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Kalaschnikow und Olivenzweig

Olivenzweig Jeremy Perkins

Ich bin, seit ich politisch denken kann, ein pro-palästinensisch eingestellter Linker und werde das bis zur Befreiung Palästinas auch bleiben. Dennoch befremdet mich, wie derzeit im pro-palästinensischen linken Lager mit der militärischen Aktion vom 7. Oktober 2023 unter der Führung der Hamas, dem Al-Aqsa-Sturm, umgegangen wird. Unter Bezugnahme auf die Angaben der israelischen Regierung (ich sehe derzeit keinen Grund, Gegenteiliges anzunehmen) von rund 1000 getöteten Nichtkombatant*innen und etwa 300 getöteten Sicherheitskräften muss die Aktion ganz offensichtlich als eine terroristische eingestuft werden. Mehr noch könnte man schon fast argumentieren, dass Sicherheitskräfte per Zufall am Rande der Massenerschießungen auch mitgetötet wurden, und nicht Hauptziel waren.

Ideologie wie Diskurs der Hamas triefen vor ganz klassischem Antisemitismus, wie üblich für reaktionäre islamistische Organisationen. Ich habe mir zahlreiche kaum erträgliche Bodycam-Videos der Aktion, fast alle von der Hamas selbst veröffentlicht, angeschaut. Diese und die oben erwähnten Zahlen zusammen lassen den Schluss zu, dass einfach wahllos Massenmord betrieben wurde, der durch seine differenzlose Ausrichtung gegen Jüd*innen meines Ermessens nach auch als genozidal-antisemitisch in der Intention charakterisiert werden kann – wenn auch natürlich nicht in der Realität, da die Hamas keine Mittel hat, um einen Genozid zu verüben.

Natürlich hieß kaum eine pro-palästinensische Linke diese Aktionsform im Konkreten gut. Stattdessen wurde an vielen Stellen recht allgemein das Recht des palästinensischen Widerstands verteidigt und das israelische Vorgehen beziehungsweise die Kolonialgeschichte skandalisiert. Aber kaum eine pro-palästinensische Linke kritisierte die konkrete Aktionsform explizit oder präsentierte eine linke Alternative, die dagegen in den Vordergrund zu rücken sei. Ich wende mich gegen diesen Umgang mit der aktuellen Situation.

Der Terrorismus der Guten

Ich bin der Ansicht, die meisten Linken im pro-palästinensischen Lager sind sich derzeit nicht ganz bewusst, was sie mit ihrem Schweigen oder ihrem Ausweichen bewirken. Vielleicht sind sie auch darauf bedacht, nicht selbst eine koloniale Mentalität einzunehmen, also den Unterdrückten die Widerstandsform vorzuschreiben oder ähnliches. Hinzu kommt, dass im Mainstream des Westens mit inquisitorischem Eifer pro-Israel-Propaganda betrieben und vor und während jeder Kritik – wenn überhaupt eine geäußert wird – und Meinungsäußerung so eine Art permanente katholische Beichte abverlangt wird, dass man natürlich die Hamas total schlimm findet. Bezeichnend hierfür der Umgang mit Husom Zomlot, dem palästinensischen Botschaftes in UK, zuerst bei Christiane Amanpour und dann nochmal und dann nochmal.

Hinsichtlich des Vorgehens der Israel Defense Forces (IDF), die – sogar explizit, teils mit Verweis auf die Bombardierung deutscher Städte durch die Royal Airforce im Zweiten Weltkrieg, also mittels Relativierung des deutschen Faschismus – im Ausmaß der Zerstörung und des wahllosen Massenmords den Terror der Hamas bei weitem übertrifft, ist dies natürlich nicht der Fall. Die weltweit unerbittlichste Massenbelagerung und der weltweit abscheulichste Revanchismus der letzten Jahrzehnte wird gerade seitens des israelischen Staates über den Gaza-Streifen entfesselt – und doch ist dieser Furor tagelang kaum mehr wert als eine Randnotiz im Liveticker der Nachrichtenagenturen à la „die UN warnt, es könne zu einer humanitären Katastrophe im Gaza kommen“. Es ist eben das legitime Selbstverteidigungsrecht Israels. Zivilisatorische Barbarei at its peak.

