Im vorangegangen Beitrag wurde darauf hingewiesen, dass eine kritisch-solidarische Aufarbeitung des Sozialismus in der DDR fehlt und deshalb Erkl\u00e4rungsans\u00e4tze f\u00fcr den Rechtsruck in der Linken popul\u00e4r sind, die sich allzu oft mit b\u00fcrgerlichen Positionen \u00fcberschneiden. Doch fehlt nicht nur die solidarisch-kritische historische Aufarbeitung. Zu einem Verst\u00e4ndnis der Virulenz des Rechtsradikalismus im Osten Deutschlands mangelt es auch an Verst\u00e4ndnis f\u00fcr die Rolle des westdeutschen Staates, seiner strategischen Zielstellung als gesamtdeutscher Staat und seinem Verh\u00e4ltnis zum parallel laufenden neofaschistischen Aufbau. In einem zweiten Teil soll nun die Frage des Verh\u00e4ltnisses zwischen Abwicklung des Sozialismus, Entwicklung eines gesamtdeutschen Nationalismus, Wiedereinstieg in die Weltpolitik als imperialistische Macht und faschistischem Aufbau Thema sein. Auch dieser Artikel erscheint, wie sein Vorg\u00e4nger in der zum 30. Jahr des \u201eMauerfalls\u201c erscheinenden Brosch\u00fcre \u201eDeutschland ist Brandstifter! Gegen den BRD-Imperialismus und den Mythos Friedliche Revolution\u201c.
Abwicklung der DDR und Nationale Wiedergeburt
Mit der Annexion der DDR 1989 begann die umfassende Demontage des sozialistischen Staates. Zun\u00e4chst wurden s\u00e4mtliche staatlichen Institutionen von Personen ges\u00e4ubert, die als \u00fcberzeugte Kommunist*innen eingestuft wurden und de facto Berufsverbote eingef\u00fchrt. Die frei gewordenen Stellen besetzten zumeist vorbildliche westdeutsche Demokrat*innen. [1] Danach setzte die Abwicklung der DDR-Wirtschaft \u00fcber die Treuhand ein. Waren bereits zuvor Viele aufgrund ihrer politischen \u00dcberzeugungen aus ihren Berufs- und Lebensbiografien gerissen worden, folgte nun die zweite Welle der Repression. Aus den bl\u00fchenden Landschaften entwickelten sich Binnen-Migrations-Gebiete mit kollabierender sozialer, kultureller und \u00f6konomischer Infrastruktur. Gleichzeitig setzte eine Institutionalisierung des antikommunistischen Diskurses ein - mit dem Ziel der nachhaltigen Delegitimierung des sozialistischen Staats als zweite deutsche Diktatur in direkter Kontinuit\u00e4t zum NS-Faschismus. Damit waren auf drei Ebenen - personell-strukturell, \u00f6konomisch und ideologisch - die Weichen auf eine umfassende Delegitimierung gestellt. Einzig im politischen Raum hielt sich mit der SED-Nachfolgerpartei PDS ein gewisser Widerstand und Trotz als politischer Ausdruck gegen die, als aufoktroyiert empfundene, westdeutsche Erz\u00e4hlung.
Diese Delegitimierung war Voraussetzung f\u00fcr zwei Prozesse, die in den darauffolgenden Jahren forciert werden sollten:
1) Ein gesamtdeutsches, von Westdeutschland gepr\u00e4gtes, nationales Narrativ musste sich ausbilden, um die Legitimit\u00e4t der Annexion zu zementieren. Zentral f\u00fcr diese Homogenisierung des Nationsverst\u00e4ndnisses war die Einsortierung der DDR in die Verfehlungsgeschichte Deutschlands und eine gegen diese gestellte, vermeintlich demokratische, bundesdeutsche Erz\u00e4hlung des besseren Deutschlands. Das Narrativ setzte sich zusammen als vermeintliche historische Line einigender Momente, angefangen mit der Varusschlacht, \u00fcber die friedliche Revolution bis zum Fu\u00dfball-Sommerm\u00e4rchen in der Kampagne \u201eDu bist Deutschland\u201c. Dazu mussten unliebsame Stimmen unsichtbar gemacht werden. In der gesamtdeutschen Geschichtsschreibung zur so genannten friedlichen Revolution, die alles war, nur keine Revolution, taucht zum Beispiel die oppositionelle DDR-Linke nicht auf. Zu ungem\u00fctlich und unvereinbar waren deren Positionen gegen eine Wiedervereinigung, f\u00fcr eine demokratischere DDR auf sozialistischem Fundament.
2) Diese nun homogene, gesamtdeutsche nationale Erz\u00e4hlung schuf die Voraussetzung zur Wiederankn\u00fcpfung an gro\u00dfdeutsche Ideen, den erneuten Anspruch auf die Zentralmacht in Europa. Die DDR verhinderte aufgrund ihrer blo\u00dfen Existenz als zweiter legitimer deutscher Staat das Wiederauferstehen eines gro\u00dfdeutschen Imperialismus und Nationalismus. Mit ihrer Annexion griffen die deutschen Eliten die jahrelang trotz Hallstein-Doktrin [2] verwehrte und sich nun bietende Gelegenheit auf. Sp\u00e4testens seit der Regierung Schr\u00f6der/Fischer 1998 befindet sich Deutschland erneut auf Weltmachtkurs - nicht trotz, sondern wegen der Verantwortung von Auschwitz (Joseph Fischer). Die vermeintlich gel\u00e4uterte und mit neuem nationalen Narrativ versehene Gro\u00dfmacht dominiert nun nach \u00fcber einem Jahrzehnt Merkel-Regierung den Staatenbund EU \u00f6konomisch, wie politisch. [3]
Zur Verankerung dieser neuen, westdeutschen ideologischen Erz\u00e4hlung, die auf die Zerst\u00f6rung der DDR-Geschichtsschreibung als alternative Erz\u00e4hlung zielt [4], bedurfte es der Mobilisierung eines gesamtdeutschen Nationalismus. Die Kohl-Regierung und mit ihr der gesamte b\u00fcrgerliche westdeutsche Parteienblock nahmen sp\u00e4testens im Rahmen der Asylrechtsdebatte, ganz nach der Devise des ehemaligen CSU-Vorsitzenden Franz-Josef-Strauss, die Herausbildung einer starken neo-faschistischen Szene in Kauf. Strauss bestimmte das Verh\u00e4ltnis seiner Partei zu den Neo-Faschist*innen der NPD in einem Spiegel-Bericht 1970 folgenderma\u00dfen: \u201eMan mu\u00df sich der nationalen Kr\u00e4fte bedienen, auch wenn sie noch so reaktion\u00e4r sind. Hinterher ist es immer m\u00f6glich, sie elegant abzuservieren. Denn mit Hilfstruppen darf man nicht zimperlich sein\u201c.
