Die Eskalation des USA-Iran-Konflikts
\nDie Ermordung des Generalmajors und Kommandeurs der al-Quds Eliteeinheiten des iranischen Regimes, Qasem Soleimani, ist nach US-Pr\u00e4sident Donald Trump eine Reaktion auf die Angriffe der pro-iranischen Milizen auf die US-amerikanische Botschaft Ende Dezember in Bagdad. In seiner Stellungnahme lie\u00df Trump zudem verlauten, dass es sich bei dem Drohnenangriff \u2013 wie damals bei der Ermordung Bin Ladens unter Obama \u2013 um einen defensiven Akt seiner Regierung gehandelt h\u00e4tte. Wie immer besteht die M\u00f6glichkeit, dass es sich einmal mehr um reinen Zynismus Trump\u2018scher Art handelt, mit dem er der Welt\u00f6ffentlichkeit einmal mehr ins Gesicht l\u00fcgt \u2013 oder aber, diese Erkl\u00e4rung ist ernst gemeint und der Angriff als Teil einer erweiterten Defensivstrategie zu interpretieren. Zweiteres bedarf unserer Meinung nach einer genaueren Erl\u00e4uterung: Als solcher w\u00e4re der Angriff n\u00e4mlich ein Fall \u201eaktiver Verteidigung\u201c, der es den USA in der gegenw\u00e4rtigen Phase des Konflikts mit dem Iran erlauben w\u00fcrde, bestimmend zu bleiben. Aus der Defensive kann dem Feind schmerzhafter Schaden zugef\u00fcgt werden, ohne die moralischen Nachteile eines direkten Angriffs tragen zu m\u00fcssen \u2013 klarer Vorteil gegen\u00fcber einem Frontalangriff. Es ist damit zu rechnen, dass entweder die Strategie aktiver Verteidigung mit st\u00e4rkerem Nachdruck verfolgt wird, oder aber die Bedingungen f\u00fcr einen \u00dcbergang zu einer direkten, unverh\u00fcllten Offensive erwirkt werden; beides Wege, um die Position der USA im Konflikt mit dem Iran massiv zu st\u00e4rken. Dass Pr\u00e4sident Trump f\u00fcr diese Strategie nicht einmal mehr parlamentarisch legitimiert werden muss, wurde schon Ende Juni 2019 entschieden: In der damaligen Phase der Eskalation best\u00e4tigte der US-Senat den Vorschlag Trumps, auch ohne Erlaubnis des Kongresses den Iran angreifen zu k\u00f6nnen.
Der Konflikt zwischen den USA und dem Iran im Irak
Dass die iranische F\u00fchrung nach der Ermordung Soleimanis zum Gegenschlag ausholen wird, steht au\u00dfer Frage. Es geht darum zu verstehen, wo und wie sie dazu ansetzen wird. Der Iran ist in jeder Hinsicht die milit\u00e4risch schw\u00e4chere Partei und muss strategisch mit seinen Kapazit\u00e4ten umgehen. Wenn er zuschlagen will, muss er das dort tun, wo er st\u00e4rker aufgestellt ist als die USA. Und das ist im Irak.
Dass der Iran seinen Einfluss im Irak im Zuge der US-Invasion und der damit einhergehenden Zerschlagung des irakischen Staates kontinuierlich ausweiten konnte, ist zutiefst paradox. Denn es waren schiitisch-politische Oppositionsgruppen mit guten Beziehungen zum iranischen Regime, die aufgrund der Unf\u00e4higkeit der westlichen Besatzungsm\u00e4chte, das Land zu stabilisieren, direkt vom Exil ins Zentrum der politischen Macht in Bagdad katapultiert wurden. Ihre Loyalit\u00e4t zur Islamischen Republik haben sie dabei nie vergessen. Aufgrund der latent instabilen Lage des Iraks war klar, dass die USA und der Iran sich irgendwann hier begegnen werden. Der Zusammensto\u00df war also nur eine Frage der Zeit.
