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Bürgerliche Kaltblütigkeit

DSC_0183.JPG Çağan Varol

Derzeit läuft in Köln ein Prozess über gefährliche Körperverletzung, illegalen Waffenbesitz und rassistische Beleidigungen. Der Prozess fing vor einigen Wochen an und wird sich den Dezember über hinziehen. Das Urteil wird wahrscheinlich erst im neuen Jahr verkündet. Angeklagt ist ein Mann aus gutbürgerlichen Kreisen, für einen Angriff auf eine Gruppe von migrantischen jungen Männern in der Nacht des 29. Dezember 2019. Das zynische dabei: Der Täter ist nur wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt, obwohl schon die Polizei zuvor von Totschlag ausging.

Der Angeklagte ist indes nicht irgendein alter Mann, dem die Nerven blank lagen und der unüberlegt im Angesicht großer Gefahr gehandelt hat – eine solche Argumentationslinie fand sich teilweise in der medialen Berichterstattung wieder. Auch der Täter selbst will vor Gericht nicht so gesehen werden: In der von seinem Anwalt verlesenen dubios-kreativen Einlassung beschreibt der ehemalige CDU-Bezirksrat Hans-Josef Bähner seine über vier Jahrzehnte währende Schützenbiografie als Zeugnis seiner angeblichen Zuverlässigkeit. Vom Schützenbruder zum Schützenvereinsgründer zum Schützenausbilder – der Täter durchlief sämtliche Stationen dieser Institution. Wähnte sich Bähner auch aufgrund dieser Karriere im Recht, auch auf der Straße mit Waffengewalt für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen? Denn dies schien er im Sinn gehabt zu haben: Genau sieben Monate nach dem Mord an seinem Parteikollegen Walter Lübcke – einem Befürworter der bundesdeutschen Geflüchtetenpolitik – schoss er in Köln-Porz vor seinem Haus auf einen Jugendlichen. Dieser hatte sich, gemeinsam mit drei weiteren Freunden, zum abendlichen Chillen am dortigen Rheinufer aufgehalten. Der junge Mann wurde schwer verletzt.

Von der Rhetorik zur Tat

Im Verlauf des Prozesses behauptete der Täter, er hätte die für die Tat genutzte illegale Pistole von einem (zwischenzeitlich verstorbenen) Schützenbruder erhalten. Man fand bei ihm später weitere fünf Waffen, darunter zwei Langwaffen. In der Tatnacht meinte er aber zunächst, er hätte die eingesetzte Pistole vor dem Streit in seinem Vorgarten gefunden – und geschossen hätten die Jugendlichen, die er angeblich für Polizisten hielt. Die jungen Männer und der Täter wurden auf Schmauchspuren getestet. Während man bei den Jugendlichen keine Hinweise fand, enttarnte der Test Bähner als Lügner: Die Intensität der Schmauchspuren wies auf ihn als Täter hin, der den Schuss aus kürzester Distanz – etwa 1-5 cm Abstand – getätigt haben muss. In seiner Einlassung vor Gericht war die Rede von einem Warnschuss, der fehlschlug, da nach ihm geschlagen worden sei. Allerdings waren die durch die Polizei durchgeführten Zeugenvernehmungen konsistent: Sie bestätigten das Fehlen einer körperlichen Auseinandersetzung; abgesehen von Versuchen des Täters selbst, mit der Waffe in der Hand auf den Geschädigten einzuschlagen. Ein Zeuge, der das Mündungsfeuer auf Kopfhöhe des Geschädigten sah, konnte sich nur durch die spontane Drehbewegung des Verletzten erklären, weshalb es zu einer Verletzung des Oberarms, nicht aber zu einer Kopfverletzung kam. Für den Täter war also der Schuss aus 1-5 cm Entfernung in dieser Höhe „nur“ ein Warnschuss.

Das Ereignis dieser Nacht hat einmal mehr offengelegt, dass hinter der Fassade bürgerlicher Spießigkeit vigilantische Schläfer schlummern, für die Migration und Pluralismus die Ursachen aller Probleme sind.

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Macht auf die Kontiuitäten rassistischer Gewalt gegen migrantisierte Menschen aufmerksam: Mural in Köln.