Der westdeutsche Neo-Faschismus und die Wende
Der deutsche Faschismus stellt weder historisch noch aktuell eine Bewegung dar, die vollkommen abseits des b\u00fcrgerlichen Staates existiert(e). Allein ideologisch richtet sich die rechtsradikale Agenda nicht gegen den deutschen Staat an sich, sondern nur gegen seine derzeitige (parlamentarisch-demokratische) Form. Was die Neo-Faschist*innen st\u00f6rt und worin sich ihre Kritik ersch\u00f6pft, ist, dass die BRD nicht g\u00e4nzlich so funktioniert, wie ihre Armee. Ergo ist es f\u00fcr den*die durchschnittliche*n Neofaschist*in durchaus opportun, zur selben Zeit im Dienste des Staats zu stehen, und diesen gleichzeitig ideologisch anzugreifen. Der b\u00fcrgerliche Staat und b\u00fcrgerliche Parteien wiederum hatten vor und auch nach der faschistischen Herrschaft ein pragmatisches und immer auch widerspr\u00fcchliches Verh\u00e4ltnis zu den nationalen Kr\u00e4ften - insbesondere im Kontext des Kalten Kriegs.
Nach 1945 lie\u00df beispielsweise der US-amerikanische Geheimdienst CIA mit Kenntnis Konrad Adenauers den hochrangigen Ex-Nazi-General Reinhard Gehlen den Vorl\u00e4ufer des Bundesnachrichtendiensts (BND) aufbauen. Dieser organisierte bevorzugt mit alten Nazi-Kontakten im Petto in den darauffolgenden Jahrzehnten eine stay behind-Armee mit dem Namen Gladio, die sich \u00fcberwiegend aus deutschen Neo-Faschisten rekrutierte. Solange die Rechtsradikalen in taktischer \u00dcbereinstimmung mit reaktion\u00e4ren politischen Interessen im Staatsapparat und den Eliten standen, lie\u00df man sie gew\u00e4hren, verdunkelte und vertuschte ihre Taten. Wenn sie \u00fcber die Str\u00e4nge schlugen, \u00fcberzog man sie mit Organisationsverboten und zerschlug einige Strukturen, lie\u00df andere daf\u00fcr unversehrt oder tolerierte blo\u00dfe Umbenennungen. An diesem Verh\u00e4ltnis der grunds\u00e4tzlichen Staatsn\u00e4he und der taktischen Kollaboration bei Interessens\u00fcberschneidung hat sich bis heute wenig ge\u00e4ndert, wie wir seit dem Scheitern des NPD-Verbots 2001-2003 [5], sowie der Selbstenttarnung des NSU [6] wissen - und derzeit anhand des Mordfalls L\u00fcbcke (CDU) erneut erleben [7]. Die Mehrheit der neo-faschistischen Strukturen ist von V-Leuten durchsetzt; gleichzeitig finden sich viele radikale Rechte in b\u00fcrgerlichem Gewand in den Apparaten wieder [8].
Wenig bekannt ist dahingegen, dass bereits in den 1980er Jahren viele aufkommende neo-faschistische Gruppen und Parteien Arbeitspl\u00e4ne f\u00fcr Ostdeutschland entwickelten. Ende der 1970er mobilisierte und organisierte sich eine neue Generation von Neo-Faschist*innen abseits der traditionellen Rechten (bis dahin vorrangig repr\u00e4sentiert von der NPD) in der Bundesrepublik. Zentrale Kader der neofaschistischen Bewegung in den 1980ern und 1990ern organisierten sich zuvor in der vom US-Neo-Nazi Gary Lauck 1972 gegr\u00fcndeten Nazi-Internationale NSDAP-AO. Dieser Organisation entsprangen so bedeutende Kader der 1980er/1990er-Rechten, wie der \u00d6sterreicher Gottfried K\u00fcssel, neben Michael K\u00fchnen, Christian Worch, Arnulf Priem, Christian Malcoci und Michael Swierczek. Die politische Agenda des westdeutschen Neo-Faschismus l\u00e4sst sich auf einen aggressiven Antikommunismus, revanchistische Tr\u00e4ume von der Wiederauferstehung des gro\u00dfdeutschen Reichs, Militarismus und eliminatorische Fremdenfeindlichkeit beziehungsweise Antisemitismus zusammenfassen. Die entsprechenden Publikationen der 1980er Jahre quellen dementsprechend \u00fcber vor solchen Inhalten. Als besondere Schmach wird hier immer wieder die Besatzung durch die imperialistischen M\u00e4chte USA und Sowjetunion herausgehoben. Der Antisemitismus \u00e4u\u00dfert sich via Holocaustleugnung, offener Entmenschlichung in Karikaturen oder aber in einer vermeintlichen Kritik an israelischer Politik, die unverhohlen gegen J\u00fcdinnen und Juden gerichtet ist. [9]
Die Nationalistische Front (NF): \u201eNur der organisierte Wille bedeutet Macht!\u201c
Die strasseristische [10] Nationalistische Front (NF) war eine teils aus der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN), teils von FAP-Kadern gegr\u00fcndete NS-Kaderorganisation. Dieser Anspruch wurde gegen die rechten Wahlparteien (NPD/DVU) in Stellung gebracht, in Abgrenzung zu einem bewegungsnahen Konzept. In der von der NF herausgegebenen Zeitung Nachrichten aus der Szene (2/88) skizziert diese im Strategieartikel \u201eLangsam aber gewaltig\u201c folgende, f\u00fcr die radikale Rechte neuen, Komponenten ihrer Organisierung: \u201eAber eine Wahlpartei ohne Kader erreicht das Ziel ebenso wenig, wie ein Heer ohne Kommandostruktur scheitern mu\u00df. Der Kader braucht die gro\u00dfe Zahl von Multiplikatoren, die das politische Wollen in breiten Bev\u00f6lkerungskreisen bekanntmachen (...) Dazu ben\u00f6tigen wir (...) effektive Verteilerstrukturen, straff organisierte und disziplinierte Basisgruppen, nationalistische Zentren, Kader (...) Nur der organisierte Wille bedeutet Macht!