Zum Inhalt springen

Zum Ende einer Bewegung und eines Organisationsansatzes

NoExpoAutonome Opensource

Die Krise der autonomen Linken [1] wurde bereits mehr als einmal ausgerufen. In der Vergangenheit führten die Krisenerscheinungen jedoch zu Neugründungen und partiellen Revitalisierungen der Bewegung. Im vergangenen Jahrzehnt zeichnete sich zunehmend ab, dass die Bewegung nun final im Niedergang begriffen ist: Strukturen lösen sich unwiederbringlich auf, spalten sich, eine ganze Reihe von AktivistInnen klinkt sich vollends aus, die übrigen scheitern in ihrer Praxis an den gleichen Problemen, an denen autonome Gruppen immer gescheitert sind: An einer Organisierungsform, die mehr einem Freundeskreis gleicht, denn einer politischen Organisation. An Identitätspolitik, Elitismus, einem überzogenen Anonymitätsgehabe, einem ausgeprägten Sektierertum, einem vollkommen archaischen, und nicht selten patriarchalen Militanzfetisch und so weiter. Nicht zuletzt aus diesen Gründen sind autonome Gruppen mehr denn je unattraktiv für immer mehr junge AktivistInnen. Und das in einer gesellschaftlichen Situation, in der sich gesellschaftliche Widersprüche in Form eines Rechtsrucks zuspitzen und nicht wenige junge Menschen sich an der Gegenbewegung orientieren wollen. Die Frage steht im Raum, warum wir abseits einzelner erfolgreicher Defensivkämpfe keinerlei Profit aus der gesellschaftlichen Polarisierung ziehen können und im Gegenteil geschwächter sind denn je. [2] Bei immer mehr erfahrenen AktivistInnen setzt sich die Erkenntnis durch: Das Organisationsmodell autonome Gruppe und die Kultur, die dieses Modell erzeugt, ist schlicht und ergreifend untauglich für eine revolutionäre Praxis und bedarf einer Revision.

Was ist revolutionäre Praxis?

Revolutionäre Praxis setzt zunächst einmal eine Idee davon voraus, woher man als radikale Linke kommt und wohin man will. Sie orientiert sich an einer Analyse der Widersprüche in der Gesellschaft, an einer Idee davon, welche gesellschaftlichen Problemlagen zentral für unsere heutige Zeit sind und daher zentrale Hebel für Veränderung sein können. Sie setzt voraus, dass man eine Zielgruppe benennen kann, mit der man sich organisieren und gegen die herrschenden Verhältnisse zur Wehr setzen möchte. Sie setzt eine dieser Zielgruppe entsprechende Organisierungsform voraus, die in der Lage ist, als kollektiver Raum der Reflektion und Strukturierung des gemeinsamen Kampfes und als inhaltlicher Austauschort zu fungieren. Sie entwickelt sich schließlich nicht anhand von vorgefertigten Dogmen, sondern im gemeinsamen Kampf mit der Zielgruppe [3], kann aber auch nicht mit inhaltlicher Beliebigkeit und Begriffslosigkeit an die Sache ran gehen, sondern muss die Kämpfe dort weitertreiben und radikalisieren, wo sie Gefahr laufen ins System integriert zu werden. Schließlich braucht sie ein entsprechendes Selbstverständnis der AktivistInnen, die mit der Zielgruppe interagieren, sich austauschen und vernetzen, Teil der gemeinsamen Sache werden müssen. Revolutionäre Praxis muss herrschaftsförmige Widersprüche wie Rassismus und Sexismus aktiv und solidarisch mit den Menschen und unter den bereits Organisierten bearbeiten, sowie Wege des Umgangs damit, sowie letztlich der Überwindung derselben finden.

Was war und ist die autonome Linke?

