Ein Freiluftgef\u00e4ngnis am Rande Europas
\nAm 14. Juni 2018 versuchte ein junger Refugee arabischer\nHerkunft, sein Leben vor den Augen der Menschen zu beenden, die am zentralen\nHafen von Mytilini vorbeikamen. Er wurde von anderen Migrant_innen gerettet. Sie\nschafften es, einzugreifen und den jungen Mann noch rechtzeitig ins Krankenhaus\nzu bringen. Der junge Refugee hielt die faktische Gefangenschaft\nund die tragischen Lebensbedingungen im Fl\u00fcchtlingslager Moria nicht mehr aus.\nZwei Jahre nach dem EU-T\u00fcrkei-Deal ist die Zahl der Migrant_innen auf der Insel\nLesbos immer weiter gestiegen. Es wird gesch\u00e4tzt, dass mehr als 8000 Menschen\nderzeit in dem Lager in Moria eingepfercht sind: Die Nummer der Neuankommenden\nsteigt t\u00e4glich, was die Situation in dem Internierungslager immer weiter\nerschwert.
\n\n\n\nAndauernde Angriffe in Moria
\nMorias Internierungslager wird von den Refugees als Platz beschrieben, der\nschlimmer ist als die H\u00f6lle. Aufgrund des eingesperrt-Seins gemeinsam mit Tausenden\nvon anderen Menschen treten auch innerhalb des Camps t\u00e4glich gewaltt\u00e4tige\nKonflikte auf. Es ist nur zu verst\u00e4ndlich, dass zwischen Menschen\nunterschiedlichster Kontexte und mit jeweils unterschiedlichen Erfahrungen, die\nunter unertr\u00e4glichen Bedingungen in Gefangenschaft sind, auch gewaltt\u00e4tige\nEpisoden entstehen. So war es auch am Freitagabend, den 25. Mai 2018, an dem\nsich ein gewaltvoller Zwischenfall zwischen arabischen und kurdischen Migrant_innen\nereignete. Zahlreiche Kurden wurden verletzt, in Folge verlie\u00df eine Gruppe kurdischer\nRefugees das Camp Moria, um im in den Parks und Stra\u00dfen im Zentrum von Mytilini\nnach einem sicheren Unterschlupf zu suchen.
\nAber trotz dieser gewaltvollen Episoden und Konflikten zwischen den Refugees\nwar und ist Moria auch ein Ort der gemeinsamen K\u00e4mpfe. Im Juli 2017 fand ein\nmassiver friedlicher Protest der Lagerbewohner_innen gegen die (auch illegale) R\u00fcckf\u00fchrungs-\nund Abschiebepolitik und die unmenschlichen Lebensbedingungen im Lager statt.\n35 Refugees - alle von ihnen People of Color \u2013 wurden in Folge dessen festgenommen\nund angeklagt. Ihnen wurde vorgeworfen, in den anschlie\u00dfenden\nAuseinandersetzungen nach Eingreifen der Riot-Polizei Brandstiftung begangen\nund Polizeikr\u00e4fte verletzt zu haben. Der Prozess begann fast ein Jahr sp\u00e4ter am\n18. April 2018 vor dem Gericht \u200b\u200bauf Chios, einer weiteren Insel in der\nOst\u00e4g\u00e4is. Trotz eines gravierenden Mangels an Beweisen und einem gro\u00dfen Druck\nder Solidarit\u00e4tsbewegungen wurden 32 der Refugees verurteilt - zu einer insgesamt\n26-monatigen Haftstrafe. Der gesamte Justizprozess ist als hoch problematisch\nanzusehen. Die Organisation Legal Center Lesbos, die an dem Prozess teilnahm,\nerkl\u00e4rte in einer \u00f6ffentlichen Stellungnahme,\ndass es w\u00e4hrend des Gerichtsverfahrens wiederholte Verst\u00f6\u00dfe gegen die\nGrundprinzipien eines fairen Verfahrens begangen habe (Artikel 6 der\nEurop\u00e4ischen Menschenrechtskonvention). Die Organisation \u00e4u\u00dferte zudem\nentschiedene Zweifel an der Zuverl\u00e4ssigkeit und Unparteilichkeit der Richter\nund Staatsanw\u00e4lte. Dar\u00fcber hinaus wurden sieben der Refugees mit direkter\nAbschiebung bedroht, w\u00e4hrend ihnen das Recht verweigert wurde, eine \u00dcberpr\u00fcfung\nihres Falles zu beantragen.
