\u201eSeit Jahren sind die Rechten in Polen in der Offensive\u201c
\nDie Politik der rechten Partei PiS (Prawo i Sprawiedliwo\u015b\u0107 , Recht und Gerechtigkeit) grenzt stark von der EU ab und f\u00e4hrt einen nationalkonservativen Kurs. Wie sieht der Wandel aus, der sich unter dem Vorsitzenden Vorsitzendem Jaroslaw Kaczy\u0144ski vollzieht?
PostKom: Polen hat nach dem EU-Beitritt 2004 einen sehr starken wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Zum einen sind EU-Gelder zur Verbesserung der Infrastruktur geflossen, Polens \u00d6konomie profitierte also stark von europ\u00e4ischen Investitionsprogrammen. Gleichzeitig darf man nicht auch nicht vergessen, dass der EU-Beitritt sehr vielen polnischen Menschen erm\u00f6glicht hat in den Westen auszuwandern, vor allem Richtung Gro\u00dfbritannien. Wir sprechen hierbei von etwa zwei Millionen Auswander*innen. Das Geld, dass diese h\u00e4ufig in prek\u00e4ren Jobs verdient haben, wurde und wird zur Unterst\u00fctzung ihrer Familien nach Polen geschickt. Was die aktuelle EU-Politik von PIS betrifft, wird ein widerspr\u00fcchlicher Kurs gefahren. Im Gegensatz zu der deutschen AfD, die mit dem Gedanken gespielt hat, die EU irgendwann zu verlassen, setzt Kaczy\u0144ski auf die Strategie, den Nationalstaat zu bewahren. In diesem Zusammenhang wird h\u00e4ufig vom \u201aEuropa der Vaterl\u00e4nder\u2018 gesprochen. Auf anderem Gebiet wie der Sicherheitspolitik tritt die Regierung wiederum f\u00fcr eine deutlich st\u00e4rkere Zusammenarbeit mit der EU ein. Das betrifft leider auch den Bereich der Grenzsicherung. Man darf nicht vergessen, dass die Grenzschutzagentur Frontex in Warschau ihren Sitz hat und Polen f\u00fcr die Ostflanke der NATO sowie f\u00fcr die Grenzsicherung der EU im Osten zust\u00e4ndig ist.
Das Land zeichnete sich in der Vergangenheit durch niedrige Beteiligungen an Wahlen an, vor allem bei europaweiten Urneng\u00e4ngen. Bei der vergangenen EU-Wahl im Mai sollten dann viele Nichtw\u00e4hler*innen von neuen linken und (neo-)liberalen Parteien zur Wahl mobilisiert werden. Wer sind diese Kr\u00e4fte und wof\u00fcr stehen sie?
Die polnische Gesellschaft ist weitestgehend gespalten. Im Grunde genommen ist es ein Konflikt, der seit Jahren in der polnischen Gesellschaft zwischen liberalen, kosmopolitischen und proeurop\u00e4ischen Kr\u00e4ften (Koalicja Obywatelska), die auf ein weltoffenen modernes Polens setzen, und auf der anderen Seite zwischen einem ebenso gro\u00dfen Lager aus antimodernistischen, nationalistischen und rassistischen Kr\u00e4ften g\u00e4rt und ausgetragen wird. Letztere werden etwa von der PIS erfolgreich mobilisiert und f\u00fcr ihre Zwecke genutzt. Sie sind patriotisch, katholisch und haupts\u00e4chlich von einer Angst vor Ver\u00e4nderung und vor Fremden gepr\u00e4gt. Gleichzeitig n\u00e4hert sich die polnische Gesellschaft immer st\u00e4rker der westeurop\u00e4ischen an. Es gibt viele, die im Ausland studieren oder im Ausland gearbeitet haben. Diese Kr\u00e4fte f\u00fchren einen erbitterten Kampf. Die polnische Gesellschaft ver\u00e4ndert sich und ist sehr stark polarisiert. Die Polarisierung f\u00fchrt aber auch zu einer Aktivierung der B\u00fcrger*innen. So entsteht \u2013 sehr langsam, aber systematisch \u2013 so etwas wie eine linke polnische Zivilgesellschaft, die eine Art Gegenblock zu der rechten Hegemonie aufbauen k\u00f6nnte. Die Beteiligung an den Wahlen w\u00e4chst. Bei den letzten Wahlen betrug sie fast 60 Prozent. F\u00fcr polnische Verh\u00e4ltnisse ist das hoch.
