Nach rechts buckeln, nach links treten
Am 13. Januar 2018 fand in Berlin die Podiumsveranstaltung „Solidarisch gegen Überwachung und Repression“ statt, die von den North East Antifascists Berlin und Strukturen der Antirepressionsarbeit organisiert wurde. Das Podium war breit aufgestellt: Aktivist_innen berichteten von massiven Repressionen gegenüber kurdischen Strukturen in Deutschland (Stichwort „Fahnen-Verbot“), über die Razzia und das Verfahren gegen die linke Medienplattform linksunten.indymedia.de, über neue Entwicklungen in der Datenerfassung der Repressionsbehörden (etwa Gesichtserkennung und Stille SMS) und nicht zuletzt über die umfassende Kriminalisierung von linken Aktivist_innen im Rahmen des G20-Protests. Als zentrale Gemeinsamkeit wurde deutlich, dass in allen Fällen Gesetzesänderungen und „Interpretationen“ bestehender Rechtslagen vorgenommen wurden, die neue Formen der staatlichen Repression ermöglichen – sei es die Anwendung des Vereinsrechts in Bezug auf lose Zusammenhänge ohne Vereinsstatut, der „Bullenschubserparagraph“ §114 StGB oder das Statthalterverfahren in den G20-Prozessen. Ein Aktivist der NEA machte in seinem Beitrag auf dem Podium deutlich, dass Antirepressionsarbeit nur gegen den Staat funktioniert, nicht mit ihm: Dem Säbelrasseln von rechts wird mit Repression nach links Rechnung getragen; um die herrschenden Zustände aufrecht zu erhalten werden politische Gegner_innen kriminalisiert, sanktioniert, kleingehalten und vereinzelt. Die Repressionsorgane schrecken dabei nicht davor zurück, rechtstaatliche Rahmungen auszuhebeln oder zu übertreten. Die radikale Linke muss sich dringend wieder verstärkt dem Thema Antirepressionsarbeit zuwenden, und zwar auch über ihre eigenen Kernthemen hinaus.
Eine Geschichte von Repression und Widerstand
Rondenbarg – der Name einer Straße in einem Industriegebiet im Nordwesten Hamburgs ist zu einem Synonym für Polizeigewalt geworden. Es ist der Ort, an dem in den Tagen des G20-Gipfels im Juli 2017 mindestens 14 Aktivist_innen aufgrund von Polizeigewalt schwer verletzt wurden. Rondenbarg ist ebenfalls eng verknüpft mit dem Fall des 19-jährigen Fabio aus Italien, der international Aufsehen erregte. Zusammen mit mehr als 70 anderen Personen wurde er festgenommen, als er sich um Verletzte des Polizeiangriffs kümmerte. Fast fünf Monate saß Fabio anschließend in Untersuchungshaft. Nur gegen ihn wurde bislang Anklage erhoben, gegen alle anderen laufen aber ebenfalls Verfahren. Fabio werden in der Anklage zwar diverse Delikte, darunter „versuchte schwere Körperverletzung“ und „tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte“ vorgeworfen, es fehlen für diese Anschuldigungen aber jegliche Beweise. In den bisher stattgefundenen Prozesstagen wurde deutlich: Es sind nicht individuelle Taten, um die es geht, sondern alleine das Mitlaufen mit der spontanen Demonstration soll dem jungen Aktivisten als Straftat ausgelegt werden.
