Das anarchistische Herz Polens
Ein düsteres Szenario
Die allgemeine politische Entwicklung in Polen ist seit Jahren mehr als düster. Nicht nur ist derzeit rund um den polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki (PiS - Prawo i Sprawiedliwość, zu deutsch: Recht und Gerechtigkeit) eine nationalkonservative Regierung an der Macht, auch die neofaschistischen Gruppen agieren immer selbstbewusster und brutaler. Zuletzt zeigte sich dies in den gewalttätigen Übergriffen gegen LGBTI*-Aktivist*innen in der ostpolnischen Stadt Białystok, wo rechte Hooligans unter klatschendem Beifall einiger Bewohner die Pride Parade mit Steinen angegriffen haben. Autoritäre Tendenzen innerhalb des Staates fordern indes den Ausbau polizeilicher Befugnisse und verteidigen brutale Repression, wie zum Beispiel gegen linke Klima-Aktivist*innen in Form von Einschüchterungsversuchen, Verhaftungen und Einreiseverboten bereits vor der UN- Klimakonferenz COP24 in Katowice und bei dem zweiten polnischen Klimacamp im Juli 2019. Diese staatlichen Dynamiken wirken weiter ermutigend auf neofaschistische Kräfte.
Gleichzeitig dominiert ökonomisch ein gnadenloser Turbokapitalismus. Auch in Polen haben in den vergangenen Jahren in zahlreichen Großstädten Gentrifizierungsprozesse der Innenstadtbereiche stark zugenommen. Wer seine Wohnung nicht halten kann, wird auch hier hemmungslos zwangsgeräumt. In Polen wird dabei weniger von Gentrifizierung, sondern von einer sogenannten „Reprivatisierung“ gesprochen. 1948 verstaatlichte Immobilien und Grundstücke können auf gerichtlichem Wege zurückerlangt werden. In einem Konglomerat aus Teilen der Justiz, der lokalen Verwaltung und kriminellen Banden, treten dubiose Geschäftsleute an Menschen heran, die im kommunistischen Polen enteignet wurden und noch rechtliche Ansprüche auf Grundstücke oder Gebäude in der Stadt haben. Diese kaufen sie ihnen schließlich ab. Mieter*innen, die sich weigern ihr Haus zu verlassen, werden mit Hilfe sogenannter Säuberungsgruppen vertrieben. Der bekannteste und brutalste Fall ist der Mord an der Warschauer Mieter*innenaktivistin Jolanta Brzeska, die in einem Waldstück am Stadtrand verbrannt wurde.
Die Regierungspartei PiS versucht seit Jahren, nicht nur Medien und Justiz für sich zu vereinnahmen, sondern bekämpft auch aktiv die kritische Zivilgesellschaft in Polen. Unter der PiS-Herrschaft wurde ein umfassender autoritärer Umbau von Staat und Gesellschaft in Angriff genommen, von dem bereits vieles verwirklicht wurde. Die katholische Kirche erwies sich dabei als wichtiger Bündnispartner der Regierung: Denn es ist die Kirche, die vor allem in ländlichen Regionen in der Lage ist, das Wahlverhalten der Bevölkerung zugunsten der PiS zu beeinflussen. Während der letzten vier Jahre konnte die PiS-Regierung ihre Macht ausbauen. Oppositionelle Kräfte sind, wie die Europawahlen in diesem Jahr gezeigt haben, derzeit nicht in der Lage, eine ernsthafte Alternative zu bieten. Zudem sind sie weitgehend zerstritten. Am 13. Oktober 2019 finden in Polen erneut Parlamentswahlen statt, bei denen im schlimmsten Fall die PiS die absolute Mehrheit im polnischen Parlament erringen könnte. Düstere Aussichten also. Allerdings: Trotz dieser Probleme, Widersprüche und reaktionärer Angriffe gab es in den letzten Jahren auch einige erfolgreich verlaufende soziale Kämpfe, allen voran der landesweite Frauenstreik gegen die Verschärfung des Abtreibungsverbots. Im Rahmen einer länderübergreifenden Zusammenarbeit wurden zudem gleichzeitig mehrere Amazon-Werke in Deutschland und Polen bestreikt.
Das Rozbrat als Ort des Widerstands
In der westeuropäischen Linken heute weitestgehend in Vergessenheit geraten, gab es in Polen in den 80er Jahren starke anarchistische Bewegungen. An diese Tradition anknüpfend hat sich das soziale und kulturelle Zentrum Rozbrat in den vergangenen Jahrzehnten als wichtige politische Plattform und Ausgangspunkt für Widerstand etabliert: Im Rozbrat wurden und werden unterschiedliche Kämpfe, ob Anti-Kriegs-Aktionen, Antifaarbeit, feministische oder ökologische Strukturen, Proteste der Mieter-Bewegung und Arbeiter*innenkämpfe vorbereitet, durchgeführt und zusammengeführt. Das Rozbrat ist damit auch weit über die Szene und über die Stadt Poznan hinaus als wichtige politische und kulturelle Institution bekannt.
