Ein Jahr rechtskonservative Regierung in Italien \u2013 es braucht Linke Antworten!
\nEnde November 2018 erlie\u00df die rechtskonservative Regierung Italiens ein Sicherheitsgesetz, das die Asylpolitik des s\u00fcdeurop\u00e4ischen Landes umpfl\u00fcgte. Mit unerbittlicher H\u00e4rte geht der neue Innenminister Matteo Salvini gegen Migrant*innen vor. Er schlie\u00dft H\u00e4fen, schafft den humanit\u00e4ren Fl\u00fcchtlingsstatus ab und schr\u00e4nkt die Aufenthaltsrechte ein. Europa soll bewiesen werden, dass Italien nicht mehr bereit ist, seine Rolle als Erstaufnahmeland im unausgewogenen Dublin-Abkommen zu \u00fcbernehmen. Und die Migrant*innen zahlen den Preis dieser rassistischen Politik.
F\u00fcr viele Arbeiter*innen war das Wahlversprechen eines Grundeinkommens des heute amtierenden Arbeitsministers Luigi Di Maio (Movimento Cinque Stelle, MS5) eine gro\u00dfe Hoffnung. Er sicherte sich mit diesem Versprechen vor allem die Stimmen im armen S\u00fcden Italiens. Vor dem Hintergrund der hohen Staatsverschuldung und einem Budgetstreit mit der EU wird schnell klar, dass Di Maio sein Versprechen nicht halten kann und sich schon der n\u00e4chste Angriff auf die Arbeitsbedingungen abzeichnet.
In dieser Gemengelage ist eine linke Opposition und die Verteidigung basaler Rechte der Migrant*innen und Arbeiter*innen unabdingbar. Doch auf parteipolitischer Ebene ist die Linke tot. Der Partito Democratico (PD) hat unter Matteo Renzis neoliberaler Agenda seine Glaubw\u00fcrdigkeit bei der arbeitenden und jungen Bev\u00f6lkerung seit langem verloren. Und weiter Links ist alles zersplittert. Deshalb war es in den letzten Wahlen der M5S, auf den die unteren Klassen setzten. Nach einem Jahr Koalitionsregierung von MS5 und LEGA ist aber auch diese Hoffnung entt\u00e4uscht. In dieser W\u00fcste setzen einige auf die B\u00fcrgermeister aus Neapel, Palermo, Florenz und anderen St\u00e4dten, die ihre oppositionelle Haltung gegen die Politik der Zentralregierung kundtun. Doch ihnen sind in vielen wichtigen Entscheidungen politisch und juristisch die H\u00e4nde gebunden und ihre Opposition bleibt daher ein Lippenbekenntnis. Es sind vor allem die Basisbewegungen in den St\u00e4dten, die f\u00fcr Ver\u00e4nderung k\u00e4mpfen. Italien braucht eine neue Linke, das ist klar.
Bei den Wahlen am 4. M\u00e4rz 2018 tauchte die neue kommunistische Bewegung Potere al Popolo (PaP) auf. Trotz magerem Wahlresultat ist sie unterdessen zu einer nationalen Bewegung angewachsen. Vor einem Jahr hat unsere Autorin Maja Tschumi mit dem Aktivisten Maurizio aus Neapel \u00fcber PaP gesprochen.
Maja [re:volt]: Was ist unterdessen passiert? Wie sind die aktuellen politischen Verh\u00e4ltnisse in Italien aus linker und marxistischer Perspektive einzusch\u00e4tzen und wie positioniert sich darin \u2013 strategisch und politisch \u2013 Potere al Popolo?
Maurizio [PaP]: Das neue Sicherheitsdekret hat in Italien das Asylrecht stark angegriffen. Bisher gab es drei Wege f\u00fcr eine Person, in Italien Asyl zu beantragen: 1. der internationale Schutz, 2. der subsidi\u00e4re Schutz welcher dann vergeben wird, wenn zwar die pers\u00f6nlichen Verfolgungskriterien nach der Genfer Konvention nicht bestehen, jedoch dem*der Asylsuchenden im Herkunftsland ein schwerer Schaden drohen w\u00fcrde, und 3. der humanit\u00e4re Schutz. Der humanit\u00e4re Schutz wurde jenen gew\u00e4hrt, die zwar nicht beweisen konnten, dass sie pers\u00f6nlich verfolgt wurden, eine R\u00fcckf\u00fchrung in ihr Herkunftsland aber wegen Unzumutbarkeit der dortigen Lage oder eines fehlenden R\u00fcckf\u00fchrungsvertrages zwischen Italien und dem Herkunftsland unm\u00f6glich ist. Diesen humanit\u00e4ren Fl\u00fcchtlingsstatus hat das neue Sicherheitsgesetz abgeschafft. Folglich werden rund 40'000 Gefl\u00fcchtete diesen Status verlieren, und damit auch das Recht, in Notunterk\u00fcnften zu wohnen und ihren Aufenthalt zu verl\u00e4ngern. Kurzum: sie werden obdachlos und illegalisiert.
Dem neuen Sicherheitsgesetz zufolge kann sich eine gefl\u00fcchtete Person nur noch dann beim Einwohnermeldeamt einschreiben und also Residenz beantragen, wenn sie in einer Auffangstruktur lebt, den sogenannten SPRAR (Servizi Protezione Richiedenti Asilo e Rifugiati, deutsch: Dienste Schutz von Asylsuchenden und Gefl\u00fcchtete) oder CAS (Centri di Accoglienza Straordinaria, deutsch: Zentren der au\u00dferordentlichen Zuflucht). Das schr\u00e4nkt den Bewegungsradius und den Handlungsspielraum dieser Menschen massiv ein.
