Newroz 2018: Die Repression geht uns alle an!
Am vergangenen Samstag fanden die bundesweite
Newroz-Feierlichkeiten mit zehntausenden Teilnehmenden auf dem Opernplatz in
Hannover statt. Bereits im Vorfeld versuchte die Hannoveraner Polizei, das Fest
zu verbieten. Sie argumentierte mit der Annahme, dass unter den Besuchenden
viele seien, welche die PKK unterstützen würden [sic!]. Damit hat ein deutsches
Repressionsorgan erneut bewiesen, wie bereitwillig die Sicherheitsinteressen
der herrschenden türkischen Oligarchie auch hierzulande durchgesetzt werden.
Vor dem Hintergrund intensivierter politischer Beziehungen zwischen der deutschen und türkischen Regierung rief das vorschnelle polizeiliche Verbot des Newroz 2018 Erinnerungen wach. Bereits im vergangenen Jahr übte das AKP-Regime massiven Druck auf die deutsche Regierung aus. Es verlangte, Newroz-Feierlichkeiten in Deutschland nicht zuzulassen und vermeintlichen „Terroristen“ keinen Raum zu geben. Durchsetzen konnten sie sich allerdings nicht, auch wenn es zunächst danach aussah. Ein Grund, weshalb die Verbote letztlich nicht aufrechterhalten wurden und die Behörden „nur“ mit repressiver Toleranz (kaum Eingreifen, starke Überwachung für eine mögliche spätere Strafverfolgung) vorhingen, war sicherlich die damalige politisch angespannte Situation zwischen Deutschland und der Türkei aufgrund des anstehenden Referendums. Nach dem letztjährigen Fest wurde allerdings der deutsche Botschafter in der Türkei von Ankara einbestellt, da bei den Feierlichkeiten in Frankfurt am Main Symbole kurdischer Freiheits- und Widerstandsbewegungen gezeigt wurden. Ein Sprecher Erdoğans sprach routinemäßig von einem „Skandal“ und warf Deutschland mal wieder vor, Terroristen zu schützen. In den folgenden Monaten nach dem Referendum änderte sich der politische Umgang damit: Das letzte Jahr kennzeichnete eine heftige und unerbittliche Repressionswelle gegenüber kurdischen und prokurdischen Aktivist*innen in Deutschland. Zwischenzeitlich wird nicht mehr der deutsche Botschafter von der AKP-Regierung einberufen, man trifft sich vielmehr auf oberster Ebene zum gemütlichen Teegespräch , um die weiteren Vorgehen abzuklären. Aktuelle Weltpolitik eben.
Die staatliche Kooperation wird derzeit immer weiter vorangetrieben: Neben enger wirtschaftlicher Beziehungen beider Länder – die spätestens seit den Angriffen der türkischen Armee und assoziierter islamistischer Banden auf Afrin vor allem aufgrund der gemeinsamen Rüstungsprojekte auch in der Öffentlichkeit thematisiert werden – wird auch die politische Zusammenarbeit, vor allem was die Verfolgung türkeistämmiger und kurdischer Oppositioneller in Deutschland anbelangt, immer offensichtlicher. Neben den (kurzzeitigen) Symbolverboten der Volksverteidigungseinheiten YPG und YPJ betrifft es im zunehmenden Maße immer weitere Symbole und Strukturen der kurdischen Widerstandsbewegung. Vor allem die niedersächsische Landeshauptstadt prescht stets voran. Vor knapp zwei Wochen erging ein Bescheid der Polizei Hannover, wonach eine Fahne der drei in Paris vom türkischen Geheimdienst ermordeten kurdischen Widerstandskämpfer*innen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez zukünftig nicht mehr gezeigt werden dürfe: „Zwar sind die Fahnen [mit den Konterfeis der drei Personen- Anm. F.B.] aktuell im Kennzeichnungsverbot des BMI (Bundesministerium des Innern) nicht gelistet, jedoch stellen sie aufgrund ihrer Symbolhaftigkeit einen eindeutigen Bezug zu der, mit einem Betätigungsverbot belegten Kurdischen Arbeiterpartei, PKK dar.“
Und so ließen die deutschen Versammlungsbehörden in diesem Jahr nichts unversucht, Interessen der türkischen Regierung durchzusetzen. Nachdem allerdings das polizeiliche Verbot durch das Verwaltungsgericht Hannover kassiert wurde, konnte die diesjährige zentrale Newroz-Feier doch durchgesetzt werden. Neben der Rechtsprechung zeigte die „causa Newroz“, dass es in Zeiten enger deutsch-türkischer Regierungskooperationen einem breiten internationalistischen Bündnis bedarf, um gesellschaftlichen Widerstand gegen die Kriminalisierung linker kurdischer Strukturen schaffen zu können.
Wir werden im Rahmen des begonnenen politischen Jahres somit Zeug*innen, wie eine gummiartige polizeiliche Verordnungsgewalt als Vorläuferin weitergehender Repression gegenüber linker, und hier besonders als migrantisch markierter, politischer Bewegungen funktioniert. Dazu gehört es für deutsche Regierungsorgane, die Konsequenzen ihrer herrschenden Politik zu verschleiern und weg zu delegieren. Das wird am Beispiel der politischen Proteste gegen die Diktatur unter dem AKP-Regime deutlich: Die deutsche Regierung und ihr nahestehende Medien sind stets darum bemüht, die Verantwortung Deutschlands am Morden in Afrin und dem Vormarsch islamistischer Banden zu verschweigen. Politische Proteste gegen diese Logik werden dabei als türkisch-kurdischer Konflikt verklärt, der in Deutschland nichts zu suchen habe. Flankiert wird diese herrschende Auffassung von weiten Teilen der medialen Berichterstattung rund um Newroz. Neben dem üblichen Sprachduktus von „Kurden-Demonstrationen“, wird bewusst abgelenkt, welche breite Solidarität kurdische Widerstandstrukturen genießen. Konsequenterweise wurde die Unterstützung der Feierlichkeit von antifaschistischen Gruppierungen über aktive Gewerkschafter*innen, Kulturschaffenden und linken Parteivertreter*innen verschwiegen. Dass etwa der Schauspieler Dieter Hallervorden seine Rede bei der Kundgebung mit dem Satz „Lang lebe die PKK“ beendete und die staatstragenden Medien darüber kein Wort verlieren, spricht Bände.
Die Zeiten der repressiven Toleranz gegenüber kurdischen und türkischen linken Strukturen werden rauer und mit der neuen Bundesregierung zweifellos weiter verschärft.. Bereits im Vorfeld des Newroz 2018 deuteten erste Stimmen auf Absprachen deutscher und türkischer Regierungsvertreter*innen hin, ob und wie das „Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland“ (NAV-DEM), Hauptorganisator des Newroz-Festes, verboten werden könne. Auch die Anfang März erfolgte Durchsuchung der Räumlichkeiten des Verlagshauses Mezopotamien in Neuss und die anschließende Beschlagnahmung mehrerer LKW-Ladungen an Publikationen ist in diesem Kontext zu sehen. Als antifaschistische und internationalistische Bewegung müssen wir uns nun umso offener mit den potentiell betroffenen Strukturen solidarisieren und gemeinsame Kämpfe unterstreichen und entwickeln. Gerade die Äußerungen um Abschiebungen und dem Verhältnis zum Islam des designierten „Heimatministers“ und rechten Hardliners Horst Seehofer (CSU) lassen davon ausgehen, dass die rassistische Gangart des Staates gegenüber „migrantisch gesprägten“ Organisationen und Parteien härter wird. Wer das „zweite Opfer“ wird, ist nun nicht schwer zu erraten...