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Ein Gespenst geht um in Graz. Das Gespenst des Kommunismus?

Graz Sonne.jpg Bernd Thaller

Groß war die Aufregung im September 2021, als in Graz der Kommunistischen Partei Österreich (KPÖ) das gelang, wovon viele westliche Kommunistische Parteien insbesondere seit dem Zerfall der Sowjetunion weit entfernt sind: Bei den Gemeinderatswahlen holte die Partei unter dem Vorsitz von Stadträtin Elke Kahr mit knapp 29 Prozent das beste Wahlergebnis und führt seitdem die Regierungskoalition. „Graz wird kommunistisch“ titelte daher die Süddeutsche Zeitung. Aber stimmt das?

Sichert sich eine Kommunistische Partei innerhalb der parlamentarischen Institutionen den Wahlsieg, so liegt aus Perspektive einer revolutionären Linken die Frage nach dem „Wie“ des Aufstiegs der Partei nahe. Hat sich die Partei im Laufe der Zeit einer sozialdemokratischen Linie angepasst, um damit eine gemäßigte Wähler*innenklientel an sich zu binden oder hat sie mit einer klaren klassenpolitischen Praxis überzeugt?

Der Wahlsieg kommt jedenfalls nicht von ungefähr. In der mit 300.000 Einwohner*innen zweitgrößten Stadt Österreichs, die in den letzten Amtszeiten konservativ regiert wurde, ist die KPÖ seit Jahren eine wichtige politische Größe, die sich den sozialen Anliegen der Grazer*innen widmet. Die taz bezeichnet das als „bodenständige Sozialpolitik“, während das Jacobin-Magazin darin ein „unerschütterliche[s] Bekenntnis zur Klassenpolitik“ sieht, worin sich eine deutliche Diskrepanz in der Beurteilung der politischen Praxis der KPÖ auftut. Was aber sind überhaupt Charakteristika von sozialistischen bzw. kommunistischen Parteien? Dieser Artikel analysiert diese Frage hinsichtlich der KPÖ Graz. Er arbeitet – unter anderem mit Rückgriff auf das Luxemburg’sche Konzept der revolutionären Realpolitik – heraus, ob die Arbeit der KPÖ eine Blaupause für andere Parteiprogramme sein kann.

Grundlage dafür bilden die wichtigsten politischen Aktionen der KPÖ der letzten Jahre. Eine umfassende Analyse der politischen Gesamtpraxis kann dieser Artikel nicht leisten – sie würde schlicht den Rahmen sprengen. Gleichwohl kann der Artikel aber zur Debatte um die sozialistische Ausrichtung linker Parteien anregen.

Von der Kleinstpartei zur Repräsentantin der Vielen

Die KPÖ wurde 1918 gegründet und war von 1945 bis 1959 im Österreichischen Nationalrat vertreten. Nach dieser Zeit spielte sie auf Bundesebene nur noch eine randständige Rolle und galt „als Zufluchtsort für weltanschaulich überzeugte Intellektuelle und Aktivistinnen“, wie es im erwähnten Jacobin-Artikel heißt. Schon damals bildete die Grazer KPÖ eine Ausnahme. Sie war seit 1945 ständig im Gemeinderat vertreten, wobei sie 1983, in einer Zeit der sich intensivierenden Spannungen zwischen dem kapitalistischen Westen und der Sowjetunion und des vehement propagierten Antikommunismus, ihr schlechtestes Wahlergebnis einfuhr und lediglich ein Mandat im Stadtparlament verteidigte. In den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten konnte sie jedoch wieder kontinuierlich Stimmenzugewinne verbuchen.

Während die KPÖ vor 1990 insgesamt eine klassisch marxistisch-leninistische Linie vertrat, versuchte sich die Partei auf Bundesebene nach dem Ende der Sowjetunion an einer Modernisierungsstrategie. Im Zuge dessen wollte sie nicht länger als ML-Partei gelten und ließ die bisher ablehnende Haltung zur EU hinter sich, deren Bestrebungen des europaweiten neoliberalen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft sie zuvor noch kritisierte. Der Plan, durch diese Anbiederung an liberal-bürgerliche Prinzipien gemäßigtere Wähler*innen für sich zu gewinnen, ging nicht auf.