Sein Fall ist – auch aufgrund der langen und intensiven Solidaritätsarbeit von unterschiedlichen Gruppen in Hamburg, deutschlandweit und international – allerdings im Moment dabei, den Bluthunden des Repressionsapparats eine Niederlage zu bescheren. Vor allem aber ist es die Standhaftigkeit des jungen italienischen Aktivisten selbst: „Ich bin hier, weil ich politisch bin“, sagt er. Fabio lässt sich im Prozess nicht darauf ein, sich zu den ihm vorgeworfenen Anschuldigungen zu äußern oder andere Beteiligte zu belasten. Er spricht von Armut in Norditalien und anderswo, von Grenzen und Kämpfen gegen kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse. Er spricht damit über seine legitimen Gründe, an genau jenem Morgen am Rondenbarg dabei gewesen zu sein, um gegen G20 zu protestieren. Und es wirkt. Im Verlauf des Prozesse fragte selbst das Öffentlich-Rechtliche irgendwann: „Ist man ein Straftäter, der ins Gefängnis gehört, wenn man die Überzeugung hat, dass nicht nur Putin, Erdogan und Xi Jinping, sondern auch die liberale Demokratie »bei der Lösung unserer Probleme« versagt? Das ist die Frage, um die es ab jetzt bei diesem Strafprozess geht. Für die Hamburger Justiz scheint das eine schwierige geistige Herausforderung zu sein.“ Die Strafverfolger vom Oberlandesgericht Hamburg sprachen zuvor von „Anlage- oder Erziehungsmängeln“ und „tiefsitzender Gewaltbereitschaft“ und ließen den 18-jährigen monatelang in U-Haft schmoren. Jetzt, Ende Januar 2018, wurde endlich auch der Haftbefehl gegen Fabio vom Amtsgericht Hamburg Altona aufgehoben – samt der strengen Auflagen, denen der Aktivist seit seiner Freilassung aus der U-Haft ausgesetzt war. Der Prozess geht aktuell zwar weiter (der kommende ist auf Dienstag, 13.2.18 angesetzt), kaum jemand rechnet allerdings nach aktuellen Entwicklungen des Prozesses mit der einstmals angedrohten „empfindlichen Haftstrafe“.
Eine Geschichte der Solidarität und des Widerstands, die aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass linke Strukturen im vergangenen Jahr einer exzessiven Überwachungs- und Repressionsorgie ausgesetzt waren. Zu beobachten ist eine breitangelegte Offensive der inneren Sicherheitsbehörden gegen Linke und marginalisierte Gruppen, die durch den Ruf nach autoritären Law & Order-Politiken von Rechts befeuert wird. Die Gewalt durch Polizei und Justiz – durch Abschiebungen, die Überwachung von linken Strukturen und das Verunmöglichen von Gegenmaßnahmen gegen diese Repression – wird auch weiterhin in unsere politischen und privaten Lebensbereiche eindringen. Höchste Zeit, sich dagegen solidarisch zur Wehr zu setzen.
Kriminalisierung um jeden Preis
Zurück nach Hamburg, früher Morgen des 7. Juli 2017. Die Szenen, die aus einem Einsatzwagen der Polizei gefilmt werden, sind erbarmungslos: Mit brachialer Härte und mindestens drei Wasserwerfern gehen die polizeilichen Einsatzkommandos gegen ein kleines Grüppchen Aktivist_innen vor, das gemeinsam mit einem Transparent um eine Ecke der Straße Rondenbarg kommt. Dutzende werden zu Boden geknüppelt. Während die Kamera umherschwenkt, sieht man Menschen am Boden liegen, die Polizeikräfte in Kampfmontur stehen ungestört daneben. Ein „Oh Scheiße!“ entfährt schließlich dem zuvor eher abgeklärt klingenden Kameramann: Am Ort des Angriffs der Polizeitruppen werden einige der Aktivist_innen in Panik eine Absperrung hinuntergedrängt, eine Person bleibt mit offenem Bruch am Bein liegen. Später werden die Einsatzleiter jede einzelne Handlung ihrer Polizeikommandos rechtfertigen, allen voran der Hamburger SPD-Oberbürgermeister Olaf „Polizeigewalt hat es nicht gegeben“ Scholz und der G20-Einsatzleiter Hartmut Dudde, der in der Vergangenheit immer wieder mit Brüchen des bürgerlichen Rechts Gewalt gegen linke Demonstrierende forcierte.