Dass es jedoch genau jetzt passiert hat verschiedene Gr\u00fcnde. Die Position des Irans im Irak \u2013 vertreten bis dato durch Soleimani \u2013 ist, aufgrund der seit nun schon \u00fcber drei Monate anhaltenden Massenproteste gegen alle herrschenden politischen Kr\u00e4fte und das allgemeine Elend gro\u00dfer Bev\u00f6lkerungsteile, so schwach wie nie zuvor. Die Protestierenden machten keinen Hehl daraus, dass sie sich \u00fcber den schwerwiegenden Einfluss des Irans im Klaren sind, weshalb die Proteste nicht selten stark anti-iranischen Charakter annahmen. Soleimani best\u00e4tigte die St\u00e4rke der Proteste seinerseits durch sein Agieren in der Vermittlerrolle im krisenger\u00fcttelten irakischen Machtblock und durch seine absch\u00e4tzigen Kommentare zum Aufstand der Massen, denen gegen\u00fcber \u201eman kein Zeichen der Schw\u00e4che zeigen\u201c d\u00fcrfe.
Trotz aller vordergr\u00fcndigen Sesselwechsel und Reformen, die seitens des herrschenden Blockes im Irak als Konzessionen in Gang gesetzt wurden, war kurz- und mittelfristig kein Abebben der Proteste zu erwarten. Inbesondere, weil sich vor dem Hintergrund des gemeinsamen Kampfes auch hier solidarische Strukturen und neue informelle Netzwerke zu formieren begonnen haben, die die Proteste unterst\u00fctzen. Zudem haben die Protestierenden die defensive Reaktion, die Konzessionen und leeren Versprechen der Regierung als Teilsieg interpretiert, was ihren Kampfgeist eher st\u00e4rkt als schw\u00e4cht. Schlie\u00dflich handelt es sich bei den Protestierenden noch immer um Menschen, deren Hoffnung sich aus einer Ohnmacht und Perspektivlosigkeit speist, deren Standpunkt also \u201ealles oder nichts\u201c ist. Folglich glauben sie nicht mehr daran, dass die Sackgasse, in der der herrschende Block im Irak steckt, mit Reformen zu \u00fcberwinden ist.
Offensichtlich wollten Trump und seine Regierung die Gunst der Stunde nutzen, um dem Iran und seinen milit\u00e4rischen und politischen Verb\u00fcndeten im Irak einen harten Schlag zuzuf\u00fcgen. Dabei spekulierten sie wohl auf das alte Mantra, dass der \u201eFeind meines Feindes mein Freund\u201c sei: So twitterte Au\u00dfenminister Mike Pompeo ein Video, auf dem Protestierende zu sehen sind, die kurz nach der Ermordung Soleimanis und seiner rechten Hand im Irak, dem langj\u00e4hrigen Milizenf\u00fchrer der Kata\u2019ib Hezbollah Abu Mahdi al-Muhandis (aber auch vieler weiterer Kader), freudig durch die Stra\u00dfen zogen.
Auch wenn dieses Ereignis aus Sicht der Protestierenden sehr wohl ein Grund zur Freunde darstellt, erkl\u00e4rten lokale Quellen dem re:volt magazine gegen\u00fcber, dass dieser ersten Freudenanfall \u00fcber den Tod Soleimanis schnell einged\u00e4mmt wurde: Vor allem aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der \u201eWohlt\u00e4terin\u201c um die USA handelte. Vielen Aktivist*innen ist klar, dass diese gewiss viele Interessen verfolgen, aber sicher nicht diejenigen, f\u00fcr die die Protestbewegung einsteht. Diese allgemeine und nicht \u00fcberraschende Skepsis der Protestierenden gegen\u00fcber den USA wird die Bewegung in eine Position der doppelten Opposition gegen die USA und gegen den Iran dr\u00e4ngen und die Position der USA \u2013 angesichts ihrer geographisch-milit\u00e4rischen Isoliertheit \u2013 schw\u00e4chen.
