Antifa Athen bleibt stabil
Es wurde weniger hässlich als erwartet: Zwar kamen heute über 100.000 Nationalist*innen auf dem Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament in Athen zu einer pro-griechisch-mazedonischen Kundgebung zusammen, erfolgreiche Angriffe seitens faschistischer Gruppen, wie in Thessaloniki vor zwei Wochen, aber blieben aus. Nicht zuletzt die antifaschistische Mobilisierung der letzten Tage ermöglichte einen stabilen Schutz linker Infrastruktur und einige offensive Gegenaktionen. Die nationale Massenhypnose, mitorchestriert durch Medien, Kirche und Teile der Politik und im Zusammenspiel mit reaktionären Kräften, bleibt weiterhin die eigentliche politische Gefahr, der alle gegenüberstehen, die sich für eine andere Gesellschaft einsetzen. Ein Ende der nationalen Hysterie, die ihre Wurzeln in Bildung und Sozialisierung hat, ist nicht in Aussicht.
Der nationale Blödsinn erneut auf der Straße
Unklar war bis zuletzt, wie groß die angekündigte Massenkundgebung sein würde. Seit Tagen berichteten griechischen Leitmedien ununterbrochen von den Vorbereitungen. Kein Detail wurde ausgelassen: Tausende Busse aus ganz Griechenland seien auf dem Weg, irgendwelche Geistlichen würden die aufbewahrte Revolutionsfahne von 1821 mitbringen oder übergroße XL-Fahnen würden extra für den großen Tag produziert….usw. Ähnlichkeiten der Ästhetik mit dem sogenannten nationalen Sommermärchen der Fussball WM 2006 in Deutschland waren nicht zu übersehen - Fahnenverkäufer*innen haben erneut das Geschäft ihres Lebens gemacht! Mit einer großen Menge konnte vor allem deshalb gerechnet werden, weil der Liebling der Nation, der bekannte Komponist Mikis Theodorakis, die erste Rede halten würde. Und nicht nur in Athen wurde demonstriert: Schon Samstag gingen 1000 Griech*innen in Frankfurt auf die Straße, in London, Zürich und Australien fanden weitere Aktionen statt. Die Kundgebung in Athen fand zudem mit starker finanzieller Unterstützung der griechischen Migration aus dem Ausland statt.
Die Rede Mikis Theodorakis‘ wird vielen in Erinnerung bleiben. Sie drückt den aktuellen Diskurs des kirchlich-rechten pro-griechisch-mazedonischen Blocks aus. Die Rede begann mit „Meine lieben Griechen, Faschisten, Nazis, Anarchisten und sonstige“ als Antwort auf alle – besonders aus der linken Ecke -, die sein Erscheinen auf der Kundgebung als reaktionär kritisierten. Zu der zentralen Frage bleibt seine Position so unverändert: Die angestrebte diplomatische Lösung soll im Namen nicht mal das Wort Mazedonien enthalten. Sonst droht großes Unglück über die griechische Nation hereinzubrechen. Theodorakis griff dabei direkt die aktuelle Regierung und die Minderheiten an, die diese unterstützen. „Wir sind keine Nationalisten, sondern wir sind alle Patrioten“ ist der meist zitierte Satz seiner Rede in den sozialen Medien. Nicht zu vergessen der größte Hammerschlag: „Der schlimmste Faschismus war schon immer der linksgerichete Faschismus“. Im selben nicht verhandelbaren Ton bewegte sich auch der konservative Fernsehsender Skai: Der Protest finde nicht nur wegen dem Namensgebungskonflikt statt. Es sei ein Protest gegen die Regierung als Ganzes. Tausende seien endlich von ihrem Sofa aufgestanden und die Kundgebung sei Produkt der Krisenpolitik von Premier Alexis Tsipras (SYRIZA). Die Fernsehreporter*innen versuchten auch deutlich zu machen, dass faschistische Gruppen kaum sichtbar seien und gerufenen Slogans sich auf den Boden der nationalen Einheit bewegen. Das Ziel der gesamten Aktion wurde langsam aber sicher deutlich: Es geht um ein politisches Machtspiel. Die aktuellen Umfragen zeigen weiterhin, dass SYRIZA am Boden liegt und die Medien suggerieren, dass die Regierung nicht mehr repräsentativ für die griechische Gesellschaft sei. Eine Chance auf Neuwahlen, auf die vor allem der konservative Chef Kyrgiakos Mitsotakis weiterhin begierig wartet. Die erste Reaktion der Regierung auf die Mobilisierungen und Berichterstattung kam durch einen Tweet des Außenministers Nikos Kontzias: „Millionen von griechischen Patrioten haben ihre Wahl getroffen. Deswegen werde ich mit einem ruhigen Gewissen und Verantwortung für das Gute meiner Heimat weiter verhandeln.“ Er sugeriert, dass die Mobilisierungen kleiner ausgefallen sind als geplant und dass die Millionen Abwesenden die derzeitige SYRIZA-Politik in dieser Frage unterstützen.
