Das Gesch\u00e4ft mit der Flucht
\nAuch in diesem Jahr sind wir als Medienpartner*innen an einem Brosch\u00fcrenprojekt aus Berlin beteiligt. In der zum 30. Jahr des \u201eMauerfalls\u201c erscheinenden Brosch\u00fcre \u201eDeutschland ist Brandstifter! Gegen den BRD-Imperialismus und den Mythos Friedliche Revolution\u201c steuern wir als re:volt magazine unter anderem den nachfolgenden Text zu BRD-Imperialismus und Migrationspolitik bei. Release der Brosch\u00fcre ist am Donnerstag, den 7. November 2019 um 19:30 Uhr im Zielona G\u00f3ra (Gr\u00fcnberger Stra\u00dfe 73 / Friedrichshain).
Carola Rackete, Pia Klemp, Claus-Peter Reisch \u2013 die Namen einiger Kapit\u00e4n_innen, deren Boote und Crewmitglieder in den letzten Jahren zehntausende Menschen auf dem Mittelmeer versorgten, kennt hierzulande fast jeder_r. Gegen sie wurden, zumeist seitens des italienischen Staats, Verfahren wegen \u201eBeihilfe zur illegalen Einwanderung\u201c eingeleitet. Neben einer \u2013 leider zu erwartenden \u2013 Wand an Hass und Drohungen von rechts erhalten die Angeklagten aber auch vielf\u00e4ltige politische und finanzielle Unterst\u00fctzung. Im ganzen Diskurs um Fluchthilfe bleibt allerdings oft eines unbeachtet: Migrant_innen aus nicht-EU-L\u00e4ndern sind nicht nur Opfer der europ\u00e4ischen Migrationspolitik, sondern werden auch als Fluchthelfer_innen massiv kriminalisiert. W\u00e4hrend bislang kaum europ\u00e4ische Angeklagte rechtskr\u00e4ftig verurteilt wurden, werden w\u00f6chentlich Gerichtsprozesse gegen Personen aus anderen L\u00e4ndern gef\u00fchrt, die wegen Schmuggel angeklagt sind. Diese werden zu H\u00f6chststrafen verurteilt. Die Organisation Border Monitoring hat im Fr\u00fchsommer 2019 Zahlen zu den Verfahren auf der griechischen Insel Lesbos ver\u00f6ffentlicht. Anhand der Beobachtung von 41 Prozessen kommen sie zu folgenden Ergebnissen: Ein Gerichtsverfahren dauert im Durchschnitt 28 Minuten, die durchschnittliche Verurteilung betr\u00e4gt 44 Jahre Gef\u00e4ngnis und \u00fcber 370 000 Euro Strafe.
Die Organisation berichtet etwa von Jamil, der aus Afghanistan fl\u00fcchtete. Er wurde zu 90 Jahren Haft verurteilt, von denen er 25 Jahre absitzen soll. Hinzu kommt eine Strafzahlung von 13 000 Euro. Jamil wurde festgenommen, weil er ein Boot mit Fl\u00fcchtenden in Richtung Lesbos lenkte. Um die \u00dcberfahrt f\u00fcr seine Frau und ihn \u00fcberhaupt bezahlen zu k\u00f6nnen, hatte er die Anfrage der Schmuggler angenommen, w\u00e4hrend der \u00dcberfahrt hinter der Pinne zu stehen \u2013 nicht wissend, dass dies eine Straftat darstellt. W\u00e4hrend seine Frau zwischenzeitlich in Deutschland ist, wurde sein Gerichtsappeal erneut abgewiesen. R\u00fbnb\u00eer Serkepkan\u00ee von der Organisation CPT-Lesvos beschreibt: \u201eDie meisten von ihnen sind arm, sie sind Studenten, sie sind Migranten, die es sich nicht leisten konnten, die Reise zu den \u00c4g\u00e4ischen Inseln zu bezahlen.\u201c Verurteilt werden \u2013 wie Jamil \u2013 zumeist diejenigen, die sich bereit erkl\u00e4rt haben (oder per Zwang dazu gebracht wurden), die Lenkpinne der Schlauchboote zu halten. F\u00fcr manche Anklagen gen\u00fcgt es aber auch, diejenigen zu sein, die per Telefon Hilfe rufen, wenn das Boot kentert. Das eigentlich Perfide an diesen drakonischen Schauprozessen ist aber, dass dadurch die Menschen, die zumeist aus Zwang migrieren, als Bedrohung f\u00fcr Europa und seine Mitgliedstaaten inszeniert werden. Und dass die Agenturen und Konzerne, die sich die Abwehr der Fl\u00fcchtenden und den Grenzschutz auf die Fahne geschrieben haben, von diesem Narrativ massiv profitieren.
