Tötet den Metropolenchauvinismus in eurem Kopf!
Seit der Rojava-Revolution interessieren sich verschiedenste linke Bewegungen in Deutschland für die kurdische Bewegung. Themen wie internationale Solidarität und Internationalismus gewinnen von Neuem an Bedeutung für die hiesige Linke. Viele verschiedene Gruppen und Strömungen, die sich sonst innerhalb der linken Szene nicht über den Weg trauen, sind sich plötzlich darin einig, dass die Revolution von Rojava ein Thema ist, bei dem mensch wieder mal zusammenkommen und gemeinsam agieren kann. Sofern man natürlich über seinen eigenen Schatten springt, die Grabenkämpfe in der Szene mal hinter sich lässt und nicht nur im Sinne der eigenen Gruppe, sondern auch mal im Sinne der linken Bewegung als Ganzes agiert. Doch dazu später mehr.
Es gab natürlich hier und da auch linke Gruppen, die sich mit der kurdischen Bewegung auseinandersetzten, als es noch keine Rojava-Revolution gab. Vor sechs, sieben Jahren war ich noch Teil des Verbandes der Studierenden aus Kurdistan (YXK). Wir suchten den Kontakt zu linken Gruppen, hielten uns immer mehr in linken Szeneläden auf, begaben uns sozusagen in ein für uns neues Terrain. Oftmals stießen wir auf Ablehnung, viele hatten uns schon in eine „völkische“ Schublade gesteckt, manche wollten noch nicht einmal mit uns sprechen. Ich erinnere mich, dass wir von vermeintlich linken Asten keine Räumlichkeiten erhielten. Doch hier und da tauchten dann Gruppen auf, die den Kontakt zu uns suchten, die nicht vorurteilsbeladen sondern offen waren und auf uns zukamen, ohne dass wir sie suchen mussten. Doch insgesamt schien uns der erste Kontakt zu der linken Bewegung in Deutschland sehr schwierig.
Doch dann kam die Rojava-Revolution und das Blatt wendete sich plötzlich. Auf einmal war das Interesse an der kurdischen Bewegung derart groß, dass wir gar nicht mehr hinterherkamen. Organisierten wir zuvor selbst Diskussionsveranstaltungen, bei denen wir wochenlang Räume suchen und Werbung machen mussten und am Ende vielleicht 40-50 Leute erreichten, trudelten nun so viele Referent*innenanfragen bei uns ein, dass wir gar nicht hinterherkamen. Jede*r innerhalb der linken Bewegung redete plötzlich vom kurdischen Freiheitskampf. Ich erinnere mich an eine Demo, an der plötzlich Leute von demselben AStA auftauchten, die uns zuvor noch rigoros Räume für Veranstaltungen verweigert hatten, und uns fragten, ob wir nicht mal was mit ihnen organisieren wollten.
Letztlich waren wir natürlich glücklich über diese Situation. Doch dieser neue Umstand war für uns auch Anlass zur Selbstkritik: Der Paradigmenwechsel der kurdischen Bewegung hatte sich bereits vor der Rojava-Revolution vollzogen. Wieso war es uns nicht bereits früher gelungen, die Ideen der kurdischen Freiheitsbewegung in der linken Bewegung in Deutschland bekannt zu machen? Wieso musste es erst zur Rojava-Revolution kommen, bevor die Leute uns nicht mehr als „suspekt“ betrachteten oder uns als „nationalistisch“ oder gar „völkisch“ ansahen? Als ich 2010 auf einer Delegationsreise in Kurdistan war, erklärte mir ein Genosse, dass es die Aufgabe der YXK sei, die Ideen der Bewegung, also den Demokratischen Konföderalismus, innerhalb der linken Bewegungen in Deutschland und Europa bekannt zu machen. Würden wir dies erfolgreich tun, so würde das nicht nur uns weiterhelfen, sondern auch ein neues Feuer innerhalb den Linken in Deutschland entfachen, ihnen neue Perspektiven aufzeigen. Ich war damals nicht so überzeugt von seinen Ausführungen, hielt sie für leicht überheblich. Im Nachhinein muss ich sagen, dass er wohl Recht hatte und wir unserer Verantwortung nicht gerecht geworden sind.
Doch zurück nach Deutschland. Es gab also in Deutschland diejenigen Gruppen innerhalb der linken Szene, die mit uns gearbeitet hatten, als andere uns nicht mal die Hand reichen wollten. Und dann gab es diejenigen Gruppen, die plötzlich neu Interesse an uns zu gewinnen begannen. Das Problem, das sich nun für uns auftat, war die Tatsache, dass die unterschiedlichen Gruppen oft nichts miteinander zu tun haben wollten, sich zum Teil gar feindlich gegenüberstanden. Keine einfache Situation für uns. Wir wussten natürlich unsere „alten“ Freund*innen und Genoss*innen sehr zu schätzen. Doch ging es uns stets darum, die Ideen aus Kurdistan zu verbreiten, sie innerhalb der gesamten linken Szene zur Diskussion zu stellen und eine breite Solidarität ins Leben zu rufen. Wir versuchten Bündnisse auf die Beine zu stellen, beteiligten uns an bestehenden Bündnissen und versuchten über die bestehenden Gräben, deren Ursachen wir teilweise nicht richtig verstanden, zu springen. Doch wir stießen auf Grenzen.