Die (proto-) faschistische Bewegungen organisieren sich inner- wie au\u00dferparlamentarisch in ganz Europa. Das Verh\u00e4ltnis zwischen deutschen und polnischen Rechten sowie FaschistInnen ist jedoch angespannt. K\u00f6nnt ihr einsch\u00e4tzen, wie sich die politischen Beziehungen darstellen?
Die Rechten sind in Polen seit Jahren in der Offensive. Auch jenseits der Rechtskonservativen hat sich eine breite Bewegung etabliert, die nicht nur zahlreiche Aktivit\u00e4ten im kulturellen und im Jugendbereich unternimmt, sondern auch am 13. Oktober 2019 mit der extrem rechten \u201eKonf\u00f6deration\u201c mit knapp sieben Prozent der abgegebenen g\u00fcltigen Stimmen den Einzug ins polnische Parlament geschafft hat. Da Kaczy\u0144skis PiS-Partei sich in Richtung gesellschaftlichem Zentrum bewegt und in ihrer Wahlrhetorik auf polarisierende Positionen, etwa zu Abtreibung, verzichtet hat, ist auf der rechten Seite eine offene Flanke entstanden. Diese wird von der extremen Rechten erfolgreich bewirtschaftet. F\u00fcr die parlamentarische Arbeit der extremen Rechten sind zurzeit polarisierende gesellschaftliche Themen zentral: das totale Abtreibungsverbot, der Kampf gegen Migration, Antisemitismus und so weiter. Im Westen werden h\u00e4ufig rechte Bewegungen aus Westeuropa mit osteurop\u00e4ischen zusammengeworfen. Aus unserer Sicht ist das falsch. Bei den Nationalist*innen in Polen, spielen zum Beispiel Religion und Glaube eine sehr gro\u00dfe Rolle \u2013 im Gegensatz zu vielen westeurop\u00e4ischen Nationalist*innen, wo dieser Aspekt einer unter vielen ist. Es liegt in der deutsch-polnischen Geschichte der letzten 200 Jahre begr\u00fcndet, dass sich die deutsche Rechte und die Pol*innen immer als eine Art Erbfeinde betrachtet haben. Die Erfahrungen aus dem zweiten Weltkrieg und die Umsiedlung der Deutschen f\u00fchrten (kurz gesagt) dazu, dass trotz einiger Versuche einzelner Aktivist*innen, auf beiden Seiten Kontakte zu kn\u00fcpfen, diese aus unserer Sicht noch relativ wenig ausgepr\u00e4gt sind. Anders als beispielsweise bei den Kontakten der deutschen Rechten nach Tschechien. Aufgrund der ideologischen Unterschiede \u2013 die starken Bez\u00fcge der polnischen Rechten auf Religion und der antipolnischen Ressentiments bei den deutschen Rechten, um zwei zu nennen \u2013 ist ein dauerhaftes B\u00fcndnis (zum Gl\u00fcck) noch eine Zukunftsvision. Das zeigt sich auch am Beispiel der AfD. W\u00e4hrend diese zuletzt deutlich machte, dass sie Kontakte zur PIS sucht und unter anderem in Berlin aktiv um polnische W\u00e4hler*innen geworben hat, griff sie bei den Landtagswahlen in Brandenburg aber wiederum auf antipolnische Ressentiments zur\u00fcck.