Die autonome Linke in Deutschland hat ihre Ursprünge in der scharfen Abgrenzung gegenüber den K-Gruppen der 1970er und 80er Jahre. [4] Sie zeichnete sich immer durch ein hohes Maß inhaltlicher Beliebigkeit aus, genaue Definitionen zu den schwammigen Begriffen Anarchismus und Kommunismus wurden selten getroffen. Im Mittelpunkt stand die Debatte um Aktionskonzepte und Methoden – und zwar in der Regel jenseits von jeder Klassenanalyse. Das macht es schwierig, die Bewegung begrifflich auf einen Punkt zu bringen. Dennoch teilen autonome Gruppen in vielerlei Hinsicht Konzepte, die zumindest auf ähnliche Ursprünge zurückgehen. Einige wurden theoretisch aufgearbeitet, weiterentwickelt oder revidiert, andere wirken in der Praxis fort, ohne als Begriffe heute noch im üblichen Gebrauch zu sein. Zentrale Konzepte der Autonomen, die auch von ihren Nachfolgern, der Autonomen Antifa der 1990er [5] und der Post-Antifa der 2000er Jahre [6] in der einen oder anderen Form übernommen wurden, sind die Politik der ersten Person, das Konzept der Autonomie, die Militanz, das Konzept der Gegenkultur und der Begriff der Triple Oppression. Was bedeuten diese Begriffe?

Autonomie: Namensgebend für die Bewegung ist die italienische Autonomia Operaia [7], die jedoch rundum anders aufgestellt war, als ihre deutschen Namensvettern sie später rezipieren sollten. Die italienische Variante verstand sich zwar als unabhängig von der offiziellen kommunistischen Partei und an der spontanen Organisierung der italienischen ArbeiterInnen in sogenannten Wilden Streiks orientiert, war in der Theorietradition jedoch klar an kommunistischen Konzepten orientiert. Sie arbeitete klassenanalytisch und primär in Rahmen von Betriebskämpfen der IndustriearbeiterInnenschaft in Norditalien. Die Autonomen in Deutschland übernahmen von diesem Konzept dahingegen lediglich die Partei- und Gewerkschaftsferne, sowie das spontane selbstorganisierte Element.

Politik der ersten Person / Tripple Oppression: Das Konzept Politik der ersten Person und der Tripple Oppression schließen im Prinzip an ein solches Konzept der Selbstorganisierung an. Tripple Oppression geht gegenüber der damals populären orthodox-marxistischen Haupt-/Nebenwiderspruchstheorie [8] davon aus, dass die Widersprüche Rassismus, Patriarchat und Kapitalismus ineinander verzahnt sind und als gleichfalls starke Unterdrückungssäulen wirken. Der Einzelne soll laut dem Konzept der Politik der ersten Person seine Verwobenheit in dieser Unterdrückungsstruktur sehen und seine Politik entsprechend der Befreiung von diesen Unterdrückungsstrukturen ausrichten, beziehungsweise sich organisieren. Eine Trennung von privatem und öffentlichem Raum wurde abgelehnt.

Gegenkultur / Autonomes Zentrum: Als Ort dieser Auseinandersetzung und der widerständigen Praxis galten autonome Bezugs- und Aktionsgruppen – Freundeskreise, die sich politisch organisierten –, aber auch das Autonome Zentrum. Diese Zentren wurden als Orte der Gegenkultur konzipiert, in denen neue Lebensformen ausprobiert werden sollten. In ihnen sollte aber auch durch flache Hierarchien in selbstverwalteten Plena aktiv mit Herrschaftsverhältnissen gebrochen werden. Dies geschah im Rückgriff auf anarchistische und sozialutopische Theorietraditionen nach dem Credo „die Utopie im hier und jetzt schon leben“. [9] Das Konzept der Autonomie bezog sich hier auch auf Unabhängigkeit von Staat und Gesellschaft.

Militanz: Das Konzept der Militanz schließlich war immer höchst umstritten und Gegenstand vieler Debatten in entsprechenden autonomen Publikationen wie der radikal oder der Interim. Die Gemüter spalteten sich hier vor allem an den Fragen, wann und wo Gewaltanwendung sinnvoll ist, befreiende Aspekte gewinnt, Menschen mobilisieren kann und moralisch-ethisch vertretbar ist. Konkret entwickelten sich die verschiedenen Flügel der Massenmilitanz auf Bewegungsdemonstrationen (Anti-AKW, Startbahn-West, Antifa), Feierabendterrorismus (z.B. Rote Zora) oder Unterstützung/Partizipation des/im bewaffneten Untergrundkampf(s) (RAF) heraus. Letzterer Flügel wurde im Szene-Jargon der 80er auch schon ,,Antiimps‘‘ genannt, während die ,,Autonomen‘‘ dem erstgenannten Aktionstypus zugerechnet wurden. Faktisch waren jedoch alle, insbesondere im Diskurs, mehr oder weniger Teil dessen, was als Autonome Bewegung begriffen werden kann.

