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Pfeffer, Sternburg und Zitronen

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Um 3:40 Uhr klingelt der Wecker. Ich ziehe mich an, nehme meinen am Vorabend gepackten Turnbeutel mit der Sonnenbrille, der Wasserflasche und den Müsliriegeln und breche auf. Um kurz vor 5:00 Uhr bin ich mit meinen Leuten am anderen Ende der Innenstadt verabredet. In zwei geliehenen Autos fahren wir nach Erfurt, um die AfD-Demo zu blockieren. Björn Höcke hat zu einer Demonstration aufgerufen, um die soziale Frage von rechts zu beantworten und den Wahlkampf für Thüringen einzuleiten. Auch AfD-Bundessprecher Alexander Gauland ist angekündigt. Das wollen wir unter keinen Umständen unwidersprochen lassen.

Antifa in Erfurt...

Als wir in Erfurt aussteigen ist es circa 9:00 Uhr und wir frösteln bei der Auftaktkundgebung der sogenannten DIY-Demo am Hirschgarten. Ein antifaschistisches Bündnis mit dem Namen „Schnauze voll“ hatte dazu aufgerufen, und damit auch uns in die thüringische Landeshauptstadt mobilisiert. Am gleichen Ort sammelt sich auch eine Demo des DGB gegen die AfD-Veranstaltung. Über die nächste Stunde füllt sich der Platz mit der bekannten 1. Mai-Mischung aus Linksradikalen, Gewerkschafter_innen, kommunistischen Splittergruppen und Lokalbvölkerung gegen rechts. Der DGB interessiert uns heute nicht weiter und wir schließen uns, auch mangels Alternativen, der DIY-Demo an. DIY steht für „do it yourself“ und das Motto des Tages lautet „Alles muss man selber machen: Feministisch, solidarisch, klimagerecht gegen den Wahlkampfauftakt der AfD“. Der Claim findet seine Entsprechung in drei thematischen Blöcken zu Seebrücke, Feminismus und Ende Gelände. Zu meiner großen Freude und Überraschung treffe ich einen guten Freund aus Hamburg. Seine Crew ist bereits um 1:00 Uhr los gefahren. Das Commitment der Beteiligten ist hier auf jeden Fall hoch. Und ich zähle dort ein paar tausend Teilnehmende.

Wir stehen letzten Endes im feministischen Block, als die Demo relativ pünktlich los geht. Nachdem wir eine Schleife um den Hirschgarten gelaufen und über die Puschkinstraße Richtung Flutgraben und Bahntrasse gezogen sind, steigt das Tempo. Uns ist klar, dass wir bei einer der nächsten Kreuzungen die ursprüngliche Demoroute verlassen müssen, wenn wir die Faschist_innen blockieren wollen. An der Herderstraße ist es für uns soweit und die handvoll Polizist_innen kann den Durchbruch auch mit Gewalt und Unmengen von Pfefferspray nicht verhindern. An der nächsten Kreuzung stehen dann aber Einsatzwägen und das wars für uns dann erstmal. Mein Gesicht brennt und wir sind eingekesselt. „Das war zwar ein entschlossener Move, hat sich aber nicht direkt gelohnt“, geht mir in dem Moment durch den Kopf. Unsere Bezugsgruppe wurde bei der Aktion getrennt. Erst nach einigen Minuten können wir zurück auf die Demoroute und zum Rest des Zugs aufschließen. Kurz darauf sind wir als Bezugsgruppe wieder vereint und stehen in der Viktor-Scheffel-Straße. Auch hier soll es für uns nicht weiter gehen, weil die AfD jetzt doch eine längere Route läuft, als gedacht, und ihre Abschlusskundgebung an der Thüringenhalle abhalten will. Vom Lautsprecherwagen wird gefragt, was der Scheiß soll. Schließlich sei die Demo noch für ein paar hundert Meter weiter angemeldet. Aber immerhin hat es der Block von Ende Gelände schon vorher auf die Demoroute der Höcke-Fans geschafft und eine Zeit lang erfolgreich blockiert. Bei der Räumung der Blockade wurden dabei unter anderem die Linkspartei-Politiker_innen Martin Schirdewan und Susanne Hennig abgeführt. Das Wetter ist inzwischen gut, die Sonne scheint warm. Für die Stimmung ist das gut. Die gereizte Haut kann sich allerdings nicht so richtig darüber freuen. Schließlich entschließen sich Teile der Demo für einen weiteren Durchbruchversuch in die Ossietzkystraße. Die Polizeikräfte flippen jetzt völlig aus, pfeffern erneut und verletzen mehrere Demonstrant_innen mit ihren Tonfas. Einer guten Freundin schwillt binnen Minuten die Hand und sie kann sie nicht mehr bewegen. Am Ende des Tages wird das Demobündnis die Zahl von 100 verletzten Demoteilnehmer_innen veröffentlichen. Diese Zahl schafft es, wie zu erwarten, nicht in die Zeitung, dreizehn (angeblich) verletzte Polizeikräfte werden aber zuverlässig erwähnt.

