Entsolidarisierung im Zentrum
Was haben wir mal wieder getobt, als wir dann doch mal wieder die Jungle World in den Händen hielten. Ihr Schwerpunkt war – ganz aktuell – die Geschehnisse in Katalonien, das heißt um genauer zu sein: das Unabhängigkeitsreferendum. Zum Verlauf der Entwicklung und dem Charakter der katalanischen Bewegung hatte einer von uns beiden bereits geschrieben. Wir fassen die Geschehnisse also kurz und knapp zusammen: Eine liberale bis linke nationale Bewegung stellt demokratische, nationale und soziale Forderungen und will aus speziell spanisch-historischen Gründen das einstmalige Kolonial-Imperium verlassen. Das Imperium schlägt zurück und prügelt mit der wildgewordenen Großgrundbesitzer-, später Fascho-Folter-Brigade Guardia Civil alles weg, was wählen will. Alles empört sich über die Gewalt. Aber so richtig solidarisch sein mit den Katalanen, das will man auch nicht. Warum regt uns das auf? Einfach weil es der typische Pseudo-Radikalismus der deutschen Linken ist, der nicht nur bei diesem Thema auftritt.
Und genau so liest sich dann auch
der Lead-Artikel der Jungle World, der mit viel radikalem No
Nation-Gehabe daherkommt und halt dann doch bei etwas vollkommen unradikalem
stehenbleibt: Lediglich eine Solidarisierung gegen etwas, aber nicht für etwas
soll mal wieder der Königsweg sein. Was steht da drin? Im Kern das: „Mit etwas
Glück führt diese autoritäre Konfliktlösungsstrategie sogar dazu, dass sich der
nationale tatsächlich zu einem sozialen Konflikt entwickelt, der über die
Grenzen Kataloniens hinaus seine Wirkung entfaltet und das nationalistische
Moment zugunsten eines wirklich demokratischen Kampfes zurückdrängt.“ Für
den Autor sind offensichtlich der nationale, der soziale und der demokratische Widerspruch
im heutigen Spanien zwei hermetisch voneinander abgetrennte Sphären – nationale
Frage ist autoritäre Krisenlösung hier, soziale Frage und demokratische Rechte
erstrebenswert dort. Auf die Idee, dass derzeit in Katalonien aus historischen
Gründen eben alle drei Widersprüche gleichzeitig und ebenfalls auf
widersprüchliche Art und Weise verhandelt werden und diese sich unmittelbar
aufeinander beziehen, kommt er nicht. Und auch nicht darauf, dass sich eben die
demokratische und soziale Seite dieses Kampfes erst dann stärker und
erfolgreicher entwickeln, wenn die revolutionäre Linke Teil davon ist.
Stattdessen schreitet dieses radikale Gehabe ganz unradikal in die liberale
Repressionshypothese zurück – à la ,,mehr Repression, dann vielleicht mehr sozialer
Kampf‘‘.
Tradition und Gegenwart des katalanischen Republikanismus
Na klar gibt es ein an Demokratisierung kaum interessiertes katalanisches Bürgertum, das aus egoistischen Gründen Spanien verlassen und einen eigenen Nationalstaat gründen möchte: Katalonien gehört zu den reichsten Regionen Spaniens und seine Herrschenden möchten nicht mehr Geld an die ärmeren Gegenden abdrücken, noch von der Krise Spaniens betroffen sein. Das verhüllen sie, ganz klassisch, mit einem katalanischen Nationalismus, der eine vermeintliche Trennung zwischen Katalanen und anderen Völkern herstellen soll. Aber in Katalonien gibt es allein schon historisch betrachtet eine ebenso starke, teilweise auch vom katalanischen Bürgertum getragene demokratisch-republikanische Bewegung. Gerade diese ist es, die sich gerade im Aufschwung befindet. Gegen wen wendet sich die demokratisch-republikanische Bewegung in Spanien? Gegen den post-franquistischen Zentralstaat, der trotz (oder wegen) der Transicion parlamentarische Monarchie ist, und sein Selbstverständnis. Dieses Selbstverständnis lautet: Spanien ist ein Imperium und es ist unteilbar. Die demokratisch-republikanische katalanische Bewegung hatte genau dieses Selbstverständnis infrage gestellt und zwischen 1936 und 1939 auch auf der Seite der Spanischen Republik gekämpft – gemeinsam mit den KommunistInnen und AnarchistInnen. Franco hat ihnen das nie verziehen: Die Sprache und das Praktizieren kultureller Eigenheiten wurde im Faschismus verboten, das Autonomiestatut abgeschafft. Die Krise einerseits aber auch Madrids Ablehnung jeglicher Verhandlungslösungen nach mehr Autonomie andererseits führten zu einem Aufschwung gerade dieser demokratisch-republikanischen Bewegung, trotz der Tatsache, dass die katalanische herrschende Klasse selbst mittlerweile eher eine nationalistische Perspektive besitzt. Unterstützte noch vor wenigen Jahre nur eine Minderheit der katalanischen Bevölkerung die Autonomiebewegung, so ist es jetzt vermutlich eine Mehrheit geworden.
