Den Krieg gegen die Bevölkerung stoppen
Auch über ein Jahr nach Zeichnung des Friedensvertrags zwischen der marxistischen Guerilla FARC-EP (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens - Volksarmee) und der kolumbianischen Regierung um den konservativen Präsidenten Juan Manuel Santos, gehen in Kolumbien die Morde an sozialen und politischen Aktivist*innen weiter – Guillermo Cacciatore berichtete.
Allein in der letzten Januarwoche dieses Jahres wurden nun erneut 13 Aktivist*innen ermordet. Eine Region im südamerikanischen Land, in der Terror und soziale Säuberungen an der Tagesordnung sind, ist der Norden des Departamentos Cauca, südlich der Millionenstadt Cali. Besonders betroffen sind hier die indigenen Gemeinschaften, die sich im Dachverband CRIC (Indigener Regionalrat von Cauca) zusammengeschlossen haben. Beim nachfolgenden Text handelt es sich um Auszüge eines kürzlich veröffentlichten Aufrufs der CRIC zur Abwehr ihrer bedrohten Gebiete. Er gibt Einblick in die drängende Situation der indigenen Gemeinden und die nachhaltigen Schwierigkeiten im kolumbianischen Friedensprozess.
Die Kontrolle über das Territorium zurückerlangen, um den Krieg gegen die Bevölkerung zu stoppen
Sorge, Unruhe, Angst. Kolumbien wurde in der vergangenen Woche durch eine Zunahme von Drohungen, Angriffen, Morden, Attentaten und dem Verschwinden-lassen [1] von Menschen erschüttert. Die Situation kommt einem Krieg gegen die Bevölkerung gleich. 13 soziale Aktivist*innen wurden in der letzten Januarwoche ermordet, darunter drei Indigene, sechs Bäuer*innen, die auf die Rückgabe ihres Landes klagten [2], zwei afrokolumbianische Aktivist*innen, ein Lehrer aus dem ländlichen Raum und ein politisch aktiver Minenarbeiter. Drei dieser Morde wurden von der kolumbianischen Armee verübt, welche zwei der Ermordeten fälschlicherweise als Mitglieder der Guerilla ELN ausgaben [3]. Die restlichen Morde werden vorwiegend paramilitärischen Gruppen zugeschrieben: kriminellen Banden, die mit dem Drogenhandel in Verbindung stehen, als auch Gruppen, die gezielt Vertriebenen-Aktivist*innen ermorden, die für die Rückgabe ihres Landes kämpfen.
Ganz ähnlich ist auch die Situation in den indigenen Territorien im Norden des Cauca. Dort geht die von uns bereits in der Vergangenheit angeklagte Gewalt durch bis an die Zähne bewaffnete Gruppen weiter. In Corinto, wo die Gemeinde noch nicht aufgehört hat, um ihre Toten zu trauern, verkünden die paramilitärischen Kriegsherren mit einschüchternden Flugblättern: „Die Stunde der sozialen Säuberung ist gekommen…Wir haben euch im Blick. Das Urteil und der Tod werden zur Stunde unserer ersten Jagd kommen. Weitere verfaulte Existenzen müssen identifiziert werden, aber das wird nicht lange dauern. Wir fangen sehr bald an. Wir bitten die Gesellschaft um Vergebung falls Unschuldige fallen, aber sie ist hiermit gewarnt.“
In der Zwischenzeit wurde in den Reservaten „Guadualito de Santander de Quilichao“ und „Las Delicias en Buenos Aires“ die höchste Alarmbereitschaft ausgerufen, weil dort in den letzten Monaten verdächtige Personen gesichtet wurden. In ihrem Communiqué schreibt der Rat der Indigenen:,,Die traditionellen Autoritäten und die Gemeinschaft konnten nachweisen, dass es sich bei den Bewaffneten um sogenannte Dissident*innn handelt, die von der sechsten Front der FARC übriggeblieben sind. [4] Sie versuchen indigenes Territorium zu übernehmen, um kriminelle Aktivitäten zu entfalten‘‘. Die indigenen Autoritäten haben ihre Ablehnung aller legalen und illegalen bewaffneten Gruppen auf ihrem Territorium bekräftigt und erklärten zur Sicherstellung der territorialen Kontrolle sowie „zum Schutz der Muttererde“ die höchste Alarmbereitschaft und eine permanente Versammlung der Bevölkerung.
