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Ein stürmischer Herbst für Macron

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Der französische Präsident im Ausland — und landesweit hunderttausende wütende Französinnen und Franzosen auf der Straße. Dieses Bild illustriert sehr gut die aktuelle Situation in Frankreich. Der Lack ist ab: Emmanuel Macron zeigt auf welcher Seite er steht, die Arbeiter*innen — oder zumindest ein Teil von ihnen — und die Jugend rebellieren wieder. Es wird ein schwieriger Herbst für Macron, so viel steht schon jetzt fest. Und das realisiert Stück für Stück auch die bürgerliche Presse.

„Martinez [1] hat gewonnen, doch Macron hat nicht verloren“, resümierte etwa die sozialdemokratische Tageszeitung Libération einen Tag nach dem ersten Aktionstag. Die soziale Bewegung, da sind sich die französischen Medien einig, hat einen Mobilisierungserfolg gegen die regressive Arbeitsmarktreform erreicht. 223.000 waren es laut französischem Innenministerium, der Gewerkschaftsverband CGT spricht von 400.000 Menschen, die in verschiedenen französischen Städten auf die Straßen strömten, während Macron 7000 Kilometer entfernt auf Guadeloupe weilte. Sie alle eint die Wut auf die neuen Reformen der Regierung Macron.

Ein getarnter Totalangriff auf die Arbeiter*innen

Wer sich die geplante Arbeitsmarktreform genauer anschaut, sieht sich einem Totalangriff auf die Rechte der arbeitenden Bevölkerung gegenüber: Die Regelungen zum Abbau des Kündigungsschutzes sind nur der Anfang. So sollen Abfindungszahlungen bei ungerechtfertigten Kündigungen begrenzt, betriebsbedingte Kündigungen in internationalen Konzernen erleichtert und Mitbestimmungsmöglichkeiten von Gewerkschaften verringert werden. Man kann Macron nun keineswegs vorhalten, dass er damit nicht genau seinen Wahlversprechungen folgt. Die Arbeitsmarktreform ist auf den Weg gebracht und auch das Gesetz über die „Moralisierung der Politik“ wurde bereits durch beide Kammern des Parlaments gepaukt. Nicht dass das irgendwas daran geändert hätte, dass die Regierung von Anfang an aus Korruptionsskandalen nicht rauskommt. Seinen Anspruch, gleich zu Beginn die neoliberale Brechstange rauszuholen, unterstrich er dann endgültig, als er ankündigte, die Wohnungsbeihilfe für Arme um fünf Euro pro Monat zu kürzen und gleichzeitig die Unternehmenssteuern herunterzuschrauben. Wer bis dato in dem Ärztesohn aus Amiens immer noch den netten Strahlemann sah, dem half Macron nochmal auf die Sprünge.

„Ich werde absolut entschlossen sein, ich werde weder vor den Faulenzern, noch den Zynikern, noch den Extremisten zurückweichen“, polterte der Staatschef noch am vergangenen Freitag. Er hatte in der Vergangenheit Arbeiterinnen in der Bretagne als „Analphabetinnen“ und im Frühjahr 2017 Einwohner der Armutsregion Nord-Pas de Calais als „Alkoholiker“ bezeichnet. Bezeichnenderweise macht er sich damit alles andere als beliebt. Nach 125 Tagen im Amt sind Macrons Umfragewerte im Keller. Nur noch 36 Prozent der französischen Bevölkerung sind zufrieden mit der Arbeit „ihres“ Präsidenten. Er ist noch unbeliebter als seine Vorgänger François Hollande und Nicolas Sarkozy es nach drei Monaten Präsidentschaft waren. Die marginalisierte Bevölkerung hat also längst erkannt, dass die Regierung Macron gegen ihre Interessen handelt. Es reicht allerdings immer noch nicht aus, um die französischen Gewerkschaften im Kampf für die Rechte der französischen Arbeiter*innen zu einigen.