Im bundesdeutschen Laboratorium perfektioniert
Menschen migrieren - schon immer. Wanderungsbewegungen sind ein zentraler Bestandteil der menschlichen Geschichte. Ein Beispiel: Zwischen 1850 und 1920 emigrierten 70 Millionen Menschen aus Europa. Das entsprach ungef\u00e4hr 17 Prozent der Bev\u00f6lkerung Europas im Jahre 1900. Einige Menschen w\u00e4hlten die Landroute, lie\u00dfen sich im asiatischen Teil des damaligen russischen Zarenreichs nieder. Der Gro\u00dfteil bewegte sich allerdings in Richtung Nordamerika, viele davon aus prek\u00e4ren \u00f6konomischen Gr\u00fcnden oder aufgrund von Verfolgung. Es waren also vielfach die Armen, die \u00dcberfl\u00fcssiggemachten der kapitalistischen Industrialisierung in dieser Zeit, die den Weg \u00fcber Land oder Meer antraten. \u201eW\u00fcrden heute anteilig so viele Menschen des Globalen S\u00fcdens nach Europa migrieren wie damals aus Europa, w\u00e4ren das 800 (!) Millionen Menschen\u201c, fasst ein Artikel im re:volt magazine pointiert zusammen. W\u00e4hrend heutzutage kurz- oder mittelfristige Wanderungsbewegungen privilegierter Migrant_innen (damit sind Menschen gemeint, die ohne VISA-Antr\u00e4ge in die allermeisten L\u00e4nder reisen k\u00f6nnen, etwa deutsche Staatsb\u00fcrger_innen) als selbstverst\u00e4ndlich wahrgenommen und vielfach begr\u00fc\u00dft werden, wird gleichzeitig versucht, Migration aus anderen Teilen der Welt als \u201eirregul\u00e4r\u201c oder \u201egef\u00e4hrlich\u201c darzustellen und mit gro\u00dfem Aufwand zu verhindern. Die Regierungen und B\u00fcndnisse, die diese Unterscheidung betreiben, verfolgen damit offensichtlich spezifische Eigeninteressen. Darunter f\u00e4llt die Bestrebung nach Einfluss darauf, wer das Recht hat, zu migrieren \u2013 oder passender: wer an welcher Stelle des Planeten von gr\u00f6\u00dftm\u00f6glichem \u00f6konomischem oder strategischem Nutzen ist.
Der Blick auf die erweiterten Migrationsgr\u00fcnde von Menschen, die fast immer von Krieg, Konflikten, \u00dcberausbeutung und Gewalt, existenzieller Armut, Perspektivlosigkeit, Umweltzerst\u00f6rung und so weiter gepr\u00e4gt sind, f\u00e4llt dabei unter den Tisch. Nach Zahlen des UNHCR befinden sich derzeit rund 70,8 Millionen Menschen auf der Flucht, davon \u00fcber 40 Millionen Binnenvertriebene (die im Land selbst migrieren), und \u00fcber 25 Millionen Personen, die sich \u00fcber Staatsgrenzen hinweg bewegen. 80 Prozent der Refugees bleiben in den unmittelbaren Nachbarl\u00e4ndern, nur wenige Prozent begeben sich \u00fcberhaupt auf die Reise nach Europa. Es ist offensichtlich: Migrationsbewegungen haben in den vergangenen Jahren aufgrund der Kriege und Krisen in Syrien, im Irak, in Mali, in Libyen, in Afghanistan etc. zugenommen. Krisen und Konflikte im \u00dcbrigen, die oft genug durch die imperialistische Konkurrenz und das Wettrennen um M\u00e4rkte und Handelsrouten befeuert wurden. Dass Menschen dennoch der Vorwurf gemacht wird, aus \u201ewirtschaftlichen\u201c Gr\u00fcnden zu fliehen, m\u00fcsste schon allein von dieser Warte aus v\u00f6llig absurd erscheinen: Millionen superausgebeutete Arbeiter_innen des globalen S\u00fcdens, die f\u00fcr westliche Gro\u00dfkonzerne ihre Gesundheit ruinieren; die Unm\u00f6glichkeit, mit den Produktivit\u00e4tsvorteilen und den Subventionsketten der westlichen L\u00e4nder konkurrieren zu k\u00f6nnen, das immer weiter intensivierte Landgrabbing gro\u00dfer Konzerne aus den imperialistischen Zentren und so weiter: die allermeisten Gr\u00fcnde, ein Land zu verlassen und nach besseren Lebensbedingungen Ausschau zu halten, sind also im Kern des imperialistischen Weltsystems zu finden.
Dass die Menschen, die migrieren, kaum M\u00f6glichkeiten haben, die erhofften besseren Perspektiven zu finden \u2013 daran haben die Mitgliedsstaaten der Europ\u00e4ischen Union, allen voran Deutschland, in den vergangenen Jahrzehnten einen wichtigen Anteil geleistet. Es gelang vor allem auf der Ebene der Normalisierung und Implementierung des restriktiven Migrationsmanagements in den kapitalistischen Zentren. Oftmals fungierte die Bundesrepublik als Laboratorium f\u00fcr Pl\u00e4ne, die gemeinsam in den europ\u00e4ischen Kommissionen diskutiert und weiterentwickelt wurden. So wurde in der BRD etwa zu Beginn der 1990er Jahre der \u201eAsylkompromiss\u201c \u2013 ein Gesetzespaket mit Grundgesetz\u00e4nderung zur Versch\u00e4rfung von Asylbedingungen \u2013 verabschiedet. Das Paket etablierte die Drittstaatenklausel und ebnete den Weg f\u00fcr die bald darauffolgenden gesamteurop\u00e4ischen Dublin-Regelungen zur weiteren Einschr\u00e4nkung der Bewegungsfreiheit von nichteurop\u00e4ischen Migrant_innen. Dublin-Abkommen und Co. sorgten infolge daf\u00fcr, dass die meisten Fl\u00fcchtenden in Au\u00dfengrenzen-Staaten wie Griechenland und Italien bleiben mussten. Seitdem die Migrationszahlen in der BRD wieder steigen, mischt die Bundesregierung ganz vorne bei der EU-weiten Grenz- und Migrationspolitik mit; auch, was die ideologischen Grenzziehungen zwischen einem \u201eEuropa der Werte\u201c und dem \u201eDort\u201c, dem \u201eJenseits der Grenze\u201c angeht.
