\u201eNehmt eine Sichel, nehmt einen Hammer und zerst\u00f6rt das rote Gesindel\u201c - Der \u201eUnabh\u00e4ngigkeitsmarsch\u201c in Warschau
\nDer Morgen des 11. November in Warschau ist kalt und grau. Ein dichter Nebel hat sich seit einigen Tagen \u00fcber die gesamte Stadt gelegt. Selbst der imposante Turm des Kulturpalasts ist kaum zu erkennen, als Polizeieinheiten auf dem Platz davor anfangen, hunderte Betonkl\u00f6tze aufzustellen. \u00dcberall in der Innenstadt werden Stra\u00dfen gesperrt und selbst das polnische Milit\u00e4r mischt sich unter die Polizeieinheiten. In wenigen Stunden soll hier, im Herzen Warschaus, einer der gr\u00f6\u00dften nationalistischen Aufm\u00e4rsche weltweit stattfinden, zu dem auch zehntausende Neonazis und sonstige Faschist*innen erwartet werden. Sch\u00e4tzungen gehen insgesamt von bis zu 100.000 Demonstrant*innen aus. Am Ende werden es doppelt so viele. Und Vertreter*innen der polnischen Regierung werden an ihrer Spitze stehen.
Die Feierlichkeiten zum Unabh\u00e4ngigkeitstag in Polen
Der 11. November ist ein wichtiger Tag im post-sozialistischen Polen. Es ist der polnische Unabh\u00e4ngigkeitstag (poln. \u201eNarodowe \u015awi\u0119to Niepodleg\u0142o\u015bci\u201c), das hei\u00dft das Datum der Wiedererlangung der nationalen Unabh\u00e4ngigkeit (als zweite polnische Republik) nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Aufteilung des Territoriums zwischen Preu\u00dfen, \u00d6sterreich-Ungarn und Russland. Dieses Ereignis j\u00e4hrt sich in diesem Jahr zum 100. Mal und ist im ganzen Land un\u00fcbersehbar. Noch in den kleinsten D\u00f6rfern wehen die polnischen Nationalfahnen in den Stra\u00dfen und an den \u00f6ffentlichen Geb\u00e4uden. Auch die Laternen in der Warschauer Innenstadt tragen Wei\u00df und Rot. Die Farben finden sich ebenfalls als gro\u00dffl\u00e4chige Projektionen an einigen \u00f6ffentlichen Geb\u00e4uden der Stadt, von denen wiederum andere in riesige Transparente zur Erinnerung an das \u201ehistorische\u201c Datum geh\u00fcllt sind. Im Rahmen der offiziellen Feierlichkeiten wurde bereits zwei Tage zuvor in Warschau eine \u00fcberlebensgro\u00dfe Statue von Lech Kaczynski enth\u00fcllt, dem Zwillingsbruder des momentanen Parteivorsitzenden der regierenden PiS-Partei (kurz f\u00fcr: \u201ePrawo i Sprawiedliwo\u015b\u0107\u201c - dt. \u201eRecht und Gerechtigkeit\u201c) Jaroslaw Kaczynski. Lech Kaczynski kam 2010 als amtierender Staatspr\u00e4sident bei einem Flugzeugabsturz nahe Smolensk ums Leben. Seitdem ranken sich zahlreiche antirussische Verschw\u00f6rungstheorien um sein Ableben, die von der Regierungspartei aufgegriffen werden, um sie zu einem Teil des nationalen Mythos im gegenw\u00e4rtigen Polen zu machen. Die individuelle Positionierung zu dem Flugzeugabsturz bestimmt in den Augen der PiS, wer als \u201ewahrer Pole\u201c gelten kann und wer ein \u201eVolksverr\u00e4ter\u201c ist. Dementsprechend ist die Statue in Warschau nur ein Beispiel f\u00fcr die Produktion einer nationalen Identifikationsfigur, der im gesamten Land rund 160 Denkm\u00e4lern gewidmet sind. Vor dem Hintergrund der besonders starken nationalistischen Aufladung des diesj\u00e4hrigen Unabh\u00e4ngigkeitstages scheint sich der bevorstehende Marsch in Warschau gut in die offiziellen Feierlichkeiten einzupassen. Allerdings hat er mit ihnen relativ wenig zu tun - zumindest war das in den zur\u00fcckliegenden Jahren der Fall.
