\u201ewenig verbreitet oder bekannt, pro-kurdisch\u201c
\nWas ist eine Kommunistische Partei, gibt es mehrere von ihnen und wenn ja wie viele, sind alles nur Abspaltungen aus der einen Urpartei oder unabh\u00e4ngige Gew\u00e4chse, welche genau ist eine \u201eillegale bewaffnete Terrororganisation\u201c, wie wird man Mitglied einer solchen, wie leitender Verantwortlicher, kann man \u201eTerrorist\u201c sein ohne \u201eTerrorist\u201c zu sein (Achtung, die Dialektik!) und so weiter und so fort. Leser*innen unseres Magazins wissen, dass wir uns mit diesen und \u00e4hnlichen tiefsch\u00fcrfenden philosophischen Fragen besch\u00e4ftigen mussten, als letztes Jahr unser Kollege und Genosse Max Zirngast in der T\u00fcrkei festgenommen wurde. Ihm wurde vorgeworfen, Mitglied, ja sogar Ankara-Verantwortlicher einer omin\u00f6sen illegalen und bewaffneten \u201eTerrororganisation\u201c namens \u201eTKP/K\u201c (Kommunistische Partei der T\u00fcrkei/Funke) zu sein. Wir und vor allem die Kolleg*innen von der internationalen Solidarit\u00e4tskampagne #FreeMaxZirngast w\u00e4lzten Order um Ordner, lasen Hunderte von Seiten, um herauszufinden, was an diesen Vorw\u00fcrfen dran ist. Zu unserer v\u00f6lligen \u00dcberraschung mussten wir feststellen: An den Vorw\u00fcrfen war ja gar nichts dran! Das Ganze war ein reines politisches Willk\u00fcrverfahren, um Oppositionelle mundtot zu machen!
Der t\u00fcrkische Staatsanwalt brauchte etwas l\u00e4nger: Aus dem Dornr\u00f6schenschlaf von Sultans\u2019 Gnaden erwacht, entdeckte er am 11. September 2019, exakt ein Jahr nach der Inhaftierung von Max Zirngast und Genoss*innen, urpl\u00f6tzlich das Hauptprinzip von Rechtsstaatlichkeit, in dubio pro reo (in Zweifel f\u00fcr den Angeklagten) und verlangte prompt den Freispruch f\u00fcr alle Angeklagten wegen Mangels an Beweisen. Der Richter war so baff angesichts der Argumentationsk\u00fcnste des Staatsanwaltes, dass er das Verfahren nach zehn Minuten fast wortlos beendete und dem Antrag des Staatsanwaltes stattgab, die Genoss*innen kamen frei \u2013 wie von Zauberhand, denn die Informationslage im Verfahren war die ganze Zeit \u00fcber dieselbe geblieben. Die T\u00fcrkei ist ein Land der Wunder, die Br\u00fccke zwischen Ost und West, das Land von politischer Massenhaft und sporadischem Freispruch. So oder so \u00e4hnlich k\u00f6nnten wir es wohl in einem orientalistischen Reisef\u00fchrer nachschlagen.
Sultanat im Alpenland?
