Zum Inhalt springen

Dasselbe in Grün, bitte!

FridaysForFuture_protest_Berlin_2020-01-24_anti-capitalist_protest_at_Hbf_03.jpg Leonhard Lenz CC0

Weltweit sympathisieren Linke mit Fridays for Future – einer jungen, grünen Graswurzelbewegung, der, so die Hoffnung vieler, das Potenzial innewohnt, die global fortschreitende Umweltzerstörung aufzuhalten. Der aktuelle Erfolg von Bündnis 90/ Die Grünen in Deutschland könnte als Übersetzung der kollektiven Artikulation grüner Forderungen auf der Straße in den politischen Betrieb gedeutet werden. Doch ebenso wie Fridays for Future sind die Grünen keineswegs als homogen progressive und schon gar nicht als genuin linke Kraft zu verstehen. Um zu beurteilen, ob die Hoffnung auf einen Wandel hin zu umweltverträglichem Wirtschaften gerechtfertigt ist, müssen wir eine Antwort finden auf die Frage: Gibt es einen grünen Kapitalismus?

Das automatische Subjekt

Schon die Marx’sche Theorie lehrt uns, dass die dem kapitalistischen System innewohnenden Triebkräfte, seinen allgemeinen Gesetzen folgend, stets hin zu maximaler Ausbeutung von Mensch und Natur tendieren. Das Kapital strebt fortwährend nach neuen, effektiveren Verwertungsmöglichkeiten zum Ziel der Profitmaximierung. „Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos.“ (MEW: 1962, Bd. 23: 167). Als „automatischem Subjekt“ (ebd.), also als Wert, der sich so kontinuierlich wie bewusstlos selbst verwertet, sind ihm dabei die reproduktiven Grenzen der Natur gleichgültig. Die brasilianische Philosophin Isabel Loureiro konstatierte jüngst, die Grenzen seiner Akkumulation erreiche das Kapital nicht durch die Begrenztheit der Märkte, sondern durch die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen, durch den Punkt, an dem unser Planet die Belastung durch Umweltverschmutzung und -zerstörung nicht mehr abfedern oder bewältigen kann. Sie reiht sich ein in eine lange Liste derer, die dem „Kapitalozän“, also dem Zeitalter des immer weiter voranschreitenden Kapitalismus, eine sehr düstere Zukunft voraussagen.

Das Narrativ des grünen Kapitalismus

Insbesondere grüne Liberale argumentieren diesbezüglich hingegen gern, dass der „freie Markt“ durch Konkurrenzdruck und staatlich nicht durch Vermögensbesteuerung begrenzte Gewinnaussichten permanent zu technologischen Neuerungen führt und dabei quasi nebenbei ressourcenschonende Technologien entwickelt werden. Obwohl es richtig ist, dass das Kapital nach Effizienz strebt und sich dabei folgerichtig ressourcensparende Technologien durchsetzen, da sich dadurch das vorzuschießende Kapital verringert, ist das Narrativ des grünen Wirtschaftens allein durch technischen Fortschritt eine so wirkmächtige wie falsche kapitalistische Mär. Der Wirtschaftsanthropologe Jason Hickel verdeutlicht das beispielsweise unter Berufung auf Ergebnisse verschiedener Studien, eine davon im Rahmen des UN-Umweltprogramms. Das Einsparen von Ressourcen durch effizientere Technologien führe, so Hickel, zu Rebound-Effekten. Das heißt, dass gespartes Geld bei Konsument*innen zu Mehrkonsumtion beziehungsweise eingesparte Produktionsmittel bei Unternehmen zu Mehrproduktion führen und der Ressourcenverbrauch dadurch letztlich sogar steigen kann.