Schutz der Au\u00dfengrenzen
An den Au\u00dfengrenzen errichtet Europa, unter kr\u00e4ftigem Antrieb von Deutschland, immer schwerer \u00fcberwindbare Sperrz\u00e4une und Grenzanlagen. Dass Menschen am Betreten anderer L\u00e4nder gehindert werden d\u00fcrfen, dar\u00fcber besteht v\u00f6lkerrechtlich Einigkeit. Gewichtige Gr\u00fcnde f\u00fcr Flucht und Migration b\u00fcgeln die daf\u00fcr Verantwortlichen, wie 2013 der ehemalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), in einem Interview weg: \u201eWir haben Gesetze, die klipp und klar sagen, dass diejenigen, die kein Recht haben, keinen Anspruch, hierherzukommen, auch nicht hierherkommen d\u00fcrfen.\u201c Wenig verwunderlich: Die Menschen versuchen es dennoch. Von Westafrika aus mit kleinen Booten zu den kanarischen Inseln, \u00fcber die meterhohen Z\u00e4une rund um die spanischen Enklaven Mellila und Ceuta, durch die kalten W\u00e4lder der Balkanroute, \u00fcber das Mittelmeer in Richtung Italien oder hin zu den griechischen Inseln - welcher Teil der europ\u00e4ischen Au\u00dfengrenzen von Fliehenden und mit, neben, hinter ihnen von ihren hochger\u00fcsteten H\u00e4schern besonders Beachtung findet, ist starken Konjunkturen unterworfen. Vor allem h\u00e4ngt es daran, wieviel Geld die EU wie schnell in die Hand nimmt, um die Bewegung fl\u00e4chendeckend zur\u00fcckzudr\u00e4ngen. War die mittlere Mittelmeerroute noch bis zum Zerfall Libyens recht wenig genutzt, nahm sie nach 2013 rasch Fahrt auf: Das Schmuggel-Gesch\u00e4ft mit Migrant_innen war f\u00fcr libysche Milizen lange Zeit eine der wichtigsten Einnahmequellen, tausende Menschen wurden so \u00fcber das Meer gelotst. Im Sommer 2017 \u00e4nderte sich die Strategie, in die auch die libysche Regierung eingebunden war. Beigetrage dazu haben Druck durch die EU und UN-Sanktionen. Vor allem aber die lukrativen Angebote: Aus dem EU-Hilfsfond wurden beispielsweise im Jahr 2017 46 Millionen Euro an Tripolis weitergereicht \u2013 direkt zum Ausbau des Grenzschutzes. Weitere millionenschwere Abkommen folgen. Zwei Jahre sp\u00e4ter wird die Route von Tripolis aus kaum mehr genutzt, die Schmuggler haben sich auf weiter entfernte und gef\u00e4hrlichere Startpunkte verlagert. Die Kooperation mit der libyschen K\u00fcstenwache hat zudem zur Internierung zehntausender gefl\u00fcchteter Menschen in Lagern gef\u00fchrt, in denen sie Missbrauch, Folter und Ausbeutung erfahren. Die Menschenrechtsanw\u00e4lte Omer Shatz und Juan Branco sch\u00e4tzen die Zahl auf diese Weise internierter Personen allein f\u00fcr die Jahre 2016 bis 2018 auf mehr als 40.000. Diese Entwicklung hat die Bundesregierung auch mit der Absage an Seerettungs-Programme wie \u201eMare Nostrum\u201c und der Unterst\u00fctzung der libyschen K\u00fcstenwache forciert. In voller Kenntnis der m\u00f6rderischen Folgen.
Das durch ein unabh\u00e4ngiges Journalist_innenkollektiv ins Leben gerufene Projekt The Migrants\u2018 Files fand vor wenigen Jahren medial gro\u00dfe Beachtung: Es ver\u00f6ffentlichte die bisher umfassendste Studie zur Anzahl von Todesf\u00e4llen und Vermisstenmeldungen von Migrant_innen auf dem Weg nach Europa. Die detaillierte Datenbank z\u00e4hlt \u00fcber 30 000 Eintr\u00e4ge und umfasst den Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis Mitte 2016. Innerhalb weniger Jahre starben also \u00fcber 30 000 Migrant_innen bei ihrem Versuch, nach Europa zu gelangen oder dort zu bleiben. Leider wurde das wichtige Projekt danach nicht weiterfinanziert, weshalb es f\u00fcr alle weiteren Jahre nur unvollst\u00e4ndige Daten gibt. Der Liste k\u00f6nnen also nochmals tausende Menschen hinzugerechnet werden, die bis heute den Tod fanden. Die Toten sind keiner \u201eSchlepperbande\u201c und keinem \u201etragischen Ungl\u00fcck\u201c geschuldet, sondern Resultate einer bewusst gestalteten Politik.
Der maritime Raum zwischen Griechenland und der T\u00fcrkei wird ebenfalls stark \u00fcberwacht. Hier setzen in den letzten Jahren zahlreiche Menschen \u00fcber, viele davon aus Syrien. Seit dem als \u201eEU-T\u00fcrkei-Deal\u201c bekanntgewordenen Abkommen, welches vor allem von Angela Merkel und ihrem damaligen Gespr\u00e4chspartner Ahmet Davuto\u011flu einget\u00fctet wurde, gingen die Ankunftszahlen fast vollst\u00e4ndig zur\u00fcck. Teil des millionenschweren Deals war die Vereinbarung, dass die T\u00fcrkei ein Kontingent der bereits auf Lesbos angekommenen Refugees wieder zur\u00fccknehmen solle; im Gegenzug d\u00fcrfe dieselbe Anzahl handselektierter Asylantragssteller_innen aus der T\u00fcrkei in die EU einreisen. Es gleicht seitdem einem Schmierentheater, dass sich EU und T\u00fcrkei immer wieder wechselseitig den Deal aufk\u00fcndigen wollen. Er ist ein \u00f6ffentlichkeitswirksamer Pappkamerad, der beiden Seiten n\u00fctzt. F\u00fcr die Partien ist und bleibt diese Partnerschaft gewinnbringend \u2013 die Drohgeb\u00e4rden sind Ablenkungsman\u00f6ver, die die jeweils kritische oder liberale \u00d6ffentlichkeit bes\u00e4nftigen sollen. Ein interner Bericht der EU-Kommission, der j\u00fcngst \u00f6ffentlich wurde, fordert indes eine radikalere Abschiebung von Menschen aus den griechischen Lagern in die T\u00fcrkei.