Der \u201eUnabh\u00e4ngigkeitsmarsch\u201c in Warschau
Nachdem der \u201eUnabh\u00e4ngigkeitstag\u201c in Polen seit 1989 wieder als offizieller Feiertag begangen werden kann, gibt es \u00fcberall im Land unterschiedliche Festlichkeiten. Deren Organisation und Durchf\u00fchrung wird gr\u00f6\u00dftenteils von den Kommunen \u00fcbernommen und ist zumeist fest in staatlicher Hand. In Warschau konnte sich jedoch seit Mitte der 2000er eine Reihe paralleler Veranstaltungen aus einem ultra-rechten Spektrum etablieren, deren treibende Kr\u00e4fte die MW (kurz f\u00fcr: \u201eM\u0142odzie\u017c Wszechpolska\u201c - dt. \u201eAllpolnische Jugend\u201c) und die neofaschistische ONR (kurz f\u00fcr: \u201eOb\u00f3z Narodowo-Radykalny\u201c - dt. \u201eNationalradikales Lager\u201c) waren. Zwischen 2006 und 2009 f\u00fchrten beide Gruppen noch voneinander getrennte Aktionen durch, die \u00fcber extrem rechte Kreise hinaus nur eine geringe Aufmerksamkeit erhielten. Erst mit der Organisation eines gemeinsamen Marsches 2010 erfolgte eine B\u00fcndelung der Kr\u00e4fte, die zur Gr\u00fcndung eines \u00fcbergreifenden Organisationsvereins im Jahr 2011 f\u00fchrte. Seitdem wuchs der \u201eUnabh\u00e4ngigkeitsmarsch\u201c (\u201eMarsz Niepodleg\u0142o\u015bci\u201d) von Jahr zu Jahr, wobei 2016 mit knapp 100.000 Teilnehmenden den bisherigen Mobilisierungsh\u00f6hepunkt bildete.
Dementsprechend erfreut sich der Marsch heutzutage einer breiten Akzeptanz in national-konservativen Teilen der polnischen Gesellschaft, sodass selbst unz\u00e4hlige Familien mit ihren Kindern teilnehmen. Dar\u00fcber hinaus vereinen die Demonstrationen eine Mischung aus (neo)faschistischen Gruppen, (extrem) rechten Fu\u00dfballgruppierungen (zahlreicher Vereine), sowie Abtreibungsgegner*innen oder rechten katholischen Gruppen. Insgesamt ist es den Organisierenden in Warschau in den vergangenen Jahren gelungen, nahezu die komplette Aufmerksamkeit am Unabh\u00e4ngigkeitstag auf ihren Marsch zu konzentrieren und damit den Tag symbolisch zu \u201ehijacken\u201c bzw. zu \u00fcbernehmen. Ganz nach dem Motto: von au\u00dfen (ultra-)nationalistisch und damit (bedingt) anschlussf\u00e4hig, aber im Innern faschistisch. Obwohl die faschistoide Ausrichtung des Marsches kein Geheimnis ist, gelang es der offiziellen Politik auf kommunaler, sowie nationaler Ebene in den zur\u00fcckliegenden Jahren nicht, seine Bedeutung zur\u00fcckzudr\u00e4ngen. Unter der national-konservativen PiS hat sich stattdessen eher eine gewisse Akzeptanzkultur etabliert. Im Angesicht dieser reaktion\u00e4ren Front konnte auch der stetig wachsende antifaschistische Gegenprotest nur wenig gegen die marschierenden Faschist*innen und die Ignoranz der Politik ausrichten.