Das Sicherheitsgesetz von Salvini betrifft aber nicht nur Migrant*innen, sondern auch die Rechte der italienischen Bev\u00f6lkerung. So werden zum Beispiel Stra\u00dfenblockaden im Rahmen politischer Demonstrationen k\u00fcnftig mit bis zu zwei Jahren Gef\u00e4ngnis bestraft. Besetzungen von H\u00e4usern zu Wohnzwecken werden kriminalisiert.
Im Kontext der Schlie\u00dfung der H\u00e4fen f\u00fcr Fl\u00fcchtlingsschiffe haben sich verschiedene B\u00fcrgermeister Italiens dem Sicherheitsgesetz politisch entgegengestellt und versuchen \u00fcber gerichtliche Urteile das Gesetz auszuhebeln. Es sei verfassungswidrig und versto\u00dfe gegen die Menschenrechte. So zum Beispiel der B\u00fcrgermeister von Palermo, Leoluca Orlando vom PD und der B\u00fcrgermeister De Magistris von Neapel.
Das sind die Gr\u00fcnde, warum in linken Kreisen im Ausland das Bild der \u201erebellischen B\u00fcrgermeistern\u201c aufkommt, und dass die neue Opposition gegen die Zentralregierung also vor allem aus den Kommunen komme.
Nat\u00fcrlich sind die B\u00fcrgermeister auf diskursiver Ebene ein wichtiger Gegenpol zur rassistischen Rhetorik Salvinis. Doch Basisaktivist*innen in den jeweiligen St\u00e4dten k\u00e4mpfen schon seit Jahren gegen den politischen Unwillen der kommunalen Verwaltungen, die Lebens- und Arbeitssituation von Migrant*innen und Gefl\u00fcchteten zu verbessern. De Magistris aus Neapel hat schon zwei Mal mit der Ank\u00fcndigung reagiert, den Hafen von Neapel f\u00fcr die Aquarius und die Sea Watch zu \u00f6ffnen, doch konkret passierte nie etwas. Warum? Einerseits unterstehen die H\u00e4fen dem nationalen Infrastrukturministerium. Andererseits ist die Infrastruktur der Stadt heute nicht in der Lage, Gefl\u00fcchtete aufzunehmen und ihnen eine Perspektive zu geben. De Magistris k\u00f6nnte allerdings mit einer einfachen kommunalen Weisung die Schwierigkeiten im Einwohnermeldeamt l\u00f6sen, wo Migrant*innen immer noch diskriminierend behandelt werden und oft keine Residenz erhalten. Doch seine Politik hinkt auch hier weit hinterher. Die Glorifizierung des munizipalistischen Ansatzes der \u201erebellischen B\u00fcrgermeister\u201c macht deshalb meiner Meinung nach politisch wenig Sinn. Wichtiger ist es, die zivilgesellschaftliche Aktivierung, die eine solche Rhetorik tats\u00e4chlich erm\u00f6glicht, zu organisieren und gleichzeitig mit einer Kontrolle von unten die Missst\u00e4nde der kommunalen Politik und ihre Umsetzung in den \u00f6ffentlichen \u00c4mtern anzuprangern. Denn nach wie vor sind es in erster Linie die Basisbewegungen in den St\u00e4dten, die f\u00fcr die Verbesserung der Lebensbedingungen von Gefl\u00fcchteten und Obdachlosen k\u00e4mpfen.
Maja [re:volt]: Kann man die Politik des B\u00fcrgermeisters Mimmo Lucano in Riace, der f\u00fcr seine Fl\u00fcchtlingspolitik von der italienischen Regierung unter Hausarrest gestellt wurde, nicht als positives Beispiel verstehen?
Maurizio [PaP]: In der Tat ist Riace ein Beispiel, dass die M\u00f6glichkeit einer anderen Migrations- und Zufluchtspolitik aufzeigt. Riace verfolgt allerdings ein Projekt in puncto Migrationspolitik, das bereits in den 90er Jahren entstanden ist. Mimmo Lucano ist ein Genosse, der seit Jahrzehnten die Fl\u00fcchtlingspolitik anders pr\u00e4gte. Es begann mit der Aufnahme kurdischer Fl\u00fcchtlinge. Aber auch die Politik Lucanos muss man in einem gr\u00f6\u00dferen Kontext verstehen. In vielen D\u00f6rfern S\u00fcditaliens gibt es praktisch keine Arbeit mehr und die Jungen wandern in den Norden des Landes aus. Viele D\u00f6rfer sind regelrecht vom Aussterben bedroht \u2013 so auch Riace. Diese andere Zuwanderungspolitik war und ist auch ein Weg, das Dorf wiederzubeleben. Das betrifft nicht nur eine andere Migrations- und Zufluchtspolitik, sondern auch die Frage der solidarischen \u00d6konomie. So hat Mimmo Lucano beispielsweise die lokale M\u00fcllabfuhr an eine lokale Kooperative vergeben \u2013 weit weg von krimineller Infiltration und multinationalen Interessen. Daf\u00fcr wurde er dann auch gerichtlich verurteilt und kann zurzeit nicht in Riace leben. Es ist nat\u00fcrlich klar, dass es sich hier um einen Angriff auf das Modell Riace handelt.