In der Steiermark, zu der auch die Stadt Graz gehört, wollte man nicht mit der Bundespartei über die Planke springen und stattdessen an kommunistischen Prinzipien festhalten. Und das mit Erfolg: Seit 2005 ist die steirische KPÖ permanent im Landesparlament vertreten und in Graz führt sie nun die Stadtregierung. Dort hatte sich die Partei mit Beginn der 1990er Jahre verstärkt dem drängenden Wohnungsthema gewidmet. Die Situation auf dem Grazer Wohnungsmarkt war damals fatal: Menschen mit kleinen Einkommen hatten aufgrund hoher Mietpreise kaum eine Chance, eine Wohnung zu bekommen. Fanden sie doch eine, mussten sie oft 50-60 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen – und das selbst in Genossenschaftswohnungen. Wohnungseigentümer*innen versuchten Bestandsmieter*innen mit allerlei dubiosen Methoden aus den Wohnungen zu drängen, um sie teurer neuvermieten zu können.

Hier setzte die KPÖ an. Sie richtete eine Mieter*innenberatung und einen Rechtshilfefonds ein, den die Gemeinderatsmitglieder aus Teilen ihrer Gehälter speisten, um den Betroffenen Rückhalt zu bieten und sie dazu anzuhalten, sich gegen Immobilieneigentümer*innen und Spekulant*innen zu wehren. 1998 gewann die KPÖ mit dieser Politik zum ersten Mal einen Sitz im Stadtsenat - eine ungewohnte Rolle für eine Partei, von der der ehemalige Vorsitzende Ernest Kaltenegger sagt, sie verstünde sich als „Opposition zu einem System, das Menschen letztendlich wirklich nicht gut behandelt“. Naheliegenderweise erhielt die Partei das Wohnungsressort und konnte ihre soziale Wohnungspolitik fortsetzen.

Als der vorherige Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) der KPÖ das Wohnungsressort entzog und es Mario Eustacchio von der neofaschistischen FPÖ übertrug, nützte das der KPÖ mehr als es ihr schadete. Eustacchio setzte in üblicher neoliberaler Manier auf das Anlocken privater Immobilieninvestor*innen statt auf sozial verträgliche Wohnungspolitik. Hierfür wurde das extrem rechte Regierungsbündnis bei den Wahlen 2021 schließlich von den Wähler*innen abgestraft.

Die Symbiose von Reform und Revolution

Rosa Luxemburg hat über mehrere ihrer Werke hinweg das Konzept der Revolutionären Realpolitik entwickelt. Die Streitschrift „Sozialreform oder Revolution“ von 1899, in der sie gegen den Reformismus ihres Parteigenossen Eduard Bernstein argumentiert, ist dabei sicher das Zentralste. Im Kern will Luxemburg mit diesem Konzept die parlamentarische Arbeit mit der revolutionären Tat der Massen verbinden und formuliert damit die Bedingungen, an denen sich die politische Praxis sozialistischer und kommunistischer Parteien messen lassen kann. Sie zeichnet damit die notwendigen Richtlinien sozialistischer Politik vor und eben durch diesen praktischen Bezug lässt sich die Revolutionäre Realpolitik sowohl als Schablone als auch als Analyseinstrument politischer Tätigkeit anwenden. Es bildet den theoretischen Rahmen für die Beurteilung der politischen Tätigkeit, denn die „Frage von der Sozialreform und der Revolution, vom Endziel und der Bewegung ist von anderer Seite die Frage vom kleinbürgerlichen oder proletarischen Charakter der Arbeiterbewegung“ (Luxemburg 2019: 10). Freilich ist das Konzept aber auch über einhundert Jahre alt und muss auf unsere heutige politische Situation übertragen und durch unsere Erfahrungen angereichert werden.

Charakteristikum 1: „Für die Sozialdemokratie besteht zwischen der Sozialreform und der sozialen Revolution ein unzertrennlicher Zusammenhang, indem ihr der Kampf um die Sozialreform das Mittel, die soziale Umwälzung aber der Zweck ist“ (ebd.: 9).