In den vergangenen Monaten standen die LGBTIQ*-feindlichen Proteste und \u00dcbergriffe gegen polnische Pride Parades und queere Menschen in der Welt\u00f6ffentlichkeit. Die Angriffe auf die Parade in der Stadt Bialystok stehen exemplarisch f\u00fcr eine traditionsreiche homo- und transfeindliche Stimmung in weiten Teilen der Gesellschaft. Welche Rolle spielen die katholische Kirche sowie die Regierungspartei in dieser aufgehetzten Stimmung?
Im letzten Wahlkampf im Sommer dieses Jahrs gab es zwei Hauptthemen. Einerseits waren das die sozialen Themen, die die PIS geschickt nach vorne ger\u00fcckt hat. Konkret soll der Mindestlohn n\u00e4chstes Jahr deutlich erh\u00f6ht werden. Auf der anderen Seite versuchen sich PIS und andere rechts gerichtete Gruppen, als die Verteidiger der polnischen traditionellen Werte wie der Familie darzustellen. Best\u00fcrzend ist, dass die Kirchenoberen, obwohl sie sich mit klaren \u00c4u\u00dferungen eher zur\u00fcckgehalten haben, ganz deutlich auf die Seite homophober Kr\u00e4fte gestellt haben: So kann der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski ohne Konsequenzen die LGBT-Bewegung als die neue \u201erote Pest\u201c darstellen. [1] Offenbar haben sich die Kirchenoberen ganz klar f\u00fcr die homophob rechte Fraktion entschieden. Das ist paradox, da unserer Einsch\u00e4tzung nach diese klare Positionsnahme pro rechter Kr\u00e4fte langfristig der Kirche eher schaden wird. Zum einen ist es so offensichtlich ein Ablenkungsman\u00f6ver und soll von den Missbrauchsskandalen innerhalb der Kirche ablenken und zum anderen st\u00f6rt es die Menschen, dass sich die Kirche in die polnische Politik einmischt. Die Kirche spielt nach wie vor eine sehr gro\u00dfe Rolle in Polen. Die Zahl der Kircheng\u00e4nger*innen ist zwar leicht zur\u00fcckgegangen, dennoch ist die Kirche vor allem in l\u00e4ndlichen Gegenden eine m\u00e4chtige Akteurin.
Klingt nach dringend notwendigen widerst\u00e4ndigen Perspektiven. Welche K\u00e4mpfe f\u00fchren linke und radikale Linke, parlamentarisch wie au\u00dferparlamentarisch, in Polen? Welche sozialen Bewegungen von links bestehen aktuell?
Die polnische Linke konnte bis vor kurzem im Parlament keine K\u00e4mpfe f\u00fchren, weil sie nicht vertreten war. Erst die Wahlen am 13. Oktober bewirkten, dass eine linke Koalition unter der F\u00fchrung der postkommunistischen Linken mit einem guten Ergebnis von zw\u00f6lf Prozent den (Wieder-) Einzug ins Parlament geschafft hat. Es ist durchaus ein relevantes Ereignis, denn in der Vergangenheit war nichts Gutes von den Sozialdemokraten zu erwarten. Aufgrund der Absprachen mit anderen linken Parteien konnte auch deutlich j\u00fcngeres Personal, wie beispielsweise der Vorsitzende der Partei Lewica Razem, zu deutsch: \u201eLinke Gemeinsam\u201c, vergleichbar mit einer polnischen Version von Podemos (Spanien) oder Syriza (Griechenland), in das Parlament einziehen. Welche Bedeutung ihnen zukommt wird, ist noch ergebnisoffen.