Jetzt könnte man doch angesichts dessen auf die Idee kommen, dass es eine durchaus demokratische Forderung ist, den spanischen Zentralstaat und sein Herrschaftsnarrativ herauszufordern – schon allein aus antifaschistischen Gründen. Bei der CUP klingt das dann so: „In Zeiten sowohl von Diktatur als auch von Demokratie haben wir mit Generalstreiks immer wieder demokratische und soziale Rechte verteidigen oder die Forderung nach Selbstbestimmung stark machen müssen. Heute wissen wir, dass die Gewalt die einzige Strategie des Staates ist, um den Willen des Volkes, die Sehnsucht nach Freiheit und sozialer Gerechtigkeit zu brechen.“ Dass der Kampf für soziale und demokratische Rechte im Falle Kataloniens auch unter Einbezug der nationalen Frage geschieht, hat also historisch nachvollziehbare Gründe. Unabhängigkeit heisst eben auch Bruch mit dem post-faschistischen Staat. Was an der Tatsache, dass man sich gegen die post-faschistische Idee des zentralspanischen Staates wendet und über sein Schicksal als Bevölkerung abstimmen will ethnisch (nett für: völkisch) und autoritäre Krisenlösung sein soll, bleibt das Geheimnis des Autors. Besonders weil es doch gerade der spanische Staat ist, der die eigentliche repressive Krisenlösung mit Gummiknüppeln betreibt.
Die Verquickung von nationaler, demokratischer und sozialer Frage
Nation ist ein ausschließendes und bürgerliches Konzept. Dort, wo eine nationale Bewegung zum Nationalstaat wird, definiert dieser sich in Abgrenzung zu anderen und gliedert sich ins kapitalistische Weltsystem ein. Wo soll da also der Fortschritt sein?, fragt sinngemäß der Jungle World Autor. Es gehe im Kern um die Emanzipation des unterdrückten Bürgertums gegen ein unterdrückendes Bürgertum. Wenn es das wäre, wäre es kein Thema für uns Linke – wären da nicht noch die ArbeiterInnen, die ebenso betroffen sind von der Unterdrückung. Was machen wir also in Ländern, in denen sich (bürgerlich-)demokratische Errungenschaften nie vollständig entfaltet haben – etwa in ehemals kolonialen Gesellschaften oder in post-faschistischen Gesellschaften, in denen Minderheiten unterdrückt werden? Die Aufgabe der revolutionären Linken ist es dann nicht, sich an den Schwanz der jeweiligen Bourgeoisie ran zu hängen: Das Anerkennen des Selbstbestimmungsrechts der Nationen sollte für uns niemals bedeuten, dass man jeden nationalistischen Scheiß unterstützt, sondern sich für die Lösung der nationalen Frage im Rahmen einer Demokratisierung und mit weitreichenden sozialen Forderungen einsetzt. Oder eben jene revolutionär linken Kräfte vor Ort unterstützt, die dies tun.
Ein weiterer zentraler Aspekt sollte nicht außer Acht gelassen werden: Der Aspekt des massenhaften Widerstands, ergo der massenhaften Politisierung. Sollte Katalonien eine Republik werden oder mehr Autonomie erlangen, wird die katalanische Bourgeoisie einer politisierten Bevölkerung gegenüberstehen, die massenhaft die Erfahrung der Selbstorganisierung und Repression gemacht hat und die sich nicht jede Sozialkürzung im neuen, katalanischen Gewand gefallen lassen wird. Der nationale Widerspruch wäre gelöst, der demokratische mit der Staatsform der Republik zumindest entwickelt und der Kampf um soziale und demokratische Rechte auf eine neue Stufe gehoben. Das geschieht allerdings nur dann, wenn die revolutionäre Linke als aktiv kämpfender Teil dieser an demokratischen und sozialen Potenzialen reichen Bewegung teilnimmt, um gerade die demokratischen und sozialen Kämpfe in den Vordergrund zu rücken.
Aktiver Kampf inmitten der Widersprüche
Wir können also nicht einfach auf die „Etappe“ einer erfolgreich abgeschlossenen nationalen Befreiung warten, um dann erst mit weiterreichenden demokratischen und sozialrevolutionären Perspektiven aufzutauchen – weil dann hat schon längst das Bürgertum das Ruder in der Hand. Wir müssen eine Perspektive der Lösung der nationalen Frage entlang weitreichender demokratischer und sozialer Forderungen, die oft nicht (mehr) im Interesse der Herrschenden sind, anbieten und hierfür kämpfen können. Dann gibt es günstigere Bedingungen im neuen status quo, den Kampf weiter in Richtung sozialer Revolution zu radikalisieren. Andererseits können wir uns auch keine elitäre Abwesenheit im massenhaften Kampf gegen nationale Unterdrückung und Faschismus leisten, weil dann ebenfalls das Bürgertum das Ruder übernimmt und den legitimen und aussichtsreichen Aufstand nationalistisch organisiert. Dann rückt die demokratische Revolution in die Ferne, ganz zu schweigen von der sozialen.
Dieses Konzept, Momente eines Prozesses nicht statisch nebeneinander zu stellen, sondern sie als verschiedene Widersprüche eines Bewegungs-Prozesses zu begreifen, der in Zwischenschritten mit unterschiedlichen Möglichkeiten und Kräfteverhältnissen verläuft, nennt sich auch dialektische Bewegung. Das kann die deutsche Linke nicht so gut, weshalb sie regelmäßig großartige abstrakte Differenzierungen raushaut oder sich enttäuscht von Bewegungsergebnissen abwendet, wenn sie dem abstrakten Reflektionsstufe 10-Gusto nicht passen, anstatt diese Ergebnisse als Teile eines Prozesses zu begreifen, von dem aus der Kampf weitergehen muss und um den die Linke einen Hegemoniekampf führen muss. Die Devise „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt“ ist zum Scheitern verdammt. Denn es wird keine weltweit auf einmal auftretende, rein kommunistische antinationale Revolution ohne Zwischenschritte geben. Andere Widersprüche, andere Kräfteverhältnisse, andere Formen des Kampfes. Und: Am deutschen Wesen wird nicht die Welt genesen. Das ist eine Lektion, die die deutsche Linke offensichtlich immer noch lernen muss.