Was Israel-Palästina angeht, wird dann im besten Fall von einem „Konflikt“ gesprochen, anstatt klar die Asymmetrien und Strukturen zu benennen, namentlich, dass Israel Palästina seit Jahrzehnten kolonisiert und unterdrückt und nicht umgekehrt. Und dass dieses Verhältnis in den letzten zwei Jahrzehnten und insbesondere unter Netanyahu so sehr eskaliert wurde, dass man im Mindesten von einer Taktik der systematischen Vertreibung aller Palästinenser*innen durch den Staat Israel, wenn nicht sogar von einer genozidalen Intention bei einigen der schärfsten Wortführer*innen und Politiker*innen des rechtszionistischen/kahanistischen Spektrums sprechen muss. Der Gaza-Streifen ist auch schon vor der derzeitigen Abriegelung zu einer Hölle auf Erden gemacht worden durch die Belagerung. Wer das nicht sieht, dem ist nicht zu helfen; es ist noch keine Sonne geboren worden, die die Herzen der Finsternis erwärmen könnte.

In völliger Ignoranz dessen wird zusätzlich derzeit in der Bundesrepublik eine beispiellose Repressionsmaschinerie gegen alles Arabische und Pro-palästinensische in Gang gesetzt. Fast jede – auch jüdische – Demo oder Stimme, die irgendwie einen positiven Bezug auf Palästina beinhaltet, wird verboten oder niedergebrüllt, ganze Viertel wie Neukölln de facto in Polizeireviere umgewandelt, rassistisch der Generalverdacht gegen alles Arabische erhoben und nach der Gesinnungspolizei gerufen. Weite Teil der politischen Entscheider*innen und der Medien ummanteln dieses Vorgehen mit erhabenen Begriffen wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechten. Nicht wenige Linke tragen diese Repression mit. Unter anderem aus berechtigtem Zorn über diese Doppelmoral wird in der pro-palästinensischen Linken davon ausgehend wiederum eine Thematisierung des Vorgehens der Hamas abgelehnt.

Der Horizont des Völkerfriedens

Den Zorn über diese sich zivilisatorisch gebende Heuchelei, die zudem die Kolonisation Palästinas verschweigt, teile ich. Es ist aber trotzdem grundlegend falsch, dass das pro-Palästina-Spektrum zum Vorgehen der Hamas weitestgehend schweigt und keine eindeutige linke Perspektive vertritt.

Das Töten von Menschen und erst recht als Terrorakt ist immer abscheulich. Hier geht es mir im Folgenden aber nicht um moralische und emotionale Einordnungen terroristischen Massenmords – der immer von sehr zweifelhafter Tugend und höchst fraglich in seiner politischen Langzeitwirkung ist –, sondern um die praktischen Konsequenzen. Das Schweigen – auch der an der Aktion mitbeteiligten marxistischen Popular Front for the Liberation of Palestine (PFLP) – legitimiert die Hamas und ihre in der Intention genozidalen Vorgehensmethoden als leitende und führende Kraft der derzeitigen Aktion (und eigentlich auch schon seit geraumer Zeit). Sie werden damit mit dem Befreiungskampf an sich identifiziert.

Denn es gibt einfach keine automatische Ontologie, also Seinslogik des Befreiungskampfes. Aus einer Situation unerträglicher Unterdrückung und Ausbeutung leitet sich nichts an sich ab, etwa die Form oder Zielrichtung antikolonialer Gewalt, die vom Kolonisierten ausgeht, wie das in derzeitigen Stellungnahmen oft durchklingt. Sondern das Ansich wird geformt durch das Fürsich, Basis durch Überbau, das heißt, durch die führenden Ideologien und Parteien des Befreiungskampfes. Befreiungskampf ist immer an und für sich, niemals jeweils nur eine gegebene Struktur oder nur „der Überbau“ der Ideologien und Parteien. Man kann daher nicht einfach das palästinensische Widerstandsrecht verteidigen, und dabei über den Massenmord schweigen in der Hoffnung, dass dann eines Tages von selbst die „wahre“ Essenz des Befreiungskampfes hervorgeht. Was die „wahre“ Essenz eines Kampfes ist, genau darüber wird und muss gekämpft werden, auch im Befreiungskampf um Palästina. Wer dazu schweigt, stärkt gewollt oder ungewollt die dominierende Form.