Im au\u00dferparlamentarischen Bereich kam es in den vergangen Jahren immer wieder zu teilweise sehr gro\u00dfen Protesten aus dem liberalen und linksliberalen Spektrum, wie gegen die Justizreform der Kaczy\u0144ski-Regierung oder die Regierung im Allgemeinen. Es gab auch sehr starke Proteste wegen des Versuches von PIS, das Recht auf Abtreibung deutlich zu versch\u00e4rfen, bei denen hunderttausende polnische Frauen* auf die Stra\u00dfe gingen. Im neuen Parlament sind zudem drei Abgeordnete der polnischen Gr\u00fcnen vertreten. Allm\u00e4hlich entsteht neben dem Kampf gegen rechts, \u00e4hnlich wie in Deutschland, auch in Polen eine linke Klimabewegung. Dies ist sehr zu begr\u00fc\u00dfen, da die Klimafrage ein globales Problem ist und der Einsatz f\u00fcr Perspektiven einer globalen Zusammenarbeit bed\u00fcrfen.
Seit dem immer gr\u00f6\u00dfer und politisch bedeutsamer werdenden nationalistischen Gro\u00dfaufm\u00e4rschen finden sich in der Hauptstadt Warschau zahlreiche Antifaschist*innen zum Protest ein. Welche Bedeutung hat \u201eAntifa\u201c als Bewegung in Polen?
Trotz einiger positiver Signale wie dem (Wieder-) Einzug der polnischen Sozialdemokraten in das Parlament, ist die Linke in Polen nach wie vor klein und marginal. Das gilt insbesondere f\u00fcr die radikale oder autonome Linke, die \u00fcber einige Strukturen verf\u00fcgt \u2013 wie zum Beispiel das Rozbrat in der Stadt Poznan, dass aktuell aber auch von R\u00e4umung bedroht ist. Da die Szene wenige Menschen umfasst, arbeiten die polnischen Linken multithematisch. Die Bedrohung durch rechte Schl\u00e4gertrupps ist gleicherma\u00dfen marginal wie allgegenw\u00e4rtig. Angriffe auf linke (Wohn)Projekte sind eher die Seltenheit, aber es gibt zum Beispiel keine verl\u00e4ssliche Statistik, was \u00dcbergriffe auf Linke, LGBTIQ, Menschen mit Migrationserfahrung und so weiter betrifft. In einigen Gegenden auf dem Land ist die Stimmung gegen\u00fcber Migrant*innen, aufgrund der Hetze und Propaganda \u00e4u\u00dferst feindlich. Wir wollen uns weder dazu hinrei\u00dfen lassen, Polen als gef\u00e4hrliche Gegend darzustellen \u2013 noch die Situation verharmlosen. Antifaschistischer Kampf spielt also insgesamt zwar eine Rolle, der Widerstand wird jedoch im Wesentlichen von den liberalen, linksliberalen oder neoliberalen Kr\u00e4ften getragen, w\u00e4hrend die autonome Linke im klassischen Sinne eher eine Randerscheinung ist, die vor allem in den urbanen Gebieten verortet ist und nur mit wenigen Aktivit\u00e4ten auff\u00e4llt. Das ist eben auch deshalb so, weil die Leute, die in diesen Strukturen wirken, zu vielen Themen gleichzeitig arbeiten. Es gibt wenige Gruppen, die explizit autonome Antifapolitik machen.
Stichpunkt Solidarno\u015b\u0107. Die durchaus heterogene Gewerkschaft, die aus der polnischen Streikbewegung um 1980 entstand und ein entscheidender Machtfaktor gegen\u00fcber der Regierung der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, PZPR) 1989 wurde, wird in Deutschland h\u00e4ufig als antikommunistische Massenbewegung erz\u00e4hlt. Welchen Einfluss hat die Gewerkschaft noch? Wie stark ist weiterhin das antikommunistische Narrativ im Land?
