Militarisierung \u2013 Eine Frage der Gewohnheit
\nAm fr\u00fchen Morgen des 15.11.2018 um 6 Uhr durchsucht die Berliner Polizei mit einem Gro\u00dfaufgebot von 560 Beamten vier Wohnungen, eine davon in der Rigaerstr. 94, wo unter Anderem auch das SEK mit Sturmgewehren zum Einsatz kommt.
Der Grund sei Beweissicherung im Fall einer \u201egemeinschaftlichen gef\u00e4hrlichen K\u00f6rperverletzung\u201c, in deren Folge sieben Verd\u00e4chtigte festgestellt werden, welche aus dem so genannten \u201elinksextremistischen Milieu\u201c k\u00e4men. Wer die Videoaufnahmen des Vorfalls im Mai diesen Jahres gesehen hat, kann allerdings best\u00e4tigen, dass die unmittelbare Gewalt nicht von den Beschuldigten ausgegangen ist.
Abgesehen von der absoluten Unverh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfigkeit der Eins\u00e4tze zum vorgeworfenen Tatbestand, lohnt es sich einen Blick darauf zu werfen, welches Bild der linken Szene nicht erst seit diesem Vorfall konstruiert wird und wie gleichzeitig eine schleichende Militarisierung der Polizei vonstatten geht und legitimiert werden soll.
Sehen wir uns also an, mit welchen Gr\u00fcnden Polizei und Politiker*innen die repressiven Ma\u00dfnahmen rechtfertigen. Wo in der Presse eine Einordnung der T\u00e4ter als \u201eLinksautonome\u201c (RBB, BZ), \u201eLinksextremisten\u201c (Berliner Zeitung) oder \u201eChaoten\u201c aus der \u201eber\u00fcchtigten Extremisten- Hochburg in der Rigaerstra\u00dfe 94\u201c (Berliner Kurier) geschieht, sprechen Polizei und Innensenator Geisel mittlerweile von \u201eKriminellen\u201c. Der Senator f\u00fcr Inneres und Sport in Berlin, Andreas Geisel (SPD), der die Rigaerstra\u00dfe schon fr\u00fcher als \u201eR\u00fcckzugsraum f\u00fcr Gewaltt\u00e4ter\u201c bezeichnete, l\u00e4sst verlauten: \u201eWir sind mit einem gewissen Polizeiaufgebot da, um von Anfang an klarzumachen, wer hier als Sieger vom Platz geht.\u201c Es gehe darum, \u201eRegeln durchzusetzen, die f\u00fcr alle gelten\u201c. Nach seinen Worten sei der Einsatz aber \u201enicht politisch motiviert\u201c gewesen.
Polizeisprecher Wenzel rechtfertigte den Einsatz des schwerbewaffneten SEK dagegen mit der besonderen Gefahrenlage vor allem in der Rigaer Stra\u00dfe. Die eingesetzten Polizisten h\u00e4tten gesch\u00fctzt werden m\u00fcssen. \u201eWir wissen, dass das martialisch erscheint\u201c, so Wenzel. Allerdings geh\u00f6rten zum Beispiel Sturmgewehre sp\u00e4testens nach dem Terrorangriff am Breitscheidtplatz zur Grundausr\u00fcstung der Spezialkr\u00e4fte. \u201eWenn das SEK da ist, dann mit der ganzen Ausr\u00fcstung.\u201c Der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft GdP, Norbert Cioma, lobte die Polizei f\u00fcr einen \u201eprofessionellen Einsatz\u201c. \u201eEs sind nicht die Autonomen, die im Kiez das Handeln der Menschen bestimmen, sondern individuelles Denken und selbstst\u00e4ndige Entscheidungen bei Beachtung unserer demokratischen Grunds\u00e4tze.\u201c
\u201eLinksextrem\u201c, \u201ekriminell\u201c \u2013 was noch?
Wie kommt es nun zu dieser sprachlichen Verschiebung von einem \u201elinksextremistischen\u201c zu einem \u201ekriminellen Milieu\u201c? Soll damit eine Entpolitisierung der Rigaerstra\u00dfe und eine Entsolidarisierung mit der linken Szene provoziert werden?
Die Frage ist dann auch, wie solch ein unverh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfiger Gro\u00dfeinsatz sonst bewertet werden soll, wenn nicht politisch \u2013 besonders in Anbetracht der Tatsache, dass es in Berlin t\u00e4glich zu \u00e4hnlichen Vorf\u00e4llen in Sp\u00e4tverk\u00e4ufen kommt, welche nicht solch eine Verfolgung und Diffamierung nach sich ziehen.
Es zeigt sich insgesamt, dass ein Unsicherheitsgef\u00fchl in Deutschland entstehen soll, um eine Aufr\u00fcstung und Ausweitung der Befugnisse der Polizei zu legitimieren. Dies geschieht laut der Zeitschrift Cilip B\u00fcrgerrechte und Polizei auf Grundlage dreier Ereignisse: \u201eerstens [...] der islamistische Terroranschlag auf einen j\u00fcdischen Supermarkt und die Diskothek Bataclan in Paris 2015, zweitens der LKW-Anschlag von Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016 sowie drittens der G20-Gipfel in Hamburg 2017.\u201c Mithilfe der Konstruierung einer Gefahr durch Terrorismus und der Gleichstellung von linksradikaler Politik mit der von extremen Rechten, sollen Grenzen verwischt werden. Pl\u00f6tzlich stehen Terrorverd\u00e4chtige, Faschisten, Linksradikale, Demonstrant*innen und auch kurdische Demokrat*innen auf einer Stufe und die Bek\u00e4mpfung Aller rechtfertigt die gleichen Mittel.