In einem Interview hat Mimmo Lucano auch die Grenzen seiner Rebellion unterstrichen und ist in einer politischen Perspektive viel weitsichtiger als die meisten \u201erebellischen B\u00fcrgermeister\u201c und ihre Anh\u00e4nger*innen. So \u00e4u\u00dferte Mimmo unter anderem: \u201eDie Unmenschlichkeit gewinnt immer mehr die Oberhand und Salvini ist nur die Spitze des Eisbergs einer abdriftenden Gesellschaft. Die rebellischen B\u00fcrgermeister repr\u00e4sentieren einen Moment des Stolzes derjenigen, die sich weigern, Komplizen zu sein. Es reicht jedoch nicht, sich auf die Konfrontation zu beschr\u00e4nken: Wir m\u00fcssen eine politische und soziale Opposition schaffen und uns nicht nur darauf beschr\u00e4nken, zu sagen, dass wir nicht einverstanden sind.\u201c
Maja [re:volt]: Potere al Popolo (PaP) ist ja gerade eine Organisation verschiedener Basisbewegungen, die in Neapel und anderen St\u00e4dten Italiens aktiv sind. Am 4. M\u00e4rz 2018 beteiligte sich PaP an den nationalen Wahlen. Wie hat sich die Bewegung seit dem M\u00e4rz 2018 entwickelt? Was ist eure Antwort auf das Vakuum der Linken und die autorit\u00e4re Politik in Italien?
Maurizio [PaP]: Nach dem 4. M\u00e4rz dauerte es rund zwei Monate, bis die Regierung gebildet werden konnte. Sie war ein Kompromiss zwischen Di Maio (MS5, st\u00e4rkste Partei) und Salvini (Lega, zweitst\u00e4rkste Kraft). Meiner Meinung nach handelte es sich von Anfang an um einen wackligen Kompromiss: Die M5S war die Partei mit dem besten Wahlergebnis, doch Salvini und die Lega waren die tats\u00e4chlichen Gewinner, da sie von Beginn an den Takt vorgeben. Die anf\u00e4ngliche Dominanz des MS5 wurde durch eine zunehmende Dominanz der Lega und ihrem Aush\u00e4ngeschild, dem jetzigen Innenminister Salvini, abgel\u00f6st, der vor allem in Sachen Sicherheits- und Migrationspolitik die Stimmung anheizt. Die M5S wirkt dagegen wie ein F\u00e4hnchen im Wind und passt sich letztendlich sehr oft den Bed\u00fcrfnissen der Lega an.
Das hat auch Konflikte innerhalb der M5S verst\u00e4rkt, unter deren Banner auch \u201eLinke\u201c organisiert sind und gew\u00e4hlt wurden. Tats\u00e4chlich hatten sich einige Parlamentarier*innen der M5S gegen das neue Sicherheitsgesetz aufgelehnt. Doch sie haben die parteiinterne Auseinandersetzung verloren und konnten nichts bewirken. Als dann aber nach langem Ringen im italienischen Parlament und auch zwischen der italienischen Regierung und der Europ\u00e4ischen Union Ende 2018 das Haushaltsbudget verabschiedet wurde, stellten sich erneut einige Parlamentarier*innen der M5S quer und stimmten dagegen. F\u00fcnf Senator*innen wurden aus dem MS5 ausgeschlossen und die Regierung hat im Senat nur noch eine knappe Mehrheit.
Die italienische Regierung ist also weit weniger stabil als sie nach au\u00dfen den Eindruck vermitteln will. Es ist unklar, ob sie weitere vier Jahre durchh\u00e4lt.
Auch wenn PaP bei den nationalen Wahlen 2018 nur 1,1 Prozent geholt hat, ist dies in Anbetracht der jungen Existenz und des neuen Charakters von PaP ein zufriedenstellendes Resultat. PaP zeichnet sich durch einen doppelten Charakter aus. Das Projekt basiert auf den zahlreichen mutualistischen Solidarstrukturen in den italienischen St\u00e4dten, in den Quartieren und Provinzen. Gleichzeitig versucht PaP ihr politischer Ausdruck und ihre politische Organisation auf nationaler Ebene zu sein. Eine Bewegung mit diesem Doppelcharakter aufzubauen ist eine gro\u00dfe Herausforderung, aber in unseren Augen zurzeit die einzige M\u00f6glichkeit, in Italien eine legitime linke Alternative mit Klassencharakter aufzubauen. Das braucht Zeit, das braucht eine gute Verankerung in den Regionen, Gemeinden und Kommunen Italiens. Kurzum: es braucht eine stetige und langfristige Basisarbeit, eine \u201elangsame Ungeduld\u201c wie das der verstorbene franz\u00f6sische Philosoph und Kommunist Daniel Bensa\u00efd bezeichnete.
Nachdem wir es am 4. M\u00e4rz 2018 nicht ins Parlament geschafft haben \u2013 die Einstiegsh\u00fcrde liegt bei 3 Prozent \u2013 konzentrierten wir uns auf die St\u00e4rkung der territorialen Strukturen und auf den Aufbau einer handlungsf\u00e4higen politischen Organisation. Es gab es innerhalb von PaP zwei verschiedene Haltungen unserer \u201ehistorischen Aufgabe\u201c.
Auf der einen Seite gab es jene Kr\u00e4fte, die PaP als Plattform oder Netzwerk ohne eigene Autonomie, sondern als Summe der bestehenden Organisationen (Ex Opg/Clash City Workers, Rete dei Comunisti/Eurostop, Rifondazione Comunista und Sinistra anticapitalista) verstanden. Dieser Position (Rifondazione Comunista, Sinistra Anticapitalista) zufolge sollten politische Entscheide weiterhin in den Organisationen diskutiert und unter dem Schirm von PaP zu einem Kompromiss gebracht werden. PaP dient ihnen zufolge als neues Sozialforum in der Tradition der globalisierungskritischen Bewegung.