Das verflixte siebte Jahr
Diese Allianz aus faschistischer Stra\u00dfenpolitik und staatlicher Zur\u00fcckhaltung bekam allerdings im vergangenen Jahr entscheidende Risse. 2017 erregte der \u201eUnabh\u00e4ngigkeitsmarsch\u201c internationale Aufregung, als rassistische und antisemitische Tendenzen besonders offen ausgestellt wurden und faschistische Gruppen massenhaft in Erscheinung traten. Der Marsch wurde damit in der weltweiten Wahrnehmung neben der umstrittenen Justizreform, der wachsenden staatlichen Einflussnahme auf die Medien, der massiven Anti-Abtreibungspolitik oder der andauernden europafeindlichen Rhetorik zu einem weiteren Symptom des polnischen Rechtsrucks und einem Anwachsen autorit\u00e4rer Tendenzen im Land. Dementsprechend konnte 2018 mit einer erh\u00f6hten (medialen und politischen) Aufmerksamkeit weit \u00fcber Polen hinaus gerechnet werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit die Beteiligung der polnischen Regierung in diesem Jahr als Schulterschluss mit der extremen Rechten zu bewerten ist, oder mehr einen Versuch darstellt, eine aus dem Ruder gelaufene \u201eTradition\u201c durch staatliche Beteiligung wieder \u201eunter Kontrolle\u201c zu bringen, um das angekratzte nationale Au\u00dfenbild zu korrigieren?
Der \u201eRot-Wei\u00dfe Unabh\u00e4ngigkeitsmarsch\u201c
Dass es \u00fcberhaupt zu diesem Versuch kommen konnte, ist auf die politische Intervention der Warschauer Stadtpr\u00e4sidentin (B\u00fcrgermeisterin) Hanna Gronkiewicz-Waltz zur\u00fcckzuf\u00fchren, die den \u201eUnabh\u00e4ngigkeitsmarsch\u201c wenige Tage vor dem 11.11. verbot. In ihrer Begr\u00fcndung bezieht sie sich auf eine m\u00f6gliche Gef\u00e4hrdung der \u00f6ffentlichen Sicherheit und Ordnung, da u.a. aufgrund der Ereignisse des Vorjahres eine massive Pr\u00e4senz faschistischer Kr\u00e4fte zu erwarten ist. Gleichzeitig befand sich die Warschauer Polizei in einer Art Krankheitsstreik, sodass eine umfassende Kontrolle des Massenereignisses schwerer zu bewerkstelligen schien. Dar\u00fcber hinaus kann das Verbot der B\u00fcrgermeisterin, die der PO (kurz f\u00fcr \u201ePlatforma Obywatelska\u201c dt. \u201eB\u00fcrgerplattform\u201c) angeh\u00f6rt, als politisches Zeichen einer vergleichsweise liberalen Politikerin gegen\u00fcber den Akteur*innen eines andauernden gesellschaftlichen Rechtsrucks in Polen verstanden werden. Zu bef\u00fcrchten hatte sie ohnehin nichts. Bei den Kommunalwahlen im Oktober 2018 war sie aufgrund einer Immobilienaff\u00e4re nicht erneut angetreten, so dass ihre Amtszeit und politische Karriere ohnehin bald enden wird. Mit dem Verbot begannen jedoch einige chaotische Tage. Auf der einen Seite zogen die Organisator*innen der Marsches gegen die Entscheidung vor Gericht und konnten sich so in der \u00d6ffentlichkeit als Verteidiger*innen der Versammlungsfreiheit und der polnischen Verfassung inszenieren. Auf der anderen Seite \u00f6ffnete sich dadurch ein Fenster f\u00fcr die polnische Regierung, die innerhalb k\u00fcrzester Zeit einen eigenen \u201eRot-Wei\u00dfen Marsch\u201c zur gleichen Zeit auf der gleichen Strecke anmeldete. Ihr (inoffizielles) Ziel war es, wieder die Oberhand \u00fcber die Feierlichkeiten des Tages in Warschau zu gewinnen und die faschistische \u00dcbernahme gewisserma\u00dfen selbst (wieder) zu \u00fcbernehmen.