Der 30. Jahrestag des Mauerfalls ist ein guter Anlass zur\u00fcckzublicken \u2013 auf die Geschichte des Jahres 1989, aber auch f\u00fcr uns auf die Geschehnisse vorher im Ostblock, in der DDR und in Polen. Entgegen einiger Behauptungen handelte es sich bei Solidarno\u015b\u0107 Anfang der 80er Jahre um eine sehr progressive linke Bewegung, die zum Beispiel sehr stark auf Arbeiterautonomie, Arbeiterr\u00e4te und Arbeiterrechte gesetzt hatte. Ein Gro\u00dfteil der Forderungen waren weniger politischer Art, sondern vor allem sozialer. Einer der Gr\u00fcnde waren vor allem die sehr schlechten \u00f6konomischen Verh\u00e4ltnisse, die in den 80er Jahren in Polen geherrscht haben. Bereits 1981 wurde diese gro\u00dfartige Bewegung durch den damaligen Vorsitzenden der PZPR, Jaruzelski, und seiner Milit\u00e4rjunta zerschlagen. Die Solidarno\u015b\u0107 hat sich nie davon erholt. Ein Gro\u00dfteil der f\u00fchrenden Solidarno\u015b\u0107-Funktion\u00e4r*innen hat bereits 1986 damit begonnen, sich mit den damals in Polen herrschenden kommunistischen Eliten abzusprechen. Es war bereits abzusehen, dass das System \u00f6konomisch nicht lange \u00fcberlebt. Weitgehend unerkannt ist, dass Solidarno\u015b\u0107 bis in die 90er Jahre nicht nur fortbestand, sondern auch versucht hat, gegen die brutale Schocktherapie, mit der die polnische Wirtschaft umgebaut wurde, anzuk\u00e4mpfen \u2013 weitgehend wirkungslos. An der Basis waren viele gro\u00dfartige Leute, aber wie es bei vielen Bewegungen ist, wurde die Basis von den Eliten verraten. Solidarno\u015b\u0107 besteht bis heute als eine der gr\u00f6\u00dferen Gewerkschaften fort, hat aber mit der fr\u00fcheren Solidarno\u015b\u0107 nicht mehr viel zu tun. Ganz im Gegenteil: Die heutige Solidarno\u015b\u0107 ist eine der Hauptst\u00fctzen, neben der Kirche, der jetzigen rechten Regierung. Von der spontanen Arbeiter*innenbewegung die in den 80er Jahren zehn Millionen Aktive umfasste, ist nur noch der Name \u00fcbrig.
Kommen wir zum Schluss zu einem aktuellen Anlass. Der polnische Unabh\u00e4ngigkeitsmarsch, jedes Jahr am 11. November in Warschau, hat sich zum vielleicht weltweit gr\u00f6\u00dften rechten Aufmarsch entwickelt. Im vergangenen Jahr waren sch\u00e4tzungsweise einhunderttausend Rechte auf dieser Demonstration, in diesem Jahr sind zehntausende auf der Stra\u00dfe gewesen. Neben faschistischen Gruppen aus Polen und dar\u00fcber hinaus sind auch Personen aus diversen polnischen Parteien anwesend. Welches Verh\u00e4ltnis hat die rechte polnische Regierung zum Aufmarsch? Wie ist die Demonstration in diesem Jahr verlaufen?