\u201c [11] Die NF entfaltete als eine der ersten westdeutschen neo-faschistischen Gruppen ein Gegenmacht-Konzept mit hegemonietheoretischen Versatzst\u00fccken - damals noch ohne Rekurse auf den kommunistischen Theoretiker Antonio Gramsci. [12] Hinzu kommen dokumentierte Kontakte der Organisation und besonders ihres F\u00fchrers Andreas Pohl zu ostdeutschen Hooligans und Skinheads zwischen 1983 und 1985 in Ostberlin. [13] 1987 schrieb Pohl selbst in einer Kolumne der NF-nahen Klartext (5/2 Nr.17) von seinen vergangenen Besuchen: \u201eSchon seit Jahren besteht zwischen SKINS und Fu\u00dfballfans von Hertha BSC und Union Ost Berlin ein festes B\u00fcndnis der Freundschaft, das sich leider, bedingt durch die Mordmauer, nur in Besuchen unsererseits ausdr\u00fcckt\u201c [14]. Die Kontakte liefen also ma\u00dfgeblich \u00fcber Westberlin. Bespielt wurden dabei sowohl der BFC Dynamo, als auch Union Ost-Berlin. Die Kontakte bestanden weiterhin, trotz DDR-Einreiseverbot f\u00fcr Pohl ab 1985. Bedenkt man, dass die Entstehung einer rechtslastigen Skinhead- und Hooligankultur auf das Jahr 1982/83 datiert wird, f\u00e4llt also die Organisierung dieser Subkultur in so genannte Fascho-Gruppen [15] zusammen mit der Pr\u00e4senz westdeutscher Nazi-Kader des NF.
Die Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF): Eine neue NSDAP
Die bedeutsamere Organisierung war jedoch die westdeutsche Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) und die ihr angeschlossenen Organisationen, unter anderem die Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA, verboten 1983), sp\u00e4ter die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP, verboten 1995). Die Kadergruppe um den F\u00fchrer Michael K\u00fchnen bestand unter anderem aus dem bis heute aktiven Neofaschisten Christian Worch (heute: die Rechte), dem \u00f6sterreichischen Neo-Faschisten Gottfried K\u00fcssel und dem ostdeutschen neuheidnischen Rocker Arnulf Priem. Diese F\u00fchrungsgruppe, die sich explizit auf Adolf Hitler und die NSDAP bezog, gab im Zuge der Wende einen \u201eAufbauplan Ost\u201c heraus, der \u00fcber mehrere Etappen realisiert wurde. Die Organisation und ihre Vorfeldstrukturen war nachweislich ab 1989, bereits zur Zeit der Montagsdemonstrationen, im Gebiet der ehemaligen DDR (Mitteldeutschland im Nazi-Sprech) aktiv [16]. Mit der Deutschen Alternative (DA) verf\u00fcgte man als weitere Vorfeldstruktur \u00fcber einen Arm im Osten, der als eine Art Umbrella-Organisation auch Mitglieder und Sympathisant*innen von NPD (im Osten 1990: Mitteldeutsche Nationaldemokraten - MND) und der rechtsradikalen Republikaner (REP) sammelte. Mit der Wiking-Jugend (WJ) gab es schlie\u00dflich sogar einen Kinder- und Jugendverband, der lange Zeit unter Einfluss der GdnF stand.
Grunds\u00e4tzlich wusste die GdnF geschickt das im Zuge der Wende entstehende und Anfang der 1990er Jahre offensichtlich werdende staatliche Vakuum zu nutzen. Was in der DDR beispielsweise durch die FDJ geboten wurde, erf\u00fcllten nun zunehmend an die GdnF angelehnte Jugendgangs. Die Gruppierung erkannte auch als eine der ersten neo-faschistischen Organisationen das Potential der rechtsradikalen ostdeutschen Skinhead- und Fu\u00dfballszene und ihres radikalen Kerns, der so genannten Fascho-Gruppen. Dieser erfolgreiche Jugendaufbau der GdnF verlief in drei Etappen: (1) 1989 - 1991 organisierte die GdnF die rechtsradikalen F\u00fchrer der ostdeutschen Hooligan- und Skinheadszene in den st\u00e4dtischen Zentren. Hier ist zum Beispiel die aus der neofaschistischen Hooligantruppe Lichtenberger Front entstandene Nationale Alternative (NA) als B\u00fcndnispartner zu nennen. Diese verf\u00fcgte bereits \u00fcber ein besetztes Haus in der Berliner Weitlingstra\u00dfe 122, das in den folgenden Jahren zum Ausgangspunkt von Organisierung und militanter Aktion werden sollte. (2) Die Ausbildung von braunen Ringen um die Gro\u00dfst\u00e4dte, den Aufbau von Strukturen gezielt in ostdeutschen Kleinst\u00e4dten, zum Beispiel \u00fcber rechtsradikale Subkultur-L\u00e4den. Schwerpunktregionen waren das Umland von Berlin (K\u00f6nigs-Wusterhausen, Potsdam, Oranienburg), Cottbus (Guben, Hoyerswerda), Chemnitz, Erfurt (Weimar, Arnstadt) und Halle/Leipzig (3) Ab 1991 das versch\u00e4rfte \u00f6ffentliche Agieren, darunter massenweise gewaltt\u00e4tige \u00dcbergriffe und Aufm\u00e4rsche bis hin zu den Pogromen in Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992).