Eine deutliche Abkehr von faschistischen Kr\u00e4ften schien damit jedoch nicht einher zu gehen. Dies zeigte sich wenige Tage sp\u00e4ter, als der Marsch von den polnischen Gerichten wieder genehmigt wurde. Da es nun zwei Anmeldungen auf der gleichen Route gab, begannen beide Seiten sofort mit Verhandlungen. Nach einigen Konflikten erfolgte die Einigung auf eine gemeinsame Strategie. Bei dieser L\u00f6sung handelt es sich im Grunde genommen um eine Win-Win-Situation. Einerseits k\u00f6nnen MW und ONR auf die Integrit\u00e4t der polnischen Regierung verweisen und diese als \u201epolitisches Feigenblatt\u201c gebrauchen. Denn eine Veranstaltung, auf der Staatspr\u00e4sident Duda spricht, kann ja wohl nicht faschistisch sein! Andererseits hatte der polnische Staat nun wieder einen Fu\u00df in der T\u00fcr der Feierlichkeiten in \u201eseiner\u201c Hauptstadt. Allerdings war das Ziel der PiS-Regierung weniger eine grunds\u00e4tzliche Neuausrichtung des Marsches, da dessen Teilnehmende auch einen relevanten Teil der eigenen (potentiellen) W\u00e4hler*innen und Unterst\u00fctzer*innenschaft ausmachen. Stattdessen schien es vor allem um eine Korrektur des Au\u00dfenbildes zu gehen, sodass bspw. bestimmte als problematisch empfundene Inhalte (auf Schildern und in Slogans) nicht pr\u00e4sentiert werden sollten. Auch das Abbrennen von Pyrotechnik sollte unterbleiben. Diese \u201ebitteren Pillen\u201c waren die Organisierenden des urspr\u00fcnglichen \u201eUnabh\u00e4ngigkeitsmarsches\u201c zu schlucken bereit, wohl wissend, dass w\u00e4hrend des Marsches eine umfassende Kontrolle dieser Absprachen nahezu unm\u00f6glich sein wird.
Eine ganze Stadt in Wei\u00df und Rot
Doch zur\u00fcck zum Morgen des 11. November 2018 auf den Platz vor dem Kulturpalast. Hier sollten sich die Teilnehmenden sammeln, um anschlie\u00dfend auf geradem Weg durch die Innenstadt zu ziehen, auf der Poniatowski-Br\u00fccke die Weichsel von West nach Ost zu \u00fcberqueren und am Nationalstadion zu enden. Bereits mehrere Stunden vor dem offiziellen Beginn des Marsches um 14 Uhr sammelten sich tausende Menschen in der Warschauer Innenstadt und mit jeder Minute wurden es mehr. Gegen Mittag bewegten sich dichte Str\u00f6me mit wei\u00df-roten Fahnen, H\u00fcten, T-Shirts, Armbinden und sonstigen Accessoires durch die Stadt. Ganz Warschau war vom Unabh\u00e4ngigkeitstag und vom Marsch eingenommen. Aus diesem Grund war es nahezu unm\u00f6glich auch nur ansatzweise in die N\u00e4he des Startpunktes zu gelangen. Eine Beschreibung der Milit\u00e4rparade mit Panzern am Kopf der Demonstration sowie den dahinter laufenden Repr\u00e4sentant*innen des polnischen Staates muss deswegen leider entfallen. Grunds\u00e4tzlich sollte es urspr\u00fcnglich trotz der gemeinsamen Ausrichtung des Marsches eine gewisse Zweiteilung in der Durchf\u00fchrung geben. W\u00e4hrend der \u201eoffizielle Teil\u201c mit den Regierungsvertreter*innen den Beginn markierte, sollte sich der eigentliche \u201eUnabh\u00e4ngigkeitsmarsch\u201c in einem gewissen Abstand anschlie\u00dfen. Aufgrund der chaotischen Zugangssituation flossen jedoch unkontrolliert Demonstrierende von allen Seiten auf die Route.