Tote vor den Toren
Noch t\u00f6dlicher als die Mittelmeer-Route ist die Sahara. Es ist kaum zu ermitteln, wie viele Menschen genau auf ihrem Weg durch die W\u00fcste j\u00e4hrlich ums Leben kommen, sie werden auch nicht in der Studie erfasst. Die Internationale Organisation f\u00fcr Migration (IOM) geht davon aus, dass es mindestens doppelt so viele sind wie im Mittelmeer \u2013 sie sch\u00e4tzt die Anzahl der in der W\u00fcste verstorbenen auf \u00fcber 30 000, alleine in den Jahren 2014 bis 2018. Die Subsahara kam in den letzten Jahren ebenfalls zunehmend in den Blick der EU-Grenzsch\u00fctzer \u2013 mit verheerenden Folgen f\u00fcr die Fl\u00fcchtenden.
Dass das EU-Projekt kein explizit demokratisches, sondern vielmehr ein auf \u00f6konomischen und geostrategischen Interessen basierendes Projekt ist, d\u00fcrfte klar sein. Ihm ist die Externalisierung der Grenzen von Anfang eingeschrieben. Bei den europ\u00e4ischen Bestrebungen, Grenzsicherung und Migrationsmanagement in Drittstaaten zu verlagern, geht Deutschland als Brandstifter voran. \u201eWir \u00fcbernehmen Verantwortung in der Welt, und das mit einem vernetzten Handlungsansatz: Au\u00dfenpolitik, Sicherheit und Entwicklung. (\u2026) Entwicklungspolitik hat in der heutigen Zeit einen vollkommen neuen Stellenwert bekommen\u201c, so Bundesentwicklungsminister M\u00fcller im vergangenen Jahr im Bundestag. In der afrikanischen Sahelzone soll weiterhin Einfluss auf die \u201eillegale Migration\u201c nach Europa genommen werden. Dazu verst\u00e4rkte Deutschland etwa seinen 2013 begonnenen milit\u00e4rischen Einsatz in Westafrika und sagte den beteiligten Staaten weitere Mittel zu.
Auch das Geld der EU flie\u00dft dorthin, wo die Migrationsbewegungen am effektivsten gestoppt werden k\u00f6nnen. 3000 Millionen Euro wurden im Jahr 2016 f\u00fcr solcherlei Projekte (Aufstockungen der Grenzpatrouillen, Kontrolle der Einreisewege, Versch\u00e4rfung von \u00dcberwachungen und so weiter) bereitgestellt, so viel wie niemals zuvor. F\u00fcr die Vergabe zentral: die Bereitschaft der L\u00e4nder, als willf\u00e4hrige T\u00fcrsteher Europas im repressiven Migrationsregime zu fungieren. Einen gro\u00dfen Anteil erhielten die f\u00fcr Migrationsbewegungen zentralen L\u00e4nder wie Libyen (126 Millionen) und Senegal (162 Millionen), aber auch Niger (167 Millionen), Mali (152 Millionen) oder der Sudan (106 Millionen). Die EU nutzt die milit\u00e4rische, politische und \u00f6konomische Abh\u00e4ngigkeit der L\u00e4nder dazu, um Mitarbeit bei der Migrationskontrolle zu erzwingen.
Ein Beispiel der vielen Programme, unter denen dies geschieht: Das \u201eBetter Migration Management Programme Phase II\u201c des European Emercgency Trust Fund (EUTF) stellt seit Mitte 2019 f\u00fcr die Region rund um das Horn von Afrika Gelder in H\u00f6he von 35 Millionen Euro (wieder kommen f\u00fcnf Millionen davon direkt aus der BRD) bereit \u2013 ein Gro\u00dfteil davon dient der Verhinderung von irregul\u00e4rer Migration in Richtung globaler Norden. Diese Summen sind nur einige kurze Einblicke in das Kontrollregime, welches \u2013 im Namen von Entwicklungszusammenarbeit und Marshallpl\u00e4nen f\u00fcr Afrika \u2013 den gesamen Kontinent zu \u00fcberziehen sucht.
Ein Blick auf den Sudan: Die Lage hier ist seit Jahren h\u00f6chst instabil. Menschen fliehen von dort aus guten Gr\u00fcnden, gleichzeitig ist das Land Transitland f\u00fcr Fliehende aus Eritrea, dem S\u00fcdsudan oder Somalia. Die j\u00fcngst beschlossene Entwicklungshilfe \u00fcber 28 Millionen Euro (davon alleine 26 Millionen direkt aus Deutschland) soll nat\u00fcrlich die Infrastrukturen vor Ort st\u00e4rken - man bem\u00fche sich, den desastr\u00f6sen Bedingungen in den Refugee-Camps Herr zu werden. Aber: Es geht vielmehr um den Verkauf von Sicherheitstechnologie und nicht zuletzt auch ganz offen um die Bek\u00e4mpfung von \u201eirregul\u00e4rer Migration\u201c. Dazu werden auch Soldaten und Sicherheitsbeamte in die Regionen geschickt, um den polizeilichen Strukturen vor Ort \u201eeffektive Grenzkontrollen\u201c beizubringen.