Auf der anderen Seite gab es jene Kr\u00e4fte (Ex Opg/Clash City Workers, Rete dei Communisti/Eurostop), die sich darauf beriefen, dass PaP vor allem durch den Aufruf von Basisaktivist*innen entstanden ist, die bis dahin kein \u201epolitisches zu Hause\u201c hatten, weil sie sich nicht in der alten linken Politik und den alten linken Parteien Italiens wiedererkennen konnten. Diese Position versteht PaP als breites Netzwerk von Basisaktivist*innen und Basisbewegungen, die in einer Organisation zusammenkommen. Es geht ihnen darum, ein eigenes neues politisches Projekt aufzubauen mit eigenen politischen Strukturen und eigenen Entscheidungsgremien.
Infolge dieses Konflikts kam es zum Austritt von Rifondazione Comunista und Sinistra Anticapitalista. Dieser Austritt ist politisch nicht einfach zu verarbeiten, hat PaP meiner Meinung nach aber in Sachen politischer Klarheit auch gest\u00e4rkt.
Seit gut drei Monaten haben wir nun eine nationale Koordination von 80 Personen, 60 davon sind Repr\u00e4sentant*innen der territorialen Versammlungen und 20 sind Aktivist*innen, die PaP von Anfang an mitgepr\u00e4gt haben. Die nationale Koordination trifft sich einmal pro Monat und diskutiert grunds\u00e4tzliche politische Themen, Kampagnen und Mobilisierungen. Die Diskussionen werden dann in die territorialen Versammlungen zur\u00fcckgetragen. \u00dcber zentrale Entscheidungen wird schlie\u00dflich auf einer digitalen Plattform abgestimmt, zu der alle Mitglieder von PaP Zugang haben. Trotz einer gewissen Zentralisierung der Organisation behalten die territorialen Versammlungen viel politische Entscheidungsmacht.
Maja [re:volt]: Worin liegt die gewonnene politische Klarheit?
Maurizio [PaP]: In den letzten 30 Jahren wechselten sich Mitte-Rechts und Mitte-Links-Regierungen ab und lieferten sich einen \u201eWettstreit\u201c, wer die schwerwiegenderen, neoliberalen Angriffe auf die Rechte der Arbeiter*innen umsetzen konnte. Heute ist das Wort \u201esinistra\u201c (links) in Italien derart ausgeh\u00f6hlt, dass man sich nicht mehr darauf berufen kann, ohne in die gleiche Ecke gedr\u00e4ngt zu werden wie der Partito Democratico (PD), der historisch aus der Kommunistischen Partei Italiens gewachsen ist. Wir wollen gerade nicht die Scherben einer ehemaligen Linken zusammenkehren. Wir wollen eine politische Kraft sein, die sich entschieden gegen die herrschende Politik stellt und wieder eine kommunistische Gesellschaftsperspektive er\u00f6ffnet. Daf\u00fcr m\u00fcssen wir auch das historische Versagen der Linken betonen und auf diese Bezeichnung verzichten.
Maja [re:volt]: Ihr macht also wieder unter dem Begriff \u201e Kommunismus\u201c Politik.
Maurizio [PaP]: Nat\u00fcrlich ist im Jahre 2019 auch dieser Begriff nicht unproblematisch, wenn er nicht kontextualisiert und genau definiert wird. Wir sind gezwungen, einen ideologischen Kampf zu f\u00fchren und dem Begriff einen klaren Inhalt zu geben: Kampf gegen soziale Ungleichheit, f\u00fcr eine menschliche Migrationspolitik, f\u00fcr die St\u00e4rkung der Rechte der Arbeiter*innen etc. Wenn es also darum geht sich zu positionieren, bezeichnen wir uns auf jeden Fall viel eher als Kommunist*innen, denn als Linke. Offen gesagt arbeiten wir aber auch mit diesem Begriff wenig nach au\u00dfen hin. Wir versuchen uns eher auf unsere Basisaktivit\u00e4ten zu konzentrieren und das ins Zentrum zu r\u00fccken, was wir t\u00e4glich in unserer sozialen und politischen Arbeit tun.
Maja [re:volt]: Was sind heute die zentralen politischen Themen von PaP?
Maurizio [PaP]: Ausgehend von unserer allt\u00e4glichen Arbeit in den Regionen w\u00fcrde ich zusammenfassend drei Themen in den Vordergrund stellen.
Erstens die Umverteilung des Reichtums. Italien zeichnet sich durch eine unglaublich gro\u00dfe Ungleichheit aus. Das gilt sowohl in Bezug auf soziale Klassen, als auch geografisch zwischen dem Norden und dem S\u00fcden. Umverteilungspolitik bedeutet in diesem Kontext z.B. eine progressivere Besteuerung von Kapitaleinkommen einzuf\u00fchren, aber gleichzeitig auch Investitionen f\u00fcr den Ausbau sozialer Dienste, Infrastrukturen und \u00f6kologischen Industrien im S\u00fcden.
Zweitens die St\u00e4rkung der Arbeit und der Arbeiter*innenrechte. Seit Mitte der 80er Jahre hat die Arbeiter*innenklasse und ihre Organisationen fast tatenlos der Deregulierung der Arbeit zugesehen, z.B. bei der Einf\u00fchrung des Jobs Act, d.h. der Flexibilisierung der Anstellungsbedingungen. Neben den Forderungen, die in den von uns unterst\u00fctzten einzelnen Arbeitsk\u00e4mpfen formuliert werden \u2013 z.B. Kampf gegen die Externalisierung von \u00f6ffentlichen Jobs, die Einschr\u00e4nkung der befristeten Arbeit, etc. \u2013 ist in unseren Augen folgende Forderung zentral: Weniger Arbeit f\u00fcr jeden Einzelnen, daf\u00fcr sichere Arbeit f\u00fcr alle. Das scheint uns die einzig realistische Ma\u00dfnahme zu sein gegen die Arbeitslosigkeit der Jugend, gegen die weit verbreitete Prekarit\u00e4t und Irregularit\u00e4t der Arbeit und gegen die stetige Erh\u00f6hung des Rentenalters.