Gleichzeitig lag \u00fcberall der Geruch von Pyrotechnik in der Luft, die zumindest das Bild der hinteren beiden Drittel der Demonstration dauerhaft bestimmte und einzelne Abschnitte immer wieder in einen dichten wei\u00df-roten Kunstnebel h\u00fcllte. Akustisch untermalt wurde das Ganze durch das andauernde Knallen von B\u00f6llern, dem massenhaften Singen der polnischen Nationalhymne, sowie dem Rufen des inoffiziellen Staatsmottos \u201eB\u00f3g, Honor, Ojczyzna\u201c (\u201eGott, Ehre, Vaterland\u201c). So ergab sich insgesamt eine durchaus martialische Atmosph\u00e4re der nationalistischen \u00dcbernahme des \u00f6ffentlichen Raumes, in der auch offen faschistische T\u00f6ne ihren Platz hatten. So besangen mehrere hundert Unterst\u00fctzer (ausschlie\u00dflich M\u00e4nner) eines Fu\u00dfballklubs den ukrainischen Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera auf der Melodie von \u201eGuantamera\u201c. Obwohl entsprechende Verweise unterbleiben sollten, war der Widerstand anderer Demonstrationsteilnehmender (zumindest in den hinteren Teilen) eher gering. Allerdings haben die faschistischen Kr\u00e4fte ihre Vormachtstellung auf dem Marsch aggressiv aufrechterhalten. So wurde bspw. ein Teilnehmender, der sich (aus nationalistischer Motivation) tats\u00e4chlich \u00fcber das offensive Auftreten der Autonomen Nationalisten aufregte, einfach in deren Block gezogen und zusammengeschlagen.
Die Verteidigung Polens
Die Verbindung nationalistischer Selbstbest\u00e4tigung und faschistischer (Vernichtungs-)Ideologie wurde sp\u00e4testens im letzten Jahr wieder als Kern der Proteste erkennbar. Der Kitt ist ein militanter Ethnozentrismus und die damit einhergehende Vorstellung, dass eine neue polnische Jugend aufsteht, um (an der Spitze einer umfassenden gesellschaftlichen Bewegung) Polen von seinen inneren und \u00e4u\u00dferen Feinden \u201ezu befreien\u201c. Die \u00dcberschneidung dieser Vorstellungen mit dem Leitbild der \u201eIdentit\u00e4ren Bewegung\u201c sind nicht zu \u00fcbersehen. Dieses bestehende \u201eIdentit\u00e4tsangebot\u201c k\u00f6nnte einer der Gr\u00fcnde sein, warum die \u201eIdentit\u00e4ren\u201c als eigenst\u00e4ndige politische Gruppe bisher kaum in Polen Fu\u00df fassen konnten.
Wer die politischen Feinde \u201edes polnischen Volkes\u201c sind, wurde auf dem \u201eUnabh\u00e4ngigkeitsmarsch\u201c mehr als deutlich. Einer der beliebtesten Slogans war \u201eraz sierpem, raz m\u0142otem czerwon\u0105 ho\u0142ot\u0119\u201c (sinngem\u00e4\u00dfe \u00dcbersetzung: \u201eNehmt eine Sichel, nehmt einen Hammer und zerst\u00f6rt das rote Gesindel\u201c), der in jedem Teil der Demo aufgegriffen wurde. Dabei ist der massive Antikommunismus nicht nur gegen tats\u00e4chliche \u201elinke\u201c Akteur*innen gerichtet, sondern im Grunde gegen alles, was nicht der ultra-nationalistischen bis faschistischen Weltsicht entspricht. In diesem Sinne waren Hetze gegen LGBTIQ-Personen (z.B. in Form von Stickern mit brennenden \u201eRegenbogenfahnen\u201c) ebenso selbstverst\u00e4ndlicher Teil des Marsches, wie die oben erw\u00e4hnten Abtreibungsgegner*innen.