Die AfD hält schließlich ihre Abschlusskundgebung mit ein paar hundert Reaktionären mittleren Alters ab und auch wir laufen in einem Demozug zu unserer Abschlusskundgebung. Wir treffen noch ein paar Freund_innen aus Thüringen, die sich allesamt freuen, dass die Demo so groß war und überregional Leute nach Erfurt mobilisiert werden konnten. Erste Analysen werden diskutiert, warum Höcke nicht einmal 500 Leute auf die Straße bekommen hat. 2015 waren noch Tausende mit Höcke in Erfurt auf der Straße gewesen – über Wochen. Ist es der Flügelstreit in der AfD oder hat die Partei es einfach nicht mehr nötig zu demonstrieren, weil sie bereits überall in den Parlamenten sitzt? Einen Mobilisierungserfolg hatten die Rechten an diesem Tag jedenfalls bundesweit nicht.

...Revolutionärer 1. Mai in Berlin....

Leute verabschieden sich. Von den angereisten Aktivist_innen will niemand unnötig lange hier bleiben. Auch wir gehen noch etwas essen und dann zurück zum Auto. Auf der Rückfahrt verbraten wir unsere Datenkontingente für mobiles Internet und hören Musik via Youtube. Democratic Disco, Liedwünsche reihum: 80er-Punk, New Wave und sehr viel britische und französische Skinheadbands. Auf dem Rücksitz immer wieder Sekundenschlaf. Zeitlich könnten wir noch die 18:00 Uhr Demo in Friedrichshain schaffen, eins unserer Autos muss sowieso in diese Ecke.

Gegen 19:00 Uhr sind wir vor Ort, mehr interessiert als motiviert und definitiv im Feierabendmodus. Mit einen Sterni in der Hand laufen wir der Demo hinterher. Erst in der Rigaer Straße stoßen wir dazu. „Wow, ganz schön fett!“, denke ich mir. Sogar die Berliner Polizei spricht von 5000 Teilnehmer_innen, die Veranstalter_innen von 10000. Auch dieses Jahr läuft die Demo ohne Anmeldung. Schließlich will man nicht hinter erkämpfte Standards zurückfallen. Das und die Tatsache, dass fernab vom Kreuzberger Partyvolk so viele dabei sind, ist definitiv ein Erfolg. Die Demo läuft zügig und es werden immer wieder Parolen skandiert. Als auf den Dächern um die Rigaer 94 Feuerwerk abgebrannt wird und Flyer nach unten segeln, ist das wahrscheinlich einer der emotionalen Höhepunkte der Demo. Der Flyer, von denen mir einer direkt in die Arme segelt, ruft zum Besuch von Prozessen gegen Isa auf. Dem Bewohner der Rigaer 94 droht erneut Haft, weil er im Kontext des polizeilichen Überfalls auf das Mensch Meier Polizist_innen angegriffen haben soll. Clubbetreiber_innen und Augenzeug_innen schildern die Vorfälle jedoch gänzlich anders. Zur Erinnerung: Bei einer Soli-Veranstaltung für die Seebrücke eskalierte kürzlich eine angebliche Zollrazzia wegen vermeintlicher Schwarzarbeit. Am Bersarinplatz löst sich die Demo schließlich auf. Doch Tausende demonstrieren einfach bis vor den S-Bahnhof Warschauer Straße weiter. Dort spielen sich dann die üblichen, überflüssigen Szenen ab. Die Polizei durchmischt die Menge, rempelt Menschen an, die zunehmend angetrunken sind, macht Festnahmen. Aus der Zeitung erfahre ich am nächsten Tag, dass es 150 Festnahmen waren. So ein Polizeiaufgebot muss sich ja irgendwie rechtfertigen, wenn es schon nicht knallt.