In Tunesien bilden deutsche Bundespolizist_innen Grenzpatrouillen aus, die Bundeswehr sendet Schnellboote und gepanzerte Lastwagen. 2017 lieferte Deutschland mobile \u00dcberwachungssysteme mit Bodenaufkl\u00e4rung, zuvor waren es schon Nacht\u00fcberwachungssysteme, W\u00e4rmebildkameras, optische Sensoren und Radarvorrichtungen von Airbus. Bezahlt wird die Hightech-Grenze von der deutschen Bundesregierung (im Jahr 2017 etwa 34 Millionen Euro). Im Dezember 2016 beschloss das deutsche Bundeskabinett, sich an der EU-Mission SAHEL-CAP (\u201ezur Bek\u00e4mpfung von Drogen-, Waffen- und Menschenschmuggel\u201c) im Niger zu beteiligen. Seither werden j\u00e4hrlich (Bundes)Polizist_innen nach Niger geschickt \u2013 dem wichtigsten Transitland f\u00fcr afrikanische Fl\u00fcchtende auf dem Weg nach Europa. Ziel ist der \u201eAufbau und Erhalt von Sicherheitsstrukturen\u201c sowie der Ausbau von \u201eKapazit\u00e4ten im Grenz- und Migrationsmanagement\u201c. Das Interpol-Projekt Adwenpa II wurde ebenfalls von der Bundesregierung finanziert. Von 2016 bis 2018 wurden dabei in 14 westafrikanischen Staaten Grenzkontrolleur_innen ausgebildet. Interpol schulte in Mali, Marokko, Mauretanien, Niger, Tunesien, Burkina Faso und Tschad \u2013 finanziert von Deutschland. Neun Hightech-Grenzstationen zwischen Niger und Nigeria gab es gleich mit dazu. Davon bezahlte das Ausw\u00e4rtige Amt drei, die Europ\u00e4ische Union die \u00fcbrigen sechs. In vielen afrikanischen L\u00e4ndern wie Mali wurden Grenz\u00fcbertritte massiv erschwert, ebenfalls auf \u201eBitte\u201c der EU.
Allerdings: Die Pl\u00e4ne der EU, in afrikanischen L\u00e4ndern Lager zu errichten, in denen Migrant_innen noch vor dem Erreichen europ\u00e4ischen Bodens gepr\u00fcft (und abgewiesen) werden sollen, scheiterten bislang. Nicht zuletzt, weil sich die Afrikanische Union (AU) dagegen wehrt, wie aus einem Papier von Februar 2019 hervorgeht: Darin wendet sie sich gegen die Pl\u00e4ne der EU, auf afrikanischem Boden \u201eDe-facto-Haftanstalten\u201c einzurichten, in denen die Rechte der Inhaftierten mit F\u00fc\u00dfen getreten werden.
Neue und gest\u00e4rkte B\u00fcndnisse
370 Mitarbeiter_innen und ein Jahresbudget von 142 Millionen Euro, so sahen die Bedingungen f\u00fcr die \u201eEurop\u00e4ische Agentur f\u00fcr operative Zusammenarbeit an den Au\u00dfengrenzen\u201c (Frontex) vor vier Jahren aus, zu dem Zeitpunkt, an dem die genannte Studie entstand. Heute sind es 1.500 Mitarbeitende und 330 Millionen Euro Budget, im Jahr 2020 soll es sogar 420 Millionen Euro betragen. Getragen wird Frontex von den L\u00e4ndern der EU sowie Norwegen, Island, Liechtenstein und der Schweiz. F\u00fcr den kommenden Mehrj\u00e4hrigen Finanzrahmen 2021-2027 (Er tr\u00e4gt den vielversprechenden Namen \u201eEin moderner Haushalt f\u00fcr eine Union, die sch\u00fctzt, st\u00e4rkt und verteidigt\u201c \u2013 oder wird einfach mit MFR abgek\u00fcrzt) schlug die Europ\u00e4ische Kommission im Herbst 2018 vor, f\u00fcr ein aktualisiertes Mandat von Frontex eine st\u00e4ndige Reserve von 10 000 Grenzschutzbeamten zu schaffen.
Auch die Mittel f\u00fcr den zentralen Bereich Migration und Grenzmanagement sollen mit 34,9 Milliarden Euro beinahe verdreifacht werden (gegen\u00fcber knapp 13 Milliarden Euro im laufenden Zeitraum 2014-2020). Dies solle dazu dienen, \u201egezielt auf die zunehmenden Herausforderungen in den Bereichen Migration, Mobilit\u00e4t und Sicherheit zu reagieren [\u2026] und eine wirksamere Migrationspolitik [zu] erm\u00f6glichen.\u201c Hier werden gest\u00e4rkte Mandate f\u00fcr Frontex im Bereich der \u201ewirksamen R\u00fcckf\u00fchrung\u201c und der Zusammenarbeit mit Drittl\u00e4ndern genannt. Im Februar 2019 einigten sich die EU-Botschafter_innen, den Vorschlag als Grundlage f\u00fcr die Verhandlungen mit dem Europ\u00e4ischen Parlament aufzunehmen.
Wichtige Entscheidungen f\u00fcr die Arbeit von Frontex werden im \u00dcbrigen im Verwaltungsrat der Agentur getroffen. Die stellvertretende Leitung hat Ralf G\u00f6bel inne, ein fr\u00fcherer Vizepr\u00e4sident des Bundespolizeipr\u00e4sidiums. Auch der Leiter der Frontex-Operativabteilung Klaus R\u00f6sler ist Deutscher. Im August 2019 konfrontierte ein Rechercheteam Frontex damit, an den EU-Au\u00dfengrenzen Menschenrechtsverletzungen durch nationale Grenzpolizist_innen zugelassen zu haben oder gar selbst daran beteiligt gewesen zu sein. Man pr\u00fcfe den Vorwurf, hei\u00dft es von Seiten der EU-Kommission. Im gleichen Atemzug wird aber seitens der Agentur der Vorwurf \u201ekategorisch\u201c ausgeschlossen, die eigenen Beamten seien im Grenzeinsatz an \u201eVerletzungen von Grundrechten\u201c beteiligt. Es habe sich \u00fcber die Frontex-Beschwerdestellen schlie\u00dflich keine_r diesbez\u00fcglich gemeldet.
