Goldgrube Balkan: Kontinuit\u00e4ten des deutschen Imperialismus [Teil 1]
\nDie Balkanregion, vor allem die sieben ehemaligen Teilrepubliken und Autonomen Provinzen Ex-Jugoslawiens (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Kosovo, Nord-Mazedonien und haupts\u00e4chlich Serbien), sieht sich seit Jahrzehnten kontinuierlich mit einer starken Interessenspolitik Deutschlands konfrontiert. Diese teils aggressiven Interventionen zielen vor allem auf die \u00f6konomische und geostrategisch-politische Ebene. Sie haben zum Ziel, den Einfluss deutscher Konzerne sowie ihrer politischen Vertreter*innen durchzusetzen. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass das sp\u00e4tere Schicksal des sozialistischen Jugoslawiens vom deutschen Imperialismus ma\u00dfgeblich bestimmt wurde. Die Abwicklung des jugoslawischen Staatenverbundes als wirtschaftlicher und politischer \u201eIrrtum \u201c sowie die Delegitimierung sozialistischer Alternativen zum Kapitalismus, war dabei immer ein besonderes Anliegen. Folgerichtig ging es auch darum, den Zerfall des jugoslawischen Staates aktiv zu beschleunigen.
Der Balkan war und ist dabei ein Testlabor f\u00fcr \u201eweiche\u201c und \u201eharte\u201c Instrumente der Durchsetzung kapitalistischer Interessen. Zur Not wurden diese Interessen auch mit Krieg durchgesetzt: Das machte die NATO \u2013 und damit auch die Bundeswehr \u2013 1999 im Kosovokrieg deutlich, dem ersten Aggressionskrieg der deutschen Streitkr\u00e4fte nach 1945. Er folgte der Strategie, ein neoliberales, westlich-orientiertes Regime im Kosovo einzusetzen, nach einer zuvor unilateral erfolgten Staatsgr\u00fcndung und Abtrennung des serbischen Staats. Warum aber ist der Balkan f\u00fcr die EU und den deutschen Staat von so gro\u00dfem Interesse? Der Blick in die Geschichte gibt hierf\u00fcr erste Anhaltspunkte. Hierf\u00fcr scheinen die strategischen Raumnahmen auf dem Balkan sowie die brutalen Folgen der Politik seit 1991 und insbesondere im einsetzenden \u201eJugoslawienkrieg\u201c f\u00fcr weite Teile der jugoslawischen Arbeiter*innenklasse zentrale Momente zu sein.
Im kommenden Artikel werden wir uns ausf\u00fchrlicher mit der Geschichte des Jugoslawienkrieges als brutalisierte Zuspitzung und Melange ethnisierter sowie \u00f6konomischer, und damit geopolitischer Konflikte auseinandersetzen. Anschlie\u00dfend werfen wir einen Blick zur\u00fcck und beschreiben, welche \u00f6konomischen Herausforderungen Jugoslawien in der Vergangenheit zunehmend destabilisierten. Wir schauen auch nach Serbien und analysieren kurz die aktuellen Probleme des Landes unter einer \u201eneoliberalen Knute\u201c, die nicht zuletzt (auch) von der EU geschaffen wird. Anschlie\u00dfend gehen wir in Teil II zu geostrategischen Praxen imperialer M\u00e4chte \u00fcber und wie sie den Balkan f\u00fcr ihre wirtschaftlichen Interessen in ihre Einflussbereiche ziehen.
Deutsche Waffen, deutsches Geld\u2026
Es ist der Zeitraum zwischen 26. Juni und 7. Juli 1991. Sp\u00e4testens der zehnt\u00e4gige Krieg zwischen slowenischen Separatist*innen und der Jugoslawischen Armee (JA) f\u00fchrt der Welt\u00f6ffentlichkeit die dramatische Erosion Jugoslawiens vor Augen. Die milit\u00e4rischen Kampfhandlungen in Slowenien stellen den Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen dar, welche als \u201eJugoslawienkrieg\u201c mit zehntausenden Toten in die Geschichte eingehen und sp\u00e4ter vor allem in Kroatien, Bosnien und Herzegowina als ethnisierte Konflikte brutal entfesselt werden. Die auch in Jugoslawien nie ganz erfolgreich zugekitteten Br\u00fcche zwischen verschiedenen Teilen der Bev\u00f6lkerung anhand jener ethnisierter Grenzen (Sprachen, kulturelle Hintergr\u00fcnde, Religion, etc.) und sozialer Hintergr\u00fcnde vertiefen sich zu nationalistischen und sozialchauvinistischen Gr\u00e4ben.