Der Marsch als Vorbild f\u00fcr die europ\u00e4ische Rechte
Die F\u00e4higkeit des \u201eUnabh\u00e4ngigkeitsmarsches\u201c in Warschau eine Klammer zwischen (ultra-)nationalistischen, rechtspopulistischen, neurechten und faschistischen Kr\u00e4ften zu bilden und diese Koalition in einer massenhaften Demonstration auf die Stra\u00dfe zu tragen, weckt nat\u00fcrlich die Aufmerksamkeit anderer Akteur*innen der alten, Neuen und extremen Rechten weltweit. So war aus der BRD bspw. eine Gruppe von rund zehn Personen vom PEGIDA-Organisationskreis anwesend, deren eigene Aufm\u00e4rsche vor diesem Hintergrund fast l\u00e4cherlich wirken. W\u00e4hrend die anwesenden \u201eDeutschen\u201c (u.a. auch die rechte Organisation \u201eHand in Hand\u201c aus Brandenburg) sich jedoch (aus \u201ehistorischen Gr\u00fcnden\u201c) eher im Hintergrund hielten bzw. halten mussten und die \u201estillen Bewundernden\u201c gaben, waren Abordnungen aus anderen Nationen deutlich auf dem Marsch vertreten. Ungarische Faschisten (ohne die sich neu aufstellende Jobbik-Partei) marschierten sogar in einem eigenen Block. Kleinere Gruppen aus Spanien oder Italien (z.B. \u201eForza Nuova\u201c) waren ebenfalls anwesend. Sie alle werden ihre eigenen R\u00fcckschl\u00fcsse aus den Ereignissen ziehen. Allerdings scheint sicher zu sein, dass rechte Gro\u00dfaufm\u00e4rsche mit offen faschistischer Beteiligung in den n\u00e4chsten Jahren weltweit eher noch zunehmen werden, um auf diese Weise \u201edas Volk\u201c als tats\u00e4chliche Masse auf der Stra\u00dfe zu inszenieren. Die PEGIDA-Demonstrationen in Dresden oder der sogenannte \u201eFriedensmarsch\u201c in Budapest sind neben dem 11.11. in Warschau nur einige Beispiele dieses Trends.
Staat und Nazis Hand in Hand?
Doch wie ist nun die Beteiligung der polnischen Regierung in diesem Jahr zu bewerten und was ist in den kommenden Jahren zu erwarten? F\u00fcr umfassende Analysen ist es sicherlich zu fr\u00fch. Den deutlichen Mobilisierungsschub in diesem Jahr jedoch allein auf die Beteiligung der Regierung zu schieben, greift zu kurz. Es ist vielmehr die Kombination aus offizieller Legitimation und dem \u201ebesonderen\u201c Jubil\u00e4um, die erkl\u00e4ren kann, wie sich 200.000 Personen einem Marsch anschlie\u00dfen konnten, der zumindest zum Teil von bekennenden Faschist*innen organisiert wurde. Tats\u00e4chlich schien sich ein Gro\u00dfteil der Demonstrierenden \u00fcber die Hintergr\u00fcnde des Marsches im Klaren zu sein. Diese wurden entweder stillschweigend hingenommen oder sogar aktiv bef\u00fcrwortet. Eine Gegenposition - selbst aus einer nationalistischen Perspektive - wurde so gut wie \u00fcberhaupt nicht eingenommen. Dieses Stillschweigen kann nicht allein auf die einsch\u00fcchternde Pr\u00e4senz bestimmter Neonazi-Gruppen geschoben werden, da die Teilnehmenden den Marsch zu jeder Zeit h\u00e4tten verlassen k\u00f6nnen.