Gegenschlag des Iran und seiner Verb\u00fcndeten irakischen Kr\u00e4fte
Ist die Islamische Republik aber tats\u00e4chlich in der Lage, in eine kriegerische Auseinandersetzung mit den USA zu treten? Zun\u00e4chst einmal sind die \u00f6konomischen Grundlagen daf\u00fcr \u00e4u\u00dferst knapp: Aufgrund der von Saudi-Arabien diktierten gem\u00e4\u00dfigten Erd\u00f6lpreispolitik und der westlichen Sanktionspolitik tendiert der Iran zurzeit dazu, sein Erd\u00f6l den ostasiatischen L\u00e4ndern zu Tiefstpreisen zu verkaufen. Die sinkenden \u00d6leinnahmen werden zudem von einer hohen Inflationsrate begleitet. Gleichzeitig wurde w\u00e4hrend den iranischen Protesten im November 2019 die Kritik laut, das iranische Regime verschwende die sinkenden \u00d6leinnahmen in der Finanzierung seiner Auslandsinterventionen in Syrien, im Libanon, in Pal\u00e4stina und im Irak. Dahinter stand weniger eine anti-arabische Haltung der iranischen Protestierenden, als vielmehr eine fundamentale Skepsis gegen\u00fcber dem Nutzen der iranischen Au\u00dfenpolitik f\u00fcr die Interessen der iranischen popularen Klassen. Ob sich das iranische Regime nun also in diesem gesellschaftlichen und \u00f6konomischen Kontext ein weiteres teures milit\u00e4rische Abenteuer leisten kann, ist zweifelhaft \u2013 oder zumindest w\u00e4re es eine extreme Gratwanderung f\u00fcr die iranische F\u00fchrung.
Nichtsdestotrotz muss die iranische F\u00fchrung ihrer Logik nach auf \u201eangemessene Weise\u201c reagieren, will sie \u2013 angesichts des hochrangigen Verlustes \u2013 den USA und seinen regionalen Verb\u00fcndeten gegen\u00fcber nicht das Gesicht verlieren. Die iranische Milit\u00e4rf\u00fchrung lie\u00df bereits verlauten, dass alle Positionen der US-amerikanischen Milit\u00e4rkr\u00e4fte in der Region erneut registriert worden seien. Wie ein Krieg aussehen k\u00f6nnte, dar\u00fcber wurde im Zuge der Versch\u00e4rfung der Sanktionen im Mai des vergangenen Jahres bereits nachgedacht. In jedem Fall wird der Iran das Feld nicht kampflos r\u00e4umen. Das Ausma\u00df des Verlusts an politischem und milit\u00e4rischem Einfluss, den sich das Regime in den vergangenen Jahren trotz des Sanktionskrieges und der internationalen Isolierung erarbeitet hat, bestimmt das Schicksal der iranischen F\u00fchrung.
Perspektiven eines inter-imperialistischen Konfliktes
Trump und seine Regierung plant nun, weitere 3.000 Soldaten in die Region zu entsenden. Aufgrund der herrschenden politischen Krise im Irak ist aber auch eine weitere Schw\u00e4chung des Iran durchaus zweifelhaft, da die kriegerische Austragung des inter-imperialistischen Konflikts zwischen den USA und dem Iran auf irakischem Boden die Restabilisierung des heute gespaltenen irakischen Blockes aufgrund eines allgemeinen Antiamerikanismus im Irak noch einmal beschleunigen wird. Aufgrund der Ereignisse und dem Druck aus Teheran hat das irakische Parlament in einer dringlichen Sitzung zusammengefunden, um Ma\u00dfnahmen zu treffen, der Pr\u00e4senz der USA im Irak ein Ende zu setzten. Das ist politisch gesehen oberstes Ziel der iranisch-irakischen Front. Ganz in dieser Absicht hat der bekannte schiitische Leader Muqtada al-Sadr derweil dem Iran sein Beileid ausgesprochen und verlauten lassen, dass er den Irak milit\u00e4risch verteidigen werde.