An einem Strang im Aufbau in Mitteldeutschland
Beide Gruppierungen organisierten bereits vor 1989 die sich aus der Skinhead-Subkultur im Osten ausbildende neo-faschistische Subkultur. Nun muss an dieser Stelle die Unterscheidung getroffen werden, dass der N\u00e4hrboden f\u00fcr die NF-Agitation und Organisierung aus der DDR-Gesellschaft selbst entsprang und diese zusammenl\u00e4uft mit einer Hegemoniekrise der SED \u00fcber die Jugend und Jugendkultur. Genauso, wie sich Anfang der 1980er eben eine rechtslastige Skinhead- und Hooligankultur ausbildete, entwickelte sich auch eine eher linke Punk- und Hippiebewegung. Beide Alternativbewegungen bek\u00e4mpften sich vor der Wende und durch die Wendejahre hindurch bis aufs Messer, fanden sich paradoxerweise aber zur selben Zeit auf den Montagsdemonstrationen wieder (freilich nicht ohne Gewalt). Der \u00dcbergang aber von einer sehr diffusen, unorganisierten rechtslastigen Skinhead- und Hooligan-Subkultur zu einer konspirativen, strategisch arbeitenden Struktur, eben den Fascho-Gruppen, war offensichtlich angeleitet und/oder beeinflusst durch westdeutsche neo-faschistische Kader des NF. Diese Strukturen bildeten sich 1986 aus und begannen eine Infiltrationspolitik in NVA, FDJ und VoPo-Einheiten. Diese wurde beg\u00fcnstigt durch die Tatsache, dass nicht wenige der jungen Neo-Faschist*innen aus Familien von DDR-Funktion\u00e4r*innen kamen, weshalb sie sch\u00e4rferer Repression zumeist entgingen. Das Problem wurde offiziell lange Zeit entpolitisiert und geleugnet. Hier liegt eines der gro\u00dfen Vers\u00e4umnisse und tats\u00e4chliches Versagen des DDR-Staats-Antifaschismus offen zu Tage. [17] So war das Entstehen des Bodens, auf dem die braune Saat Mitte der 1980er Jahre gedeihen sollte, verschiedenen Faktoren geschuldet:
a) Der harschen Repression der DDR-F\u00fchrung gegen die entstehenden Jugendsubkulturen und Kultur im Allgemeinen, was nicht wenige Jugendliche gegen den Staat aufbrachte, antikommunistisch ausrichtete und empf\u00e4nglich f\u00fcr neofaschistisches Gedankengut machte.
b) Die in verschiedenen Teilen der DDR-Gesellschaft, genau wie in der BRD, weiterlebenden Kontinuit\u00e4ten des NS-Faschismus, zum Beispiel in der NDPD, in der SED selbst, in Familienbiografien, wie auch (im Vergleich zur BRD aber deutlich geringeren) Kontinuit\u00e4ten in den bewaffneten Organen.
c) Das Unterbleiben breiter Aufkl\u00e4rungskampagnen und \u00f6ffentlicher Thematisierung dieses ab 1981 immer deutlicher werdenden Problems durch die politischen Institutionen. Darauf aufbauend das Fehlen institutionalisierter Initiativen der Bev\u00f6lkerung gegen derartige Entwicklungen, als beispielhaft ganz praktisch sichtbares Defizit sozialistischer Demokratie in der DDR.
d) Schlie\u00dflich zeigte hier ein rein auf die Verbindung von Faschismus und Herrschaftsinteressen reduzierter, \u00f6konomistischer Faschismusbegriff, so notwendig und wichtig er f\u00fcr eine revolution\u00e4re Linke auch heute noch sein muss, seine Grenzen auf, indem er blind wurde gegen\u00fcber ideologischen, wie auch sozialpsychologischen (zum Beispiel biografischen) Voraussetzungen faschistischer Bewegungen. Diese verschwinden schlie\u00dflich nicht einfach mit dem Aufbau des Sozialismus, sondern setzen sich vielmehr als Widerspr\u00fcche fort.
Die westdeutschen Faschist*innen erkannten diese Fehler, ebenso wie 1989/90 die westdeutschen Eliten, und nutzten die Schw\u00e4che des sozialistischen Systems auf verschiedene Weise. W\u00e4hrend es den westdeutschen Eliten schlussendlich um eine Wiedervereinigung unter westlich-kapitalistischem F\u00fchrungsanspruch ging, forderten die Neo-Nazis um K\u00fchnen und Co. gleich das alte Reichsgebiet und erweiterten mit der Wende folglich ihr Aktionsgebiet auf Mitteldeutschland. Im Kern traf sich jedoch der westdeutsche Revanchismus beider politischer Tendenzen objektiv, bei subjektiv unterschiedlicher Programmatik im Antikommunismus, bei dem Wunsch nach R\u00fcckkehr zur Weltmacht, nach dem Untergang des 40 Jahre anhaltenden sozialistischen Blockierers. So wurden s\u00e4mtliche radikal rechten Parteien noch zur Zeit der Montagsdemonstrationen aktiv und fordern einm\u00fctig mit den Pl\u00e4nen der westdeutschen Eliten die Einheit.
