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Das Morden in Kolumbien geht weiter

AUC, Paramilitarismus

Die Friedensverträge von Havanna zwischen der kolumbianischen Regierung und der ehemaligen marxistischen Guerilla Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo (FARC-EP, deutsch: Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee) wurden am 24. November 2016 in einem zweiten Anlauf gezeichnet. Seither kommt es zu systematischen Exekutionen von RückkehrerInnen zu ihren Ländereien, LandarbeiterInnen, die die Substitution von illegalen Pflanzen [1] unterstützen, kommunalen Führungspersönlichkeiten und RepräsentantInnen ethnischer Gruppen oder politischer Organisationen. Diese tragen sich insbesondere in Gebieten zu, die seit Jahren von den bewaffneten Konfliktparteien umkämpft waren – etwa im Süden Kolumbiens in der Provinz Nariño. In der dortigen Stadt Tumaco richteten staatliche militärische Einheiten am 5. Oktober 2017 ein Massaker an, bei dem neun LandarbeiterInnen getötet und über 50 weitere zum Teil schwer verletzt wurden. Entgegen den Verträgen von Havanna setzt die Regierung nach wie vor auf gewaltsame Räumung von Kokaplantagen statt ihrer friedlichen Substitution.

Auch wenn die Anzahl der Todesfälle je nach Quelle variiert, so lässt sich dennoch mit Besorgnis feststellen, dass es ein Jahr nach Umsetzungsbeginn der Verträge zu mindestens 50 Morden kam. Hinzu kommen die nach UNO-Angaben 127 im Jahr 2016 ermordeten AktivistInnen. Die aktuelle Situation weckt Erinnerungen an die Vernichtungskampagne, die einsetzte, nachdem 1984 bereits schon einmal ein Friedensvertrag zwischen der FARC-EP und der Regierung des damaligen Präsidenten Belisario Betancur geschlossen worden war. Damals fielen ungefähr 3600 Mitglieder der Union Patriotica (UP, dt.: Patriotische Union), einem einstmals legalen politischen Arm der FARC-EP in den 80er Jahren, den paramilitärischen Mörderbanden zum Opfer.

Die derzeitige Regierung hingegen stellt in Abrede, dass die Morde systematischer Natur sind, ebenso wie sie überhaupt die Existenz paramilitärischer Gruppen leugnet. Diese seien seit dem Jahr 2005 unter der Amtszeit des ehemaligen Präsidenten Alvaro Uribe Velez demobilisiert worden. Seit diesem Zeitpunkt werden die verbliebenen paramilitärischen Einheiten offiziell BACRIM (Bandas Criminales, also „kriminelle Banden“) genannt. Gleichwohl behielten diese sowohl die Kontrolle über die Bevölkerung und die besetzten Gebiete als auch ihre Finanzierung durch illegale ökonomische Strukturen bei. Letztere bestehen im Wesentlichen aus dem Eintreiben von Erpressungsgeldern, der Kontrolle über illegalen Koka-Anbau und Routen, die den kolumbianischen Drogenbaronen zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig wird durch Terror eine politische Kontrolle etabliert, die sich zum Beispiel darin ausdrückt, dass die Menschen zur Wahl von erwünschten Kandidaten gezwungen werden.

„Es gibt keinen Paramilitarismus in Kolumbien. Zu sagen, dass es in Kolumbien Paramilitarismus gibt, würde eine politische Anerkennung delinquenter organisierter Banden bedeuten“, erklärte Verteidigungsminister Luis Carlos Villegas im Januar 2017. Behauptungen wie diese sind es, die die Ermordung von AktivistInnen zu Einzelfällen verklären. Die Ermordungen sollen der gewöhnlichen Kriminalität zugerechnet werden und nicht der Post-Konflikt-Phase. Die Existenz paramilitärischer Gruppen zu verneinen, ist eine Fassade, mit der die Regierung von Juan Manuel Santos ein Bild der Ruhe zu vermitteln und ihr Image gegenüber der nationalen und internationalen Industrie aufzubessern sucht.