Luxemburg sprach sich dafür aus, dass sozialistische Parteien das Parlament als Bühne und als Plattform des kleinschrittigen Fortschritts innerhalb des Kampfes um eine neue Ordnung nutzen. Reformbestrebungen seien „der alltägliche praktische Kampf […], um die Besserung der Lage des arbeitenden Volkes noch auf dem Boden des Bestehenden“ (ebd.) zu erreichen. Sie unterstrich damit den grundlegend humanistischen Charakter ihrer Ideen: anstatt das Elend der Massen zu instrumentalisieren, galt es, auch noch so kleine Kämpfe um die Verbesserung der Lebensbedingungen zu führen und Reformen durchzusetzen, die den Arbeiter*innen unmittelbar zugutekamen. Reformen können demnach einen durchaus revolutionären Charakter haben, indem sie revolutionäre Entwicklungen vorbereiten.

Dabei wollte Luxemburg das Konzept der Revolutionären Realpolitik klar abgegrenzt wissen vom Reformismus Eduard Bernsteins, der sich für eine Verbesserung der Lage der Arbeiter*innen allein innerhalb des bestehenden kapitalistischen Systems aussprach, um damit die „Sozialreform aus einem Mittel des Klassenkampfs zu seinem Zweck zu machen“ (ebd.). Die Mittel-Zweck-Beziehung ist für Rosa Luxemburgs Überlegungen zentral.

Als erstes Charakteristikum revolutionärer Politik müssen Reformen eine klare strategische Ausrichtung haben und das Potenzial mitbringen, zum Sozialismus zu führen: „Nur das Endziel ist es, welches den Geist und den Inhalt unseres sozialistischen Kampfes ausmacht, ihn zum Klassenkampf macht. Und zwar müssen wir unter Endziel nicht verstehen, wie Heine gesagt hat, diese oder jene Vorstellung vom Zukunftsstaat, sondern das, was einer Zukunftsgesellschaft vorangehen muß, nämlich die Eroberung der politischen Macht“ (Luxemburg 1898). Eine sozialistische Reform muss sich also daran messen lassen, ob sie neben dem Nah- auch das Fernziel beinhaltet.

Charakteristikum 2: „Der bezeichnete Gang der Dinge ist es, dessen Gegenstück der Aufschwung des politischen und sozialistischen Klassenkampfes sein muss“ (Luxemburg 2019: 28).

Das zweite Charakteristikum revolutionärer Parteipolitik im Parlamentarismus ist, dass Reformen über die bestehende Ordnung hinausweisen müssen. Auf Eduard Bernsteins Frage, ob in einem Fabrikgesetz zur Begrenzung der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeiter*innen „viel oder wenig Sozialismus“ stecke, antwortet Rosa Luxemburg, dass „in dem allerbesten Fabrikgesetz genau so viel Sozialismus steckt wie in den Magistratsbestimmungen über die Straßenreinigung und das Anzünden der Gaslaternen, was ja auch ‚gesellschaftliche Kontrolle‘ ist“ (ebd.: 32). Reformen müssen ein sozialistisches Moment enthalten, weil sie ansonsten nur innerhalb der kapitalistischen Ordnung verbleiben und damit letztlich Kapitalinteressen dienen, indem sie ihre inneren Widersprüche verschleiern und weniger erfahrbar machen.

Mit einem „sozialistischen Moment“ ist in erster Linie die Kollektivierung der Produktion gemeint. Ausgehend von der materialistischen Gesellschaftsanalyse basiert die soziale Ordnung stets auf der Organisation des Produktionsprozesses und der klassenspezifischen Verteilung der Produktionsmittel. Eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse lässt sich somit nur erreichen, wenn die materiellen Verhältnisse an der Wurzel gepackt und umgewälzt werden. Nach Rosa Luxemburg ebne den Weg zum Sozialismus zweierlei: „die wachsende Anarchie der kapitalistischen Wirtschaft, die ihren Untergang zum unvermeidlichen Ergebnis macht, zweitens […] die fortschreitende Vergesellschaftung des Produktionsprozesses“ (ebd.: 12). Somit haben politische Aktionen und Reformen stets dann einen revolutionären Charakter, wenn sie letztlich auf eine Neuorganisierung der Produktion abzielen und die institutionellen Rahmenbedingungen des sozialistischen Kampfes zu verändern bestrebt sind.