Die gegenwärtige Situation ist erschreckend. Dieser Schrecken wird zunehmen, wenn es den indigenen Räten nicht gelingt, die territoriale Kontrolle wiederzuerlangen, um gemeinsam das Leben und die Forderungen der Bevölkerung zu verteidigen. Der Rat schreibt: „Wenn es uns nicht gelingt, unsere Territorien zu kontrollieren, werden die Kriegsherren – Dissidenten, Legale, Illegale, Drogenparamilitärs, oder wie auch immer sie sich nennen – am Ende unser Leben kontrollieren. Auch wenn einige Reservate bereits im Alarmzustand sind und dadurch bereits weiteres Leid verhindert werden konnte, so reicht dies doch nicht aus. Der Frieden mit dem Kapital und der vermeintliche Frieden der Herrschenden tötet weiterhin die Menschen, die unten stehen.
Wir lehnen jede Vertreibung und jeden Mord ab – Sie zielen darauf ab, die Bewegungen und Prozesse für ein würdiges Leben in Kolumbien zu zerstören. Angesichts des Terrors der sich uns nähert, rufen wir dazu auf, sich gemeinsam zu erheben, um uns als Bevölkerung in Widerstand, Autonomie und Leben neu zu erfinden. Das ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Diesen Weg nicht zu gehen würde bedeuten, weiter zuzusehen, wie sie uns auslöschen. Keine weiteren Morde mehr! Völker, macht euch auf den Weg!“
Dieser Beitrag ist eine redigierte Übersetzung des Communiqués, welches am 1. Februar 2018 vom "Rat der Indigenen im Cauca" (CRIC) veröffentlicht wurde. Übersetzung und Kontext von Christopher Altgeld.
Anmerkungen:
[1] Das ,,Verschwinden-lassen‘‘ bezeichnet eine von den Geheimdiensten der faschistischen Militär-Juntas in Südamerika entwickelte Strategie zum systematischen Terror gegen die Zivilbevölkerung. Dabei werden Betroffene verschleppt und zumeist an unbekanntem Ort ermordet. Den Familien bleibt oft Jahrzehnte die Ungewissheit über das Schicksal ihres Verwandten.
[2] Auf Basis der Friedensverträge von Havanna ist die Rückgabe illegal geraubten Landes vertraglich festgehalten worden. Kolumbien leidet unter mehreren Millionen Inlandsvertriebenen, die zumeist aufgrund des Terrors paramilitärischer Milizen, die von Großgrundbesitzern oder multinationalen Konzernen angeheuert werden, in die Städte fliehen. Aufgrund dieses Terrors ist der Landbesitz in Kolumbien heute in wenigen Händen konzentriert.
[3] Die sogenannte falsos-positivos-Strategie kam erstmals unter der Präsidentschaft des rechten ex-Präsidenten Alvaro Uribe Velez und seines damaligen Verteidigungsministers Juan Manuel Santos ans Tageslicht. Dabei töten Armeeangehörige Zivilist*innen und geben diese als Angehörige der Guerilla aus, um Erfolge zu simulieren oder Belohnungen zu erhalten.
[4] Die FARC sind heute offiziell politische Partei. Nicht alle schlossen sich jedoch der neuen Partei und deren reformorientierte Strategie an. Einige setzen den bewaffneten Kampf politisch fort und schlossen sich der ELN an, andere sind zum organisierten Drogenhandel und dem Paramilitarismus übergelaufen.
Das Titelbild stammt aus dem Jahr 2015 in Corinto. Dort fanden Kämpfen
zwischen paramilitärischen Einheiten und der indigenen Bevölkerung statt.