Der Unabh\u00e4ngigkeitstag ist der wichtigste polnische Nationalfeiertag. Polen feiert an diesem Tag die Wiedererlangung der Unabh\u00e4ngigkeit im Jahr 1918 nach 123 Jahren Fremdherrschaft. Es gibt unz\u00e4hlige Veranstaltungen an diesem Tag, die wenigstens sind rechtsradikal. Die Rechten haben im Laufe der letzten Jahre die Deutungshoheit \u00fcber diesen Tag gewonnen, so dass sowohl in Polen als auch im Ausland der Unabh\u00e4ngigkeitsmarsch als das zentrale Ereignis wahrgenommen wird. Gro\u00dfe Teile der Gesellschaft betrachten diesen Marsch als etwas sehr Positives. Die hohe Teilnehmer*innenzahl entsteht durch die breite Akzeptanz und die hohe Anschlussf\u00e4higkeit. Der Marsch wird im Wesentlichen durch katholische Nationalist*innen organisiert, die inzwischen auch mit einigen Abgeordneten im Seijm (polnische Nationalversammlung, Anm. FB) vertreten sind. Das Besondere in diesem Jahr war eine starke Betonung von religi\u00f6sen Inhalten und Antisemitismus. Das zeigte sich bereits im Vorfeld in Motto und Plakatmotiv. \u201eNimm die ganze Nation in deinen Schutz\u201c lautete die historisch religi\u00f6se Parole, im Original eine Hinwendung an die heilige Maria. Auf dem Marsch treffen sich unterschiedliche Spektren der extrem rechten Szene aus dem In- und Ausland. Gleichzeitig ist der Marsch auch attraktiv f\u00fcr b\u00fcrgerlich-konservative Kr\u00e4fte. Auch wenn es im letzten Jahr von PIS Versuche gab, den Marsch zu vereinnahmen, nimmt die polnische rechte Regierung offiziell an dem Marsch nicht teil. Zahlreiche Anh\u00e4nger*innen der Regierungspartei unterst\u00fctzen und beteiligen sich dennoch aktiv an dem Marsch. Staatliche Medien berichten folgerichtig positiv \u00fcber den Marsch, an dem in diesem Jahr sch\u00e4tzungsweise zwischen 47.000 und 100.000 Teilnehmer*innen teilnahmen. Erfreulicherweise gab es in diesem Jahr auch eine antifaschistische Gegendemo, an der sich zirka 5000 bis 15.000 Menschen beteiligten.
Anmerkungen
[1] \u201eDie rote Pest hat unser Land zum Gl\u00fcck nicht mehr im Griff, was nicht bedeutet, dass es keine neue gibt, die unsere Seelen, Herzen und unseren Verstand beherrschen will. Sie ist nicht marxistisch-bolschewistisch, aber aus dem gleichen Holz geschnitzt: Statt rot ist sie Regenbogenfarben.\u201c, aus: Queer.de, \u201eKrakauer Erzbischof warnt vor Regenbogen-Pest\u201c. Bereits in der Vergangenheit verband der Krakauer Erzbischof antikommunistische sowie homofeindliche Rhetorik. So wandte er sich gegen eine imaginierte \u201eneomarxistische LGBT-Ideologie\u201c und rief dazu auf, den \u201eVersuchungen des Teufels\u201c zu widerstehen (Anm. FB)
"No Women no kraj" auf dem Artikelbild ist eine Abwandlung der eigentlichen Bedeutung (auf deutsch etwa \u201eNein, Frau, weine nicht"): kraj bedeutet grob \u00fcbersetzt Region, Landstrich, Verwaltungseinheit.
\u00dcber die Plattform Postkom
Postkom ist eine Initiative, die sich vor einigen Jahren formiert hat mit dem Ziel, politische und soziale Themen des postkommunistischen Raumes in den Fokus zu r\u00fccken und an diesen Themen interessierte Menschen miteinander zu vernetzen. Die sozialen Bewegungen in Polen und in ganz Osteuropa sind innerhalb der Berliner Linken kaum pr\u00e4sent. Die Aktivist*innen von Postkom wollen das \u00e4ndern. Sie verstehen sich daher als eine Plattform verschiedener Aktivist*innen und Interessierter, die in postkommunistischen L\u00e4ndern Ost- und S\u00fcdeuropas solidarisch aktiv sind und emanzipatorische linke Gruppen unterst\u00fctzen, mit dem Ziel ein linkes Netzwerk aufzubauen. In den vergangenen Jahren haben berichtete Postkom vor allem \u00fcber verschiedene Initiativen und aktuelle soziale K\u00e4mpfe in Polen und organisierte im bundesdeutschen Raum zahlreiche Veranstaltungen und Seminare mit Aktivist*innen aus Polen. Die Initiative Postkom f\u00fchrt derzeit in Berlin und Cottbus eine Veranstaltungsreihe zur politischen Situation in Polen durch. Weitere Informationen dazu findet ihr auf der Seite der Plattform. Das Interview wurde mit den beiden Aktivisten Marek Jakubowski und Stanislaw Kowalski von \u201ePostkom\u201c gef\u00fchrt.