Bereits im Sommer 1991 erkl\u00e4rten Slowenien und Kroatien ihren Austritt aus dem jugoslawischen Verbund. Der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und Au\u00dfenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) sprangen auf diesen Zug auf und trieben die internationale Anerkennungspolitik der beiden entstehenden Staaten voran. Im Dezember 1991 preschten sie schlie\u00dflich als erste vor \u2013 noch vor anderen Mitgliedern der damaligen Europ\u00e4ischen Gemeinschaft (EG). Der Zerfall Jugoslawiens war offensichtlich in deutschem Interesse. Die schnelle Anerkennung des Austritts von Slowenien und Kroatien durch die deutsche Politik spiegelt die Gro\u00dfmachtphantasien wieder, die nach der Annexion der DDR und dem beginnenden Abzug der alliierten Streitkr\u00e4fte aus Deutschland ungehindert gedeihen konnten. Die deutsche Politik zielte neben der wirtschaftlichen Einflussnahme, ganz im Interesse eines sich durchsetzenden Neoliberalismus in den entstehenden Staaten, vor allem auf den geostrategischen Fu\u00df-in-der-T\u00fcr, um eine zunehmend hegemoniale Rolle in Europa einnehmen zu k\u00f6nnen. Dabei wurde gegen\u00fcber der \u00d6ffentlichkeit mit der Durchsetzung von Menschenrechten, Minderheitenrechten sowie nationaler Selbstbestimmung geworben, um der Anerkennungspolitik ein Image von allgemeiner Legitimit\u00e4t zu verleihen.
W\u00e4hrend die Jugoslawische Armee gr\u00f6\u00dftenteils noch von Serbien kontrolliert wurde, trat Deutschland indirekt als milit\u00e4rischer Kontrahent in den Ring. Deutschland belieferte, trotz Waffenembargo, sowohl den jungen slowenischen, wie auch den kroatischen Staat flei\u00dfig mit Waffen. Teilweise kamen diese aus alten Best\u00e4nden der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR. Auch die USA blieben nicht unt\u00e4tig und entsandten Anfang der 1990er Jahre Milit\u00e4rberater*innen nach Zagreb, um ihre Interessen zu wahren. Das stete Liefern von Kriegsger\u00e4t und die internationale Forcierung der Anerkennungspolitik zugunsten der beiden jungen Staaten, sollten den Krieg weiter anfeuern und daf\u00fcr Sorge tragen, den Zerfall des sozialistischen Jugoslawiens zu besiegeln.
Gleichzeitig beteiligte sich der deutsche Staat am Aufbau des nationalen Institutions- und Finanzwesens vor Ort. Das Kalk\u00fcl: Wer die nationale Verfassung mitschreibt, staatliche Beh\u00f6rden, Notenbank und Finanzpolitik mit aufbaut, kann anschlie\u00dfend leicht auf politische und \u00f6konomische Geschicke Einfluss nehmen. Der Aufbau des Bankensystems und darauf folgend die Einflussnahme darauf, welche Kredite wo und in welcher H\u00f6he zu welchen Bedingungen aufgenommen werden, sind machtrelevante Entscheidungen und bringen Finanzinstituten und den Kreditgeber*innen und -nehmer*innen ordentlich Geld ein. Nichts geht dar\u00fcber hinaus \u00fcber die Ausbildung einer h\u00f6rigen Elite, welche die eigenen und von au\u00dfen herangetragenen Interessen unter dem Deckmantel \u201enationaler Interessen\u201c gegen\u00fcber der jeweiligen Bev\u00f6lkerung als Allgemeininteresse verkauft. Sinnbildlich daf\u00fcr steht die M\u00e4r der \u201eharten Deutschen Mark\u201c in der W\u00e4hrungspolitik Montenegros und Kosovos, wo die \u201eD-Mark\u201c \u00fcber Jahre als offizielles Zahlungsmittel fungierte. Die montenegrinischen Beh\u00f6rden f\u00fchrten diese beispielsweise 1999 ein. Auch Bosnien-Herzegowina koppelte seine W\u00e4hrung eng an die deutsche und besiegelte dar\u00fcber seine wirtschaftliche Verbundenheit mit Deutschland und seinen politischen wie wirtschaftlichen Interessen.