Charakteristikum 3: „Die sozialistische Umwälzung setzt einen langen und hartnäckigen Kampf voraus, wobei das Proletariat allem Anscheine nach mehr als einmal zurückgeworfen wird […].“

Eine sozialistische Revolution aus der Kalten kann es nicht geben. Neben der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus und der Vergesellschaftung der Produktionsmittel muss „die wachsende Organisation und Klassenerkenntnis des Proletariats, das den aktiven Faktor der bevorstehenden Umwälzung bildet“ (ebd.) hinzukommen. Durch Bildung und Organisierung sollen die Menschen für die Revolution bereit gemacht werden, wobei mit Bildung in erster Linie ein Lernen im Zuge sozialer Kämpfe gemeint ist – ein Lernen mit dem und durch den Kampf. Dazu können die gewählten Repräsentant*innen der Arbeiterschaft durchaus einen Beitrag leisten: „Sie müssen fortwährend auf der Suche sein, die Widersprüche in der Wirklichkeit für Eingriffe zu nutzen, die das Volk, die Massen handlungsfähiger machen. Ziel sollte sein, eine Politik von oben zu machen, die eine von unten befördert. Dafür sollten sie das Parlament als Bühne nutzen“ (Haug 2009: 21).

Das dritte Charakteristikum sozialistischer Politik ist somit die Vorbereitung der lohnabhängigen Klasse auf die bevorstehende soziale Umwälzung durch eine Ausweitung ihrer Handlungsfähigkeit auf Basis von parlamentarischer Tätigkeit, Organisierung und Bildung. Das läuft auf eine Strategie des kontinuierlichen Kampfes hinaus. Luxemburg war überzeugt, dass die Revolution nur möglich ist, „indem das Proletariat erst im Laufe jener Krisen, die seine Machtergreifung begleiten wird […], erst im Feuer langer und hartnäckiger Kämpfe, den erforderlichen Grad der politischen Reife erreichen kann, der es zur endgültigen großen Umwälzung befähigen wird“ (Luxemburg 2019: 74).

Die so herausgearbeiteten Aspekte strategische Ausrichtung zum Fernziel Sozialismus, ein über die bestehende Ordnung hinausweisendes Moment und die Vorbereitung der lohnabhängigen Klasse bilden die Prinzipien sozialistischer Parteiarbeit. „Eine soziale Umwälzung und eine gesetzliche Reform sind nicht durch die Zeitdauer, sondern durch das Wesen verschiedene Momente“ (ebd.: 67). In der folgenden Analyse wird geklärt, wie nah die KPÖ Graz diesen Prinzipien steht, ob sie also ihrem Wesen nach sozialistisch ist, und wie ihre Praxis somit aus einer revolutionären Perspektive zu beurteilen ist.

Das Fernziel stets im Blick?

Die KPÖ Graz hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit einigen besonders hervorzuhebenden politischen Aktionen, Interventionen und Strategieelementen von sich reden gemacht und die Sympathien der Bevölkerung gewonnen, die den Gegenstand dieser Analyse bilden werden. Seit ihrer Neuorientierung Anfang der 90er-Jahre hat sich die KPÖ konsequent der Bekämpfung der Wohnungsnot verschrieben. Und so ist es kaum verwunderlich, dass ihre wichtigsten politischen Impulse sich um diese Problematik drehen.

Gehaltsspenden und Offenlegung der Konten

Die Mandatar:innen der KPÖ spenden zwei Drittel ihres Gehalts für einen Sozialfonds und behalten für sich selbst lediglich ein gutes Facharbeiter*innengehalt. Das war in der Vergangenheit einerseits strategisch sinnvoll, als die Partei in der Stadt noch am Aufstreben war, um finanzielle Ressourcen für eigene politische Initiativen und Akzente zur Verfügung zu haben. Andererseits kann darin der Versuch gesehen werden, den Lohnabhängigen trotz Mandatsgewinnen nicht als herrschende (Politiker*innen-) Klasse gegenüberzutreten, sondern mit ihnen gemein zu bleiben und zu signalisieren, dass man immer noch Teil einer gemeinsamen Klasse ist. Dieses Vorgehen widerspricht der gängigen Parteipraxis in parlamentarischen Demokratien und kann durchaus als Ansatz verstanden werden, über das bestehende System hinauszuweisen. Ähnlich lässt sich der „Tag der offenen Konten“ der KPÖ Graz einordnen, bei dem die Partei per Rechnungsoffenlegung Transparenz bezüglich der Verwendung von Parteigeldern schafft.