Der wahllose Massenmord verbaut aber die Perspektive eines Zusammenlebens der Völker, um das es Linken ja letztlich gehen muss. Es fördert die hassgeformte klassenübergreifende Polarisierung und den klassenübergreifenden Revanchismus entlang national-religiöser Bruchlinien beiderseits – und damit zugleich die führenden Akteure dieser Polarisierung und dieses Revanchismus (in diesem Fall die islamistischen Organisationen auf der einen, den reaktionären faschistoiden israelischen Machtblock auf der anderen Seite). In Israel sorgt sie derzeit für eine relative Re-Mobilisierung der Eliten und der Bevölkerung hinter Netanyahu, dessen Faschisierungsprojekt sich in der letzten Zeit in einer tiefen Hegemoniekrise befand. Netanyahu und seine Regierung würden zwar jede x-beliebige Aktion von Palästinenser*innen als Vorwand für eine genozidale Kriegsführung nutzen. Für ihn sind nur schweigend sterbende oder sich vertreiben-lassende Palästinenser*innen gute Palästinenser*innen. Aber nicht immer mag er mit seinen Vorwänden auch die gespaltene israelische Gesellschaft überzeugen.

Wäre die militärische Offensivaktion der Palästinenser*innen beispielsweise eine gewesen, die sich auf bewaffnete Kräfte und (ökonomische) Infrastruktur konzentrierte, dabei in ihrer Propaganda klar hervor gehoben hätte, dass es nicht darum gehe, Jüd*innen als Jüd*innen anzugreifen, sondern nur Menschen in der Funktionsausübung der Kolonialisierung und Infrastruktur nur, um die Kosten der Kolonialisierung in die Höhe zu treiben, weil sonst die Unterdrückung intensiviert wird – Netanyahu hätte es schwerer gehabt, die israelische Gesellschaft relativ hinter sich zu vereinigen.

Ohne Illusion, dass ein Befreiungskrieg absolut integer vonstatten gehen kann: Es gibt Spielraum, Befreiungskämpfe sauberer oder schmutziger zu gestalten, das Ausmaß von Zerstörung und Tod zu glorifizieren, zu beschweigen oder zu bedauern. Siehe die Kurd*innen in der Türkei, die keine wahllosen Massenmorde begehen. Und das ist vor allem nicht allein eine Frage von Moral und Emotionen, sondern durch und durch eine politische Frage: Was will man wie erreichen? Die Menschen, die prinzipiell offen für das Anliegen der palästinensischen Befreiung sind – und derer gibt es ja doch nicht wenige in Israel – würden die Botschaft, die von einer solchen oben skizzierten Aktion ausgeht, zumindest viel eher wahrnehmen als in der jetzigen Situation, in der einfach wahllos und brutal gemordet wurde. Heute sind viele von ihnen fassungslos, paralysiert vor Schmerz, Trauer, Wut. Die Erhöhung der Kosten der Kolonisation – militärischer und ökonomischer Schaden – würde Schwankende eher dazu bringen, von der Kolonisation abzurücken, als jetzt, wo die Erhöhung der Kosten (= wahllos ermordete Menschen) zusammenschweißt, weil sie die historisch berechtigte Auslöschungserfahrung und -furcht von Jüd*innen mit voller Gewalt bestätigt und reproduziert. Mit der Kalaschnikow in der einen Hand hätte man dann zugleich den Olivenzweig in der anderen Hand ausgestreckt und der israelischen Bevölkerung Frieden unter der Bedingung der Aufhebung der Ungleichheitsstrukturen angeboten.

Und vielleicht hätten sich jetzt die Reservist*innen der IDF dann geweigert, sich einziehen zu lassen für einen Vernichtungsfeldzug gegen Gaza – wie ja auch noch vor kurzer Zeit auch Pilot*innen der israelischen Reserve offen angekündigt hatten, sich aufgrund Netanyahus Faschisierungsprojekt nicht mehr einziehen zu lassen und auch hochrangige ex-Generäle sich nicht nur gegen Netanyahu, sondern auch gegen seine „Lösung“ der „Palästinafrage“ gestellt hatten. Noch heute, inmitten der kriegshetzerischen Rekonsolidierung Netanyahus, blickt ein Großteil der Israelis kritisch auf ihre Regierung. Neben der Mobilisierung der Kolonisierten und der Befreiung von kolonisierten Gebieten ist doch das, also das Herbeiführen einer Legitimationskrise der herrschenden kolonialistischen Allianz durch Verlust popularen Rückhalts aufgrund der Kosten einer als Unrecht empfundenen Kolonisation, immer eines der zentralen Ziele militärischer antikolonialer Aktionen gewesen. Ein Vorgehen dieser Art, also militärisch-antikolonial, aber mit einer linken Taktik, Strategie und vor allem Vision, war eines der wichtigsten Elemente des Erfolgs des Vietcongs, der der amerikanischen Bevölkerung immer Frieden angeboten hatte, was wiederum bei der us-amerikanischen Antikriegsbewegung auf fruchtbaren Boden fiel. Man stelle sich vor, der Vietcong hätte wahllos us-amerikanische Bürger*innen in den USA umgebracht. Zweifellos wäre der Friedenswille in den USA dann schwächer gewesen, die Erfolgsaussichten des Vietcongs trüber.