Der brutale Angriff auf die Arbeiter*innen
Eine weitere Ursache des sp\u00e4ter einsetzenden neoliberalen Kahlschlags liegt bereits in der Regierungszeit des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ). Sp\u00e4testens seit den 1980er Jahren nahm der Staat Kredite des Internationalen W\u00e4hrungsfonds (IWF) auf. Unter dem Paradigma des Schuldenabbaus nahm der IWF mit seinem neoliberalen Programm die Aufgabe wahr, der jugoslawischen Regierung Sparprogramme abzuringen und eine weiter liberalisierte Wirtschaftspolitik zu fordern. Ziel war es, die \u00f6konomische Konkurrenz in Form jugoslawischer Unternehmen f\u00fcr das westliche Kapital zu schw\u00e4chen, beziehungsweise zu vernichten und ausl\u00e4ndischen Unternehmen die Zug\u00e4nge zur Wirtschaft des Landes zu er\u00f6ffnen. Dies zog katastrophale Folgen nach sich. F\u00fcr die jugoslawische Arbeiter*innenklasse bedeutete die zunehmende Neoliberalisierung, und die damit einhergehende teilweise Vernichtung der Industrie Entlassungen, K\u00fcrzungen bei den Sozialleistungen sowie vorangetriebene Verarmung. Die unter den jugoslawischen Teilrepubliken mitunter gro\u00dfen Unterschiede zwischen wohlhabenderen Regionen und Teilstaaten (vor allem Slowenien und Kroatien) und \u00f6konomisch schwachen Regionen (Kosovo und das damalige Mazedonien) versch\u00e4rften sich weiter. Die Arbeitslosenquoten schnellten in den 1980ern in die H\u00f6he, wobei sie im Kosovo und Mazedonien zwischen 21 und 27 Prozent lagen und weitgehende soziale Abstiege der Bev\u00f6lkerung nach sich zogen. Bereits damals verkl\u00e4rten jugoslawische Eliten die soziale Deklassierung und kanalisierten diese in nationalistischen und rassistischen Erkl\u00e4rungsmustern.
Nach den Jugoslawienkriegen und der darauf folgenden Zersplitterung des gesamten Landes, entstanden nicht nur neue Staaten: Die angeh\u00e4uften Schulden wurden weiter vom IWF eingefordert. Die deutsche Regierung unterst\u00fctzte mit der Fragmentierung Jugoslawiens nicht nur wie genannt mit Waffenlieferungen an separatistische Kr\u00e4fte, sondern auch mit dem institutionellen Wiederaufbau aktiv die Schuldenfalle des IWF und die neoliberale Ausrichtung der Staaten, beispielsweise Bosnien-Herzegowinas, Kroatiens, Sloweniens und Mazedoniens. Durch die von IWF und Co. abgeforderten \u201eStrukturanpassungsprogramme\u201c wurden die Reste der staatlichen Industrie und der Wohlfahrtsprogramme dem \u201efreien Markt\u201c \u00fcbergeben. Viele ehemalige industrielle Zentren sind heute praktisch verwaist. Sie sind unter dem Druck westlicher Kapitalunternehmen aufgekauft, geschlossen oder gleich zur Aufgabe gezwungen worden. Prosperierende Industriest\u00e4dte schrumpften zu verarmten und perspektivlosen Mittelst\u00e4dten zusammen und leiden bis heute unter starker Abwanderung.
Der Zerfall der St\u00e4dte
Eines dieser Zentren ist die nordserbische Stadt Zrenjanin. Gut zwei Stunden Fahrt von Belgrad entfernt, bezeugen Industriebrachen die Realit\u00e4t der Deindustrialisierung und damit von zerst\u00f6rten Besch\u00e4ftigungsverh\u00e4ltnissen. Schon fr\u00fch suchte die jugoslawische Regierung mithilfe von Kreditaufnahmen die zunehmenden Schulden zu begleichen, was einen Strudel aus Kreditaufnahmen und versuchten Tilgungen in Gang setzte. Gleichzeitig wurden im sozialistischen Jugoslawien Kapitalbeteiligungen aus dem kapitalistischen Ausland bewilligt, was sp\u00e4ter die \u00f6konomische Abw\u00e4rtsspirale beschleunigen sollte. Dementsprechend suchten in den 1960er Jahren insbesondere US-amerikanisches und deutsches Kapital auch in Jugoslawien nach Anlagem\u00f6glichkeiten. Ein bekanntes Beispiel ist das Unternehmen Slovin, welches ab 1967 die Lizenz erhielt, Coca Cola und weitere Getr\u00e4nkemarken von Coca Cola f\u00fcr den jugoslawischen Markt zu produzieren. Ein weiteres Beispiel ist das einst von Arbeiter*innen verwaltete Pharmaunternehmen Jugoremedija, das seit den 1960er Jahren st\u00fcckweise vom deutschen Pharmakonzern Hoechst AG mit (Gr\u00fcndungs-)Kapital versorgt und nach dem Zerfall Jugoslawiens verg\u00fcnstigt an Privatinvestor*innen verkauft wurde. Bereits in den 1960er Jahren suchten US-amerikanisches und deutsches Kapital auch in Jugoslawien nach Anlagem\u00f6glichkeiten.