Wir machten dann die Erkenntnis, dass bei manchen Gruppen Verbitterung aufkam. Sie dachten, dass sie das Thema „Kurdistan“ für sich gepachtet hatten. Ihnen schien es nicht zu gefallen, dass sich nun auch andere Gruppen dafür interessierten. Ihr Solidaritätsverständnis schien zu lauten: „Wir machen was zu Kurdistan, erreichen dadurch viele Leute und polieren damit unsere Stellung auf.“ Eine tiefer gehende inhaltliche Auseinandersetzung schien da eher weniger von Interesse. Aber auch innerhalb der Szene begegneten wir zunehmend diesem Phänomen, vor allem unter einigen Teilen unserer „alten Freund*innen“.
Die Absicht von uns kurdischen Aktivist*innen ist es, Menschen um die Ideen des Demokratischen Konföderalismus herum zusammenzubringen, die sich als politisch links verstehen. Wir haben keineswegs den Anspruch, die Linke hier zu belehren und ihnen zu erklären, was „sie“ falsch und was „wir“ richtig machen. Doch wir wollen unsere Konzepte und Ideen der Szene bekannt machen und sie dazu einladen, darüber intensiv zu diskutieren, damit mensch am Ende vielleicht für die eigene Praxis Schlüsse daraus ziehen kann. Es geht dabei nicht darum, die Praxis in Kurdistan nach Deutschland zu kopieren. Es geht viel eher darum, aus den theoretischen Konzepten der Bewegung praktische Schlüsse für die eigene Realität zu gewinnen, damit wir hier gemeinsam Alternativen aufbauen können.
Um dies zu ermöglichen, bedarf es einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der kurdischen Freiheitsbewegung. Alle, die meinen, für ihre eigenen Gruppeninteressen das Thema „Kurdistan“ ausschlachten zu müssen, sind hier fehl am Platz. Auch diejenigen, die meinen, Solidarität bedeute, „Mitleid mit der Situation der Kurd*innen“ haben zu müssen, werden nicht zum Kern der Sache vordringen können. Die Solidarität, zu der wir aufrufen, soll dazu einladen, gemeinsam zu diskutieren, zu arbeiten und Alternativen aufzubauen. Bei dem Artikel des re:volt magazine-Redakteurs Geronimo Marulanda hatte ich hingegen den Eindruck, dass da jemand ausgehend von seinen persönlichen negativen Erfahrungen mit einzelnen Personen in der kurdischen Bewegung einen Artikel zu Papier gebracht hat, der wenig mit konstruktiver Kritik zu tun hat. Ich will nicht in Abrede stellen, dass es Probleme dieser Art beziehungsweise Widersprüche in der eigenen Basis gibt. Dadurch aber die eigentliche Perspektive der Bewegung, die auch immer mehr von der eigenen Basis angenommen wird, in Frage zu stellen, ist nicht richtig und erinnert mich letztlich an die Überheblichkeit innerhalb der deutschen Linken, auf die unser Genosse Hüseyin Çelebi in den 1990ern Bezug nahm.
Der meinte einst bezüglich der deutschen Linken: „Für die BRD-Linke möchte ich sagen, dass sie von einer sehr stark eurozentristischen, metropolenchauvinistischen Haltung geprägt ist, die konkret den Leuten vielleicht noch gar nicht einmal bewusst ist, wie überheblich, was für eine.... ich finde fast schon keine Worte mehr für dieses Ausmaß an Anmaßung, was in dieser Haltung steckt. Sie haben gar nicht mehr mitgekriegt, wie sehr ihnen der Imperialismus schon die Köpfe gestohlen und das, was hier als Metropole bezeichnet wird, in ihre Köpfe hereingemauert hat.“
Hüseyin Çelebi hat sich in den 1980er Jahren sehr stark dafür bemüht, eine Zusammenarbeit zwischen der kurdischen Bewegung und den linken Kräften in Deutschland aufzubauen. Anfang der 1990er Jahre fiel er schließlich im Freiheitskampf in Kurdistan.
Als sich der Kampf in Kobanê auf seinem Höhepunkt befand, der IS kurz vor dem Sieg stand, die Menschen weltweit auf die Straßen gingen und letztlich die Anti-IS Koalition sich quasi erst in letzter Sekunde dazu entschied, den IS in Kobanê zu bombardieren, tauchten plötzlich in der linken Szene merkwürdige Diskussionen auf, die mich sehr an die Worte von unserem Genossen Hüseyin erinnerten. Plötzlich erklangen aus dem sogenannten anti-imperialistischen Spektrum Stimmen, die darüber nachdachten, ob man vor dem Hintergrund der neuen Situation nicht die Solidarität mit der kurdischen Bewegung einstellen müsste. Leute, die ich für Genoss*innen hielt, hätten also lieber den IS in Kobanê siegen als ein Einschreiten der Anti-IS-Koalition gesehen. Ich fand damals, ähnlich wie Heval Hüseyin, keine Worte für diese Überheblichkeit…
Wenn jetzt manche Leute aus der Szene schreiben, dass abzuwarten sei, ob in Kurdistan eine Revolution oder letztlich eine Integration ins System stattfinden wird, dann rufe ich dazu auf, nicht die Ereignisse in Kurdistan abzuwarten, sondern über unsere gemeinsame revolutionäre Perspektive im Hier und Jetzt zu diskutieren und uns entsprechend zu organisieren. Ich bin davon überzeugt, dass die Idee des Demokratischen Konföderalismus hierfür ein nützlicher Wegweiser sein kann und schlage vor, gemeinsam darüber zu diskutieren. Doch um eine produktive Diskussion zu ermöglichen, müssen wir zunächst den Metopolenchauvinismus in unseren Köpfen töten.
Erdal Firaz ist kurdischer Aktivist.