Mit den Gehaltsspenden finanzierte die KPÖ einen Rechtshilfefonds für Mieter*innen. Als sich im Zuge der Wohnungskrise immer mehr Immobilieneigentümer*innen unverfrorener Methoden bedienten, um Bewohner*innen aus den Häusern zu drängen und teuer neuvermieten zu können, richtete die KPÖ eine Mietrechtsberatung ein und sicherte den Ratsuchenden finanzielle Unterstützung aus dem Fonds für den Rechtsstreit mit den Vermieter*innen zu. „Wir sind ein Hilfsinstrument für den Kampf der Bevölkerung um ihr Recht“ postulierte der ehemalige Parteivorsitzende Ernest Kaltenegger in dem Youtube-Format Auf Augenhöhe. Diese Haltung entspricht damit dem, was das Konzept der Revolutionären Realpolitik als Aufgabe sozialistischer Parlamentsabgeordneter erachtet, nämlich eine Politik von unten zu unterstützen. Durch den finanziellen Rückhalt für Mieter*innen, die sich mit den Kapitalist*innen anlegten, wurde die Handlungsfähigkeit der Ersteren erweitert und es fand eine Machtverschiebung hin zu den Lohnabhängigen statt. Indem die Partei klar machte, dass es einen klaren Klassengegensatz zwischen Immobilieneigentümer*innen und Mieter*innen gibt, schärften sie außerdem das Klassenbewusstsein in der Bevölkerung, was für die Vorbereitung einer sozialistischen Umwälzung zentral ist.

Zugleich muss konstatiert werden, dass diese politische Maßnahme die dem Problem zugrundliegenden Eigentumsverhältnisse völlig unberührt lässt und die Kritik an den Klassenverhältnissen eher implizit ist. Eine strategische Ausrichtung zum Fernziel Sozialismus lässt sich hier schwerlich erkennen

Volksbefragung zum Verkauf von Gemeindewohnungen

Im Jahr 2004 plante die Grazer Rathausmehrheit aus ÖVP, SPÖ und FPÖ den Verkauf von Gemeindewohnungen, wogegen die KPÖ eine „Initiative nach dem Volksrechtegesetz“ organisierte. Bei dem Referendum stimmten über 13.000 Grazer*innen ab und eine überwältigende Mehrheit sprach sich gegen den Verkauf aus. Dadurch konnte genug Druck auf die amtierende Stadtregierung erzeugt werden und die Wohnungen verblieben in Gemeineigentum – eine äußerst weitsichtige Aktion, bedenkt man, mit welchen Schwierigkeiten sich Städte wie Berlin, die große Teile des städtischen Wohneigentums in der Vergangenheit verkauften, derzeit bezüglich der Wohnungsfrage konfrontiert sehen.
Doch nicht nur aus rein pragmatischen Gründen ist der Verbleib der Wohnungen in kommunalem Eigentum zu begrüßen. Die KPÖ verhinderte dadurch auch, dass Wohnraum und Wohnen der kapitalistischen Verwertung preisgegeben werden und stellte damit den Vorrang des Privateigentums in Frage. Das Fernziel Sozialismus ist darin erkennbar, ebenso wie ein über die bestehende, auf dem Privateigentum gegründete, Ordnung hinausweisendes Moment.

Eingewandt werden kann hingegen, dass durch die Abwendung des Verkaufs lediglich der ohnehin vorhandene Zustand konserviert wurde. Erreicht wurde damit lediglich eine Abschwächung der sich zuspitzenden kapitalistischen Widersprüche, womit die KPÖ hier im von Luxemburg scharf kritisierten Reformismus verbleibt.