Insgesamt hat die Beteiligung der Regierung in einem gewissen Ma\u00df zu einer M\u00e4\u00dfigung des \u201eUnabh\u00e4ngigkeitsmarsches\u201c beigetragen. Dennoch waren Faschist*innen und Neonazis massiv pr\u00e4sent und haben das Bild in gro\u00dfen Teilen bestimmt. Es wurde lediglich auf besonders offensive Schilder oder Transparente verzichtet und auch aus Regierungssicht problematische Slogans waren seltener zu h\u00f6ren. Stattdessen wurden politische Bekenntnisse vermehrt \u201eim Stillen\u201c auf T-Shirts, M\u00fctzen oder Jacken ausgestellt. Der \u201eUnabh\u00e4ngigkeitsmarsch\u201c ist somit weit davon entfernt, von staatlicher Seite \u201epazifiziert\u201c zu werden. Vielmehr wurde lediglich das Au\u00dfenbild ein wenig korrigiert, um den offiziellen Anspr\u00fcchen zu entsprechen. In diesem Sinne kann eher von einer gewissen Arbeitsteilung gesprochen werden. W\u00e4hrend die Organisierenden von der gesteigerten \u00f6ffentlichen Aufmerksamkeit (bei minimalen Zugest\u00e4ndnissen) profitieren k\u00f6nnen, \u201eschenkt\u201c die Regierung ihren W\u00e4hler*innen, oder zumindest einem ultra-konservativen Teil, ein nationalistisches Massenevent in der Hauptstadt, das sich per Lippenbekenntnis von allzu offensichtlichem faschistischen Bestrebungen distanziert. Beide Seiten grenzen sich dabei nur so weit wie n\u00f6tig voneinander ab. Ob diese Verbindung in den n\u00e4chsten Jahren halten wird, ist schwer zu sagen. Vielleicht braucht es nur kleine Kratzer an dem erw\u00fcnschten Au\u00dfenbild, damit die fragile Koalition zerbricht, weil sich die polnische Regierung eine weitere Beteiligung nicht mehr leisten kann. Vielleicht verschieben sich die gesellschaftlichen Diskussionen und Verh\u00e4ltnisse jedoch zuk\u00fcnftig in einer solchen Weise, dass selbst das irgendwann egal sein wird. In diesem Jahr hat der \u201eUnabh\u00e4ngigkeitsmarsch\u201c jedoch das zusammengebracht, was (ideologisch) ohnehin zusammengeh\u00f6rt, so dass trotz der ver\u00e4nderten Verpackung immer noch der alte Inhalt drinsteckt. Aus einer internationalistisch-orientierten Perspektive antifaschistischer Bewegung geben die beschriebenen Entwicklungen einen deutlichen Anlass zur Sorge. So wurde der diesj\u00e4hrige Gegenprotest, dem sich mehrere tausend Menschen anschlossen, kaum wahrgenommen \u2013 weder von der polnischen oder internationalen \u00d6ffentlichkeit noch von den Teilnehmenden des Marsches. Aufgrund der organisatorischen Unterst\u00fctzung des polnischen Staates werden die ohnehin nur geringen M\u00f6glichkeiten f\u00fcr erfolgversprechende Interventionen in Zukunft weiter schwinden. Stattdessen sieht es so aus, als k\u00f6nnte sich noch st\u00e4rker als in der Vergangenheit ein ultra-nationalistischer Marsch mit massiver faschistischer Beteiligung als Teil der nationalen Erinnerungskultur in Polen etablieren. Und davon profitiert nicht nur die regierende PiS-Partei, sondern alle rechten Kr\u00e4fte und Gruppierungen, die sich auf dem Marsch als anerkannte politische Akteure in der \u00d6ffentlichkeit pr\u00e4sentieren k\u00f6nnen.