Massenstreik gegen Macrons Pläne

Die beiden großen Gewerkschaftsverbände Confédération française démocratique du travail (CFDT) und Force ouvrière (FO) lehnten die Teilnahme am Generalstreik ab. Hier folgt man allen Ernstes der Logik, die Arbeitsmarktreform sei notwendig für die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit und Ankurbelung des Wirtschaftswachstums. Damit bleibt die CFDT ihrer traditionellen Linie treu, selbst für die rückschrittlichsten Reformen offen zu sein und zu vermeiden, klare Kante – und damit eine tatsächliche Parteinahme für die Interessen ihrer Mitglieder – zu zeigen. Die FO zieht wohl vor allem ihre Schlüsse aus den Kämpfen gegen das Arbeitsgesetz im Jahr 2016, das trotz wilder Streiks und starker Demonstrationen von den Sozialisten durchgedrückt wurde. Jetzt will man lieber gleich gar nicht mehr dagegen ankämpfen! Wie originell! Vermutlich lässt es sich zudem gut leben auf den Pöstchen, die der FO im Arbeitsministerium zuteil wurden. Die fehlende Einheitsfront der Gewerkschaften änderte nichts an einem durchaus starken Auftakt.

In Nizza erreichte man die größte Mobilisierung seit dem Frühjahr 2006. Zwar reichte die Militanz noch nicht an die Proteste gegen das Arbeitsgesetz im vergangen Jahr heran, zahlenmäßig ging es aber bergauf. In anderen Städten hingegen schwächelte die Mobilisierung im Vergleich zum letzten Jahr. Die zentrale Demonstration in Paris kann wohl als erstes Warmlaufen verbucht werden. Rund 50.000 Teilnehmer*innen, darunter die linken Basisgewerkschaften der Union syndicale Solidaires sowie der anarchosyndikalistischen CNT und auch einige hunderte Mitglieder der FO und der CFDT widersetzten sich dem Beschluss ihrer Führung. Wie im vergangenen Jahr führte die Jugend den Demonstrationszug an - auch mit militanten Aktionen. an.

Tränengas gegen den „Aufstand der Faulenzer“

1500 Jugendliche stellten einen kompakten Frontblock und lieferten sich die ersten Scharmützel mit der Polizei. Steine flogen, Blendgranaten explodierten und die ersten Kämpfe brachen aus. In Lyon wurden bereits zu Beginn der Proteste Demonstrierende festgenommen und Tränengas gegen den Protestzug eingesetzt. Die Gewerkschafter*innen forderten ihre Entlassung und weigerten sich über Stunden, die Demonstration ohne die Festgenommenen fortzuführen. Und auch in Nantes gab es Festnahmen. Neben den Demonstrationen gab es auch 4000 lokale Aufrufe zu Streiks.

Diese wurden am Dienstag allerdings fast ausschließlich im öffentlichen Dienst befolgt und hatten nur begrenzte Auswirkungen. Auch, weil dem Aufruf der CGT nur die Gewerkschaft Solidaires, die Lehrergewerkschaft und die Studierendengewerkschaft folgten. Im Großraum Paris verkehrten die vier Regionalbahnen RER am Abend mit einer Frequenz von 50 bis 67 Prozent gegenüber dem „Normalverkehr“. All das wird noch lange nicht ausreichen, um die Regierungsposition zu erschüttern. Zumindest aber hat der 12. September eine neue Protestwelle in Frankreich losgetreten.

Das ist erst der Anfang!

Am 21. September ruft die CGT zum zweiten Aktionstag auf. Zwei Tage später initiieren Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon und seine Bewegung La France Insoumise (Das widerspenstige Frankreich) einen „Volksprotest“. Und nur einen Tag nach den Protesten riefen die Transport-Branchenverbände der beiden Gewerkschaftsdachverbände CGT und FO die LKW-Fahrer*innen dazu auf, ab dem Montag, 25. September unbefristet die Arbeit niederzulegen. Wie souverän er sich auch geben mag – es wird schwierig werden für Macron.


[1] Philippe Martinez ist der Generalsekretär der Confédération générale du travail (CGT), die der französischen KP nahesteht. Die CGT war der einzige Gewerkschaftsverband, der zum Aktionstag am 12. September aufrief.