Wie Jugoremedija erging es nach dem Zerfall Jugoslawiens vielen Unternehmen in Textil-, Agrar- und chemischen Sektoren. Zwei ehemalige Arbeiter*innen des Werks bezeichnen diese Vorg\u00e4nge uns gegen\u00fcber als \u201epolitischen, organisierten Raub\u201c. Die Aufteilungen und Liquidierungen (ex-)jugoslawischer Unternehmen dienten deutschen Firmen wie Siemens, Stada Arzneimittel GmbH, dem gro\u00dfen Automobilzulieferer Dr\u00e4xlmeier und anderen zur Ausschaltung von Konkurrenz und zur Rekrutierung von Arbeitskr\u00e4ften aus einem Niedriglohnland. Die politischen Eliten der L\u00e4nder verdienten dabei mittels Korruption ordentlich mit. Sie waren es, welche den legislativen Rahmen f\u00fcr die Umsetzung von Neoliberalismus und der Umverteilung von unten nach oben weiter forcierten.
Mla\u0111an Dinki\u0107, seit den 2000er Jahren unter anderem Wirtschaftsminister in Serbien, inszenierte sich besonders herausstechend als K\u00e4mpfer gegen die Arbeiter*innenklasse. Er forcierte neoliberale Spar- und Ausverkaufprogramme und l\u00e4utete damit das Zeitalter der entfesselten Marktwirtschaft ein. Bereits fr\u00fch sollten Kapitalverb\u00e4nde, wie die deutsche Industrie- und Handelskammer (IHK), bei der Formulierung von neuen, restriktiveren Arbeitsgesetzgebungen aktiv einbezogen worden sein. Eingef\u00e4delt habe das die deutsche Botschaft, die nat\u00fcrlich auch die deutschen Kapitalinteressen teilt, so ein Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Belgrad, w\u00e4hrend eines pers\u00f6nlichen Gespr\u00e4ches mit uns Autoren. Serbien dient unter westlicher Einflussnahme als \u201everl\u00e4ngerte Werkbank\u201c f\u00fcr westliche Unternehmen, was mit der l\u00e4ngerfristigen neoliberalen Destruktion von Arbeiter*innen- und Arbeitsrechten einherging. [1]
Ein Krieg im Namen der Menschenrechte
Der Aufbereitung Serbiens als jenes \u201eNiedriglohnland\u201c und der aktuell st\u00e4rkeren EU-Anbindung gingen jedoch l\u00e4ngere, auch milit\u00e4rische, Konflikte zwischen der EU und Serbien voraus. Serbien betrachtete sich dabei lange Zeit als legitimes \u00dcbrigbleibsel Jugoslawiens.
Bereits in den kriegerischen Auseinandersetzungen in Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina Anfang der 1990er Jahre gerieten deutsche und jugoslawische bzw. serbische Interessen aneinander. Aus deutscher au\u00dfenpolitischer Sicht wurden hierbei die Jugoslawische Armee, die jugoslawische (zu diesem Zeitpunkt de facto nur noch serbische und montenegrinische) Regierung in Belgrad unter Slobodan Milo\u0161evi\u0107 sowie die politischen und milit\u00e4rischen Formationen der Republika Srbska innerhalb des sich in Gr\u00fcndung befindlichen Staates Bosnien-Herzegowina als Feinde deklariert. [2] Ganz im Geiste des ersten imperialistischen Weltkrieges, in dem die Habsburger Monarchie die Parole \u201eSerbien muss sterbien!\u201c ausrief, wurden die Serb*innen in der gesamten westlichen Darstellung als alleinig Schuldige f\u00fcr Krieg und Genozid im ehemaligen Jugoslawien dargestellt. Hintergrund davon war, dass die Regierung unter Milo\u0161evi\u0107 und seiner aus dem \u201eBund der Kommunisten Serbiens\u201c hervorgegangenen \u201eSozialistischen Partei Serbiens\u201c eine privatkapitalistische Umw\u00e4lzung im zumindest mehrheitlich planwirtschaftlichen System des ehemaligen Jugoslawien in Gang setzten. Dies taten sie jedoch unter der Betonung jugoslawischer bzw. serbischer Souver\u00e4nit\u00e4t. Dieses Verst\u00e4ndnis war den \u00f6konomischen und politischen Interessen des US-Imperialismus sowie der europ\u00e4ischen \u2013 und hierbei vor allem auch der deutschen \u2013 Imperialisten, entgegengesetzt. Dass die Milo\u0161evi\u0107-Regierung zutiefst korrupt und alles andere als sozialistisch war, und zudem eine Mitverantwortung an den Verbrechen serbischer Milizen vor allem im Bosnienkrieg trug \u2013 etwa am Massenmord an bosnischen Muslima und Muslimen in der bosnischen Stadt Srebrenica im Jahr 1995 \u2013 steht au\u00dfer Frage. Doch die anti-serbische Hetze, auch in deutschen Medien, zielte auf etwas anderes ab: auf die Legitimation der kriegerischen Durchsetzung von Kapitalinteressen in der Region, f\u00fcr welche die Milo\u0161evi\u0107-Regierung ein Hindernis darstellte.