Aber, jetzt kommt der Witz, es stellte sich heraus, dass der Sultan vom Bosphorus gar nicht nur in der ber\u00fchmten Meeresenge zwischen Asien und Europa haust \u2013 sondern auch mitten in Europa, zum Beispiel in der Alpenrepublik. Seine getreuen Janitscharen, die Grazer Staatsanwaltschaft und der \u00f6sterreichische Inlandsgeheimdienst BVT, lancierten n\u00e4mlich ebenfalls zur gleichen Zeit wie Ihro Majest\u00e4t ergebenster Staatsanwalt in Ankara ein \u201eTerrorverfahren\u201c gegen Max Zirngast in \u00d6sterreich. Das deckten die Wochenzeitung Falter aus \u00d6sterreich und die Solidarit\u00e4tskampagne #FreeMaxZirngast nun auf. Und zwar mit denselben fadenscheinigen Gr\u00fcnden wie die politische Willk\u00fcrjustiz in der T\u00fcrkei. Da aber allein ein Nachplappern der t\u00fcrkischen Despotie v\u00f6llig langweilig w\u00e4re, legten sich die \u00f6sterreichischen Beh\u00f6rden ordentlich ins Zeug und erfanden in ihrer unzweifelhaften und unvergleichlichen Habsburger Weisheit einfach neue Dinge dazu. In \u201eVersicherung ihrer vorz\u00fcglichen Hochachtung\u201c vor den Kolleg*innen in der T\u00fcrkei, versteht sich. Auf einmal hie\u00df es, dass die \u201eTKP/K\u201c, deren Mitglied ja Max h\u00e4tte sein sollen, eigentlich eine Abspaltung der \u201eTKP/ML\u201c sei, die mit der \u201eTIKKO\u201c eine bewaffnete Guerillaarmee zwecks gewaltsamen Umsturzes der staatlichen Ordnung unterhalte. Viele Abk\u00fcrzungen mit T zu Beginn, wir verstehen die Verwirrung. Mehr Sekt und Popcorn bitte, the show must go on!
re:volt macht Geschichte
Ob das nun der gr\u00f6\u00dfte Skandal der Zweiten Republik wird oder \u201eso an Kaffeehaus-Gschichtl\u201c am Rande einer wahnhaften Wiener Episode von Djuna Barnes\u2019 Erz\u00e4hlungen bleibt, das wird bekanntlich die Geschichte entscheiden. Aber auch wir haben hier mitzureden, denn es geht ums Ganze. Wie analysierte schon der alte Marx ganz richtig: \u201eDas re:volt magazine macht seine eigene Geschichte, aber es macht es nicht aus freien St\u00fccken, sondern unter unmittelbar vorhandenen, gegebenen und \u00fcberlieferten Umst\u00e4nden.\u201c Welche Umst\u00e4nde fanden wir nun vor? Ein kleines Nikolausgeschenk an uns, versteckt in den Akten des \u00f6sterreichischen Verfahrens gegen Max! Darin wurde uns der Ruhm und die Ehre zuteil, von einem angesichts seiner Leistungen offensichtlich extrem \u00fcberbezahlten \u00f6sterreichischen Inlandsgeheimdienst mit folgenden Worten gew\u00fcrdigt zu werden:
\u201e... dass das Magazin Re:volt linksorientiert ist. Ihre Slogans lauten unter anderem Rebellion! Widerstand! Freiheit! Ihre Ideologie ist Internationalismus, Sozialismus und Marxismus. Prokurdisch. Die Artikel bzw. das Medium ist wenig verbreitet oder bekannt.\u201c
In einer Sondersitzung, die wir als Redaktion nach Kenntnisnahme dieser Zuschreibungen einberiefen, versuchten wir herauszufinden, woher zur H\u00f6lle das BVT eigentlich auf die Idee kam, dass wir einen Slogan h\u00e4tten und dass der dann auch noch wie eine Kampfparole einer Mitgliedspartei der 4. Internationale klingt (hey Genosskis, nehmt\u2019s nicht pers\u00f6nlich!). Letztlich einigten wir uns auf eine postmoderne L\u00f6sung und sagten uns: Wo nichts ist, da kann ja noch was werden! Und hiermit erkl\u00e4ren wir \u00f6ffentlich und in Versicherung unserer vorz\u00fcglichen Hochachtung: Ab jetzt soll unser Kampfslogan \u201eRebellion! Widerstand! Freiheit!\u201c hei\u00dfen, er soll unsere wehenden gelb-rot-gr\u00fcnen Fahnen des Internationalismus, Sozialismus und Marxismus schm\u00fccken und einst auch auf unseren Gr\u00e4bern geschrieben stehen.