Die objektiven Interessens\u00fcberschneidungen
Unabh\u00e4ngig von der (subjektiven) Rolle verschiedener Teile des Staatsapparats bestand der (objektive) Nutzen der rechtsradikalen Aktivit\u00e4t f\u00fcr die westdeutschen Eliten in den Jahren zwischen 1986 und 1994 ganz klar in der folgenden Reihenfolge:
1) der revanchistischen Forcierung des Untergangs der DDR, sowie der Etablierung antikommunistischer, nationalistischer Diskurse, dann
2) im Aufbau eines gesamtdeutschen nationalen Narratives, plus chauvinistischem Nationalismus gegen das Zwei-Staaten-Narrativ der DDR als Voraussetzung f\u00fcr neue Verantwortung in der Welt und
3) der Durchsetzung des Asylkompromisses und damit des ersten massiven Angriffs auf Grundrechte nach der so genannten Wende.
Deutlich wird diese seit Beginn taktische, sich vor allem an bestimmten ordnungs- und migrationspolitischen, strategischen Zielen der westdeutschen Eliten festmachende Beziehung vor allem in den 1990er Jahren. W\u00e4hrend das nunmehr gesamtdeutsche Kapital \u00fcber seine b\u00fcrgerlichen Parteien den Asyldiskurs in geistiger Brandstiftung m\u00fcnden l\u00e4sst, wird die radikale Rechte in Pogromen und omnipr\u00e4senter Gewalt aktiv. Nat\u00fcrlich verlaufen die Wechselbeziehungen von radikaler Rechter und wiedererstarktem deutschen Nationalismus und Imperialismus widerspr\u00fcchlich. Zuweilen agieren die liberaleren Teile des Staatsapparats repressiv gegen\u00fcber schlecht zu verkaufenden rechten Aktivit\u00e4ten. Zuweilen wird aber auch aktiv weggeschaut, wenn Pogrome geschehen, Gewalttaten werden verharmlost, Ermittlungen behindert. So kommt es schon in den 1990er Jahren dazu, dass rechtsradikale Umtriebe von Teilen des Apparats schlicht ignoriert oder totgeschwiegen werden, andererseits besonders radikale Strukturen mit Verboten und Repression \u00fcberzogen werden. [18] Die durchaus anders gearteten Ziele der faschistischen Bewegung verschr\u00e4nkten und verschr\u00e4nken sich eben genau dort in den vergangenen 20 Jahren, wo \u00fcber die Verst\u00e4rkung eines gesamtdeutschen Nationalismus unter Inkaufnahme von Ausl\u00e4nder*innenfeindlichkeit, Gewalt und Pogrom Schl\u00e4ge gegen die weiterwirkende ideologische und politische Kontinuit\u00e4t von 40 Jahren Sozialismus gesetzt werden k\u00f6nnen. Dass in diesem Prozess Widerspr\u00fcche in den Bl\u00f6cken auftraten und bis heute auftreten, die zuweilen repressiv (staatlicherseits) oder terroristisch (durch rechtsradikale Gruppen und Personen) ausscheren, ist evident. Schlie\u00dflich handelt es sich bei faschistischen Bewegungen und dem b\u00fcrgerlichen Staat trotz ihrer gemeinsamen Verschr\u00e4nkungen um keine monolithischen, nach einheitlichem Willen gelenkten Strukturen. Die Rolle des Staatsapparats und die Agenden des herrschenden politischen Blocks verlaufen keinesfalls eindimensional im Sinne eines politischen Gesamt-Plans, der von allerlei Institutionen exekutiert wird. Vielmehr ist nach der Selbstenttarnung des NSU-Komplexes ein Netzwerk von Staat und politischen Interessensgruppen klar zu verorten, welches in verschiedenen staatlichen und proto-staatlichen Organen eine rechtsoffene Agenda aktiviert und f\u00f6rdert, die jeweils unterschiedlich stark in den jeweiligen Institutionen umgesetzt wird. [19]
Aufbau: Braun mit dem Verfassungsschutz (VS)
Durch die NSU-Prozesse ist inzwischen noch unvollst\u00e4ndiges Material zug\u00e4nglich, das fr\u00fcher verschw\u00f6rungstheoretisch anmutende Annahmen inzwischen als aktenkundige Realit\u00e4t ausweist. So kann nach der Auswertung der Einsatzgebiete der wenigen im NSU-Prozess bekannt gewordenen Kader und bereits zuvor bekannt gewordener V-M\u00e4nner folgendes festgehalten werden:
Interessanterweise war insbesondere die NF mit V-Agenten durchsetzt. Bekannt ist der NF-Kader Norbert Schnelle, der auf der Gehaltsliste des VS Nordrhein-Westfalen stand und nachgewiesenerma\u00dfen mit seinem Spitzellohn die NF mitfinanzierte. Ein weiterer aufgeflogener V-Mann im NF ist Bernd Schmitt, seinerzeit am Aufbau rechtsterroristischer Verb\u00e4nde beteiligt, die den Mordanschlag von Solingen ver\u00fcbten. Der nieders\u00e4chsische VS wiederum setzte den rechtsradikalen Skinhead Michael Wobbe (Deckname: Artland, sp\u00e4ter: Rehkopf) im NF ein, der dort die Rolle des Sicherheitschefs \u00fcbernahm. Dieser fungierte als Reisekader ab 1992 dokumentiert schwerpunktm\u00e4\u00dfig in Ostdeutschland. Wobbe verriet sich selbst, indem er sich gegen\u00fcber dem BKA als V-Mann zu erkennen gab. Und nicht nur der VS war in der explizit klandestinen NF aktiv. Auch der Bundeswehr-Nachrichtendienst MAD platzierte 1989 den Fallschirmj\u00e4ger und selbsterkl\u00e4rten Patrioten Michael P. Der Soldat lieferte milit\u00e4risches Know How und Material, wurde aber bereits 1990 abgezogen und erhielt 2002 in den USA Asyl. Schlussendlich ist der durch den NSU-Prozess bekannt gewordene Thomas Richter (alias Corelli) zu nennen, der ebenfalls in der NF aktiv war, bevor er nach Verbot der Organisation bei Blood & Honour eingesetzt wurde.