Im Jahr 1999 erfolgten dann die K\u00e4mpfe zwischen Jugoslawischer Armee und der paramilit\u00e4rischen kosovo-albanischen Formation Ushtria \u00c7lirimtare e Kosov\u00ebs (U\u00c7K) in der serbischen Provinz Kosovo und auch die direkte milit\u00e4rische Intervention der NATO \u2013 ohne UN-Mandat und unter Beteiligung der Bundeswehr. NATO-Flugzeuge flogen Luftangriffe auf Stellungen der Jugoslawischen Armee sowie auf serbische St\u00e4dte, vor allem auf die Hauptstadt Belgrad. Die Zerst\u00f6rungen waren immens und pr\u00e4gen bis heute das Stadtbild serbischer St\u00e4dte. Die NATO-Bombenangriffe forderten mehrere hundert zivile Todesopfer. Den H\u00f6hepunkt der anti-serbischen Hetze zur Legitimierung dieses Angriffskrieges fand auf dem au\u00dferordentlichen Parteitag der Gr\u00fcnen am 13. Mai 1999 in Bielefeld statt. Nicht genug damit, dass sich in der Partei mit nominell pazifistischen Urspr\u00fcngen eine Mehrheit zur Unterst\u00fctzung des NATO-Luftkrieges mit Bundeswehr-Beteiligung fand. Der damalige Parteivorsitzende und Au\u00dfenminister Joschka Fischer begr\u00fcndete den Einsatz deutscher Truppen gegen die Jugoslawische Armee wie folgt: \u201eIch stehe auf zwei Grunds\u00e4tzen: nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder V\u00f6lkermord, nie wieder Faschismus. Beides geh\u00f6rt bei mir zusammen\u201c. Diese Relativierung der Verbrechen des deutschen Faschismus beruhte auf sp\u00e4ter als Falschmeldungen enttarnten Berichten \u00fcber ein angebliches serbisches Massaker an Kosovo-Albaner*innen im Dorf Ra\u010dak sowie einen angeblichen serbischen \u201eHufeisenplan\u201c zur Vernichtung der Albaner*innen im Kosovo. Wie auch bei sp\u00e4teren Rechtfertigungen f\u00fcr \u201eAuslandseins\u00e4tze\u201c der Bundeswehr (ob in Afghanistan, Mali oder anderswo), wurde hier unter der Berufung auf die Durchsetzung von Menschenrechten, der eigentliche Zweck, die Durchsetzung deutscher Kapitalinteressen, verschleiert \u2013 gepaart an dieser Stelle noch mit einer schamlosen NS-Relativierung. [3]
Diese zweiteilige Artikelreihe erscheint im Nachgang der Bildungsreise \u201eGeschichte und Gegenwart (Ex-) Jugoslawiens, die im September 2019 stattfand. Die Bildungsreise wurde von Praxis Reisen organisiert.
Anmerkungen:
[1] Zsch\u00e4chner, Roland: In deutscher Umklammerung, in: Hintergrund, 03/2019.
[2] Heute ist die Republika Srbska neben der F\u00f6deration Bosnien und Herzegowina eine von zwei Entit\u00e4ten des Bundesstaats Bosnien und Herzegowina.
[3] siehe Ivanji, Andrej: \u00d6rtlich gebombt. 20 Jahre NATO-Angriff auf Serbien, in: TAZ vom 24.03. 2019. Weitere Einzelheiten siehe auch die Artikelserie der Tageszeitung junge Welt: Krieg gegen Jugoslawien. Hier ist die Serie online einzusehen.