Die Hardliner mit ihrem „Statthalterverfahren“– dem Konstrukt einer Kollektivschuld als Gruppe – läuten in den folgenden Monaten einen Paradigmenwechsel ein. Möglich ist dies durch eine Interpretation der rechtlichen Ausgangslage – statt von der Unschuldsvermutung wird von einer „Mitläuferschuld“ ausgegangen. Bei Fußballspielen an Hooligans „ausgetestet“, wird diese Strategie nun dazu genutzt, alle Personen einer Gruppe (etwa eines Demonstrationszugs) pauschal zu kriminalisieren. Neben den Betroffenen des Rondenbarg-Angriffs wurden auch die über 70.000 Teilnehmenden der „G20 Not Welcome!“-Demonstration am 8. Juli zu einer „gewalttätigen Versammlung“ erklärt. Jeglicher Protest gegen das G20-Treffen wurde damit stigmatisiert und delegitimiert. Bei den bisherigen G20- Prozessen wird diese Dämonisierung der Angeklagten auf die Spitze getrieben. Die ersten Schauprozesse mit hohen Haftstrafen wurden schon über die Bühne gebracht, um anderen Angeklagten zu zeigen, was sie zu erwarten haben. Beflügelt wird die Strategie durch eine durchgängige mediale und politisch gestützte Kriminalisierung von allen beteiligten Protestierenden.
Der Kriminalisierungsversuch wird zudem mit massiver Öffentlichkeitsfahndung fortgesetzt: Die Sonderkommission „Schwarzer Block“ der Polizei veröffentlichte im Herbst über hundert Fotos von Personen, die sie als „Straftäter_innen“ brandmarkte. Öffentlichkeitsfahndung ist ein Angriff auf die Grundrechte der betroffenen Personen, insbesondere, wenn diese auch medial im Internet ungeheure Verbreitung findet und nicht mehr rückgängig zu machen ist. Ein Ausdruck davon ist die Übernahme der Fahndungsbilder durch die Bild-Zeitung, die damit gleichzeitig noch sexistische und Nazi-relativierende Propaganda betrieb. So berichtete sie über die G20-Fahndungsfotos und bezeichnet eine Frau als „Krawall-Barbie“: Selten habe „der Hass so ein schönes Antlitz wie bei manchen G20-Chaoten“, attestiert irgendein geifernder Reporter den öffentlich gemachten Aktivist_innen. Sie seien aber, so Bild weiter: „potenziell so abscheulich wie ein Neo-Nazi mit Glatze und Bomber-Jacke“.
Militarisierung und Normalisierung
Während der gesamten G20-Phase erprobte der Polizeiapparat das Konzept des temporären Ausnahmezustands. Bereits im Vorfeld der konkreten Proteste wurden hierzu Vorbereitungen getroffen: Aufrüstung der Polizei, Demoverbote, Hetze gegen Demonstrierende, willkürliche Kontrollen und Platzverweise usw. Während der G20-Tage selbst setzten die Polizeikräfte diese Taktiken umfassend ein: Menschen wurden außergesetzlich über lange Zeit festgehalten, durften sich nicht frei bewegen und waren Angriffen einer militaristisch hochgerüsteten Spezialarmee im Innern ausgesetzt. Neben Sondereinsatzkommandos aus Deutschland wurden dabei auch Spezialeinheiten aus anderen europäischen Ländern, etwa Elite-Riot-Cops aus Österreich eingesetzt, um mit ihrem martialischen Auftreten, Scharfschützen, Sturmgewehren und allerlei High-Tech die Mär eines bürgerkriegsartigen Zustandes in der Hansestadt zu unterfüttern. Die Strategie ist zwar nicht neu, der G20-Einsatz könnte sich aber dennoch als Wendepunkt der Militarisierung von Protest Policing entwickeln. Seither findet nämlich eine zunehmende Normalisierung der erprobten militarisierten Polizeiarbeit aus dem Hamburger Versuchslaboratorium statt: Im sächsischen Wurzen beispielsweise wurde zwei Monate später bei einer Antifa-Demo erneut ein SEK-Kommando (teils mit faschistischen Aufnähern) eingesetzt. Begründung war die Sicherheit der Bevölkerung.