Der sogenannte Namensgebungskonflikt währt schon seit Jahrzehnten. Zehntausende nahmen in den vergangenen Wochen an landesweiten Kundgebungen in Thessaloniki und Athen mit der Forderung teil, den Begriff Mazedonien nicht in den Namen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien aufzunehmen. Griechenland solle dies in keinem Fall zulassen, weil dies die griechische Geschichte diskreditieren und zur Destabilisierung der Region beitragen würde. Die letzte große nationalistische Ansammlung mit tausenden Teilnehmer*innen zum selbigen Thema fand 1992 statt – inmitten eines nationalistischen Aufruhrs gegen die 1991 erfolgte Gründung des kleinen Nachbarstaats nach Ende des Jugoslawienkriegs. Wegen des schwelenden Streits wird Mazedonien bei der UNO mit dem sperrigen Namen Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien (eben FYROM) geführt. Seit 2008 blockiert Griechenland auch den NATO-Beitritt des südosteuropäischen Landes. In der Zwischenzeit setzte auch Mazedonien selbst, zumindest aus Sicht Griechenlands, auf eine Politik der Provokation, indem Flughäfen und andere Wichtige Orte nach dem historischen Eroberer Alexander dem Großen benannt wurden. Seit 2014 liegen die Verhandlungen über den Namensstreit praktisch still. Zuletzt zeichnete sich eine Einigung zwischen den Regierungen beider Länder ab. Der UN-Vermittler in dem Streit, Matthew Nimetz, zeigte sich kürzlich in New York „sehr optimistisch, dass der Prozess in eine positive Richtung geht“. Nimetz unterbreitete verschiedenen Medienberichten zufolge fünf Namensvorschläge, die alle das Wort Mazedonien enthiellten, unter anderem Nord-Mazedonien und Neu-Mazedonien. Neue Aussagen von Nimetz, dass nur der Name und nicht die Identität der Mazedonier zur Debatte stehen, befeuerten die Debatte in den letzten zwei Tagen erneut. Als Provokation wurde seine Aussage aufgenommen, die einfach besagt, dass Mazedonien ein größerer Raum sei, der vor 100 Jahren mit dem Abkommen von Bukarest definiert wurde. Infolgedessen sei Mazedonien griechisch, bulgarisch und mazedonisch.
Es leben die antifaschistischen Reflexe
Die Niederbrennung von Libertatia und die anderen Übergriffe der letzten Wochen riefen gleichfalls Vergeltungsaktionen hervor: Farbeier auf Büros der Neonazis, brennende Autos und nächtliche Besuche. Am Freitagabend verwüsteten 30 vermummte Aktivist*innen das Büro der Goldenen Morgenröte in Piräus - einer Region, in der die Neonazis besonders stark sind - und verjagten sie auch noch. Am Samstagmittag griffen Antiautoritäre das Haus von Mikis Theodorakis mit Farbe an und sprühten den Spruch „Die Geschichte beginnt am Berg und endet im nationalen Sumpf des Syntagma-Platzes“ an die Wand.
Die antifaschistische Mobilisierung am Samstag Abend gegen den Imia-Aufmarsch der neonazistischen Partei Goldenen Morgenröte war in ihrer Strategie erfolgreich. Die Neonazis konnten sich nicht auf dem eigentlich angekündigten Platz versammeln und hielten ihre Kundgebung mit wenigen hundert Mitgliedern vor ihren zentralen Büros im Zentrum Athens. Durch die große Polizeipräsenz und Absperrung großer Straßen kam es nicht zu direkten Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant*innen und Neonazis. Das ganze Wochenende lang fanden zudem Motorraddemos in verschiedenen Stadtteilen zur Gegeninformation statt.