Drittens setzen wir uns f\u00fcr eine solidarische und menschliche Migrations- und Zufluchtspolitik ein. Das bedeutet neben F\u00fcrsorge, die migrantischen Arbeiter*innen als Teil der Klasse zu verstehen und sich mit ihnen zu organisieren. Immigration und Emigration muss in Italien zusammen gedacht werden. Denn gerade der S\u00fcden Italiens erlebt eine massive Auswanderung von jungen Arbeiter*innen. In den letzten 15 Jahren haben zwei Millionen Menschen den S\u00fcden des Landes verlassen. Das sind durchschnittliche Zahlen, welche sogar diejenigen der gro\u00dfen Auswanderungswellen der Nachkriegszeit \u00fcbertreffen.
Maja [re:volt]: Du sprichst von Umverteilungspolitik. Inwiefern folgt ihr dabei einer kommunistischen \u2013 und nicht vielmehr reformistischen \u2013 Agenda? Denn eine Umverteilungspolitik zielt ja nicht in erster Linie auf die Abschaffung kapitalistischer Produktionsverh\u00e4ltnisse ab.
Maurizio [PaP]: Die kapitalistischen Produktionsverh\u00e4ltnisse abzuschaffen ist ganz klar unser Ziel. Doch auf den Tag X zu warten scheint uns politisch wenig interessant und noch weniger realistisch. Wenn wir zum Beispiel einen Streik mit der Forderung begleiten, dass wir die Produktionsverh\u00e4ltnisse abschaffen wollen, dann klingt das zwar ganz nett, geht aber kaum auf die unmittelbaren Bed\u00fcrfnisse der Streikenden ein. Es braucht Zwischenschritte, also eine Art Minimalprogramm, welches rund um die gro\u00dfen sozialen und politischen Themen entwickelt wird. Sowohl f\u00fcr die Arbeiter*innenbewegung wie auch f\u00fcr eine politische Organisation wie PaP ist es fundamental, \u201ekleinere\u201c K\u00e4mpfe zu k\u00e4mpfen, um \u00fcberhaupt wieder die Perspektive zu erreichen, die Produktionsverh\u00e4ltnisse umsto\u00dfen zu k\u00f6nnen.
Ganz in der Tradition von Rosa Luxemburg w\u00fcrde ich behaupten, dass beide K\u00e4mpfe notwendig sind. Mit dem Kampf um demokratische Rechte und mit ihrer Aus\u00fcbung k\u00f6nnen die Arbeiter*innen zum Bewusstsein ihrer Klasseninteressen kommen. Wir kommen nicht schrittweise, Reform f\u00fcr Reform, zur Revolution. Vielmehr sind diese K\u00e4mpfe und Kampagnen f\u00fcr uns die M\u00f6glichkeit von materiellen Verbesserungen f\u00fcr die Arbeiter*innen im Hier und Jetzt. Dar\u00fcber hinaus sind sie ein \u00dcbungsfeld hinsichtlich Solidarit\u00e4t mit den K\u00e4mpfenden, Untersuchung zur Lage des sozialen und politischen Subjekts, Organisierung der Arbeiter*innen und Massen. Erst wenn wir K\u00e4mpfe k\u00e4mpfen und gewinnen, wird eine revolution\u00e4re Perspektive allgemein wieder erkennbar.
Maja [re:volt]: Wie sch\u00e4tzt ihr die aktuellen Arbeitspolitik von Di Maio ein und was ist eure Antwort darauf?
Maurizio [PaP]: Der Arbeitsminister Di Maio stammt selbst aus der Region um Neapel, und zwar aus Pomigliano d\u2019Arco, einer ehemaligen Fiat-Hochburg. In den 80er und 90er Jahren erlebte S\u00fcditalien, das der Industrialisierung im Norden bereits hinterherhinkte, eine massive Deindustrialisierung. Wichtige Fabriken wurden abgebaut \u2013 Fiat auf Sizilien, Italsider im neapolitanischen Bagnoli, zahlreiche kleinere Produktionsst\u00e4tten etc. Bis heute stagniert im S\u00fcden die \u00f6konomische Entwicklung, obwohl in vielen Gebieten die Industrie durch Dienstleistungsbetriebe ersetzt worden ist. Doch in Call Centern beispielsweise ist die Arbeitsproduktivit\u00e4t niedriger und somit die Ausbeutung der Arbeitskraft gr\u00f6\u00dfer. Tats\u00e4chlich herrschen dort haarstr\u00e4ubende Arbeitsbedingungen: unbefristete Vertr\u00e4ge \u00e0 gogo, extrem tiefe L\u00f6hne, teilweise 600 Euro f\u00fcr eine Vollzeitstelle, lange Arbeitszeiten.