Autonomes Organisationsmodell: Die Autonome Antifa (M) aus Göttingen brachte schließlich im August 1991 ein Konzept ein, das für die vergangenen Jahrzehnte prägend bleiben sollte. In ihrem Papier ,,Diskussionspapier zur Autonomen Organisierung“ [10] kritisierte sie bereits damals Subkultur, Anonymisierung, Intransparenz und Nicht-Ansprechbarkeit, schlug jedoch im Organisierungsansatz eine Fortführung des Modells autonome Gruppe mit Ergänzung von Bündnispolitik und Öffentlichkeitsarbeit vor. Auf diese Gruppe geht auch das taktische Konzept des Schwarzen Blocks zurück, der als disziplinierte Einheit zum Selbstschutz auf Demonstrationen begriffen wurde. In den folgenden Jahrzehnten sollte sich eine Mehrheit der Gruppen, insbesondere jene der Post-Antifa der 2000er Jahre, am Organisations-Konzept ,,der M‘‘ orientieren. In eine ähnliche Kerbe schlug die ,,Heinz-Schenk-Debatte“ der Gruppe Fels aus Berlin, die jedoch noch weiter vom klassischen autonomen Konzept abwich. Die Gruppe sollte später zur Keimzelle der interventionistischen Linken (iL) werden.[11] Andere Teile der Bewegung verharrten in einem geriner organisierten und verbindlichen Bezugsgruppenkonzept oder gruppierten sich um die Autonomen Zentren. 

Die veränderte gesellschaftliche Situation verlangt den Bruch

Einige der genannten politischen Ansätze waren für ihre Zeit progressiv, stießen sie doch auf Leerstellen oder Missstände in der revolutionär-marxistischen Bewegung und versuchten eine kreativere Bewegungspraxis hervorzubringen. Die autonome Bewegung kann so auch als Korrekturbewegung gelesen werden, die genau die Leerstellen besetzte, die eine Mehrheit der orthodoxen Parteien und Gruppen strukturell nicht belegen konnte oder wollte. Nichtsdestotrotz sind die genannten Konzepte ein Kind ihrer Zeit und Resultat einer Bewegungsgeschichte, aus einem Westdeutschland, in dem sich insbesondere in den Chefetagen des Staates und in den Familien noch der wertkonservative, post-faschistische Filz der Nachkriegsjahre hielt und der sogenannte Marsch durch die Institutionen gerade erst begonnen hatte. Eine Zeit, in der in der SPD-Basis noch SozialistInnen und die Grünen noch eine linke Partei waren, die DKP mehrere zehntausend Mitglieder hatte sowie die numerisch starken K-Gruppen und sozialen Bewegungen Hunderttausende auf die Straßen mobilisierten (Friedens-, Ökologiebewegung).

Seitdem ist viel passiert. 2018 befinden wir uns in einem Deutschland der neoliberalen und neokonservativen Hegemonie, die weite Teile der Bevölkerung integriert. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass ehemals emanzipatorische Forderungen und weitergehende bürgerliche Freiheiten – wenn auch gebrochen und deformiert – Eingang in Regierungshandeln gefunden haben. Darüber hinaus ist in den Metropolen Deutschlands eine schrittweise Integration der Alternativkultur bei gleichzeitiger Destruktion ihrer revolutionären Potenziale vollzogen worden. Die neue deutsche Staatsräson ist nicht mehr dominant wertkonservativ, traditionell, deutsch. Sie gibt sich heute, zumindest öffentlich, auch bunt, weltoffen, für Frauen- und LGBTI-Rechte – während unter der Oberfläche und zunehmend auch öffentlich der neue Wertkonservatismus erneut gefördert wird und im Rechtsruck der AfD seinen Ausdruck findet. ,,Selbstverwirklichung“ lautet die zentrale Parole unserer Zeit. Individualismus und Emanzipation werden Teil eines Marketingkonzepts. In den Metropolenregionen gilt es als Chic, tätowiert, vegan und ausgefallen zu sein. Punkkultur? Kein Problem! In der Modeszene heute gerne gesehen. Ehemaliger Revolutionär und Steineschmeisser? Kein Problem – Kretschmann, Trittin, Künast, Fischer und alle anderen waren das auch mal, das geht schon vorbei. Und zur Krönung: Schily, der seinerzeit die RAF-,,Terroristen“ verteidigt, wird zum Chef des Repressionsapparats, dem er einstmals feindlich gegenüberstand.