Wir fassen zusammen: Eine vom VS bis in die F\u00fchrung infiltrierte, vermeintlich klandestine Kaderorganisation unterh\u00e4lt seit 1983 dokumentiert Kontakt zu Skinheadgruppen in der DDR. Zur gleichen Zeit bilden sich aus dieser Subkultur heraus erste klandestine, faschistische Gruppen, vermutlich mit angeleitet durch das NF. Diese neu aufgebauten Gruppen begleiten unter anderem inhaltlich und gewaltt\u00e4tig die Montagsdemonstrationen 1989/90 und werden nach der Annexion der DDR Ausgangspunkt von insbesondere von der GdnF und der NF selbst bespielten militanten rechtsradikalen braunen Ringen um ostdeutsche Gro\u00dfst\u00e4dte. Diese wiederum begleiten Pogrome und begehen in den 1990ern nahezu t\u00e4glich \u00dcbergriffe mit Todesfolge.
Der NSU-Prozess deckt nun weiteres auf. So wurden im Zuge des Prozesses die Namen weiterer V-M\u00e4nner \u00f6ffentlich, die schwerpunktm\u00e4\u00dfig mit der militanten Basis des NSU, dem Th\u00fcringer Heimatschutz (THS) und folglich mit Blood & Honour/Combat 18 (nachfolgend: B&H/C18) verbunden waren und die in den 1990er bis in die fr\u00fchen 2000er Jahren eingesetzt wurden. B&H/C18 wiederum war stets der subkulturelle Arm der NSDAP/AO und somit verbunden mit der GdnF. Unumstrittene F\u00fchrungsfigur von Blood & Honour/Combat 18 ist heute Thorsten Heise, ein ehemaliger Kader der FAP (ergo GdnF). In den GdnF/NSU/C18-Komplex fallen demnach folgende VS-Aktivit\u00e4ten und Agenten, die anhand vierer exemplarischer Figuren f\u00fcr vier Schwerpunktregionen des braunen Aufbaus, plus einer Person mit \u00fcberregionaler Bedeutung vorgestellt werden:
- Thomas Richter (alias Corelli / Einsatzgebiet Halle): Noch einmal Corelli. Nachdem dieser V-Mann schon sein Intermezzo in der NF hatte, wurde er nach Verbot der NF in das B&H Netzwerk versetzt. Hier gab er mit VS-Finanzierung die Zeitung Nationaler Beobachter heraus und betrieb verschiedene Webseiten. Weiterhin baute er den Nationalen Widerstand Halle (NWH) auf. Insgesamt soll er mehrere hunderttausend Euro daf\u00fcr erhalten haben.
- Thomas Dienel (alias K\u00fcche / Einsatzgebiet Erfurt): Inzwischen untergetauchter Gr\u00fcnder und F\u00fchrer der Deutsch-Nationalen Partei (DNP) in Th\u00fcringen, die mit der GdnF verbunden war. Auch Dienel war medial aktiv und gab die neonazistische Zeitung Mitteldeutsche Stimme heraus. Diese sei laut Dienel komplett vom VS finanziert worden.
- Carsten Szczepanski (alias Piatto / Einsatzgebiet Berlin/Potsdam): Der aus Berlin stammende Szczepanski zog nach der Wende nach K\u00f6nigs-Wusterhausen in Brandenburg. Seit 1991 war er V-Mann und baute in den Folgejahren eine B&H/C18-nahe Szene auf. Er erhielt laut VS bis zu 50.000 Mark Pr\u00e4mien, mit denen Szczepanski einen an B&H/C18 angeschlossenen Versandhandel und eine C18-Zeitung mit dem Namen United Skins herausgab, sowie Konzerte, zum Beispiel in Chemnitz, finanzierte. Die Angabe der H\u00f6he der VS-Zuwendungen ist laut Anw\u00e4ltinnen der NSU-Opfer zu niedrig angegeben und unglaubw\u00fcrdig.
- Toni Stadler (alias Bartok /Einsatzgebiet Guben/Cottbus): Stadler betreibt in Guben den rechtsradikalen Szene-Laden Top One und ist vernetzt mit dem Fanzine Volkswille. Weiterhin ist er als ehemaliger Soldat der Bundeswehr in Reservistenkreisen vernetzt. Laut VS arbeitete Stadler lediglich zwischen 2000 und 2002 f\u00fcr den Dienst. Wahrscheinlicher ist, dass Stadler schon lange vorher Kontakte hatte. So gibt er selbst \u00fcber die Kooperation mit dem VS an, er h\u00e4tte den Rechtsrock-Handel \u201eniemals in so gro\u00dfem Stil aufgezogen, wenn die Potsdamer mir nicht Straffreiheit zugesagt h\u00e4tten\u201c.
- Stefan Lange (alias Pinocchio/ Einsatzgebiet Berlin/bundesweit): Stefan Lange war einer der ranghohen F\u00fchrer des seit 2000 verbotenen B&H/C18-Netzwerks. Laut VS, der zun\u00e4chst versucht hatte, die V-Mann T\u00e4tigkeit von Lange unter den Tisch fallen zu lassen, soll dieser erst seit 2002 f\u00fcr den Dienst gearbeitet haben. Journalist*innen bezweifeln dies und nehmen an, dass Lange ebenfalls in den 1990ern angeworben wurde.
Wir fassen zusammen: Der VS rekrutiert in den 1990er Jahren im gesamten ostdeutschen Gebiet und insbesondere in den von Neo-Faschist*innen als Schwerpunktzonen deklarierten Gebieten V-M\u00e4nner. Diese sind in aller Regel keine kleinen Fische, sondern federf\u00fchrend an Strukturentwicklung oder sogar am Aufbau ganzer regionaler Szenen beteiligt und bevorzugt in medialen beziehungsweise institutionellen Schl\u00fcsselpositionen t\u00e4tig (Versandhandel, Medien, lokale Treffpunkte). Die T\u00e4tigkeit dieser Personen baut auf dem Strukturaufbau der GdnF und NF Ende der 1980er und Anfang der 1990er auf.