....und der Ausklang in Kreuzberg

Ich habe mich bereits von allen verabschiedet und will hier schnell weg. Es ist 20:30 Uhr und jeden Augenblick beginnt das Konzert der Goldenen Zitronen im Festsaal Kreuzberg. „Ich habe ein Ticket in der Bauchtasche und bin verabredet, also nervt jetzt hier nicht rum!“, geht mir durch den Kopf. Aber die Polizei hat sowohl den Weg zu S- und U-Bahnhof Warschauer Straße dicht gemacht als auch sämtliche Straßen, die von der Warschauer abbiegen. Niedersächsische Bereitschaftspolizisten wollen mir erklären, dass „dort hinten ein friedliches Maifest“ stattfinde und sie niemanden, der von der Demo kommt, durchlassen können. „Dort hinten ist die Revaler Straße, in der ganz sicher kein Maifest oder Myfest stattfindet“, würde ich am liebsten widersprechen, aber egal. Auch bei anderen Straßen habe ich keinen Erfolg und es fällt mir zunehmend schwer mich in nicht strafrechtlich relevanter Weise mit den Einsatzkräften zu unterhalten. Für die Schimpfwörter und Gewaltphantasien, die mir in diesem Moment in den Sinn kommen, muss ich mich am nächsten Tag schämen.

Als ich endlich im Festsaal Kreuzberg ankomme, es ist ungefähr 21:30 Uhr, spielen die Zitronen „Das bisschen Totschlag“, das um den von Neonazis ermordeten Antifaschisten und Hausbesetzer Silvio Meier geht. Ich rieche inzwischen auch ziemlich nach Hausbesetzer. Aber der Stress hierher hat sich gelohnt. Es ist der erste Song des Konzerts. Puh, noch geschafft. Obwohl es total voll ist, treffe ich meine zweite Crew für diesen Tag binnen Sekunden. Das Konzert bringt mich emotional wieder nach vorne. „Ich liebe diese Band!“ Mit Synthesizer, Schlagzeug, Gitarre, Bass, Tambourin und Orgelsounds erzeugen die sechs Bandmitglieder einen Sound, der sich jeder Kategorisierung verbietet, dabei Punk bleibt und von anstrengend-schräg bis mitreißend-groovig alle Register zieht. Einen nicht unerheblichen Teil ihrer Fangemeinde verdanken die Goldis aber ihren Texten, die gekonnt den Katalog linksradikaler Themen bearbeiten, ohne ins stumpf Parolenhafte abzudriften. Davon gabs ja heute auch schon genug. Jetzt also nochmal den ganzen Tag popkulturell verarbeitet und ästhetisch gebrochen: Gentrification („Der Investor“), Migration („Wenn ich ein Turnschuh wär“) und Rechtsruck („Heimsuchung“). Zwischen Songs von eigentlich allen Alben seit 1994, immer wieder die Ansage: „Die Goldis sind hier. Es gibt keine Krise. Keine Angst.“ Und ja, zumindest mir retten sie damit den Tag. Ich glaube nicht, dass die Band groß junge Leute anpolitisiert, wie Feine Sahne Fischfilet, obwohl das sehr begrüßenswert wäre. Aber die Band kann als popkulturelles (Rand)Phänomen dabei helfen, die Radikalität im Alter nicht abzulegen. Das Publikum im Festsaal ist im Schnitt deutlich jenseits der 30 und steht politisch im Zweifel auf der richtigen Seite. Aber in Erfurt war wohl niemand davon. Immer diese Widersprüche......

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