Climate Justice statt Green New Deal

Ein alternatives, auf die Vereinbarkeit menschlichen Wirtschaftens und Zusammenlebens mit der Natur ausgerichtetes Konzept ist das der Klimagerechtigkeit. Das Aufhalten des Klimawandels wird darin mit der Überwindung globaler sozialer Ungleichheiten in Verbindung gebracht. Das Konzept berücksichtigt, dass die negativen Folgen des Klimawandels vor allem die Länder des globalen Südens und dabei in besonderem Maße marginalisierte gesellschaftliche Gruppen treffen, während sie größtenteils von den Ländern des globalen Nordens und dabei wiederum hauptsächlich von den reichsten Teilen der Gesellschaft verursacht werden. Führt man den Gedanken konsequent weiter, kann Klimagerechtigkeit als Ansatz verstanden werden, der auf die Überwindung des Kapitalismus und eine soziale Reorganisation der Gesellschaft(en) ausgerichtet ist. Und das ist bitter nötig,denn soziale Gerechtigkeit und damit auch Klimagerechtigkeit sind im Kapitalismus nicht zu erreichen. Maximal können Ungleichheiten bei entsprechendem politischen Gestaltungswillen verringert werden, wie etwa die keynsianisch geprägte Sozialstaatspolitik vieler westlicher Demokratien nach dem 2. Weltkrieg zeigte. Allerdings erreichte diese nie ein globales Level. Durch den Siegeszug des Neoliberalismus ist selbst ein nur teilweiser Abbau sozialer Ungleichheit in weite Ferne gerückt. Eine Überwindung manifester Ungleichheiten, die den Weg zur Klimagerechtigkeit frei macht, ist nur in demokratisch-sozialistisch organisierten Formen des Wirtschaftens und der gesellschaftlichen Ordnung denkbar.

Auf dem Weg zur Macht

Die Triebkräfte des Kapitals, seine nie enden wollende Verwertung, bei der es die natürlichen Ressourcen des Planeten unter permanenter Missachtung der Belastungsgrenze von Ökosystemen aufsaugt, sind von einzelnen Menschen oder von politischen Protagonist*innen unabhängig – und somit natürlich auch von Annalena Baerbock. Ein „grüner Kapitalismus“ trieb schon in der Vergangenheit absurde Blüten – man denke etwa an die CO2-Zertifikate, mit denen sich Konzerne von einer umweltbewussten Produktion freikaufen können, was der Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen selbstverständlich wenig nützt. Dass Baerbock bei ihrer ersten Rede als Kanzlerkandidatin ausgerechnet pathetische Bilder der Pariser Klimakonferenz von 2015 völlig unkritisch beschwört, macht auch im Heute wenig Hoffnung auf nachhaltige Verbesserungen: Das wichtigste Ziel der Konferenz, die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5°C, wird durch die bisher getroffenen Maßnahmen bei Weitem verfehlt. Stattdessen wurde für die Zeit bis 2100 der ökologisch fatale Wert von 3°C berechnet. Ihre Ziele hinsichtlich der Begrenzung von CO2-Emissionen erreichen viele Staaten lediglich beiläufig wegen der wirtschaftlichen Einschnitte in der Corona-Pandemie statt durch politische Beschlüsse.

An dieser grundlegenden Tendenz des Kapitals, sich der politischen Regulierung zu entziehen, ja ihr seine Sachzwänge überzuordnen, kann auch eine grüne Kanzlerin in Spe nichts ändern. Hinzu kommt, dass die Grünen sich längst davon verabschiedet haben, progressive Gesellschaftsbilder zu entwerfen und für ihre Umsetzung zu streiten und es selbst mit dem Umweltschutz nicht mehr so genau nehmen. Erinnert sei hier an die NRW-Grünen, die sich im Zuge der Aushandlung eines Deals mit der SPD mit einer Rodung des Hambacher Forsts einverstanden erklärten. Inzwischen kuscheln die Grünen auf dem Weg zur Macht ja lieber mit Konservativen. Auf eine schwarz-grüne Koalition können wir uns also getrost einstellen. Auf eine ökologische Wende leider nicht.