Im Gegensatz zu anderen sozialen und kulturellen Einrichtungen ist das Rozbrat autonom, also unabhängig von staatlichen Institutionen. Weit über die Szene und über Poznan hinaus bekannt, ist es eine wichtige kulturelle und politische Institution in Polen. Das Rozbrat ist eines der wichtigsten, echten Alternativen in einer sonst staatlich alimentierten, mit patriotischen Kitsch überzogenen und von hoch kommerzialisierter Kultur ausgrenzenden Kulturlandschaft. Letzteres heißt in diesem Kontext Kultur ohne Zensur und für alle zugänglich. Mit dieser Idee wurden in den vergangenen 25 Jahren hunderte Konzerte, Ausstellungen, Filmaufführungen, Debatten, Lesungen und Vorträge organisiert.
Wie in vielen anderen Ländern ist auch in Polen zu beobachten, dass alternative Einrichtungen aus politischen und ökonomischen Gründen verdrängt werden sollen. Mehrere Generationen von Aktivist*innen, die bei vielen bedeutenden Mobilisierungen und Debatten über gesellschaftliche Themen eine entscheidende Rolle spielten, organisierten sich damals wie heute um das Rozbrat. In der Vergangenheit verteidigten und unterstützten Aktivist*innen aus dem Haus stets offensiv und in solidarisch die am meisten ausgegrenzten Bewohner*innen der Stadt. Gemeinsam stießen sie Dutzende von Arbeits-, Mieter*innen- und Umwelt-Protesten an. Im Jahr 2004 wurde dort die anarchosyndikalistische Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracowniza (IP) gegründet. Aktuell umfasst die Basisgewerkschaft über 3000 Mitglieder, aufgeteilt in ca. 70 Sektionen. Bis heute ist die IP im Rozbrat verankert. Erfolgreich und organisiert begleitet wurden so auch Arbeiter*innenkämpfe bei Amazon und Volkswagen, aber auch in lokalen Kindergärten, Krankenhäusern und am städtischen Theater in Poznan. Die im Rozbrat vorherrschende feministische Perspektive ist sozial und nicht liberal geprägt, das heißt, stark in Arbeiter*innenkämpfe verankert. 2011 unterstützten Aktivist*innen um das soziale Zentrum zusammen mit der IP die Frauen der kommunalen Kindergärten, die sich aufgrund der enormen Belastung bei Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit, sowie der vorherrschenden Geringschätzung ihrer Arbeit und der nicht ausreichende Löhne, gewerkschaftlich organisierten. 2012 wurde auf Initiative von Aktivist*innen aus dem Rozbrat und entschlossenen Mieter*innen, die Mieterhöhungen, Verdrängung und Zwangsräumungen nicht weiter hinnehmen wollten, schließlich der Mieterverein "Wielkopolskie Stowarzyszenie Lokatorów"- [WSL] gegründet. Und auch angesichts der durch Braunkohletagebaue zerstörten Landschaften, Wasserknappheit und der enormen Luftverschmutzung in Polen, ist das Rozbrat eine*r der Initiator*innen des seit zwei Jahren stattfindenden Klima-Camps nahe der Stadt Konin.
Wer echte Opposition sucht und die konservativen, neoliberalen Arschlöcher in Polen genauso ablehnt wie die neofaschistische Rechte des Landes, findet im Rozbrat nicht nur das anarchistische Herz Polens, sondern auch eine wichtige politische Plattform und Basis revolutionärer Kämpfe in Form eines sozialen Zentrums. Und diese soll nun geräumt werden.
Solidarisch gegen die Zwangsräumung
Die Zwangsräumung hängt mit der Reprivatisierung des Geländes zusammen: Dieses wurde 1948 verstaatlicht, aber nach dem Ende der sowjetischen Ära durch ein privates Unternehmen übernommen. Dieses nahm hohe Kredite auf, doch ging schließlich bankrott. Die Bank verkaufte das Darlehen an ein Immobilienunternehmen, welches nun den Verkauf des Grundstücks fordert. 1994 wurde das ehemalige Gelände der Farbenfabrik besetzt. Am 15. Mai 2019 wurde durch den Gerichtsvollzieher ein Schätzwert von 1,4 Millionen Euro für das besetzte Grundstück festgelegt. Die drohende Versteigerung und potentielle Zwangsräumung bedroht das Zentrum existenziell. Das Datum der Versteigerung ist noch unbekannt, doch kann sich das schnell ändern. Bereits vor Jahren reichte das Rozbrat eine Klage ein, wegen offensichtlicher Inbesitznahme die auch Rechte an dem Grundstück zu erhalten. Sie beziehen sich dabei auf eine heute noch gültige Regelung aus der polnischen Volksrepublik. Der Fall ist weiterhin offen.
Für den 14.09.2019 rufen die Aktivist*innen darum zu einer breiten Solidaritätsdemonstration in Poznan auf. Der soziale Rückhalt des Zentrums ist enorm. Eine Räumung ist keine Option, denn eine Stadt ohne Rozbrat ist eine Stadt ohne Zukunft.
Die Initiative Postkom ruft für den 02.09.2019 zu einer Protestkundgebung von 16 bis 18 Uhr vor dem polnischen Institut Berlin auf und lädt alle ein, Solidarität zu zeigen. Ein Solidaritätsvideo zu den angekündigten Widerständen gegen eine drohende Räumung befindet sich bei den Kolleg*innen von Left Vision.