Was aber ebenfalls nicht unerwähnt bleiben darf ist, dass sich die lohnabhängige Klasse ihrer eigenen Wirkmächtigkeit bewusst werden konnte. Die Volksbefragung kann als Teil ihres Kampfes um würdige Lebensbedingungen und als Organisations- und Mobilisierungsmaßnahme betrachtet werden. Ernest Kaltenegger betont daher, dass dies „ein wichtiger Politikgrundsatz“ gewesen sei. Im Gespräch bei Auf Augenhöhe fährt er fort: „Wenn man Politik machen will, darf sich das nicht alles nur in den Parlamenten abspielen. Also man muss rausgehen mit dem Anliegen. Wenn sich das nur in einer Partei, einem Gemeinderat oder einem Landtag abspielt, dann hat das nur sehr eingeschränkte Wirkung“.

Belastungsobergrenze für Mieten

Eines der wohl bedeutendsten Mittel im Kampf um eine soziale Lösung der Wohnungsfrage ist die sogenannte Belastungsobergrenze für Mieter*innen. Diese setzte die KPÖ ebenfalls gegen den Widerstand der Stadtregierung mithilfe einer „Initiative nach dem Volksrechtegesetz“ durch. 20.000 Unterschriften konnten gesammelt werden, woraufhin der Beschluss zur Obergrenze doch noch im Rat gefasst wurde. Die Belastungsobergrenze sah vor, dass die Mietkosten in Kommunalwohnungen ein Drittel des Haushaltseinkommen nicht überschreiten durften. Lag die Miete über dieser Grenze, wurde der Betrag, um den sie überschritten wurde, von der Stadt übernommen.

Die Maßnahme erweiterte die Handlungsfähigkeit der Lohnabhängigen insofern, als sie freiere Lebensentwürfe durch soziale Sicherung ermöglicht. Die Betroffenen sind somit zum Beispiel nicht mehr gezwungen, jeden Job anzunehmen, nur um die horrende Miete zu bezahlen. Dadurch wird die Abhängigkeit der besitzlosen von der besitzenden Klasse relativiert und darin hat der Beschluss ein über die kapitalistische Ordnung hinausweisendes Moment.

Wiederum stellt die Maßnahme aber nicht das Privateigentum infrage. Statt Mieten wirksam und in der Breite zu kappen und das Recht auf Wohnen zu stärken, werden überzählige Beträge vom Staat gezahlt und das auch nur für Kommunalwohnungen, wodurch nichts am ausbeuterischen Profit der privaten Immobilieneigentümer*innen geändert wird. Insofern ändert sich nichts an der Marktmacht der Eigentümer*innen und ihrer Freiheit zum Mietwucher.

Bildungsverein der KPÖ

Der Bildungsverein der KPÖ Steiermark wurde 2005 gegründet und organisiert seitdem Seminare für Partei-Funktionär*innen und Aktivist*innen sowie politische und kulturelle Veranstaltungen für eine breitere Öffentlichkeit. Inzwischen verwaltet er auch den Kulturbetrieb des Grazer Volkshauses. Der Verein ermöglicht damit politische Bildungsarbeit in der Arbeiter*innenschaft und unter Lohnabhängigen, bietet Raum für die Organisierung und die Herausbildung einer kritischen Öffentlichkeit. Auch für Rosa Luxemburg war Bildungsarbeit ein bedeutender Teil der politischen Basisarbeit, lehrte sie doch über Jahre hinweg an einer Parteischule der SPD Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie.

Dennoch ist eine solche Form der Wissensweitergabe und -herausbildung nicht ganz die von Luxemburg im Konzept der Revolutionären Realpolitik intendierte. Ihr ging es vielmehr um ein Lernen im und durch den Kampf, ein Lernen aus Rückschlägen, nach denen man sich immer wieder neu sammelt, um mit größerer Stärke erneut gegen das krankende kapitalistische System anzugehen. Sie wollte nie auf einer abstrakten Theorieebene verbleiben, sondern das Wissen gezielt im praktischen Kampf um den Sozialismus einsetzen. Ein solcher Ansatz lässt sich zwar in der Organisation von Seminaren für politisch Aktive durchaus ausmachen. Entscheidend ist am Ende aber, ob die Lohnabhängigen ein solches Wissen auch außerhalb der Lehrräume einsetzen, um für den Sozialismus zu streiten. Und obwohl der Wahlerfolg der KPÖ durchaus auch der Bildungsarbeit geschuldet sein kann, bleibt er dennoch auf der parlamentarischen Ebene und übersetzt sich nicht in eine außerparlamentarische sozialistische Bewegung.

