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Kein Freund, kein Helfer

Artikelbild_26_06_2020_NK.jpg re:volt magazine


Warum die Forderung nach „Razzien bei Nazis“ problematisch ist

Vor wenigen Tagen demonstrierten im Berliner Bezirk Neukölln zahlreiche Menschen gegen den rechten Terror, der seit einigen Jahren auch in diesem Stadtteil immer stärker um sich greift. Unserer Redakteurin Laura Müller fiel dabei eine Forderung auf, die auf den ersten Blick vollkommen plausibel, in der Rückschau aber denkwürdig scheint. In diesem Artikel erklärt sie, warum der Ruf nach „Razzien bei Nazis“ einer kritischen Reflexion bedarf und wir den Rechtsstaat und seine Organe konsequenter hinterfragen müssen.


Am 26.Juni 2020 fand in Berlin-Neukölln eine antifaschistische Demonstration statt. Anlass waren erneute rechte Anschläge, die sich in eine schon seit 2016 andauernde Nazi-Terrorserie einreihen. Die Bäckerei Damaskus auf der Sonnenallee war bereits zum siebten Mal betroffen und so verlief die Route vom Hermannplatz an der Bäckerei vorbei bis zur Bar K-Fetisch, die im Dezember vergangenen Jahres ebenfalls Ziel rechter Taten wurde.
Die Demo war wichtig und ein deutliches Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen. Insgesamt beteiligten sich ca. 2000 Menschen. Viele Teilnehmer*innen brachten Schilder und Transparente mit, um ihre Empörung über den sich normalisierenden rechten Terror, aber auch ihre Wut auf die Polizeibehörden, die sich seit Beginn der Anschläge durch einen offenkundigen Ermittlungsunwillen auszeichnen, sichtbar zu machen.

Auf einem Schild war die Forderung „Razzien bei Nazis, statt in Shisha-Bars“ zu lesen, die auch in einigen Redebeiträgen anklang. Sie bringt zum Ausdruck, was im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen wieder mal offensichtlich wird, wenn trotz SS-Runen und Hakenkreuzschmierereien an den Tatorten „in alle Richtungen ermittelt“ wird und Betroffene über Verbindungen zu „kriminellen Clans“ ausgefragt werden: während (vermeintliche) Migrant*innen von deutschen Behörden permanent kriminalisiert werden, werden Nazis mit Samthandschuhen angefasst, ihre Taten heruntergespielt oder sogar vertuscht. Während sich Politiker*innen und die Berliner Polizeipräsidentin dafür abfeiern, allein 2019 etwa 400 Einsätze wegen angeblicher „Clan-Kriminalität“ durchgeführt zu haben und das Problem damit unverhältnismäßig aufbauschen, gibt es zum Neukölln-Komplex seit Jahren keine handfesten Ermittlungsergebnisse.

Die Wut der Betroffenen und ihr Wunsch, dass die Täter*innen endlich ermittelt werden, ist somit verständlich. Und doch ist die Forderung nach Razzien bei Nazis problematisch. Fast schon paradox mutet es an, wenn sie von Menschen auf Schildern nach außen getragen wird, die dabei „No justice, no peace“ rufen, wie auf der Demonstration am 26.06. geschehen - ein Ausruf der seit Jahren das tiefe Misstrauen von People of Colour und Antirassist*innen gegenüber der Polizei und anderen staatlichen Behörden ausdrückt und seit dem brutalen Mord an George Floyd und den anschließenden internationalen Protesten gegen rassistische Polizeigewalt eine neue Popularität erfährt. Struktureller Rassismus, rassistische Polizeigewalt und die Verwicklung in rechte Strukturen sind auch in deutschen Behörden eine Tatsache, auf die linke und antirassistische Aktivist*innen schon lange hinweisen und die durch die Aufdeckung zahlreicher entsprechender Fälle, von denen der NSU-Komplex und der Mord an Oury Jalloh nur die prominentesten sind, langsam auch in die Köpfe der Weißen deutschen Bevölkerung dringt.

Aus der Forderung nach polizeilichen Durchsuchungen hingegen spricht ein zutiefst bürgerlicher Glaube an den Rechtsstaat und die leise Hoffnung, dass es sich bei all den rechten Vorfällen in Behörden doch nur um bedauerliche Einzelfälle handelt, die es normalerweise nicht geben sollte. In ihr schlummert der Wunsch, die Polizei möge der Aufgabe nachkommen, die sie aus bürgerlicher Sicht hat: die Zivilbevölkerung vor Terrorismus, auch vor rechtem, zu schützen. Die Forderung ignoriert dabei, dass das Konzept einer exekutiven Staatsgewalt zwangsläufig Oppression von Menschen und Zwang beinhaltet und die ihr zugeordneten beruflichen Positionen daher naherliegenderweise einen Typ von Menschen anzieht und ausbildet, der sich diesem Zweck andient.
Betrachtet man die Polizei aus dieser Perspektive, erscheint die Vorstellung, dass sie rechte Strukturen und Taten umfassend aufklärt irrig und es wird plausibel, dass sich Personen in diesem Berufsstand auch politisch von autoritären Strukturen mit Allmachtsphantasien angezogen fühlen. Und sie macht deutlich, dass wir als Linke und Antirassist*innen von Polizei und Ermittlungsbehörden wenig bis nichts erwarten können und auch nicht sollten.
Wenn das Vorgehen der Polizei in Bezug auf rechten Terror von Kleinreden bis hin zu aktiver Beteiligung reicht und gleichzeitig ganze Menschengruppen aufgrund rassistischer Zuschreibungen unter Generalverdacht gestellt werden, um eine auf Sand, beziehungsweise auf unversteuertem Shishatabak, gebaute umfassende Bedrohungslage zu inszenieren, müssen unsere Forderungen über das Verlangen nach einem Durchgreifen des Rechtsstaats hinausgehen und die Hilflosigkeit überwinden, die aus dem Ruf nach der Amtsgewalt ebenso spricht, wie latente oder manifeste Staatsgläubigkeit.

Fordern müssen wir eine umfassende Aufklärung der Verwicklung deutscher Behörden in rechte Strukturen, rechte Terrornetzwerke und rassistische oder faschistische Gewalt. Fordern müssen wir, dass unabhängige Stellen diese Aufklärung betreiben, die ein tatsächliches Interesse daran haben, diese Vorgänge aufzudecken und nicht daran, ihre Berufsehre zu retten. Und fordern müssen wir, dass Betroffene gehört, statt selbst kriminalisiert werden. Eine konsequente Aufklärungsarbeit muss Betroffene mit einbinden und Ermittlungen transparent machen. Und schließlich sollten wir selbst aktiv werden, Solidarität mit Betroffenen zeigen und leben, ihre Belange, Wünsche, aber auch Ängste ernst nehmen und sie dabei unterstützen, sich vor rechtem Terror zu schützen.

Wer aufhört, sich auf die Staatsgewalt zu verlassen, begibt sich oft auf unsicheres Terrain. Es gibt kein Patentrezept dafür, dem rechten Terror selbstorganisiert entgegenzutreten und auch dieser Text bietet kein solches. Wir können aber herausfinden, wie es geht – zusammen, solidarisch, entschlossen und mit wachen Augen für institutionellen Rassismus und rechte Umtriebe in staatlichen Behörden. Lasst uns gemeinsam das Misstrauen gegenüber dem Rechtsstaat stärken!