Der Täter war, wie er im Gerichtssaal verlesen ließ, ein vehementer „Kritiker“ der Geflüchtetenpolitik seiner Partei. Mit seiner rassistischen Ablehnung der bundesdeutschen Migrationspolitik steht Bähner im Übrigen auch bei den Christdemokraten nicht alleine: Der ehemalige Bundesinnen- und Heimatminister, Horst Seehofer, bezeichnete die Migrationsfrage nach den Ausschreitungen von Chemnitz 2018 als „die Mutter aller politischen Probleme im Land“. Dieser hatte schon 2011 mit einem Durchhaltespruch der Nationalsozialisten zum Ausdruck gebracht, dass er eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme „bis zur letzten Patrone“ verhindern wolle, und dabei Muslime und Eingewanderte meinte. Im Jahre 2015 konterte er gegen die „Wir schaffen das“-Devise von Angela Merkel mit einer Politik der „Notmaßnahmen“ und drohte damit, in Bayern eine „wirksame Notwehr“ gegen Geflüchtete üben zu wollen. Menschen wie Bähner folgen anscheinend dieser Rhetorik.

Kultur des Schießens

Der Fall eröffnet auch die Frage danach, wie viele gewaltbereite Vigilant*innen unerkannt in den 14.000 Schützenvereinen des Landes ein- und ausgehen. Damit sind auch und vornehmlich diejenigen gemeint, die nicht unter die Klassifizierung „verwirrte Einzeltäter“ fallen, sondern in ihrer Nachbarschaft ein akzeptiertes, bürgerliches Leben führen. Dabei ist die Unberechenbarkeit der Situation bekannt: Für die Zeit nach dem Massaker von Winnenden 2009 – mit 15 Toten, darunter elf weiblich – zählt die Initiative „Keine Mordwaffen, als Sportwaffen“, die sich nach diesem Amoklauf gründete, über 100 Tote durch Sportschützen, den rechten Terroranschlag in Hanau mitgezählt. Auch der Mörder von Hanau war Sportschütze und darin so gut trainiert, dass er die Ermordung von neun Menschen in der Nacht vom 19. Februar 2020 in nur wenigen Minuten vollbringen konnte – was auch an dem Fehlen jeglicher polizeilicher Verhinderungsversuche lag. Von 1990 bis Februar 2020 sollen es nach Angaben der genannten Initiative insgesamt 270 Tote, ohne Suizide, gewesen sein.

Beschwerden gegen das geltende Waffenrecht, dass den Besitz von Waffen erschweren sollte, wurden vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2013 abgelehnt, da das Waffenrecht nicht zu beanstanden sei. Für eine Einordnung der Größenordnung, um die es hierbei geht: Bei 1,35 Millionen Schütz:innen im Deutschen Schützenbund gibt es viermal so viele legale Waffen in Deutschland. Die unregistrierten und damit illegalen Waffen sind darin nicht mitgezählt.

Schützen müssen rechtlich gesehen alle drei Jahre auf ihre Zuverlässigkeit und persönliche Eignung hin überprüft werden und die sichere Lagerung der Waffen ist verbindlich festgeschrieben. Eine medizinische oder psychologische Vorprüfung der Mitglieder von Schützenvereinen erfolgt indes nicht grundsätzlich. Nach den Amokläufen der 2000er (darunter Winnenden) wurde das Mindestalter für eine vollwertige Waffenbesitzkarte von 18 auf 21 Jahre erhöht. Nur zwischen dem 21. und 25. Lebensjahr müssen Anwärter*innen, die großkalibrige Waffen erwerben möchten, ihre persönliche und geistige Eignung mit einer fachärztlichen medizinisch-psychologischen Untersuchung nachweisen, die ca. 200 Euro kostet. Diese Untersuchung ist aber eine Farce. Nach einem Fragebogentest, einem Stresstest am Computer und nach einem Gespräch mit einem Psychologen, besteht jede Person, die nicht „Rumballern ist richtig geil“ oder „Ich will Menschen töten“ schreibt oder ankreuzt, diesen Test. Das bestätigt auch ein Artikel der Legalwaffenbefürworter, der German Rifle Association, auf ihrer Homepage (Verlinkung auf Original-Seite, Anm. Red).

In den Jahren vor dem Anschlag tauchte der Täter von Hanau etwa 15-mal in polizeilichen und staatsanwaltlichen Akten auf und wurde sogar in die Psychiatrie zwangsüberwiesen. Eine behördliche oder eine soziale Kontrolle in der Familie, vor allem bei Betrachtung der Geisteswelt des Vaters, war nicht vorhanden. Der Vater des Mörders hat ein ähnliches Weltbild wie sein Sohn und verlangte nach der Tat dessen Waffen zurück, wie auch die Entfernung aller Bilder der Getöteten und Hinweise auf diesen Massenmord im Stadtbild Hanaus. Während im Vorfeld die Sicherheitsbehörden und die Justiz alle Hinweise ignorierten, gab es auch in seinem Schützenverein keine Zweifel an der Zuverlässigkeit des Mörders, der dort als nett und auffällig galt.