Zwischen den Stühlen

Wie die Analyse zeigen konnte, lässt sich bei der KPÖ in all ihren wichtigen politischen Aktionen und Initiativen die sozialistische Linie ebenso erkennen wie der Versuch, den Kapitalismus auszuhöhlen und das Primat des Privateigentums in Frage zu stellen. Dadurch kann schließlich eine menschenwürdigere Organisation der Wirtschaft vorbereitet werden. Was aber folgt nun aus dieser Erkenntnis? In erster Linie wirft sie die Frage auf, ob andere sozialistische und kommunistische Parteien von der KPÖ lernen können. Eine Antwort darauf zu finden hat zum Beispiel durch das desaströse Wahlergebnis von der Partei Die Linke bei der letzten Bundestagswahl in Deutschland gewisse Relevanz. Es lässt sich schnell einsehen, dass eine unmittelbare Übertragung der politischen Praxis der KPÖ Graz als einer Lokal-Partei mit engem regionalem Bezug und Wirkungsradius auf bundesweite Zusammenschlüsse nur bedingt möglich ist. Dennoch erlauben die Ergebnisse der politischen Analyse die Schlussfolgerung auf einige politische Implikationen für andere Parteien.

Die KPÖ hat die existenziellen Ängste der Lohnabhängigen und Eigentumslosen in einer Zeit der sich verschärfenden Klassengegensätze ernst genommen und konkrete Schritte zu ihrer sozialen Absicherung unternommen. Dabei hat sie direkt die Hilf- und Machtlosigkeit, die die Menschen gegenüber der – über das Privateigentum verfügenden und dadurch mit Machtmitteln ausgestatteten – herrschenden Klasse empfinden, angesprochen und die auf sie einwirkenden Zwänge vermindert. Bei der immer weiter wachsenden sozialen Ungleichheit und der zunehmendem Abstiegsangst immer größerer Teile der Bevölkerung, ist das eine politische Agenda, die Wähler*innen anspricht. Die KPÖ war stets bestrebt, den unteren Klassen mehr Handlungsfähigkeit zu ermöglichen – was nicht nur eine Grundlage sozialistischer Politik ist, sondern ganz praktisch das Leben vieler Menschen verbessert, ihnen Eigenständigkeit verleiht und ihnen das Gefühl zurückgibt, nicht nur ein Rädchen im System, sondern ein*e selbstbestimmte*r Akteur*in zu sein. Dazu haben vor allem die Volksbefragungen beigetragen, die die KPÖ organisiert hat.

Die Partei unterstrich dabei stets die Ursache für das Elend der Menschen – Kapitalismus und Ausbeutung – und kam so zu einer authentischen, zugewandten und an praktischen Fragen orientierten Sozialpolitik, die das Gewand des autoritären Schreckgespensts, das die bürgerlichen Kräfte der kommunistischen Bewegung übergeworfen hatten, erfolgreich abstreifen konnte und sich all den Unkenrufen, Kommunismus sei utopische Fantasterei zum Trotz, als politische Kraft etablieren konnte. „Die KPÖ hier, hat sich sehr bewusst dafür entschieden am „K“ im Parteinamen festzuhalten und eine Politik zu entwickeln, die sich an den alltäglichen Sorgen der Menschen orientiert“ konstatiert auch Max Zirngast, neugewähltes Grazer KPÖ-Gemeinderatsmitglied und re:volt magazine-Autor. Daran können sich westliche linke Parteien durchaus ein Beispiel nehmen.