So existiert beispielsweise seit Sommer 2015 die sogenannte \u201eBeweissicherungs- und Festnahmeeinheit plus\u201c kurz BFE+, die neben Sturmgewehren auch mit dem Panzerfahrzeug \u201eSurvivor\u201c des R\u00fcstungskonzerns Rheinmetall ausgestattet ist, welches bei sogenannten Gefahrenlagen wie Terrorismus, Fu\u00dfball und Demonstrationen (siehe G20) eingesetzt wird. Und wieder geschieht eine abstruse Gleichstellung dreier unvergleichlicher Szenarien. Die BFE+ sollen eigentlich Einheiten spezialisierter Polizeikr\u00e4fte der deutschen Bundespolizei f\u00fcr die Terrorismusbek\u00e4mpfung sein, allerdings kritisiert der Polizeiwissenschaftler und Soziologe an der Akademie der Polizei Hamburg, Rafael Behr: \u201eDurch die neue Einheit bekommt die Polizei insgesamt ein milit\u00e4rischeres Gesicht\u201c, und: \u201eIch vermute, sie werden verst\u00e4rkt auch bei der Bek\u00e4mpfung der organisierten Kriminalit\u00e4t eingesetzt, zum Beispiel bei Razzien. Das ist ein sogenannter Spill-over-Effekt: Wenn man die neue Einheit schon mal hat, nutzt man sie.\u201c
In dem Zusammenhang ist es nat\u00fcrlich spannend, festzustellen, dass Geisel den Einsatz des SEK mit Sturmgewehren in der Rigaer94 damit legitimiert, dass es sich um kriminelle Gewaltt\u00e4ter handle.
Entpolitisierung und Entsolidarisierung als Taktiken der Faschisierung
Der Einsatz einer militarisierten Polizei soll durch die Kreierung von Feindbildern gerechtfertigt und zur Normalit\u00e4t werden, wodurch wir uns auf eine Faschisierung des Staates hinzubewegen. In Anbetracht der Einf\u00fchrung der neuen Polizeigesetze (PAG, PolG etc.) in anderen Bundesl\u00e4ndern, macht es f\u00fcr die Staatsgewalt Sinn, diesem schleichenden Prozess auch in Berlin den Weg zu ebnen.
Zusammenfassend l\u00e4sst sich feststellen, dass es bei den Wohnungsdurchsuchungen nat\u00fcrlich nicht um die Sicherung von Beweismaterial ohne politischen Hintergrund geht. Das Ganze reiht sich ein in eine fortw\u00e4hrende Bek\u00e4mpfung und Kriminalisierung linker Bewegungen. Die Entpolitisierung ist dabei nur eine weitere Strategie, um ein gewisses Bild zu schaffen \u2013 in der Hoffnung, dass sich die Gesellschaft entsolidarisiert. Die Rigaer94 fungiert nun einmal mehr als Symbol f\u00fcr eine ganze Bewegung, an der ein Exempel statuiert wird. Auch scheint hinsichtlich des gegen Ende dieses Jahres auslaufenden Vertrags der Liebig 34 ein klares Zeichen gesetzt zu werden. Dieser Einsatz kann auch als pr\u00e4ventive Einsch\u00fcchterung gegen jegliche Art von Widerstand gegen die R\u00e4umung verstanden werden.
Bei aller Kritik, die in letzter Zeit an Polizeieins\u00e4tzen und Repressionen laut wurde und der Sympathie und Beteiligung breiter Bev\u00f6lkerungsteile an widerst\u00e4ndiger Praxis (siehe G20, Hambacher Forst, Kurdistan Solidarit\u00e4t,...usw.) scheint es notwendig, die linke Szene mit milit\u00e4rischen Mitteln zu schw\u00e4chen, um die eigene Machtlosigkeit zu \u00fcberspielen.
Daher ist es wichtig, einer Entsolidarisierung von Teilen der Linken entgegenzuwirken und einen genaueren Blick auf die Argumentationsmuster von Polizei und Politik hinsichtlich der Versch\u00e4rfung von Befugnissen und Repression zu werfen und diese zu dekonstruieren.
Anmerkung:
Copyrights f\u00fcr das Bild liegen bei PM Cheung. Wir danken f\u00fcr die Nutzung!
Quellenverweise:
Cilip B\u00fcrgerrechte und Polizei, Narrative der Militarisierung: Zum Verh\u00e4ltnis von Wirtschaft und Polizei auf dem europ\u00e4ischen Polizeikongress, 14. August 2018.
"BFE+: Die Polizei spielt Krieg", ZEIT vom 16. Dezember 2015.
"Polizei und SEK st\u00fcrmen Haus in der Rigaer Stra\u00dfe", B. Z. vom 15. November 2018.