Bez\u00fcglich einer neuen EU-Milit\u00e4runion wird nicht zuletzt die St\u00e4ndige Strukturierte Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation, PESCO) der EU-Mitgliedsstaaten immer zentraler, die Anfang 2018 an den Start ging. Faktisch kann die PESCO als eine von Deutschland und Frankreich dominierte Reorganisation der EU-Milit\u00e4rpolitik angesehen werden, die durch eine Aufstockung der Verteidigungshaushalte der teilnehmenden Staaten sowie eine F\u00f6rderung der EU-R\u00fcstungsindustrie und der R\u00fcstungsexporte finanziert wird. Der Vertrag von Lissabon mit seinen Artikeln f\u00fcr milit\u00e4rische Zusammenarbeit und gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik macht es m\u00f6glich. Angela Merkel dazu: \u201eNun sehe ich die Themen Grenzsicherung, gemeinsame Asylpolitik und Bek\u00e4mpfung der Fluchtursachen als wirkliche Existenzfragen f\u00fcr Europa. [\u2026] Das hei\u00dft, die europ\u00e4ische Grenzpolizei muss das Recht haben, an den Au\u00dfengrenzen eigenst\u00e4ndig zu agieren. [\u2026] Wir brauchen einen intelligenten Ansatz auf mehreren Ebenen. Unsere Datensysteme m\u00fcssen in ganz Europa vernetzt werden, damit wir wissen, wer sich bei uns aufh\u00e4lt.\u201c Migrationspolitik wird zu Grenzpolitik und zu einer treibenden Kraft der europ\u00e4ischen Identit\u00e4t, powered by Germany.
Die Absicherung der eigenen Interessenspolitik, auch auf milit\u00e4rischem Wege, ist ein bew\u00e4hrtes Mittel, welches dem Imperialismus inh\u00e4rent ist, ebenso wie der R\u00fcckgriff auf territorial ausgreifende Krisenbew\u00e4ltigungsstrategien. Dies dient nicht den vorgeblich moralisch-ethischen Begr\u00fcndungsmustern, sondern grunds\u00e4tzlich immer der Absicherung von Verwertungsbedingungen, der Expansion, der Unterjochung.
And the money goes to\u2026
Das bereits genannte Journalist_innenkollektiv lancierte im \u00dcbrigen noch ein weiteres Recherche-Projekt: The Money Trails. Darin zeichnete das Team Geldstr\u00f6me nach, welche bei dem Gesch\u00e4ft mit Gefl\u00fcchteten durch \u00f6ffentliche und private H\u00e4nde flie\u00dfen. Es hat monatelang Dokumente analysiert und mit zahlreichen Vetreter_innen von Politik, NGOs und Privatunternehmen, aber auch mit Gefl\u00fcchteten, \u201eSchleppern\u201c und Grenzbeamten gesprochen. Das Ziel: \u201eManche der \u00f6konomischen Profiteure der Abschottungspolitik Europas aufzudecken.\u201c Die Recherchen zeigen: Das Gesch\u00e4ft mit den Gefl\u00fcchteten nach Europa generierte seit dem Jahr 2000 mindestens 1,6 Milliarden Euro Umsatz. Davon ging ein Gro\u00dfteil an organisierte \u201eSchlepper\u201c-Netzwerke, die damit Profite erzielen wollen; aber auch an Einzelpersonen, denen es konkret um Hilfestellung ging. Interessant ist aber auch die andere Seite: Zeitgleich wandte die Europ\u00e4ische Union mindestens genauso viel Geld auf, um die Menschen von den EU-Au\u00dfengrenzen fernzuhalten: \u201ef\u00fcr jeden Euro, den ein Fl\u00fcchtling ausgibt, um nach Europa zu gelangen, (geben) die Beh\u00f6rden Europas einen Euro aus (\u2026), um ihn davon abzuhalten\u201c. Von den Ma\u00dfnahmen der restriktiven Migrationspolitik profitieren Konzerne wie Rheinmetall, Airbus, Finmeccanica und Thales oder Technologiefirmen wie Saab, Siemens oder Diehl. Oft tauchen sie als Tochterunternehmen in den Unterlagen auf. Sie stellen f\u00fcr die \u201eGrenzsch\u00fctzer\u201c Equipment wie Drohnen, Schnellboote, Nachtsichtger\u00e4te und Jeeps bereit. weitere hunderte Millionen Euro flie\u00dfen in Projekte der Sicherheitsforschung und -Entwicklung. Und es sollen k\u00fcnftig Milliarden werden: Im M\u00e4rz 2019 hat die EU-Kommission einen gest\u00e4rkten \u201eEurop\u00e4ischen Verteidigungsfonds\u201c bewilligt, dessen Zielsetzung \u201edarin bestehen wird, die Wettbewerbs- und Innovationsfa\u0308higkeit der europa\u0308ischen Verteidigungsindustrie unionsweit zu fo\u0308rdern, indem gemeinsame Projekte vom Forschungsstadium u\u0308ber alle weiteren Phasen des industriellen Zyklus unterstu\u0308tzt werden.\u201c Direktes Geld f\u00fcr die R\u00fcstungsindustrie also \u2013 und zwar laut MFR 2021-2017 rund 5,5 Milliarden Euro pro Jahr. Damit die weltweiten Mordbanden aber nicht zu lange auf ihre Hightech-Gadgets warten m\u00fcssen, wird in den kommenden beiden Jahren der Verteidigungsfonds schonmal mit \u201eVorl\u00e4ufern\u201c getestet, mit rund einer halben Milliarde Euro f\u00fcr die Entwicklung der Eurodrohne und vielem mehr.
