Polizeistaat Bayern
Ein müdes Lächeln, ein Kopfschütteln und ein verächtliches: „Ja mei!“ So dürften im Großteil der Republik die Reaktionen ausfallen, wenn sie das Wort „Bayern“ hören. Und damit meine ich nicht den Fußballverein, der für eine Generation an Erstklässler*innen gesorgt hat, die nur noch einen einzigen deutschen Fußballmeister kennt. Nein. Es geht um das politische Bayern. Das schwarze Loch. Das Bundesland der Maut, der Braunbärentöter und der „bis zur letzten Patrone“-Rhetorik.
Die Rolle der CSU in Bayern
Von der CSU ist man ja einiges gewohnt. Trotzdem überrascht sie einen irgendwie immer wieder. Vor kurzem erst ließ der Bayerische Beamtenbund den Söder-Taler prägen. Ja, den Söder-Taler. Mit einem Konterfei vom derzeitigen bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Auf dem Taler. Das ist kein Scherz, wirklich nicht.
Die CSU bietet viel Angriffsfläche, ernsthaft angegriffen wird sie jedoch kaum. Es fällt schwer, sie ernst zu nehmen, obwohl ihre Politik ernsthafte Auswirkungen hat. Das ist ein Problem. Denn diese vermaledeite Klüngelclique ist in den letzten 70 Jahren quasi mit dem gesamten Staatsapparat verwachsen. Die absolute Mehrheit in Bayern ist CSU-Staatsräson.
Die Christ-Sozialen sind geschickt im Manövrieren und vertreten nach wie vor die Interessen der hiesigen Wirtschaft. Seit Jahrzehnten tut sich die linke Opposition in Bayern schwer. Die Dominanz der CSU führt zwar dazu, dass die Landesverbände der SPD und der Linkspartei mitunter um einiges weiter links zu verorten sind, als im restlichen Bundesgebiet. In der Bevölkerung wird ihre Politik trotzdem nicht als Alternative wahrgenommen. Das liegt sicherlich auch daran, dass sich die wirtschaftliche Situation in Bayern vergleichsweise positiv gestaltet. 2016 führte Bayern - und dort insbesondere München - die bundesdeutsche DAX-Liga mit großem Abstand an. Wenig Grund zu klagen, möchte man meinen. Aber auch Bayern bleibt von der sozialen Frage nicht verschont: sei es die schwarze Null, die die Kommunen kaputt spart und zur Landflucht führt, der Pflegenotstand oder zu hohe Mieten.
Als Partei des bayerischen Kleinbürgertums, fürchtet die CSU nun vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahlen um ihre Vormachtstellung. Die AfD ist bei allen vorangegangenen Landtagswahlen in die Parlamente eingezogen. Auch in Bayern werden wohl bald wieder Faschist*innen in Ausschüssen sitzen und den Landesetat mitbestimmen. Nicht, dass die CSU mit ihnen inhaltlich ein großes Problem hätte: von der Obergrenzendebatte bis zur Zusammenarbeit mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in der Frage der europäischen Grenzsicherung, die Beispiele sind zahlreich. Aber eine Etablierung der AfD in Bayern könnte die CSU auf Dauer schwächen.
Die Bedeutung des PAG
Nun also steht die Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes an. Nicht nur in linken Kreisen fällt im Zusammenhang mit den Gesetzesverschärfungen der Begriff Polizeistaat. Der Gesetzesentwurf, der im Februar vorgelegt wurde, ist mehr als hundert Seiten lang und hält einiges parat: Chatverläufe können von der Polizei ausgespäht und verändert werden. Der Begriff der „drohenden Gefahr“ wird eingeführt und führt bei Jurist*innen jetzt schon zu Kopfzerbrechen. Drohnen können eingesetzt werden. Die Polizei kann in Zukunft nicht nur Platzverweise, sondern auch Aufenthaltsgebote verhängen. Die Liste der neuen Eingriffsmöglichkeiten ist lang.
Mit drei Änderungsanträgen hat die CSU den ursprünglichen Entwurf Anfang April nochmal verschärft. Sie will der Polizei ermöglichen, sowohl Online-Durchsuchungen als auch Telekommunikationsüberwachung, Postbeschlagnahme und Videoüberwachung auf Journalist*innen, Ärzt*innen und Mitarbeiter*innen von Beratungsstellen ausweiten zu können. Das ist ein Angriff auf Quellenschutz und Schweigepflicht. Darüber hinaus sollen Sicherheitsfirmen verpflichtet werden können, den Zugang zu ihrer Sicherheitssoftware und -hardware zu garantieren. Ein Auto oder eine Wohnung sollen so müheloser durchsucht werden können – natürlich mit der eingebauten Möglichkeit, die Spuren eines solchen Eingriffes in die Privatsphäre im Nachhinein wieder zu verwischen.
Die zur Verabschiedung eingereichten Gesetzesänderungen sollen vordergründig den Kampf gegen den so genannten „internationalen Terrorismus“ erleichtern. Der Form nach ähneln sie wohl auch deshalb stark dem amerikanischen „Patriot Act“. Mit dem Unterschied, dass sie nicht in einem Aufwasch, sondern eher scheibchenweise den Landtag verlassen haben. Zuerst als Integrationsgesetz, dann als Gefährdergesetz, jetzt als Polizeiaufgabengesetz und Physisch-Kranke-Hilfe-Gesetz (PKHG).
Natürlich werden die Gesetze nicht allein auf „Terrorist*innen“ angewandt werden. Zumal, wer definiert denn den Terrorismus in einem Land, in dem der NSU nicht als faschistischer Terror gewertet wird? Nein, diese Gesetze sind zu allererst als rassistisch zu bewerten. Sie legalisieren das bisherige Vorgehen der Behörden gegen Refugees, gegen Kurd*innen. Damit wird auch eine Möglichkeit geschaffen, jegliches gewerkschaftliche, politische und soziale Engagement zu überwachen und im Sinne der Regierung zu kriminalisieren. Des Weiteren hebt das PAG de facto das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst auf, das als Erfahrung aus dem Faschismus nach 1945 zur obersten Maxime für Polizeigesetze wurde. Mit Horst Seehofer als neuem Innen- und Heimatminister im Bund besteht zudem die Gefahr, dass Bayern zum Testfeld für ein bundesdeutsches Gesetz ähnlicher Art wird. Im Innenausschuss des Bundestages ließ der Minister dies schon ankündigen.
Auf
Bayerns Straßen gibt es derweil wütenden Widerstand. Schon dutzende
Demos in Groß- und Kleinstädten brachten die CSU in einen fast
schon cholerischen Zustand. Einem
breiten
Bündnis aus
Gewerkschaften, NGOs, Parteien, Fußballfans, Jugendorganisationen,
Natur- und Datenschutzverbänden
warf sie in einem parlamentarischen Eilantrag vor, mit
„Verfassungsfeinden“ zu kooperieren und forderte die
Landtagsfraktionen auf, sich zu distanzieren. Am 10. Mai wird zu
einer landesweiten Großdemonstration aufgerufen. Die CSU könnte
beim Warmmachen für den Wahlkampf in ein wahres Wespennest gestochen
haben. In jedem Falle ist daher die bundesweite Solidarisierung mit
den bayerischen Protesten gegen das Polizeiaufgabengesetz von großer
Bedeutung.