Die Politik der ersten Person als Teil neoliberaler Hegemonie

Was ist also mit dem Konzept der Politik der ersten Person unter diesen Verhältnissen anzufangen? Zunächst krankt das Konzept schon an der Tatsache, dass es das Problem primär individuell und nicht strukturell verortet. Denn obwohl es mit der Triple Oppression-Theorie eine strukturelle Ebene aufmacht, wirft es die Veränderung auf den Einzelnen und seine Praxis zurück. Zwar ist es richtig, dass wir als die Menschen, die zum Beispiel unter dem Patriarchat leben, dieses in unserem Handeln forttragen, dennoch hängt es nicht allein vom Einzelnen ab, ob das Ungleichheitsverhältnis bestehen bleibt oder nicht. Dazu bedarf es großangelegter institutioneller, ergo: politischer und massenhafter Veränderung. Und die ist nur zu haben, wenn Menschen sich zusammenschließen, eine gemeinsame Agenda finden und diese versuchen umzusetzen – es geht bei gesellschaftlicher Veränderung also um ein kollektives (Organisations-)Projekt. Darüber hinaus ist die einstmalig emanzipatorische Idee der auch privaten Auseinandersetzung mit sich selbst unter dem Neoliberalismus längst Teil einer Psycho-Industrie [10] geworden, die gesellschaftliche Probleme auf den Einzelnen zurückwirft. Der Leitspruch ist: „Du hast ein Burnout und kannst nicht mehr arbeiten? Mach eine Therapie und mach dich wieder fit! (für den Arbeitsmarkt....).“ Damit wird von den eigentlichen strukturellen Ursachen (nämlich neoliberalen Arbeitsverhältnissen, Patriarchat, institutioneller Rassismus und so weiter...) abgelenkt. Viele Praxen in der autonomen Bewegung vollziehen unbewusst den selben neoliberalen Mechanismus, da sie auf ein individualistisches Lebensreform-Konzept zielen, statt auf organisierte politische Veränderung. Beispielhaft dafür sind Interventionen, die lediglich eine Reflexion des Einzelnen fordern, ohne Strukturen und Praxen des Kampfes zu etablieren, die sowohl in die Bewegung als auch in die gesellschaftliche Öffentlichkeit wirken. In diesem Sinne wäre zu fragen, ob die Politik der ersten Person nicht längst Teil einer neoliberalen Praxis geworden ist, die gesellschaftliche Veränderung eher hemmt als voranbringt, indem sie individualistisch aufspaltet, was kollektiv verhandelt, vermittelt und als Agenda nach außen getragen werden müsste.

Autonomie als Illusion

Wichtig für diese Erkenntnis ist dann auch, dass es keine Autonomie im Sinne eines Außerhalb von dieser Gesellschaft gibt. Da wir alle die Sozialisationsinstanzen dieser Gesellschaft durchlaufen haben und in vielerlei Hinsicht (Arbeit, Familie, FreundInnen, Wohnen) abhängig sind von anderen (der bürgerlichen Gesellschaft) und Institutionen (dem bürgerlichen Staat), ist ein solches Konzept der Autonomie ein illusorisches. Autonomie kann unter den gegebenen Umständen immer nur relativ sein. Selbst wenn wir jedoch Autonomie als etwas erstrebenswertes ansehen würden, würde sich immer noch die Frage stellen, auf welche Ebene sich das Konzept beziehen soll und wann es revolutionär ist. Beispielhaft kann es sinnvoll sein, selbstverwaltete, selbstversorgende Betriebe auf dem Land zu gründen, die aber nach einer klar politisch-organisierten, kollektiven (Agitations-)Idee arbeiten und an Diskussionen der sozialen Bewegungen oder einer revolutionären Organisation angeschlossen sind. Wenn diese Betriebe sich jedoch als Aussteigermodell und als anti-gesellschaftlich verstehen und sich von der Bewegung wie auch von der Gesellschaft abkoppeln, sind sie eben nicht viel mehr als schwer zugängliche, elitäre vermeintliche Inseln der Glückseligkeit, die in aller Regel an dem Widerspruch scheitern müssen, dass sich gesellschaftliche Verhältnisse nicht ,,irgendwo da draußen", sondern bereits zwischen uns wenigen AktivistInnen fortsetzen und reproduzieren. Das Problem ist das gleiche bei dem Konzept des Autonomen Zentrums, das einem ähnlichen Konstruktionsfehler des ,,wir hier, die böse, diskriminierende Gesellschaft da" unterliegt. [12] Es verwundert daher auch wenig, dass in den entsprechenden Zentren selten eine agile und populäre revolutionäre Gegenkultur, denn eine neutralisierte, lethargische Subkultur vorherrscht. Aufmerksam sollte man in diesem Zusammenhang folgende Bemerkung des politischen Gegners zur Kenntnis nehmen:

,,Trotzdem sollten Autonome Zentren nicht ausschließlich als Gefahr verstanden werden. Sie sind gleichermaßen eine Chance, das Gewaltpotential Autonomer Gruppen zu hemmen. Die praktischen Funktionen der Zentren sind gering: Zwar erzielen die Aktivisten Einnahmen und sie erhalten Räume für politische Veranstaltungen, aber dafür investieren sie einen Großteil ihrer Zeit, ihrer Energie und teilweise sogar ihr Geld in den täglichen Betrieb. Auch hier muss jemand die Fußböden und Toiletten schrubben, das Dach ausbessern oder Mausefallen in der Volxküche aufstellen. Je mehr Ärger die Aktivisten mit Gebäude und Organisation haben, desto weniger Zeit bleibt ihnen für politische und vor allem militante Aktionen. Eine intelligente Tolerierung eines solchen „Autonomen Disneyland“ kann aus demokratischer Sicht effektiver sein als eine Räumung."

Der autonome Individualismus als Sackgasse

Darüber hinaus ist das autonome Organisierungsmodell nicht in der Lage, massenwirksam tätig zu werden und die Menschen zu organisieren. Aufgrund des Modells der autonomen Bezugsgruppe, wie der autonomen Antifa-Gruppe, das strukturell und real zumeist politisch organisierter Freundeskreis mit entsprechenden Ausschlusskriterien ist, können verschiedene Voraussetzungen nicht erbracht werden, die aber integral für eine massenhafte Bewegung und eine breitere Organisierung sind. Dazu ein Genosse der Gruppe Fels, der schon vor etwas mehr als 25 Jahren im Rahmen der „Heinz Schenk-Debatte“ im Artikel „Die Autonomen haben keine Fehler, sie sind der Fehler!“ das Kernproblem der mangelhaften Organisierung aus eigener Erfahrung heraus beschrieb:

,,In der Arbeit ist nicht zu spüren, wofür wir kämpfen und die Tatsache, nie einmal grundsätzlich seine Fragen einbringen zu können, sondern sich immer nur aufs Neue in Kampagnen hineinstürzen zu können, nervt. Zudem macht die autonome Geschichtslosigkeit vieles schwierig. Da das Wissen um Geschichte nicht als grundsätzliche Voraussetzung für Politik begriffen wird, existiert keine Art „kollektives Gedächtnis“, alle fangen immer wieder am Nullpunkt an."

Der Genosse artikuliert im gleichen Zug das Bedürfnis nach inhaltlicher Schärfung, wie auch dasjenige nach strategischer/taktischer Ausrichtung hin zu einer revolutionären Perspektive:

,,Meine heutigen Fragen sind andere. Es sind die Fragen, die in der autonomen Szene kaum gestellt werden, weil sie glauben, es genüge, gegen das jeweilige Hauptprojekt entgegenzuhalten und der Rest werde sich dann schon irgendwie, irgendwann finden. Es sind zum Beispiel die Fragen danach, WIE ein revolutionärer Prozess aussehen kann, die nach der Möglichkeit einer Übergangsgesellschaft, die Frage danach, was an Theorie der letzten 150 Jahre noch an Gültigkeit besitzt."

Das Problem lag bereits damals auf der Hand. Da das Konzept der Politik der ersten Person im Prinzip keine verbindliche revolutionäre Organisierung vorsieht und gemachte Erfahrungen, wie Kämpfe individualistisch verhandelt, entsteht weder etwas wie eine revolutionäre Strategie/Taktik, noch eine gemeinsame Tradierung von Erfahrungen, geschweige denn einer Vermittlung. Mit der Entkopplung von historischen Erfahrungen und Debatten bringt die Geschichtslosigkeit eine inhaltliche Verflachung hervor, in der wirkliche Aufarbeitung revolutionärer Geschichte nicht geschieht. Ohne diese Voraussetzungen kann es jedoch keine revolutionäre Praxis geben, da nicht mal der inhaltliche Ausgangspunkt des Kampfes jenseits des Anti zu bestimmen ist. Was folgt ist wahlloser Pragmatismus und ein leeres Weiter so, im schlimmsten Fall eine schleichende Entpolitisierung im Subkultur/Soli-Party-Sumpf.