Das ist jetzt einigermaßen idealistisch, schon allein deshalb, weil es keine relevante palästinensische Linke in diesem Format mehr gibt. Aber die verbleibenden Kräfte könnten – mit einer klaren Kritik an der neuesten Aktionsform und dem Verweis auf solche ja doch nicht völlig abwegige alternative Strategien – versuchen, sich wieder als eigenständiger Pol herauszukristallisieren. Irgendwo muss man ja wieder anfangen. In der glorreichen Zeit nach ihrer Gründung 1969 war für die PFLP immer klar, dass ein nationaler Befreiungskampf, der die (Klassen-)Unterschiede und Konflikte innerhalb des Unabhängigkeitskampfs verdeckt, nur Israel und der arabischen Reaktion dient, und dass das Ziel das gemeinsame Leben von Araber*innen und Jüd*innen frei von Unterdrückung sein muss. An diese Kerneinsicht, die unter anderem es der PFLP damals erlaubte, zur führenden links-revolutionären Kraft der palästinensischen Befreiungsbewegung zu werden, ließe sich heute unter veränderten Bedingungen anknüpfen. Wenn die Linke sich im Krieg nicht durch solche oder ähnliche Positionen und Vorgehensweisen grundlegend von Hamas und islamischem Dschihad unterscheidet, kommt es schlicht zur Eskalation des wechselseitigen Terrorismus und der Blutbäder. Und an diesen erstarken immer reaktionäre und faschistoide Kräfte, ob jetzt Netanyahu oder die Hamas, und fast nie linke Gesellschaftsentwürfe. Klar befinden sich Netanyahu und Hamas strukturell gesprochen auf ganz unterschiedlichen Ebenen und Punkten, aber man kann noch so oft hervorheben, dass die (abscheuliche) Gewalt des Kolonisierten moralisch etwas anderes ist als die des Kolonisators – im Endeffekt läuft die Kombination des rechtszionistischen Terrors auf kolonisierender israelischer Seite und des islamistischen Terrors auf kolonisierter palästinensischer Seite darauf hinaus, dass es zu keiner Befreiung Palästinas kommt. Und genau das müsste im Zentrum einer linken pro-palästinensischen Perspektive stehen.

Freies Palästina, freies Israel

Israel weist Elemente klassisch europäischen Kolonialismus (politische Herrschaft über Indigene und ihre Ausbeutung), des Siedlerkolonialismus (Vertreibung der Indigenen vom Land, Besitzergreifung des Landes) und der Apartheid (juristische und faktische Ungleichbehandlung von Bevölkerungsgruppen) auf. Das alles freilich unter dem Dach einer eingeschränkt demokratischen Republik. So ähnlich ist es zum Beispiel auch mit der Türkei und den Kurd*innen sowie den (übriggebliebenen) nicht-muslimischen Minderheiten.

Trotz dieser von mir zur Analyse genutzten Begriffe möchte ich hier allerdings hervorheben, dass die Befreiung Palästinas eine Befreiung von den Strukturen der Unterdrückung ist, und nicht eine von den Menschen, die in Israel leben. Menschen als schuldig anzusehen aufgrund der Funktionen, die sie im Rahmen struktureller Unterdrückung und Ausbeutung ausüben, heißt eben auch, davon auszugehen, dass sie sich ändern können, indem sie andere Funktionen übernehmen oder alte ablegen. Diese Option mag zwar nicht immer sehr realistisch sein; man muss sie im Befreiungskampf aber immer auch offenhalten. Das ist die Humanität der Linken, die die Zerstörungen und das Leid des Befreiungskrieges mildert, ihn damit sogar stärkt und die für humanere Ausgangsbedingungen für eine sozialistische Zukunft nach einem potenziell erfolgreichen Unabhängigkeitskampf bemüht ist.