Di Maio und mit ihm die MS5 haben die politische Hegemonie vor allem in S\u00fcditalien aufgebaut, unter anderem mit dem Versprechen eines Grundeinkommens (reddito di cittadinanza). W\u00e4hrend des Wahlkampfs hie\u00df das noch: jede*r B\u00fcrger*in erh\u00e4lt 780 Euro im Monat, unabh\u00e4ngig, ob er*sie arbeitet oder nicht. In Italien leben rund 1,8 Millionen arme Familien, das sind \u00fcber 5 Millionen Menschen. Nach den Wahlen wurde schnell klar, dass dieses Versprechen mit dem gegebenen Haushaltsbudget nicht umsetzbar ist. Der Streit um das Haushaltsbudget und das Austerit\u00e4ts-Diktat der Europ\u00e4ischen Union kam versch\u00e4rfend hinzu. Das daf\u00fcr versprochene Budget ist viel zu klein. Au\u00dferdem fehlt die Infrastruktur, d.h. die Arbeits\u00e4mter sind technologisch unterversorgt und personell unterbesetzt. Das f\u00fchrte zu zahlreichen Anpassungen, die die Idee eines Grundeinkommens pervertierten. Das \u201eGrundeinkommen\u201c, wie es schlussendlich gesetzlich verankert wurde, ist nun eine Finanzierung von privaten Unternehmen, da diese bei Anstellung einer arbeitslosen Person bis zu 18 Monaten in den Genuss von Steuererleichterung kommen. Es ist eine Art workfare Armenhilfe, weil es in das System der Sozialhilfe (reddito d'inclusione) integriert wird und die Armutsbetroffenen zwingt, jegliche Arbeit anzunehmen. Schlie\u00dflich ist es diskriminierend gegen\u00fcber Migrant*innen, da sie erst nach 10 Jahren regul\u00e4rem Aufenthalt eine Anfrage f\u00fcr das \u201eGrundeinkommen\u201c einreichen k\u00f6nnen. Das ist eine Politik f\u00fcrs Kapital, nicht f\u00fcr die Arbeiter*innen.
Maja [re:volt]: Ein gro\u00dfes Problem im S\u00fcden ist auch die Schwarzarbeit. Gerade in der Landwirtschaft h\u00f6ren wir ja immer wieder von den sklavenartigen Arbeitsbedingungen f\u00fcr Migrant*innen...
Maurizio[PaP]: Man muss differenzieren. In den urbanen Zentren und St\u00e4dten sind es vor allem junge, gut ausgebildete italienische Arbeiter*innen in der Gastronomie und im Tourismus, die von Schwarzarbeit betroffen sind. Migrantischen Arbeiter*innen findet man eher im Bereich der privaten Hausarbeit (Arbeiter*innen aus Osteuropa, Bangladesch, Sri Lanka) und der Landwirtschaft (Arbeiter*innen aus Schwarzafrika). Schwarzarbeit ist in Italien also nicht ein spezifisch migrantisches Problem, sie betrifft alle Proletarisierten. Doch auf dem ausdifferenzierten und segregierten Arbeitsmarkt gibt es kaum Begegnungsmomente zwischen italienischen und migrantischen Arbeiter*innen im Produktionsprozess selbst \u2013 besonders im S\u00fcden. F\u00fcr die Erarbeitung einer neuen solidarischen und antirassistischen Klassenpolitik und die Verbindung verschiedener K\u00e4mpfe ist das eine hohe H\u00fcrde. Wir sind \u00fcberzeugt, dass es neue gewerkschaftliche Strukturen braucht, die nicht nur betrieblich, sondern territorial organisiert sind. Als politischen Organisation m\u00fcssen wir K\u00e4mpfe verbinden und Orte schaffen, an denen sich Schwarzarbeiter aus verschiedenen Sektoren treffen und organisieren k\u00f6nnen.
Maja [re:volt]: Ist das nicht eben klassischerweise die Aufgabe von Gewerkschaften?
Maurizio [PaP]: In Italien haben die gro\u00dfen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL, wie fast \u00fcberall in Europa, an Legitimit\u00e4t verloren. Die verbleibenden Mitglieder sind mehrheitlich Rentner*innen. Das entspricht zwar dem Bild einer alternden Gesellschaft in Italien, es zeigt aber auch die Unf\u00e4higkeit der traditionellen Gewerkschaften, auf die aktuellen Probleme der Arbeiter*innen eine Antwort zu geben. In den letzten zehn Jahren sind daher die Basisgewerkschaften, wie beispielsweise die S.I. Cobas im Logistiksektor Norditaliens und die Unione sindacale di base USB auf den Feldern S\u00fcditaliens st\u00e4rker geworden. Sie sind heute der eigentliche Ort der Organisierung der migrantischen Arbeiter*innen.
Junge Arbeiter*innen, die schwarz arbeiten, organisieren sich \u00fcber die Strukturen von Basisbewegungen wie PaP. Die Anlaufstelle f\u00fcr Arbeiter*innen Camera Popolare del Lavoro z.B. verfolgt einen \u00e4hnlichen Ansatz, wie die Basisgewerkschaften. Im letzten Jahr wurde eine Kampagne gegen Schwarzarbeit (v.a. in Tourismus und Gastronomie) gefahren. Diese erstreckte sich von Demonstrationen bis Arbeitsklagen. Die Forderungen drehten sich dabei meist um eine bessere Entlohnung, die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeitr\u00e4gen, die Ausstellung eines Arbeitsvertrages und die systematische Bestrafung von Unternehmen, die Arbeiter*innen schwarz anstellen. Es handelt sich um wichtige Momente der Organisierung dieser neuen Formen der Arbeit.
Maja [re:volt]: Du hast vorhin die Klassenspaltung durch Rassismus angesprochen. Eine andere gro\u00dfe Spaltung unter rechtskonservativen Regierungen ist der Angriff auf die Rechte, die Freiheit und die k\u00f6rperliche Unversehrtheit von Frauen* in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz. Das Erstarken feministischer Bewegungen in den letzten Jahren zeigt, dass den feministischen K\u00e4mpfen im Kampf gegen rechtskonservative und autorit\u00e4re Tendenzen eine zentrale Rolle zukommt. Gibt es ein feministisches Programm bei PaP?
