Ein hässliches Wochenende
Libertatia in Flammen? Erinnert ihr euch noch? Vor zwei Wochen haben Faschisten und rechte Fussballfans in der nordgriechischen Stadt Thessaloniki unter anderem die anarchistische Besetzung Libertatia niedergebrannt, weitere soziale Projekte angegriffen und das Holocaust Denkmal beschmiert. Die Aktionen fanden im Rahmen einer nationalistischen Massenkundgebung statt, bei der etwa 50.000 Griech*innen forderten, dass „Mazedonien“ griechisch sei und der Nachbarstaat Mazedonien bitte seinen komplizierten langen Namen mit dem Akronym FYROM beibehalten soll. Sie setzten an diesem Tag bereits einen neuen Termin fest: Am morgigen Sonntag, den 4. Februar, sollen Hunderttausende am zentralsten Platz des Landes, am Syntagma in Athen, den Druck auf die griechische Diplomatie erhöhen. Und das ist nicht genug: Schon am heutigen Samstagabend organisiert die Goldene Morgenröte ihren jährlichen Imia-Marsch, an dem tausende Neonazis teilnehmen werden. Es wird ein heißes Wochenende: Für die Regierung, die Polizei – aber vor allem für den antifaschistischen Widerstand und für jede und jeden, der von der faschistischen Gefahr betroffen sein wird.
Der sogenannte Namensgebungskonflikt währt schon seit Jahrzehnten. Zehntausende Demonstrant*innen nahmen am vorletzten Wochenende an der landesweiten Kundgebung mit der Forderung teil, den Begriff Mazedonien nicht in den Namen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien aufzunehmen. Griechenland solle dies in keinem Fall zulassen, weil dies die griechische Geschichte diskreditieren und zur Destabilisierung der Region beitragen würde. Die letzte große nationalistische Ansammlung mit tausenden Teilnehmer*innen zum selbigen Thema fand 1992 statt – inmitten eines nationalistischen Aufruhrs gegen die 1991 erfolgte Gründung des kleinen Nachbarstaats nach Ende des Jugoslawienkriegs. Wegen des schwelenden Streits wird Mazedonien bei der UNO mit dem sperrigen Namen Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien (eben FYROM) geführt. Seit 2008 blockiert Griechenland auch den NATO-Beitritt des südosteuropäischen Landes. In der Zwischenzeit setzte auch Mazedonien selbst, zumindest aus Sicht Griechenlands, auf eine Politik der Provokation, indem Flughäfen und andere Wichtige Orte nach Alexander dem Großen benannt wurden. Seit 2014 liegen die Verhandlungen über den Namensstreit praktisch still. Zuletzt zeichnete sich eine Einigung zwischen den Regierungen beider Länder ab. Der UN-Vermittler in dem Streit, Matthew Nimetz, zeigte sich kürzlich in New York „sehr optimistisch, dass der Prozess in eine positive Richtung geht“. Nimetz unterbreitete verschiedenen Medienberichten zufolge fünf Namensvorschläge, die alle das Wort Mazedonien enthalten, unter anderem Nord-Mazedonien und Neu-Mazedonien.
Massenmoblilisierung und Drohungen
Am morgigen Sonntag soll eine Wiederholung dieser nationalistischen Machtdemonstration folgen. Vor zwei Wochen war noch nicht absehbar, ob die erste Mobilisierung gut besucht sein würde; lediglich extrem rechte Gruppen riefen dazu auf. Mittlerweile aber mobilisieren neben den Faschos auch große Teile der Kirche, konservative und rechte Organisationen und Parteien und die pro-griechisch-mazedonischen Verbände. Mikis Theodorakis, der bekannteste Komponist Griechenlands und nationales Idol, wird eine Rede halten, ebenso der Ex-Premierminister der Konservativen, Antonis Samaras, der schon 1992 den Widerstand gegen die Namensgebung mit organisierte. Tausende Busse aus allen Ecken Griechenland werden sich auf den Weg machen. Prognosen sagen voraus, dass sich bis zu einer Million Menschen auf dem historischen Syntagma Platz versammeln werden. Sogar in Deutschland wird zu dem Thema demonstriert: Unter dem Motto „Makedonien ist Hellas“ werden heute am Samstag nach Veranstalterangaben zufolge bis zu 2000 Teilnehmer*innen in Frankfurt erwartet.
