Libertatia in Flammen

Seit Tagen wurde für die Großkundgebung am
heutigen Tag von verschiedenen Seiten aus kräftig die Werbetrommel
gerührt: Rechte Parteien und Organisationen, gewisse konservative
und christliche Kreise, Goldene Morgenröte, Fussballklubs, bekannte
Persönlichkeiten wie der Komponist Mikis Theodorakis machten in Erklärungen und social media posts klar: „Macedonia is
Greek“. Die Rede war bislang von 400 Bussen die sich
griechenlandweit nach Thessaloniki auf den Weg machten.
Regierungschef Alexis Tsipras mahnte den nationalistischen Wahnsinn
ab und versprach eine gute Lösung für sein Land zu erzielen.
Thessalonikis Bürgermeister Giannis Boutaris positionierte sich
gegen die nationalistische Mobilisierung, ebenso wie
antifaschistische und antiautoritäre Gruppen aus der
nordgriechischen Stadt. Letztere organisierten schon in den Tagen vor
dem nationalistischen Spektakel Motorraddemos und Kundgebungen zur Sicherung der Gegenöffentlichkeit und Warnung vor
der aufkommenden nationalistischen Rage .
Die rechten
Organisator*innen der heutigen Großkundgebung sprechen zwar von
über 400.000 Teilnehmern. Ganz so viele waren es aber sicherlich
nicht: Etwa 50.000 Menschen kamen an einem der zentralsten Plätze
Thessalonikis unter der Statue vom Alexander den Grossen in der Nähe
vom Weissen Turm, mit Griechenland Fahnen, Transparenten, sowie
kreativer und traditioneller Verkleidungen zusammen. Darunter
auch ein größerer organisierter Block der neonazistischen Partei
Goldene Morgenröte, die inzwischen als kriminelle Vereinigung
vor Gericht steht. Der Block hatte eigene Schutztruppen, die vom
Parlamentsmitglied und bekannten Kader Ilias Kasidiaris angeführt
wurden. Schon in den Tagen zuvor organisierten sie Flashmobs und
kündigten die Kundgebung auf dem Titelblatt ihrer Partei-Zeitung an.
Anwesend waren auch der konservative regionale Gouverneur der Region
Zentralmazedonien Apostolos Tzitzikostas, Parlementarier der
Unabhängigen Griechen und die Zentrumsunion, zahlreiche ehemalige
konservative Parlamentsabgeordnete und Bürgermeister
Nordgriechenlands.
Antiautoritäre Gruppen
warnten schon die Tage davor vor Angriffen auf Gegendemonstranten und
linker bzw. anarchistischer Infrastruktur. Schon auf dem Weg zur
Kundgebung wurden schon die Besetzung Scholio (Schule) unter
Schutz und Mitwirkung der MAT-Einheiten angegriffen, aber von
den Anwesenden erfolgreich verteidigt. Etwa 150 Vermummte haben
während der Kundgebung versucht die Polizeiabsperrungn zu überrennen
und die antifachistische Demonstration am zentralen Platz
Thessalonikis Kamara anzugreifen. Die Riotpolizei MAT
setzte Tränengas ein um ein Aufeinandertreffen der Gruppen zu
verhindern. Im Anschluss der nationalistischen Kundgebung hat eine
Gruppe von über 100 Menschen den anarchistischen und
antifaschistischen Squat Libertatia angegriffen und
schließlich angezündet. Gerüchten in sozialen Medien zufolge
handelte es sich bei den Täter*innen um eine Gruppe von
nationalistischen Anhänger*innen von PAOK, dem Fanclub Makedones.
Das Gebäude von Libertatia ist mittlerweile komplett abgebrannt.
Motorradgruppen der Goldenen Morgenröte sind zurzeit mit
Knüppeln unterwegs; andere Besetzungen befinden sich weiterhin in
höchster Alarmbereitschaft. Ob es eine Koordination zwischen den
faschistischen Gruppen und den Fussballfans gab bleibt unbestätigt,
kann aber nicht ausgeschlossen werden.
Die größten Befürchtungen haben sich hiermit bestätigt. Am heutigen Sonntag gehörten die Strassen Thessalonikis den Faschist*innen und den Tausenden, die ihnen mit ihrer Präsenz im nationalistischen Spektakel Schutz gewährten. Die Faschist*innen bewegten sich regelrecht wie Fische im Wasser. Die griechischen Medien bringen die Niederbrennung erst langsam im Zusammenhang mit der Kundgebung. Tatsächlich betitelte die größte griechische Tageszeitung Kathimerini einen aktuellen Artikel, der sich mit dem Angriff auf die Gegenkundgebung befasste: „Auseinandersetzung zwischen Antiautoritären und MAT Einheiten“. Die nächste nationalistische Massenkundgebung findet am 28. Januar in Athen am geschichtsträchtigten Syntagma Platz statt. Der Nationalismus darf erstmal weiter leben – die Libertatia wohl nicht.