Auf Seiten der USA spielen die, in rund zehn Monaten stattfindenden, 46. Pr\u00e4sidentschaftswahlen ebenfalls eine zentrale Rolle. Es ist bekannt, dass die Ablenkung von innenpolitischen Widerspr\u00fcchen oft \u00fcber die Akzentuierung au\u00dfenpolitischer Konflikte geschieht. Wenn es allerdings die Absicht Trumps ist, der internen Opposition auf diese Weise den Wind aus den Segeln zu nehmen, k\u00f6nnte sich sein Plan sogar ins Gegenteil verkehren und seiner Wiederwahl schaden: Es fanden schon in \u00fcber 80 US-St\u00e4dten erste Demonstrationen gegen Trumps Kriegspolitik im Nahen Osten statt. Ironischerweise war es vor acht Jahren gerade Trump, der Obama vorgeworfen hatte, den Iran angreifen zu wollen, um wiedergew\u00e4hlt zu werden.
Auswirkungen auf die irakische Protestbewegung
Die Belagerung der amerikanischen Botschaft und die T\u00f6tung Soleimanis hat die soziale Protestbewegung komplett in den Schatten gestellt. Wurde in den irakischen Zeitungen noch vor einer Woche t\u00e4glich \u00fcber die Besetzung des Tahrir-Platzes und \u00fcber die Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und dem Ende des sektiererischen politischen Systems berichtet, geht es heute nur noch um den Konflikt zwischen den USA und den iranischen und pro-iranischen Milizen im Land selbst. Eine Austragung dieses Konfliktes auf irakischem Boden wird die dominanten Konfliktlinien im Irak und in der gesamten Region verschieben und die emanzipatorischen Proteste im Nahen Osten und in Nordafrika \u00fcberschatten.
Auch besteht das Risiko, dass sich die Proteste in einer solchen Situation demobilisieren. Die Protestierenden k\u00f6nnten sich dazu verleiten lassen, die L\u00f6sung des politischen Konflikts in der Positionierung auf der einen oder anderen Seite der imperialistischen Barrikade zu sehen. Zudem zahlen soziale Bewegungen nur zu oft den Preis einer Militarisierung des inter-imperialistischen Konflikts; denn kriegerische Auseinandersetzungen zerst\u00f6ren emanzipatorische Prozesse, zivile Infrastruktur und Menschenleben. In der Region gibt es mit Syrien, dem Jemen und Libyen mehrere einschl\u00e4gige Beispiele daf\u00fcr. Sowohl im Irak wie auch im Iran passiert dies \u00fcber eine m\u00f6gliche Einf\u00fchrung respektive Versch\u00e4rfungen der Sanktionen \u2013 und im Kriegsfall zur Implementierung einer harschen Rationierungspolitik.
Angesichts der Gefahr einer beschleunigten Eskalation und einer Intensivierung des Konflikts besteht die einzige M\u00f6glichkeit darin, den emanzipativen Kampf der protestierenden Massen in der Region aufrechtzuerhalten. Das ist allerdings nur m\u00f6glich, wenn die Mobilisierung gesteigert und internationalisiert und die Position der doppelten Opposition \u2013 gegen die herrschenden Regime und gegen einen inter-imperialistischen Krieg \u2013 aufrechterhalten wird.
Das Titelbild zeigt die Auswirkungen der Ermordung auf die Protestbewegung. Darauf ist eine Erinnerungsst\u00e4tte an Gefallene der Revolution zu sehen. Auf Twitter schreibt Zahra Ali \u0632\u0647\u0631\u0627\u0621 \u0639\u0644\u064a\u200f (@ZahraSociology) dazu: \u201eSaw the spot where #Sulaimani and #AlMuhandes convoy was hit today on my way to #BaghdadAirport, and thought: just when the most heroic and inclusive uprising seeking to reverse the post-2003 process (and more) started, this happens. #keep_your_conflicts_away_from_iraq\u201c (2020-01-06)