Was bleibt von der autonomen Linken?

Die autonome Bewegung hat eine Vielzahl an wichtigen Diskussionen und Beiträgen für eine revolutionäre Bewegung geliefert. Hinter das auch von der autonomen Szene aufgegriffene Diktum ,,das Private ist politisch" und die Feststellung, dass wir auch in unseren Privaträumen politische Menschen mit einem Anspruch sind, sollte nicht zurückgefallen werden. Auch die Konzepte der Gegenkultur und der Stadtteilzentren werden in Zukunft wichtig bleiben, wenn auch in anderer Form. Hier hat die autonome Bewegung viele praktische Ansätze hervorbringen können, die auch für die Zukunft nutzbar gemacht werden können. Beispielsweise kann das Konzept der Gegenkultur dem Szenesumpf entrissen und repolitisiert werden, wenn man erneut politisch diskutiert, mit welcher politischen Strategie und Taktik man Konzerte, Parties, Barabende usw. eigentlich macht. Das Konzept der Selbstverwaltung kann popularisiert werden, wie dies z.B. bereits in der Stadtteilbewegung passiert. Der autonome Antifaschismus kann und muss angesichts der immer erfolgreicheren AfD und einer möglichen neurechten Hegemonie seine sozialen und klassenkämpferischen Wurzeln zurückgewinnen, d.h. organisatorisch attraktiv werden für Leute, die sich dem neurechten Hegemonieprojekt entgegenstellen wollen und so weiter.

Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass die autonome Bewegung und ihre Institutionen aus guten Gründen derzeit eine nachhaltige Schwächung erfahren oder komplett verschwinden. Ihre Konzepte und die daraus resultierenden Praxis sind an verschiedenen Punkten integrierbar geworden für eine neoliberale Hegemonie, weshalb der Übergang von Szene zu bürgerlich immer seltener einem Bruch, als einem schleichenden Übergang gleicht. Aus Mangel an (Organisations-)Perspektiven und solidarischen (Organisations-)Strukturen, z.B. für ältere Autonome mit Kindern, kranke und alternde GenossInnen, GenossInnen in schwieriger sozialer Lage und so weiter, gehen uns jede Generation aufs Neue an der Bewegung jahrelang geschulte AktivistInnen unwiederbringlich verloren, statt dass diese ihr Wissen weitergeben und in jeweils alternierenden Formen am Ball zu bleiben können. Die autonome Bewegung entspricht hier einem Durchlauferhitzer, in dem sich eine Art alternative Selbstverwirklichung und Jugendrebellion vollzieht – unter vermeintlich politischem, viel häufiger jedoch einfach subkulturell-deviantem, Vorzeichen.

Wenn wir das ändern wollen, dürfen wir nicht auf die vermeintlichen ,,VerräterInnen" schimpfen, die ,,ins bürgerliche Lager“ wechseln, sondern müssen konstatieren: 1) Wir sind nicht unabhängig von der bürgerlichen Gesellschaft und von der ihr innewohnenden Ideologie durchdrungen. Eine Befreiung davon kann nicht individualistisch ,,jeder für sich‘‘, sondern nur im kollektiven Lernprozess geschehen. 2) Die Konzepte der autonomen Bewegung haben also grundsätzliche Mängel. Der Bruch mit ihnen ist längst überfällig – nicht nur im Diskurs, sondern in unserer Praxis. Die autonome Linke ist nicht reformierbar, ihre Grundkonzeption führt zu Subkultur, Individualismus und begrenzter Handlungsfähigkeit. Wenn die autonome Bewegung heute nicht mehr mobilisierungsfähig ist und in andauernder Abwehrposition gegen einen zunehmend übermächtigen Gegner verharrt, ist das daher nicht nur ein objektiv-gesellschaftliches (z.B. Rechtsruck), sondern auch ein subjektiv-konzeptionelles Problem, dem wir uns stellen müssen. Es wird Zeit, Organisationsfeindlichkeit, inhaltliche Beliebigkeit und die Vorstellung einer außergesellschaftlichen Autonomie über Bord zu werfen. Die Konzepte der Autonomen müssen unter dem Vorzeichen von nachhaltiger kollektiver Organisation, der Entwicklung einer revolutionärer Massenpraxis und Selbstorganisation, bei inhaltlicher Neudefinition diskutiert werden. Ich möchte hiermit alle GenossInnen einladen, sich an diesem notwendigen Diskussionsprozess zu beteiligen.