Fazit: Als Antifa die richtigen Fragen stellen und Antworten geben
Das Problem des Neo-Faschismus in Ostdeutschland ist nicht von den Annektions- und den daran anschlie\u00dfenden neuen deutschen Gro\u00dfmachtpl\u00e4nen seit 1990 zu trennen, sondern geht mit diesen strategischen Zielsetzungen einher. Hier laufen verschiedene Enden zusammen. Es bricht f\u00fcr eine ganze Bev\u00f6lkerung die biografische Lebenswelt und gewohnte Sozialstruktur zusammen. Hinzu kommen Verarmung und der Kollaps ganzer Infrastrukturen in Ostdeutschland. Der westdeutsche Neo-Faschismus ergreift im Geleit des VS zu den Montagsdemonstrationen seine Chance und greift dabei auf ein bereits bestelltes Feld organisierter ostdeutscher neo-faschistischer Gruppen zur\u00fcck. Die radikale Rechte gewinnt in den Montagsdemonstrationen durch massive Gewalt die Hegemonie, die Annexion der DDR wird durchgef\u00fchrt. Anschlie\u00dfend wirbt der VS-Apparat, der ohnehin bereits in NF und GdnF aktiv ist, zentrale Personen in Schwerpunktregionen an und finanziert deren Publikationen und Szenetreffpunkte. Von diesen Schwerpunktregionen gehen der NSU sowie andere Mord- und Totschlags-Kameradschaftsgruppen aus. Weitere Punkte, der hinzukommen, sind die Kolonisierung des Ostens durch Reichsb\u00fcrger*innen, Prepper und NPD-nahe Strukturen und die desastr\u00f6se akzeptierende Jugendarbeit, die f\u00fcr eine de facto \u00dcbernahme von Jugendzentren durch neo-faschistische Kader sorgte.
Alles Zuf\u00e4lle? Mitnichten. Hier verdichtet sich das Interesse der reaktion\u00e4rsten Teile des westdeutschen Staatsapparats mit der neofaschistischen Bewegung. Das Mindeste, was angesichts dieser offen zu Tage liegenden Beteiligungen vermutet werden kann, ist, dass bis weit in das Innenministerium ein Netzwerk reicht, das in den 1990er und 2000er Jahren einen neofaschistischen Aufbau deckte, in dem offensichtlich ein politischer Nutzen gesehen wurde. Dieser bestand relativ deutlich darin, dass eine patriotische Jugend, beziehungsweise eine rechte Hegemonie, in Ostdeutschland die sozialistische Hegemonie abl\u00f6ste und m\u00f6glichst nachhaltig unsch\u00e4dlich machen sollte. Die Wahlerfolge der neofaschistischen AfD sind nun tats\u00e4chlich eine \u201eVollendung der Wende\u201c und zwar in der Hinsicht, dass nicht nur ganze Landstriche inzwischen braun kolonisiert sind und terrorisiert werden, sondern sich diese rechte Hegemonie inzwischen auch parlamentarisch niederschl\u00e4gt und die SED/PDS/LINKE nun auch dort abl\u00f6st.
Angesichts dieser Entwicklung erscheint es unklar, warum die antifaschistische Bewegung immer noch nichts aus dem NSU lernen m\u00f6chte und von ostdeutschen Sozialcharakteren oder konservierten Volksgemeinschaften schwadroniert (siehe Teil I des Artikels). Statt den Rechtsruck als Resultat eines erfolgreichen, staatlich begleiteten Aufbaus zu begreifen und sich die Frage zu stellen, mit welchen Interessen dieser verbunden sein k\u00f6nnte - oder was von links vers\u00e4umt wurde - wird auf die ostdeutsche Bev\u00f6lkerung geschimpft. Hier liegen, wie diese Artikel versucht haben, aufzuzeigen, mehrere Denkfehler vor. Ein Antifaschismus in Ostdeutschland darf nicht gegen die Bev\u00f6lkerung, deren Biografien und Leistungen argumentieren. Gleichzeitig darf nicht au\u00dfer Acht gelassen werden, dass ein bestimmter Prozentsatz bereits an die gewachsenen neofaschistischen Strukturen und deren Ideologie verloren ist. Diese Gradwanderung zu schaffen, ist schwer. Ein Anfang w\u00e4re, damit aufzuh\u00f6ren, in puncto Debatte um den Rechtsruck in das selbe Horn zu blasen, wie die herrschenden Parteien. Hier kann Staatskritik und eine kritisch-solidarische Haltung zur DDR-Geschichte gegen das staatliche Narrativ zur so genannten Wende neue Handlungsm\u00f6glichkeiten und Diskurse st\u00e4rken, die der Etablierung einer antifaschistischen, nicht-staatlichen Linken nutzen.
Anmerkungen:
[1] Zum Beispiel Helmut Roewer, unter dessen \u00c4gide der Th\u00fcringer VS eine ganze Horde V-M\u00e4nner um den NSU ein ganzes Jahrzehnt finanzierte. Der V-Mann und Sexualstraft\u00e4ter Tino Brandt gab gar an, dass der VS Th\u00fcringen einen Gro\u00dfteil des von ihm entwickelten rassistischen Spiels Pogromly (von: Monopoly) erstanden hat. Roewer hatte au\u00dferdem Gelder f\u00fcr bis heute unbekannte Quellen veruntreut.
[2] Zwischen 1955 bis 1969 au\u00dfenpolitische Doktrin der BRD. Sie besagte, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR durch Drittstaaten als \u201eunfreundlicher Akt\u201c gegen\u00fcber der Bundesrepublik betrachtet werden m\u00fcsse und reklamierte damit einen Alleinvertretungsanspruch.