Die meisten Menschen, die in Israel leben, haben keine andere Heimat oder Alternative – und es ist auch nicht einleuchtend, warum sie eine Alternative haben sollten, wenn das ihre Heimat ist. Genauere Rechenschaft muss indes über solche Heimatorte, also Dörfer, Häuser, Grund- und Boden, abgelegt werden, die zuvor anderen gehörten und/oder legitimerweise gehören können. Ich denke natürlich in erster Linie an diejenigen fanatisierten Siedler*innen, die sich mit vollem Wissen und brachialer Gewalt Orte palästinensischer Orte zu eigen machten und machen. Millionen von palästinensischen Geflüchteten und ihre Nachfahren harren der Gerechtigkeit. Aber ein Großteil der jüdischen Bürger*innen Israels übt keine direkte Funktion in der Ausführung und Aufrechterhaltung von Ungleichheitsstrukturen aus. Privilegiert in Israel, das heißt jüdisch-israelisch zu sein, heißt nicht automatisch, aktiv an der Produktion und Reproduktion von kolonialer Herrschaft beteiligt zu sein. Die Kinder der Israelis, die die Palästinenser*innen vertrieben haben, oder Jüd*innen, die selbst nach Israel geflüchtet sind, sind nicht automatisch schuld an der Vertreibung und ihrer Folgen, wenn sie diese nicht explizit verteidigen und reproduzieren. Auch im letzteren Fall hat sich die Forderung nach Rechenschaft und Gerechtigkeit an eine wie auch immer im Konkreten gearteten Proportionalität auszurichten und die kann nicht einfach darin bestehen, dass alles niedergemetzelt wird. Wenn auf alles und jeden die Tötungsaktion, der Massenmord folgt – wer kontrolliert dann den von seinen Ketten entfesselten Terror? Und wie soll je aus entfesselter Brutalisierung etwas Besseres als das Bestehende folgen? Der entfesselte Terror ist immer selbstzerstörerisch. Einmal abgesehen davon, dass ein solcher Terror im Falle Palästinas auch einfach keine Erfolgsaussichten hat.

Daher ist es nicht zielführend und moralisch wie politisch verkehrt, die gesamte (jüdische) Bevölkerung Israels gleichermaßen und in der gleichen Form zur Verantwortung zu ziehen, wie es die Hamas de facto in ihren Aktionen und den ihnen zugrundeliegenden Intentionen macht und in ihren Verlautbarungen mal direkter, mal indirekter auch verlangt. In letzter Instanz ist die Einstaatenlösung die einzige Perspektive, die auch das Recht der Vertriebenen durch Rückkehr gewährleistet. Ob dieser dann ein Einheitsstaat mit zwei großen, jeweils in sich unterteilten Gebieten Israel und Palästina oder schlicht der Staat Israel-Palästina ohne klare geographische Separation (ich für meinen Teil glaube, letzteres wäre die allerbeste Lösung) oder etwas anderes ist, das sind dann Konkretisierungsfragen. Der gesellschaftliche Frieden, der sich durch eine Befreiung Palästinas einstellen würde, wäre schließlich auch eine Befreiung Israels, nämlich eine Befreiung Israels von den Kosten und den Identitäten der Kolonisation und der Apartheid.

Es ist natürlich klar, dass nicht nur die Einstaatenlösung, sondern auch die viel kümmerlichere Zweistaatenlösung so weit weg von der heutigen Realität sind, wie sie es wahrscheinlich noch nie in der Geschichte von Israel und Palästina waren. Die revolutionären Lösungskräfte müssen erst wieder erstarken und zusammenkommen, die fragilen Banden auch zwischen (pro-)palästinensischer Linker und (pro-)israelischer/jüdischer Linker erneut geschmiedet werden.

Ich sehe einige Dinge bezüglich Israel-Palästina anders als (Teile der) (pro-)israelischen/jüdischen Linken (damit meine ich keine Antideutschen, die gehören für mich da nicht dazu). Eines ist jedoch festzuhalten: Sie bleiben standfest in ihren sehr klaren Positionen gegen die Okkupation, gegen Netanyahu, gegen die Barbarei, die über Gaza und die Palästinenser*innen gestern wie heute entfesselt wird. Sie strecken in ihrer Mehrheit weiterhin beharrlich den Olivenzweig aus. Eine solche Linke beweist ihre Größe trotz der Tiefe der Erschütterung, für dessen Bearbeitung sie um die richtigen Worte kämpft, trotz der Ermordung oder Entführung von Familienmitgliedern und Freundin*innen, von anti-Apartheid Aktivist*innen wie Hayim Katsman, Vivan Silver, oder Shahar Tzemach durch die Hamas. Die Kalaschnikow hat die (pro-)palästinensische Seite ja schon in der einen Hand, wenn auch mehr schlecht als recht. Mit der anderen Hand den Olivenzweig wieder ausstrecken, das kann und muss sie auch wieder dringend tun. Sonst wird es mit dem Erfolg des Befreiungskampfes um Palästina noch schwieriger, als es sowieso schon geworden ist.

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