Ansonsten verweisen wir auch noch gerne auf die Leistungen von Menschen, die viel schlechter bezahlt werden als das BVT, dabei aber viel profunderes Wissen zur t\u00fcrkischen Linken besitzen: Ein Blick in das von Nick Brauns und Murat \u00c7ak\u0131r herausgegebene Buch Partisanen einer neuen Welt. Eine Geschichte der Linken und Arbeiterbewegung in der T\u00fcrkei vom letzten Jahr lohnt sich. Darin wird in allen Details die Geschichte der mehreren (!) TKPs, der TKP/ML, der TIKKO, und der vieler, vieler anderer linker Str\u00f6mungen und Organisationen in der Geschichte der modernen T\u00fcrkei erz\u00e4hlt (hey BVT, einfach das n\u00e4chste Mal die paar Euro investieren und mal was wirklich lernen!). Wir haben Ausz\u00fcge aus dem Buch zu \u201eDoktor\u201c Hikmet K\u0131v\u0131lc\u0131ml\u0131, seinen Nachfolgern und den wenigen Informationen, die die Herausgeber zur TKP/K finden konnten, zusammengetragen und mit freundlicher Erlaubnis der Herausgeber ebenfalls letztes Jahr als Artikel unter dem Titel \u201eDiagnosen eines Doktors \u2013 Zur Geschichte einer kommunistischen Tradition in der T\u00fcrkei\u201c ver\u00f6ffentlicht. Es w\u00e4re so einfach gewesen\u2026
Und zum Schluss mal ganz ohne Zynismus: Wir als Redaktion des re:volt magazines versprechen, genau so weiter zu machen wie bisher und uns nicht kleinkriegen oder ablenken zu lassen von irgendwelchen regionalen Despoten oder ihren willf\u00e4hrigen Speichelleckern im Zentrum des imperialistischen Weltsystems. Wie wir schon in unserem Selbstverst\u00e4ndnis festhalten:
\u201eDie Zeichen stehen auf Sturm: Seit dem Untergang der sozialistischen Staaten des Ostblocks w\u00fctet der Kapitalismus ungehindert in allen Teilen des Erdballs. Nicht nur pl\u00fcndern die reichsten L\u00e4nder der Welt nach wie vor ungehemmt den globalen S\u00fcden aus und halten damit einen Gro\u00dfteil der Weltbev\u00f6lkerung in bitterer Armut gefangen. Auch die Kriegsf\u00fchrung der imperialistischen Staaten hat sich seit 1990 versch\u00e4rft. [\u2026] Parallel zu dieser imperialistischen Weltmachtpolitik, in der auch Deutschland wieder kr\u00e4ftig mitmischt, wird seit nunmehr \u00fcber 40 Jahren ein ungeheurer Angriff auf die Errungenschaften der Arbeiter_innenbewegung in den imperialistischen Zentren seitens des Kapitals unter dem Deckmantel des \u201eNeoliberalismus\u201c vollzogen. Im Zuge dieser Entwicklung schreitet die Reaktion \u00fcberall voran und auch die grundlegendsten demokratischen Rechte werden zunehmend eingeschr\u00e4nkt. [...] Andererseits nehmen die Menschen ihr Schicksal nicht einfach hin, sondern k\u00e4mpfen um ihre Zukunft. Von Rojava \u00fcber die Bolivarische Revolution und den transformierten Kampf der FARC-EP, \u00fcber #BlackLivesMatter, Gezi, Occupy Wall Street und #15M, dem Kampf gegen Hartz I-IV, gegen Wohnungsnot und Mietenwahnsinn, gegen Gewalt an Frauen und an LGBTQ* oder den massenhaften Platzbesetzungen wie am Syntagma oder Tahrir-Platz: In diesen und vielen weiteren K\u00e4mpfen und Orten f\u00fchrten und f\u00fchren die Unterdr\u00fcckten und Ausgebeuteten den unerm\u00fcdlichen Kampf um ihre Befreiung.\u201c
Insofern rufen wir auf zu: Rebellion! Widerstand! Freiheit!