Maurizio [PaP]: PaP konzentriert sich im politischen Kampf stark auf die Rolle der Frauen*. PaP beteiligt sich an der Bewegung Non una die meno (dt. \u201eNicht eine weniger\u201c), die neben Argentinien und Spanien auch in Italien sehr stark ist. Non una di meno ist keine homogene Bewegung. Unterschiedliche Sensibilit\u00e4ten und theoretische Perspektiven sind darin enthalten. Wir versuchen die Perspektive zu st\u00e4rken, die den feministischen Kampf mit dem Klassenkampf verbindet.
Politisch geht es darum, grundlegende Rechte der Frauen zu verteidigen, so beispielsweise das Abtreibungsrecht. Obwohl von Gesetzes wegen die \u00f6ffentlichen Krankenh\u00e4user eine Abtreibung vornehmen m\u00fcssen, gibt es heute noch zahlreiche \u00c4rzte, die sich aus moralischen Gr\u00fcnden weigern. Das erh\u00f6ht die Wahrscheinlichkeit, dass solche medizinischen Eingriffe illegal und unkontrolliert gemacht werden \u2013 mit erh\u00f6htem Risiko f\u00fcr die betroffenen Frauen. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Forderung nach gleichem Lohn f\u00fcr gleiche Arbeit, da Italien im internationalen Vergleich bez\u00fcglich Lohnunterschieden zwischen Frauen* und M\u00e4nnern laut Gender Gab Report 2017 auf Platz 82 von 144 liegt. Im Jahr 2015 stand Italien noch auf Platz 50.
Die aktuelle Regierung betreibt eine Politik, die ideologisch das Bild der Frau* als Produzentin von Kindern und als dem Mann unterstellt st\u00e4rkt. Es wurde mit dieser Regierung ein Ministerium f\u00fcr Familienpolitik gegr\u00fcndet und ein Gesetz verabschiedet, welches verheirateten Frauen* beim dritten Kind ein St\u00fcck Land zuweist. Diese sexistische und patriarchale Politik ist kaum zu \u00fcbertreffen. Auch innerhalb der Organisation von PaP sollen Frauen* im politischen Prozess st\u00e4rker werden. Frauen* sind nicht nur verschiedentlich ausgebeutet, sondern auch zunehmend Protagonist*innen von K\u00e4mpfen. Das ist wichtig zu betonen und sichtbar zu machen. Darum ist es f\u00fcr uns auch wichtig, dass Viola Carofalo als prek\u00e4r arbeitende junge Frau aus dem S\u00fcden offizielle Sprecherin von PaP ist. Junge Frauen* sollen sich in unserer Organisation wiedererkennen k\u00f6nnen.
Maja [re:volt]: Habt ihr auch K\u00e4mpfe im Bereich Care-Arbeit?
Maurizio [PaP]: Care-Arbeit ist nicht nur weiblich, sondern vorwiegend auch migrantisch. Die K\u00e4mpfe in diesem Bereich konzentrieren sich vorwiegend auf den Erhalt eines regul\u00e4ren Arbeitsvertrages, der Zugang zu einer geregelten Aufenthaltsbewilligung erm\u00f6glicht. Es handelt sich hier allerdings meist um individuelle K\u00e4mpfe, die keinen kollektiven Charakter haben. Eine Ausweitung der staatliche Alterspflege ist f\u00fcr uns Grundvoraussetzung, um die Rechte der Frauen* innerhalb der Familie und der Arbeit zu st\u00e4rken. Denn in einem Land, in dem der \u201esocial welfare\u201c vorwiegend Familiensache ist, ist die Forderung nach geregelter Arbeit in diesem Bereich nicht nur eine soziale, sondern auch eine feministische Forderung.
Maja [re:volt]: Zu einem anderen Thema. PaP will sich an den kommenden Europawahlen am 26. Mai 2019 beteiligen. Warum? Wird dadurch nicht das Gewicht von der Basisarbeit erneut auf die politische Organisation verlagert?
Maurizio [PaP]: Wir befinden uns zurzeit noch im Entscheidungsprozess \u00fcber die Form, wie wir an den Europawahlen teilnehmen wollen. Zur Debatte steht, ob wir das als eigenst\u00e4ndige politische Kraft, oder auf der Basis eines klaren politischen Programms in Koalition mit anderen politischen Gruppierungen und Personen machen. Dass wir kandidieren steht fest, auch wenn die H\u00fcrde hoch ist. In Italien m\u00fcssen \u00fcber 150'000 Unterschriften gesammelt werden, um zu den EU-Wahlen antreten zu k\u00f6nnen. Eine Wahlkampagne stellt f\u00fcr uns aber in erster Linie eine M\u00f6glichkeit dar, PaP in weiteren Kreisen bekannt zu machen und unsere Themen zu platzieren. Wir stellen fest, dass die Debatte um das Haushaltsbudget und die soziale Frage auch innerhalb der Arbeiter*innenschaft in Zusammenhang mit den Richtlinien der EU und ihrer Austerit\u00e4tspolitik gef\u00fchrt wird.