In den Medien und gesellschaftlichen Diskursen ist eine regelrechte Hysterie ausgebrochen. Einen kräftigen Schub bekam sie durch die Nachricht, dass der Außenminister Nikos Kotzias am gestrigen Freitag drei Kugeln mit der Nachricht „Jede Kugel für jedes Mazedonien“ per Post erhalten hat. Weitere Abgeordnete und Minister erhielten ähnliche nationalistische Drohungen. Zudem hetzt der Chef der konservativen Nea Demokratia (ND), Koyriakos Mitsotakis gegen die anarchistische Gruppe Rouvikonas, die angekündigt haben soll, die Kundgebung anzufreifen. Die neuen Äußerungen des UNO Chefverhändlers Nimetz, dass nur Name und nicht die Identität zur Debatte steht, befeuerte nochmal die Polarisierung auf realpolitischem Terrain.
Die Goldene Morgenröte – gegen die weiterhin ein Verfahren wegen krimineller Vereinigung läuft – wird erneut eine starke Präsenz zeigen. In Athen ist sie sogar viel besser aufgestellt und organisiert als im Norden des Landes. In den letzten Tagen zirkulierte auf extrem rechten Webseiten und Emaillisten ein Aufruf, den faschistischen Selbstschutz zu organisieren: Die Initiative „Patriotische Union-Griechische Volkszusammenkunft HELLAS“ bittet Gruppen von Reservisten, wie etwa den „Schild Nationaler Rettung“, für die Sicherheit der tausenden Demonstrant*innen zu sorgen und vor Angriffen von Anarchist*innen zu schützen. „Es wäre eine gute Idee, jemanden zu fangen und ihm die Sturmhaube zu entfernen“, sagte Odysseus Telegadas, einer der Koordinatoren. Er fügte hinzu, dass Mitglieder der Sicherheitsteams konkrete Anweisungen hätten, was in einem solchen Fall zu tun sei.
Internationaler Fascho-Auflauf
Für die Neonazis ist es ein großes Wochenende: Schon heute, am Samstag, organisieren sie ihren eigenen faschistischen Massenauflauf. Anfang Februar findet jährlich der sogenannte Imia-Marsch statt, einer der größten europäischen Naziaufmärsche. Mit diesem faschistischen Großaufmarsch soll an den Territorialstreit von 1996 um die Imia Inseln zwischen der Türkei und Griechenland gedacht werden. Dort kam es zu einem militärischen Zwischenfall, der beinahe in einem Krieg zwischen den beiden Ländern geendet hätte. Die griechische Rechte ruft seit 1997 zu diesen Großaufmärschen auf. In den letzten Jahren haben an diesen Aufmärschen regelmäßig Delegationen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern teilgenommen. Dass sich europaweit extrem rechte Strukturen am Imia-Marsch beteiligen, beruht auch auf der internationalen Ausrichtung und guten Vernetzung der Goldenen Morgenröte.
Auch deutsche Neonazis der NPD Rheinland-Pfalz, des Freien Netz Süd (FNS) und weitere Kader nahmen vor einigen Jahren schon an dem Marsch teil. In einem Bericht das FNS hieß es dazu: „Die Partei wirkt über die Grenzen Griechenlands hinaus als Fanal für alle nationalistischen Gruppen und Organisationen auf dem Kontinent. Alle Besucher aus Deutschland waren sich darin einig, dass genau mit diesem selbstlosen Einsatz und der überwältigenden Opferbereitschaft auch in anderen Ländern des Abendlandes die schlafenden Massen noch erweckt werden können, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen stimmen.“
Eines ist klar: Es wird für jegliche Minderheiten, antifaschistische und demokratische Kräfte ein wirklich hässliches Wochenende werden. Aber Gegenwehr bleibt nicht aus: Sowohl heute als auch morgen finden parallel zu den nationalistischen und faschistischen Spektakeln antifaschistische Gegendemonstrationen statt, organisiert von demokratischen Bündnissen und anarchistischen-antiautoritären Gruppen. Die Niederbrennung von Libertatia und die anderen Übergriffe der letzten Wochen riefen ebenfalls schon Vergeltungsaktionen hervor: Farbeier auf Büros der Neonazis, brennende Autos und nächtliche Besuche. Am Freitagabend verwüsteten 30 vermummte Aktivist*innen das Büro der Goldenen Morgenröte in Piräus, eine Region, in der die Neonazis besonders stark sind. Am heutigen Samstagmittag griffen Antiautoritäre das Haus von Mikis Theodorakis mit Farbe an und sprühten den Spruch „Die Geschichte beginnt am Berg und endet im nationalen Sumpf des Syntagma-Platzes“ an die Wand. Ebenso besorgniserregend wie die nazistische Gefahr ist aber auch die nationale Massenhypnose, die durch Fernsehen und Funk stattfindet: Vielleicht werden am Sonntag wegen einem blöden Namen mehr Leute auf der Straße sein als je gegen die Krisenverwaltung der letzten Jahre.