[3] Zur Vorgeschichte des Projekts EU im Rahmen deutscher imperialistischer Europapolitik zum Beispiel bei Wehr, Andreas, 19.11.2016: Geschichte und Wirklichkeit der EU. Zugriff am 24.09.2019 unter https://www.andreas-wehr.eu/geschichte-und-wirklichkeit-der-eu.html
[4] Die DDR-Geschichtsschreibung war der marxistischen Klassentheorie verpflichtet. Laut dem Historischen Materialismus ist Geschichte ein dialektisch verlaufender Prozess von Klassenk\u00e4mpfen. Es gilt demnach zwischen herrschaftsf\u00f6rmiger, b\u00fcrgerlicher Geschichtsschreibung und materialistischer Geschichtsschreibung zu unterscheiden. Der Versuch des Aufbaus eines neuen, demokratischen und friedliebenden Deutschlands musste sich logischerweise gegen die imperialistische Tradition Deutschlands wenden und neue Bez\u00fcge herstellen.
[5] Das Scheitern des ersten Anlaufs wurde mit einer \u201efehlenden Staatsferne\u201c begr\u00fcndet, das hei\u00dft es war unklar, inwieweit die NPD durch das Wirken des VS \u00fcberhaupt so arbeitet und auftritt, wie sie es tut. Die Judikative der BRD hat damit im Prinzip zugegeben, dass NPD und VS \u00fcber V-Mann-Eins\u00e4tze in gro\u00dfen Teilen ununterscheidbar geworden sind.
[6] Neben den in diesem Artikel pr\u00e4sentierten Fakten log der VS im NSU-Prozess nachweislich, verdunkelte Informationen und verweigerte wiederholt die Auskunft. Ganze Akten wurden in der so genannten Aktion Konfetti vernichtet. Ausf\u00fchrliche Dokumentation liefert Wolf Wetzel und NSU-Watch: https://www.nsu-watch.info / https://wolfwetzel.wordpress.com/
[7] C18 und Thorsten Heise sind seit Jahren straffrei unterwegs. Ihr Umfeld ist durchsetzt mit V-M\u00e4nnern und ununterscheidbar von den Diensten. Eine ausf\u00fchrliche Recherche zu B&H/C18 und dem T\u00e4terumfeld bieten EXIF-Recherchegruppen: \u201eDie Kernfrage muss deshalb lauten: Wieso hat der Verfassungsschutz ein Interesse daran, dass diese Organisation weiter existiert? Die Antwort darauf kann nur lauten: Weil er \u2013 und andere Geheimdienste und evtl. auch Polizeibeh\u00f6rden \u2013 es (sic!) mit Spitzeln durchsetzt haben\u201c. Exif-Recherche [Hrsg.], 16.07.2018: \u00abCombat 18\u00bb Reunion. Zugriff am 24.09.2019 unter https://exif-recherche.org/?p=4399.
[8] Siehe Hans-Georg Maa\u00dfen, CDU-Politiker, der zwischen 2012 und 2018 die Verdunklung und Strafvereitelung in puncto NSU organisierte. Er ist in seiner politischen Agenda vom v\u00f6lkischen Fl\u00fcgel der AfD ununterscheidbar.
[9] Aus den 1980er Jahren legen verschiedene Publikationen Zeugnis dar\u00fcber ab. Unter anderem: Klartext (JN/NF), Nachrichten aus der Szene (NF), Deutscher Beobachter (Nationale Offensive), Revolte (NF) und viele mehr.
[10] Der Strasserismus ist eine Str\u00f6mung im deutschen Neo-Faschismus, die sich auf so genannte nationalrevolution\u00e4re Theorien der NSDAP-Mitglieder Otto und Georg Strasser beziehen.
[11] Siehe Nationalistische Front (NF) [Hrsg.]: Langsam aber gewaltig! - zur Taktik und Strategie der Nationalistischen Front (NF), in: Nachrichten aus der Szene (2/88).
[12] Die rechtsradikale Rezeption des italienischen Kommunisten wurde erstmals durch den neofaschistischen franz\u00f6sischen Intellektuellen Alain de Benoist vorgenommen. Sie ist in der heutigen Neuen Rechten hegemonial.
[13] Siehe Klartext (5/2 Nr.17).
[14] Antifaschistisches Autorenkollektiv Berlin [Hrsg.]: Drahtzieher im braunen Netz: Der Wiederaufbau der NSDAP. Edition ID-Archiv 1992
[15] ebd.
[16] ebd.
[17] Faschistische Gewalt wurde in den allermeisten F\u00e4llen entpolitisiert und juristisch unter dem Begriff Rowdytum verfolgt.
[18] S\u00e4mtliche im Artikel genannten Organisationen waren fr\u00fcher oder sp\u00e4ter von Repression betroffen. Die meisten konnten sich jedoch durch Umbenennungen und Umstrukturierungen immer wieder weiter bet\u00e4tigen. Insbesondere die Kader der GdnF sind bis heute aktiv. Das Blood & Honour-Netzwerk besteht beispielsweise als Combat 18 bis heute legal weiter.
[19] Hier wirkte das Netzwerk insbesondere in der Polizei, dem Verfassungsschutz und der Sozialen Arbeit. Der Schaden, den die so genannte akzeptierende Sozialarbeit als staatlich gepushte Theorie und Praxis in diesem Kontext anrichtete, ist dokumentiert in: Rother, Richard: Rechtsextremistische Tendenzen unter ostdeutschen Jugendlichen. 1994: \u201eDie Jugendklubs in Ostdeutschland wurden f\u00fcr rechte Jugendliche und Skinheads ge\u00f6ffnet (\u2026). Zun\u00e4chst hatte dies den Effekt, da\u00df junge Leute mit linken oder pazifistischen Politikvorstellungen (...) durch zum Teil brutale Gewalt verdr\u00e4ngt wurden. Sp\u00e4ter wurden sogar normale und unpolitische Jugendliche aus einzelnen Klubs (in Schwedt oder Weimar etwa) ausgeschlossen, in denen dann rechtsextremistische Kameradschaften im engsten Kreise durchf\u00fchren konnten\u201c (Rother, Richard 1994, S.21 ff.).
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