Auch die Universit\u00e4ten und Forschungseinrichtungen freuen sich. Eine Reihe von Forschungsprojekten widmen sich nun schon jahrelang unterschiedlichen Aspekten der Fl\u00fcchtlingsabwehr. Auf die EU-Forschungsagenda kamen sie auf Empfehlung einer Arbeitsgruppe, die die EU-Kommission 2003 startete. 39 der Forschungsprojekte, die zwischen 2002 und 2013 von der EU oder der europ\u00e4ischen Weltraumagentur ESA gef\u00f6rdert wurden, hatten mit Migration, Grenzschutz oder -\u00fcberwachung zu tun. Mitglieder der Arbeitsgruppe waren neben Parlamentarier_innen und EU-Kommissar_innen auch Waffenproduzenten. Gerne werden die Projekte als zivile Grundlagenforschung ausgeben, wie etwa an der Uni Bremen. Die Liste der wehrtechnischen Auftraggeber in der Geschichte der \u201ezivilen\u201c Forschung dort ist lang: vertreten ist Rheinmetall, aber auch Astrium (sp\u00e4ter Airbus Defense and Space) oder das US-Au\u00dfenministerium. Selbst das Bildungsministerium f\u00f6rdert \u201ezivile\u201c Forschungsprojekte mit R\u00fcstungsunternehmen, wie 2017 herauskam: EADS, ThyssenKrupp und weitere erhielten in den Jahren 2015-2017 13 Millionen Euro aus dem Bildungsbudget.
Die erw\u00e4hnte Vernetzung von Au\u00dfen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik ist indes l\u00e4ngst schon Realit\u00e4t. Es ist kein Zufall, dass der ehemalige Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP), Mitglied des Bundessicherheitsrats, nach dem Ausscheiden seiner Partei aus dem Bundestag als Cheflobbiyst bei der Rheinmetall AG einstieg. Die Rheinmetall AG ist nicht nur irgendein R\u00fcstungskonzern - er ist Europas Gr\u00f6\u00dfter und der drittgr\u00f6\u00dfte weltweit. Im Gesch\u00e4ftsjahr 2018 setzte der Konzern rund 6,1 Milliarden Euro um. Die Gesch\u00e4ftsentwicklung des Unternehmensbereichs Defence, so wird auf der Webseite des Konzerns stolz berichtet, zeige sich \u201ezunehmend gepr\u00e4gt von der deutlich gestiegenen Nachfrage im milit\u00e4rischen Sektor und von Rheinmetalls erfolgreicher Positionierung in wichtigen M\u00e4rkten rund um den Globus.\u201c Der R\u00fcstungskonzern stellt unter anderem Kettenfahrzeuge, Panzer (auch den Leopard II), Waffen und Munition her und ist \u2013 ganz zuf\u00e4llig \u2013 auch im High-Tech-Z\u00e4une-Business und in der Grenzsicherungstechnologie sehr gewichtig aufgestellt. 2017 schon recherchierten Taz-Mitarbeitende und weitere Journalist_innen f\u00fcr das Rechercheprojekt Schengen f\u00fcr Europa, Z\u00e4une f\u00fcr Afrika. Daraus wird ersichtlich: EU-Gelder aus dem Entwicklungshilfe-Fond finanzieren vor allem Projekte von deutschen und europ\u00e4ischen R\u00fcstungskonzernen. Ganz vorne dabei ist die Rheinmetall AG. Andere deutsche Firmen wie Veridos, das Gemeinschaftsunternehmen der Bundesdruckerei und der IT-Firma Giesecke + Devrient, die auf Biometrie, Kontrollschleusen und \u201eIdentifikationsl\u00f6sungen\u201c spezialisiert sind, haben in den letzten drei Jahren Auftr\u00e4ge in Milliardenh\u00f6he erhalten. L\u00f6sungen der Migrations-\u201eProblematik\u201c von Marokko bis S\u00fcdafrika. Meist ohne Ausschreibung und ohne parlamentarische Kontrolle.
Der Fluchthelfer von Nebenan
Am \u201eTag des Peacekeepers\u201c am 6. Juni 2019 wurde unter anderem die \u201ezivile Fachkraft\u201c Kerstin Bartsch durch Au\u00dfenminister Heiko Maas ausgezeichnet. Seit Oktober 2017 schult die Juristin in der nigrischen Stadt Agadez die dortigen Repressionskr\u00e4fte im Umgang mit \u201eirregul\u00e4ren Migranten\u201c. Ihre Definition von \u201eGrenzkontrollmanagement\u201c und dementsprechend auch ihre Haltung gegen\u00fcber Menschen auf der Flucht macht Bartsch in einem Interview deutlich: \u201eDer Menschenschmuggel ist ein krimineller Akt gegen die Souver\u00e4nit\u00e4t eines Landes. Menschen ohne Legitimation werden von Schmugglern gegen Geld \u00fcber Grenzen gebracht \u2013 und das passiert heute in gro\u00dfem Rahmen.\u201c Terroristische Bedrohungen, Migrationsdruck, Bev\u00f6lkerungsdichte \u2013 Auch EU-Kommission, FRONTEX und Innenminister_innen werden nicht m\u00fcde, davon zu sprechen, dass die Eind\u00e4mmung kriminellen Menschenhandels eine Notwendigkeit sei, um Leben zu retten und Menschen zu sch\u00fctzen. Einen Atemzug weiter sind sie bei der Fluchthilfe angelangt, als sei es dasselbe Thema.