Die zunehmende Militarisierung, die neuen Gesetzeslagen, die Panikmache der Bevölkerung und das konstante Abarbeiten am Feindbild der Linken dienen dazu, die G20-Gewalt der Polizei, aber auch andere Repressionsvorfälle gegenüber linken Strukturen und Personen zu rechtfertigen. Entlarvend ehrlich wird die aktuelle Strategie vom Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Joachim Lenders erklärt. In einem Interview, in dem er den reaktionären G20- Einsatzleiter Hartmut Dudde verteidigt, klingt das so: „Aus dem linken Spektrum wird Dudde vorgeworfen, dass Verwaltungsgerichte mehrere von ihm getroffene Entscheidungen als rechtswidrig oder unverhältnismäßig korrigierten. Selbst unterstellt, dass dies stimmen sollte, was soll es bedeuten? Soll es dazu führen, dass Polizeiführer keine Entscheidungen mehr treffen oder solange diskutiert wird, bis sich die Situation von selbst erledigt? Dudde ist auch ein Synonym für Menschen, die Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen. Zauderer, Beschwichtiger und Wegducker haben wir genug.“
Die reaktionären Law & Order-Fanboys in Deutschland können sich freuen, denn die AfD hat sich, wie es sich einer autoritär-rechten Partei geziemt, explizit die Aufrüstung und Stärkung der Polizeiapparate auf die Fahne geschrieben. Aber auch die Parteikolleg_innen von CSU, CDU, FDP, Grünen und SPD – bis hin zu einigen Personen in der Linkspartei – stehen eilfertig bereit, um staatliche Gewalt in Richtung linker Strukturen und gegenüber Minderheiten zu rechtfertigen, während andernorts unbehelligt (organisierte) Rechte brandstiften, angreifen und morden können.
Und jetzt?
Die G20-Öffentlichkeitsfahndung wird inzwischen als Erfolg
gefeiert: Dank eifriger Bildleser_innen und anderer besorgter Bürger_innen habe
die Polizei zwischenzeitlich schon 20 mutmaßliche Personen für weitere
repressive Bearbeitung ausmachen können. Das seien viel mehr als sonst üblich,
brüstet sich die Polizei Hamburg. Allerdings hat sie dafür nur „eigene
Erfahrungswerte“ als
Referenz, keine Statistik oder sonstige Fakten. Das Bloßstellen und wilde
Kriminalisieren von Menschen wird also mit einem Gefühl gerechtfertigt, dass es
„echt voll was bringt“. Vor allem bringt es der Polizei aber eine
Normalisierung von rechtlich zweifelhaften Fahndungsmethoden. Zweifel an diesen Methoden und auch an der Neutralität der Kolleg_innen oder möglicher
Denunziant_innen gibt es nicht. Wir denken an Themar,
an zahllose andere Begebenheiten, an denen Polizist_innen ihre rechte Gesinnung
und ihren Hass auf Linke deutlich zur Schau trugen oder gar als organisierte Nazis aufflogen. Ein
Schelm, wer Böses denkt – und gefährlich, wer es nicht tut. Cathleen Martin,
Vorsitzende der deutschen Polizeigewerkschaft Sachsen, zeigt im MDR die Richtung
auf, in die es geht: „Klarer Appell an die Politik: Unterstützt die
Polizei, verkürzt die Fristen (gemeint sind die rechtlichen Hürden für die
öffentliche Fahndung, Anm. Red.) und vertraut uns einfach, dass wir tatsächlich
nur den Täter an die Presse bringen und nicht einen Unverdächtigen!“ Dass wir
gegen diese immer neuen Dimensionen der Repression mit aller Kraft vorgehen
müssen, versteht sich von selbst. Jetzt erst recht!
Sie werden uns nicht klein kriegen. Die Solidarität mit den durch Repression besonders bedrohten Menschen ist unsere Antwort für 2018. In Berlin organisieren sich daher Antirep-Gruppen in dem Bündnis „Politisch aktiv 2018“. Aus 2017 zu lernen heißt, weiterhin gemeinsam und solidarisch gegen Einschüchterung und Kriminalisierung zu kämpfen: Gemeinsame Kämpfe mit von Abschiebung Bedrohten, mit den kurdischen Genoss_innen, die gegen den verlängerten Arm der Türkei in Deutschland kämpfen und weiterhin mit all denjenigen, die aktuell in den Knästen und den Gerichtssälen der Bundesrepublik ihre Zeit absitzen müssen. Oder um es in den Worten des G20-Einsatzleiters Hartmut Dudde zu sagen: „Wenn Berliner Autonome eine Party für Repressionskosten feiern, gibt es Solicocktails und Sektempfang“. Das scheint zumindest in Berlin Quintessenz von dem zu sein, was Dudde uns Linken zu sagen hat. Also lasst die Korken knallen! Wir feiern Fabio und alle Genoss_innen, die sich nicht kampflos ergeben.