Rechtes Weltbild und Bürgerlichkeit

Die Kommentare und Likes von H.J. Bähner online, die sich auch auf „Sputnik News“ oder der extrem rechten Seite „Journalistenwatch“ wiederfanden, wurden von Expert:innen aus der Rechtsextremismusforschung analysiert. Sie attestierten diesem eine neonazistische, antisemitische Sprache und eine diesbezügliche ideologische Nähe. Bähner hingegen beanspruchte die Definitions- und Deutungshoheit über Rassismus für sich. Er wehrte sich in der Verhandlung dagegen, als Rassist bezeichnet zu werden, obwohl alle Zeugen aussagten, es wären sofort rassistische Beleidigungen vom Täter geäußert worden, bevor dieser schoss.

Für die Polizei wirkte der Täter bei seiner Festnahme „kühl“ und „gleichgültig“, teilweise sogar verärgert wegen dem Polizeiaufgebot vor seiner Tür. Er schüttelte oft den Kopf und lachte sogar, wobei er wie jemand wirkte, der gerne seine Angelegenheiten ohne die Polizei klärt, wie ein in der Verhandlung befragter Polizist bemerkte. Die Polizei behandelte den Mann, der wegen Totschlags verdächtig war, trotzdem sehr zuvorkommend. Sie telefonierten zunächst mit dessen Frau, um dieser mitzuteilen, dass die Polizei vor der Tür stehe und er herauskommen solle. Eine SEK-Einheit wurde nicht in Betracht gezogen. Nach einem anscheinend zuvor erfolgten Datenabgleich legte man die Ramme daher beiseite und traf auf einen verärgerten älteren Mann, der sich darüber beklagte, dass man ihm die Angelegenheit in die Schuhe schieben wolle. Mehrere der als Zeug*innen vernommenen Polizist*innen gaben ebenfalls an, dass es sich definitiv nicht um eine normale Festnahmesituation handelte und der aufbrausende Herr sich keiner Schuld bewusst war. Ein Polizist, so wurde im Prozess deutlich, hörte Bähner auch sagen: „Man müsse sich schon selber helfen“, da die Polizei in solchen Fällen nicht käme.

Wem gilt die Unschuldsvermutung?

Es habe sich um ein „bürgerliches Haus“ in einem „bürgerlichen Viertel“ gehandelt; zudem habe der zuständige Leiter im Präsidium Köln bestimmt überprüft, wer da wohne, so der damalige Einsatzleiter. Während der Einsatz eines SEK-Kommandos der Normalfall in einem von Armut betroffenen Viertel gewesen wäre, wurde der Täter hier, noch in der Tatnacht, privilegiert behandelt. Er wurde für die Tat nicht mal in Untersuchungshaft genommen.

Ein weiterer Skandal ist die Aufbewahrung der Waffen und Munition des Sportschützen. Lichtbilder aus dessen Wohnung und eine vernommene Polizistin bezeugten am vierten Verhandlungstag, dass die Waffen und dutzende Schuss Munition teilweise verteilt in den Räumen und Regalen gelegen hätten. Die Tatpistole und einen Teleskopschlagstock fand man in Einkaufskörben, ein Revolver (Magnum) befand sich offen in seiner Nachttischschublade. Dies spricht nicht für die Zuverlässigkeit des Schützen. Ironischerweise lag auch die Originalverpackung der Tatwaffe (Bernardelli 765 Browning) mit der passenden Kalibernummer – von dem Bähner noch ausgesagt hatte, die Heranwachsenden hätten sie ihm in den Garten geworfen – irgendwo zwischen Ordnern, Perücken und Munition in einem der Regale. Wahrscheinlich muss die Waffe samt Originalverpackung in den Garten geworfen worden sein.

Zwei Jahre später. Als am ersten Verhandlungstag ein Fernsehbericht abgespielt wird, indem die Rede davon ist, dass der Verletzte auch hätte tot sein können, nickt der Täter; kalt und zustimmend. Seine leeren Blicke ins Publikum oder dessen gute Laune in den Pausen lassen auf einen eklatanten Mangel an Reue schließen. Man kann davon ausgehen, dass dem Täter kein Körnchen Zweifel an der Richtigkeit seiner Tat aufkommt.

DSC_0172.JPG Çağan Varol

Derzeit findet der Prozess gegen Hans-Josef Bähner am Landgericht in Köln statt. Über aktuelle Entwicklungen berichtet auch die Initiative "Tatort Porz".