Heute versammelten sich, trotz Behinderungen durch die Polizei, den Versammlungsort zu erreichen, 2.000 organisierte Antifachist*innen in der Nähe des Syntagma-Platzes. Während des ganzen Tages bewachten hunderte Antifas die zahlreichen sozialen Zentren, sowie die besetzten Häusern von Geflüchteten. Die Schutzoperation läuft derzeit immer noch. Für Aufmerksamkeit sorgte vor allem die Ankündigung der anarchistischen Gruppe Rouvikonas sich auf den Schutz ihres Orts „Distomo“ und der Präsenz im Stadtteil Agios Panteleimonas zu beschränken. In ihrer Erklärung betonen sie, dass diese Präsenz den Faschisten „besonders weh tun wird“, da das Viertel vor wenigen Jahren noch in ihrer Hand lag und als ,,National befreite Zone‘‘ galt. Ein Zustand der dank Gruppen wie Rouvikonas mit ihrem Freiraum „Distomo“ in den letzten Jahren umgekippt wurde. Auf Indymedia tauchen wiederholt Informationen auf von Auseinandersetzungen mit Faschist*innen – wo letztere ausschließlich den kürzeren zogen.
Es gab weiterhin einen gefährlichen Zwischenfall: Etwa 15 organisierte Faschist*innen griffen mit Molotowcocktails das selbstverwaltete Theater Empros im Viertel Psirri in der Nähe des Syntagma Platzes an. Sie wollten scheinbar erneut einen Freiraum anzünden, genauso wie zwei Wochen zuvor Libertatia, ein besetztes Squat in Thessaloniki, niedergebrannt wurde. Die Anwesenden Antifas verteidigten das besetzte Theater erfolgreich und trieben die Neonazis in die Flucht, bevor die Polizeikräfte den Ort des Geschehens erreichten. An einem früheren Zeitpunkt bewegten sich etwa 200 organisierte Neonazis, einige mit Tarnkleidung, vermummt und mit Holzlatten bewaffnet, von der Kundgebung weg in Richtung des linksalternativen Stadtteils Exarchia, wurden aber von der Polizei daran gehindert. Ein Mitglied der Goldenen Morgenröte wurde verhaftet. Die Goldene Morgenröte hielt sich mit einer mittelgroßen Gruppe ihrer Mitglieder und Parteichefs am Rande des Platzes auf, und profitierte nicht von der medialen Öffentlichkeit. Scheinbar wurden sie von den Organisator*innen am politischen Rand gedrängt. Für viele Fragen sorge ein Angriff der griechischen Polizei auf die Büros der linken Organisation NAR (Neu linke Strömung) die auf den örtlichen Schutz antraf.
Die antifaschistischen Reaktionen scheinen in Athen vorerst weiter zu laufen. Sie reichen offenbar aus, um der organisierten faschistischen Gefahr entgegenzutreten. Eine viel schwierigere Aufgabe wird es aber in den nächsten Monaten sein, den nationalistischen Wahnsinn zumindest etwas einzudämmen. Die Massenkundgebungen, die reaktionäre Berichterstattung sämtlicher Medien und das Desinteresse der Massen an wirklicher sozialer Veränderung sind nur die Spitze des Eisbergs. Die nationale Erzählung Griechenland wurde seit der griechischen Revolution geschickt mittels Neuschreibung der Geschichtsbücher etabliert. Der nationale Mythos der Vereinigung Aristotles und Platons, Alexander des Großen, den Spartaner*innen und Byzanz ist tief verankert im Bewusstsein der griechischen Bevölkerung. Daran änderten auch die Migrationserfahrungen und die jahrelange ökonomische Krise nichts. In vielen Interviews vor und während des Protests bekräftigten einige, dass „den Griechen alles weggenommen werden kann, aber nicht die Heimat, Religion und die Familie“. Heimat, Religion und Familie war auch der zentrale Slogan der Militärjunta vor 50 Jahren. Die Leute sind erneut aus den Sofas aufgestanden. Aber nicht wie im Sommer 2011, um empört über den Umgang Europas und der Welt mit Griechenland und die aufkommende soziale Krise anzuprangern, aber um das vermeintliche „kulturelle Erbe Griechenlands“ zu verteidigen.