Um es ganz deutlich zu sagen: Menschenhandel und Schmuggel k\u00f6nnen sich zwar in einigen F\u00e4llen \u00fcberschneiden, tats\u00e4chlich handelt es sich jedoch um zwei v\u00f6llig unterschiedliche Themen. Menschenhandel ist ein erzwungener Transfer von Menschen, der mit Entf\u00fchrung, Ausbeutung und moderner Sklaverei verbunden ist, w\u00e4hrend Menschenschmuggel, also Fluchthilfe, eine Reaktion auf die restriktive Grenzpolitik darstellt, die den Fl\u00fcchtenden das legale \u00dcberschreiten von Grenzen zu ihren eigenen Bedingungen unm\u00f6glich macht. F\u00fcr die Mehrheit der Weltbev\u00f6lkerung gibt es keine sicheren Passagen und keine legale M\u00f6glichkeit, in ein EU-Land einzureisen, Asyl zu suchen oder gar ein Arbeitsvisum zu erhalten. Die Menschen sind gezwungen, sich auf illegalisierte, oftmals t\u00f6dliche Wege zu begeben und haben kaum eine andere Wahl, als die Dienste von Vermittlern in Anspruch zu nehmen, die in vielen F\u00e4llen zu teuer und zu riskant sind. Die Zerst\u00f6rung von Schmuggelnetzen rettet keine Leben, sondern geht auf Kosten der Sicherheit derjenigen, die man damit vorgeblich sch\u00fctzen will. Damit ist Deutschland nicht nur Brandstifter, sondern auch M\u00f6rder. W\u00e4hrend Politiker_innen und Medien die \u201ekriminellen Schleuser\u201c f\u00fcr das Leiden und Sterben an den Grenzen Europas verantwortlich machen, lenkt dies die Aufmerksamkeit von der Tatsache ab, dass der Schmuggel eine Reaktion auf die Militarisierung der Grenzkontrollen ist und nicht die Ursache irregul\u00e4rer Migration.
Aktuell werden allerorts der \u201eMauerfall\u201c und die \u201eDeutsche Einheit\u201c beschworen - die DDR darf dabei entweder als gl\u00fccklicherweise \u00fcberwundener Unrechtsstaat oder als Petrischale der erstarkenden rechten, faschistischen Kr\u00e4fte im Land herhalten. Jene, die daran beteiligt waren, Menschen \u00fcber die deutsch-deutsche Grenze zu bringen, gelten bis heute als Held_innen ohne Wenn und Aber. Fluchthelfer_in \u2013 das war etwas Ehrenvolles. Sie wurden, wie 2012 im Falle Burkhart Veigels, f\u00fcr das \u201eEngagement f\u00fcr die Freiheit\u201c mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet - w\u00e4hrend Menschen wie Jamil f\u00fcr Jahre ins Gef\u00e4ngnis m\u00fcssen. \u201eFluchthelfer\u201c Veigel hat damals mit seiner Arbeit Geld verdient \u2013 bis zu 18.000 DM \u2013, sogar Vertr\u00e4ge daf\u00fcr aufgesetzt. In einem Das Erste Panorama-Bericht begr\u00fcndet er: \u201eEs kommt darauf an, dass man seinen Job gut macht. Ein guter Arzt, ein guter Rechtsanwalt nimmt auch Geld von Menschen, die in Not sind.\u201c Er kritisiert, dass heute Fluchthelfer_innen durchweg als \u201eSchlepper\u201c und \u201eSchleuser\u201c verfolgt und kriminalisiert werden: \u201eEs ist doch eine ehrenvolle Sache, einem Menschen in Not zu helfen. Da kann mich doch kein Gesetz daran hindern!\u201c Die Bundesregierung sieht das zwischenzeitlich anders. Sie st\u00f6rt sich nicht an dem Widerspruch zwischen der Kriminalisierung illegal Eingewanderter sowie ihrer \u201eSchlepperbanden\u201c und der Glorifizierung von Fluchthelfer_innen in den 1960er und 1970er Jahren. Woher das kommt? Der Antikommunismus hat die Veigels der Welt zu Held_innen gemacht. Jede_r erfolgreich \u201eden Roten\u201c entrissene war ein kleiner Sieg \u00fcber das sozialistische System. Heute gibt es diese ideologische Klammer f\u00fcr Deutschland und die Europ\u00e4ische Union nicht mehr. Im Gegenteil: Fluchthilfe heute fordert die neoliberale Ordnung der Ungleichheit heraus, sie verschafft Schlupfl\u00f6cher in einem globalen System, in dem Grenzen den klaren Zweck erf\u00fcllen, die Profiteure und Verursacher der kapitalistischen Ausbeutungsverh\u00e4ltnisse vor den \u201eVerdammten dieser Erde\u201c (Frantz Fanon) abzuschotten.
\u201eDiese Union t\u00f6tet; sie t\u00f6tet durch Unterlassen, durch unterlassene Hilfeleistung.\u201c So kommentierte Heribert Prantl 2015 die Fl\u00fcchtlingspolitik der Europ\u00e4ischen Union in der S\u00fcddeutschen Zeitung. Bei aller Zustimmung macht es sich Prantl mit dieser Einsch\u00e4tzung zu leicht: Die EU t\u00f6tet nicht nur durch \u201eUnterlassen\u201c an den Grenzen. Sie tut weit mehr als das. Und sie profitiert von den Toten. Sie sorgt daf\u00fcr, dass Gesch\u00e4fte mit Gefl\u00fcchteten und Fluchtgr\u00fcnden nicht weniger werden. Aus den L\u00e4ndern, in denen EU-Mitgliedsstaaten Kriege f\u00fchren oder an Eins\u00e4tzen beteiligt sind, sind die meisten Menschen auf der Flucht. Auch die unerbittliche Ausbeutung der menschlichen und nat\u00fcrlichen Ressourcen der L\u00e4nder des globalen S\u00fcdens ist ein wesentlicher Grund f\u00fcr Flucht und Zerst\u00f6rung der Lebensgrundlagen der Bev\u00f6lkerung. Die EU macht es sich zu leicht, den Schleusern Schuld an allem Elend an den Grenzen zu geben. Sie als die Gewinner dieser t\u00f6dlichen Fl\u00fcchtlingsmaschinerie zu begreifen, hei\u00dft, willentlich zu \u00fcbersehen, wer die eigentlichen Profiteure des Elends sind.