Indem die Mandatar*innen der KPÖ Graz einen Großteil ihres Gehalts spenden, generieren sie nicht nur einen Geldpool zur Umsetzung ihrer politischen Ziele, sondern zeigen auch, dass es nicht nur politisches Palavern ist, ein Mittel der Bevölkerung im Kampf um ihr Recht zu sein. Sie bleiben mit der lohnabhängigen Klasse gemein, anstatt sich in die herrschende Klasse zu erheben, wie es das parlamentarische System bei Mandatsübernahmen eigentlich impliziert. Die KPÖ könnte hier mit einem ganz konkreten Praxiselement Vorbild für anderen linke Parteien sein.

Andererseits sind über die bestehende Ordnung hinausweisende Elemente in der Parteiarbeit nicht immer leicht auszumachen. Dabei ist natürlich zu beachten, dass die KPÖ Graz eine Regionalpartei ist und ihr Spielraum, in das institutionelle Gefüge einzugreifen, damit eng begrenzt ist. Dennoch ist es durchaus irritierend, dass die KPÖ im Nachklang ihres Wahlerfolgs auch ganz bewusst eine Flanke hin zu einer Zusammenarbeit mit der ÖVP öffnete. Auf ihrer Homepage schrieb die Partei dazu unter anderem: „Die Zusammenarbeit zwischen ÖVP und KPÖ in den Jahren 2015–17 hat ja bewiesen, dass wir in vielen Punkten, in denen es um die ganz konkrete Verbesserung der Lebensumstände der Menschen in Graz geht, zusammenfinden können“ und „Wir wollen keine Partei ausgrenzen, nichts und niemanden auseinanderdividieren“. Mit dieser Konsensorientierung ohne Abgrenzung zu reaktionären Kräften steht die Partei der „Realpolitik“ jedenfalls um Einiges näher als dem „Revolutionären“ in Luxemburgs Konzept, auch wenn (oder gerade weil) schließlich eine rot-grün-rote Koalition geschlossen wurde. Auch der Rest des Artikels, in dem die KPÖ Antworten auf 30 Fragen des ÖVP-Stadtrats Hohensinner gibt, liest sich wie ein solide sozialdemokratisches Programm ohne sozialistische Ambitionen.

Zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild: Die KPÖ macht Klassenpolitik, insofern sie in ihrer politischen Praxis zuverlässig auf Seiten der Lohnabhängigen steht und bewegt sich dabei in einem Spannungsverhältnis zwischen reformerischer Konsensorientierung und lebensnaher revolutionärer Praxis. Ihre Politik entspricht nicht einwandfrei dem theoretischen Konzept der Revolutionären Realpolitik. Allerdings weist sie viele Charakteristika sozialistischer Politik auf, was zu dem Schluss führt, dass sie Luxemburgs theoretisches Konzept in eine den regionalen Gegebenheiten angepasste politische Praxis überführt. Damit stellt sich die KPÖ Graz einer der bedrohlichsten politischen Entwicklungen unserer Zeit entgegen. Im Angesicht der fortschreitenden Neoliberalisierung und des Erstarkens neuer faschistischer Kräfte ist ein Festhalten am Fernziel Sozialismus heute wichtiger denn je in der Nachkriegsgeschichte. Schon Rosa Luxemburg wusste, „daß die sozialistische Arbeiterbewegung eben heute die einzige Stütze der Demokratie ist und sein kann, und daß nicht die Schicksale der sozialistischen Bewegung an die bürgerliche Demokratie, sondern umgekehrt die Schicksale der demokratischen Entwicklung an die sozialistische Bewegung gebunden sind“ (Luxemburg 2019: 65).

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Genutzte Literatur

Haug, Frigga (2009): Revolutionäre Realpolitik – die Vier-in-einem-Perspektive. In: Brie, Michael/Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hrsg.): Radikale Realpolitik: Plädoyer für eine andere Politik, Texte / Rosa-Luxemburg-Stiftung. Berlin: Dietz, S. 11–25.

Luxemburg, Rosa (1898): Reden auf dem Stuttgarter Parteitag (Oktober 1898). Online verfügbar unter: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1898/10/stuttgart1898.html (Abgerufen am 29.10.2021).

Luxemburg, Rosa (2019): Sozialreform oder Revolution? Grafrath: Boer Verlag.