Der aktuell herrschende Ultraliberalismus ruft nach autorit\u00e4ren Staaten, um seine Profitinteressen zu verteidigen. Der Europ\u00e4ismus, wie er von Merkel und Macron propagiert wird und der Souver\u00e4nismus von Orban und Salvini sind zwei Seiten derselben Medaille, die sich in dieser historischen Phase gegenseitig bedingen und befruchten. Die Dynamiken innerhalb der Konstituierung der Vereinigten Staaten Europas sind nicht linear, wir m\u00fcssen ihre Komplexit\u00e4t fassen und daraus resultierend unsere Position formulieren. Drei Themen k\u00f6nnten daf\u00fcr zentral sein:
Die Frage der Verschuldung und der R\u00fcckzahlung der Schulden. Aus linker Perspektive gibt es auch in Italien die populistische Forderung des Italexit und der Schaffung einer Union der mediterranen L\u00e4nder gegen das Diktat der starken \u00d6konomie Deutschland innerhalb der EU. Meiner Meinung nach wird aber das propagandistische Potential der Forderung nach einem EU-Austritt \u00fcberbewertet. Die EU ist ein institutioneller Kontext, den Italien nicht einfach mit einem Nein umgehen kann. Wenn es nicht die EU-Institutionen sind, die Austerit\u00e4tsprogramme durchboxen wollen, um die Schulden gegen\u00fcber den Banken zu zahlen, dann werden es andere internationale Institutionen wie der Internationalen W\u00e4hrungsfonds (IWF) sein. Ich finde es viel wichtiger den Slogan \u201eWir zahlen eure Schulden nicht\u201c stark zu machen und notfalls die EU zu zwingen, Italien aus der Union zu werfen. Das alles ist aber abh\u00e4ngig von der Kraft von progressiven sozialen und politischen Kr\u00e4ften innerhalb Italiens und Europas.
Die Fragen der Arbeit und der sozialen Rechte. Der Arbeitsmarkt ist nicht mehr national, sondern zunehmend europ\u00e4isch organisiert. Der Schengen-Raum ist jedoch kein homogener, sondern ein stark differenzierter Arbeitsmarkt, in dem unterschiedliche Grade der Ausbeutung vorherrschen. Das ist im Interesse aller Kapitalfraktionen innerhalb der EU. Wir m\u00fcssen daher auch K\u00e4mpfe unterst\u00fctzen und organisieren, die f\u00fcr die gleichen Rechte f\u00fcr alle Arbeiter*innen innerhalb der EU einstehen. Damit verbunden sind Fragen der Auslagerung von Arbeitspl\u00e4tzen in die sogenannten Niedriglohnl\u00e4nder ebenso wie Solidarit\u00e4t mit Arbeitsk\u00e4mpfen in anderen EU-L\u00e4ndern. Wenn es beispielsweise Arbeitsk\u00e4mpfe bei Fiat gibt, m\u00fcssen wir politische Kontakte zu Arbeiter*innen und Organisationen in die L\u00e4nder kn\u00fcpfen, wo Fiat unterdessen auch noch produziert, um sie \u00fcber die K\u00e4mpfe hier zu informieren. Auch die Frage der Garantie von sozialen Rechten ist grenz\u00fcberschreitend, also die Frage nach einem \u201eeurop\u00e4ischen Sozialstaat\u201c, f\u00fcr den und in dem wir K\u00e4mpfe organisieren k\u00f6nnen.
Das Thema Migration. Die Diskussion um die Zufluchtspolitik und gegen die Schlie\u00dfung der H\u00e4fen m\u00fcssen wir meiner Meinung nach um das Argument erg\u00e4nzen, dass Europa \u2013 vor allem in afrikanischen L\u00e4ndern \u2013 das neokoloniales Interesse verfolgt, Ressourcen anzuzapfen und Investitionen zu erh\u00f6hen, um f\u00fcr das europ\u00e4ische Kapital neue Profitm\u00f6glichkeiten zu schaffen. Unter anderem vor diesem Hintergrund muss man auch die Idee der Schaffung einer europ\u00e4ischen Armee betrachten. Vor einigen Wochen hat Deutschland erkl\u00e4rt, man werde die Armee ausbauen, um k\u00fcnftig eine zentrale Rolle auch in einer potentiellen europ\u00e4ischen Armee zu spielen. Das ist ganz klar als imperialer Moment in Konkurrenz mit anderen Gro\u00dfm\u00e4chten der Welt (China, Russland, USA) zu verstehen. Wir d\u00fcrfen uns also in puncto Migration nicht auf den Kampf um die Rechte der Migrant*innen beschr\u00e4nken. Antimilitaristische und antiimperialistische Positionen sind genauso wichtig, um der Gegen\u00fcberstellung von liberaler Willkommenskultur vs. autorit\u00e4rem \u201eHafen-Schliessen\u201c zu entkommen und die Diskussion wieder zu politisieren.
Maja [re:volt]: Was ist die Aufgabe im kommenden Jahr 2019?
Maurizio [PaP]: Neben den EU-Wahlen bleibt es f\u00fcr uns sehr wichtig, die Balance aufrecht zu erhalten zwischen Basisarbeit und dem Aufbau von regionalen, mutualistischen Solidarstrukturen auf der einen Seite und der St\u00e4rkung einer von der Basisarbeit ausgehenden und handlungsf\u00e4higen politischen Organisation auf der anderen Seite. PaP darf sich nicht ausschlie\u00dflich auf den Aufbau der politischen Organisation konzentrieren. Das birgt die Gefahr, sich von den Alltagskonflikten der Arbeiter*innen zu distanzieren. PaP soll vielmehr ein Instrument sein, um genau jenes soziale Terrain zur\u00fcck zu erobern, welches die Linke in den letzten Jahrzehnten verloren hat. Es ist also \u00e4u\u00dferst wichtig, dass PaP in den Bewegungen und der Lebens- und Arbeitsrealit\u00e4t der Proletarisierten verankert bleibt.