In Wirklichkeit aber existieren Gruppen in Kolumbien, die den Paramilitarismus für sich beanspruchen, wie zum Beispiel die Autodefensas Gaitanistas (AGC, dt.: Gaitanistische Selbestverteidigungskräfte), die Aguilas Negras (dt.: Schwarze Adler), die Los Rastrojos (dt.: Die Stoppel) usw. Sie verbreiten Pamphlete mit eindeutigen Drohungen gegenüber linken AktivistInnen und verhängen Ausgangssperren mit der Ansage, jede/n zu töten, der/die diese nicht beachtet. Obwohl in den Verträgen von Havanna vereinbart wurde, diese Gruppen zu bekämpfen, scheinen die ,,Kräfte“ des Staates dazu offensichtlich nicht gewillt zu sein. Es wird vielmehr deutlich, dass die Regierung damit fortfährt, die Umsetzung der Friedensverträge zu sabotieren – beginnend bei der miserablen Infrastruktur der ZVTN (Transitionszonen) [2], ebenso wie in der mangelhaften Umsetzung des Amnestiegesetzes, das im vergangenen Jahr verabschiedet wurde und das über 3000 Inhaftierten der FARC-EP zugute kommen müsste. Unterdessen haben die ehemaligen FARC-EP KämpferInnen die Abmachungen eingehalten: Sie gaben ihre Waffen an die UNO ab und stellten der kolumbianischen Regierung ihre finanziellen Mittel im August diesen Jahres zur Verfügung. Diese Mittel wurden seitens der kolumbianischen Regierung genutzt, um allein die Opfer des bewaffneten Konflikts zu entschädigen, die aufgrund von Aktivitäten der FARC-EP während des bewaffneten Konflikts zu Schaden kamen.

Wir sehen uns im Friedensprozess der politischen Opposition des Centro Democratico (dt.: Demokratisches Zentrum) [3] gegenüber, die von Ex-Präsident Alvaro Uribe Velez geführt wird. Die CD hat zum Ziel, den Frieden in Kolumbien zu sabotieren – sie manipuliert dafür gezielt die öffentliche Meinung und belügt die Bevölkerung, um diese gegen die Friedensverträge, über die im Plebiszit vom 2. Oktober vergangenen Jahres abgestimmt wurde, aufzubringen. So sehen wir uns in Kolumbien einer neuen Stufe der Gewalt gegenüber, die sich insbesondere in den Kämpfen um die Kontrolle der ehemals von den FARC-EP kontrollierten Gebieten ausdrückt.

Im Jahr 2018 stehen in Kolumbien die nächsten Präsidentschaftswahlen an. Es wird dringend erforderlich sein, dass dann eine Regierung zustande kommt, die die Verträge respektiert und adäquat umsetzt. Das ist die Voraussetzung dafür, wenn wir unsere Geschichte nicht wiederholen und mit dem Blutvergießen von Jugendlichen, ArbeiterInnen und BäuerInnen in unserem Land fortfahren wollen.


Guillermo Cacciatore ist Aktivist bei RASH Bogotá.

Aus dem Spanischen ins Deutsche übersetzt von Jan Schwab.


Anmerkungen:

[1] In den Friedensverträgen wurde die Neubepflanzung von illegalen Kokaplantagen festgehalten. Damit soll verhindert werden, dass arme LandarbeiterInnen, die bislang mit dem Anbau von Koka Geld verdient haben, ihre Existenzgrundlage verlieren.

[2] Die ZVTN sind die in den Verträgen von Havvana vereinbarten Sammlungs-, Entwaffnungs- und Inkorporationslager, in denen die FARC-EP Guerilleros/as zur Zeit leben.

[3] Das Centro Democratico ist eine einflussreiche rechtsradikale Partei, die eng mit dem heimischen Kapital, dem Großgrundbesitz, sowie dem Paramilitarismus verbunden ist. Ihr Führer und Ex-Präsident Alvaro Uribe Velez ist tonangebende Figur in Mobilisierungen gegen den Friedensprozess.

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