Anmerkungen:

[1] Dieser Artikel betrifft nicht nur die ursprüngliche autonome Linke, die in dieser damaligen Form nur noch marginal existiert, sondern bezieht sich auf alle Traditionsstränge, die sich ihrer Konzepte bedienen, das heißt sowohl Autonome Antifa, als auch Post-Antifa/Post-Autonome Gruppen, Autonome Zentren, Autonome Szene, Gruppen der radikalen Linken usw.

[2] Anders als die radikale Rechte, die nicht nur in der Lage war, eine regional erfolgreiche soziale, populäre Bewegung zu etablieren (PEGIDA), sondern diese als erfolgreiche Parteigründung institutionell fortzusetzen (AfD). Parallel dazu vollzieht sich in der radikalen Linken eine organisatorische Schwächung, wie die Auflösung zahlreicher Gruppen und Zusammenhänge, sowie eine real sichtbare Mobilisierungsschwäche spektrenunabhängig bezeugt.

[3] Hierzu wurden in der Vergangenheit mehrere Vorschläge gemacht. S. beispielhaft die Stadtteilinitiativen ,,Hände weg vom Wedding!‘‘ (Berlin), ,,Wilhelmsburg Solidarisch‘‘ (Hamburg), ,,Solidarisches Gallus“ (Frankfurt) oder ,,Initiative Mietenwahnsinn stoppen!‘‘ (Nürnberg).

[4] Aus der 68er-Bewegung entstandene kommunistische Gruppen mit Bezug zur maoistischen Debatte der 1960er und 1970er Jahre, die in Opposition zum Sowjetkommunismus auftrat. Die erfolgreichsten Gruppen waren KPD/AO (maoistisch/China), KPD/ML (hoxhaistisch/Albanien), KBW (maoistisch), KB (maoistisch/bewegungsorientiert), Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (maoistisch), die Vorläuferorganisation der MLPD (Kommunistischer Arbeiterbund Deutschlands).

[5] Gruppen, die sich am revolutionären Antifaschismus orientiert haben um die AA/BO, sowie solche, die den antifaschistischen Selbstschutz als Konzept ansahen um das BAT. Ein Überblick findet sich bei Langer, Bernd (1997):, Kunst als Widerstand, Paul Rugenschein Verlag

[6] Die Gruppen und Formationen nach der Spaltung in antideutsche, antinationale und antiimperialistische Antifa-Gruppen in den 00er Jahren. In diese Zeit gehört auch das Aufkommen „Roter Antifa“-Gruppen. Diese Gruppen orientierten sich nicht mehr zwangsläufig an der Praxis der Autonomen Antifa, arbeiteten sich aber verschieden stark mit verschiedenen Ergebnissen an dieser Tradition ab. Die Tradition der Autonomen ist deshalb unterschiedlich stark ausgeprägt in den verschiedenen Strömungen der ,,Roten Antifa“.

[7] Arbeiterbewegung der nicht-gewerkschaftsgebundenen Streiks und militanten Aktionsformen in den norditalienischen Fabriken der ausgehenden 1970er Jahre. Begleitet wurde sie von radikalen linken Intellektuellen um das Quaderni Rossi.

[8] Häufig missverstandenes, insbesondere von den K-Gruppen der BRD genutztes marxistisches/maoistisches Theoriefragment, das zur strategischen Bestimmung revolutionärer Politik genutzt wird. In den 1970er Jahren populär war hier insbesondere Mao-Tse-Tungs Konzept, skizziert in Über den Widerspruch (1937).

[9] Bereits bei Marx/Engels wurden solche Konzeptionen als sozialutopistisch kritisiert. Beispielhaft in Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft (1880).

[10] Erschienen in der Radikal. Da diese online nicht verfügbar ist, hier eine Zusammenfassung der Gruppe in der Arranca #5.

[11] Interessanterweise wird in der Schrift genau das kritisiert, was später prägend für die Praxis der iL werden sollte: Reine Kampagnenpolitik.

[12] Dazu ein Artikel der Frankfurter Gruppe Siempre*Antifa.