismus, die die Krisen hervorbringt. Nur eine geplante und demokratisch geleitete Wirtschaft kann ihnen ein Ende machen. Das setzt die Vergesellschaftung aller Produktionsmittel voraus. Unser Ziel muss eine Gesellschaft sein, die sich mit dem Ziel organisiert, die Bedürfnisse der Menschen bestmöglich zu befriedigen, statt größtmögliche Profite für eine kleine Minderheit zu erwirtschaften. Eine Gesellschaft, in der Solidarität die Grundlage darstellt anstatt leerer Floskeln.
Die Krise kann also viel mehr bedeuten als eine Reihe scharfer Angriffe auf unseren Lebensstandard, sie kann auch der Ausgangspunkt für eine klassenkämpferische Bewegung sein, die den bisherigen Rahmen des kapitalistischen Wahnsinns in Frage stellt. Der Staat hat Vorkehrungen getroffen, unseren Widerstand kleinzuhalten und im Zuge des Corona-Shutdowns massive Eingriffe in unsere Freiheitsrechte vorgenommen. Es kommt jetzt darauf an, dass wir uns nicht weiter in die Enge treiben lassen, dass wir uns unsere Rechte nicht nehmen lassen und uns den Raum für Widerstand zurückholen. Die Demonstrationen am 1. Mai waren ein sehr wichtiger Schritt in diese Richtung, und wir müssen entschlossen und ohne Zögern auf diesem Weg weitergehen. Verschiedene Aktionen haben bereits gezeigt, dass es kein Gegensatz ist, das Virus und den Infektionsschutz ernst zu nehmen und Widerstand auf die Straße zu tragen.
Wir erwarten, dass die Angriffe in dieser historischen Krise von Versuchen begleitet sein werden, die betroffenen ArbeiterInnen zu spalten und gegeneinander aufzuhetzen – etwa in Junge gegen Alte, LeiharbeiterInnen gegen Festangestellte, Deutsche gegen MigrantInnen u.v.m. Diesen Spaltungsversuchen müssen wir entschieden entgegentreten und eine solidarische Bewegung von ArbeiterInnen aus allen Berufen, Schichten und Herkunftsländern, ob jung oder alt, aufbauen. Da alle bedeutenden Konzerne nicht nur in einem Land agieren, gilt es den Widerstand auch auf internationaler Ebene aufzubauen.
Wenn wir nicht wollen, dass diese Krise auf unserem Rücken ausgetragen wird, müssen wir uns organisieren und wehren. Es ist an der Zeit, Kontakt zu den eigenen KollegInnen und NachbarInnen aufzunehmen, um festzustellen, dass wir alle unter dieser Krise zu leiden haben. Es ist auch an der Zeit, Angriffe, die auf Betriebsebene oft schon jetzt beginnen (wie höhere Arbeitsintensität, ausgesetzte Lohnerhöhungen oder Entlassungen) und von der Bundesregierung gerade vorbereitet werden, nicht einfach hinzunehmen. Wie sehr diese Krise auf unserem Rücken ausgetragen wird, liegt an uns!
Anmerkungen
Das hier erstveröffentlichte Positionspapier des Bündnisses #NichtaufunseremRücken zur kommenden Wirtschaftskrise, ist von zahlreichen lokalen politischen Gruppen und Initiativen unterzeichnet worden. Das Bündnis vereint verschiedene Aktionen unter dem gemeinsamen Hashtag und macht solidarische sowie antikapitalistische Antworten auf die Coronakrise und ihre Folgen sichtbar. In den sozialen Netzwerken sowie im öffentlichen Raum schafft der Hashtag überregionale Bezugnahmen linker Perspektiven und gibt den Aktionen einen gemeinsamen Rahmen.