\n\n\n\nEs\nwar die Nacht des 22. April 2018 \u2013 der Prozess gegen die Moria35 dauerte noch\nan \u2013 als eine Gruppe nationalistischer und faschistischer Kr\u00e4fte sich im\nStadtzentrum von Mytilini versammelten, um an einer rechten Aktion\nteilzunehmen. Die Gruppen versammeln sich, um dabei zu sein, wenn die\nmilit\u00e4rische Flagge dort einholt wird \u2013 ein Ritual, was jeden Sonntag dort\nstattfindet. Nach der \u201eFlaggenzeremonie\u201c bereiteten sich die Faschisten,\nausgestattet mit allen m\u00f6glichen Waffen \u2013Fackeln, Feuerwerk, Steinen \u2013 auf\neinen konzertierten Angriff auf Dutzende von Migrant_innen, darunter ganze\nFamilien mit Kleinkindern, vor. Die Refugees hatten zu diesem Zeitpunkt auf dem\nSappho-Platz demonstriert: Sie machten den Verlust eines afghanischen Mannes \u00f6ffentlich,\nder gestorben war, da er die dringend notwendige medizinische Versorgung nicht erhalten\nhatte. Die Faschisten umzingelten sie mit brennenden Fackeln und begannen, Feuerwerk\nauf die Menschen abzufeuern. Die Tatsache, dass sie mit diesen ausger\u00fcstet\nwaren, beweist, dass dieser \u00dcbergriff schon im Vorfeld geplant war. An diesem\nAbend nahm die Polizei 122 Personen fest \u2013 vor allem afghanischer Herkunft.\nW\u00e4hrend die Angriffe auf die Refugees weitergingen, zeigte die Polizei so klar:\nSie sind Unterst\u00fctzer der Faschisten. Erst nachdem zahlreiche\nzivilgesellschaftliche Proteste und Solidarit\u00e4tsdemonstrationen stattfanden,\nwurden 17 der Faschisten, die Migrant_innen schwer attackierten \u2013 und ihren Tod\nin Kauf nahmen \u2013 endlich strafrechtlich verfolgt. Die Urteile stehen noch aus.
\nWenige Tage nach dem Pogrom auf dem Sappho-Platz unterst\u00fctze der ehemalige\nJustizminister und lokales Mitglied des Parlaments, Charalambos Athanasiou (Mitglied\nder liberal-konservativen Nea Dimokratia (\u039d\u03ad\u03b1 \u0394\u03b7\u03bc\u03bf\u03ba\u03c1\u03b1\u03c4\u03af\u03b1),\nder gr\u00f6\u00dften Oppositionspartei in Griechenland), unterst\u00fctzte die \u201ePatriotische\nBewegung\u201c bei einer Pressekonferenz, und bot den Angriffen und der\nrassistischen Gewalt damit eine politische Deckung. Die so genannte\n\u201ePatriotischen Bewegung von Mytilini\u201c (\u03a0\u03b1\u03c4\u03c1\u03b9\u03c9\u03c4\u03b9\u03ba\u03ae \u039a\u03af\u03bd\u03b7\u03c3\u03b7 \u039c\u03c5\u03c4\u03b9\u03bb\u03ae\u03bd\u03b7\u03c2) wird durch\ndie lokalen Strukturen der ND-Partei koordiniert; Mitglieder sind ebenso\nverschiedene rechte und faschistische Gruppierungen und Einzelpersonen. Es ist\nmehr als deutlich, dass es ein Hauptziel der Partei ist, Plattformen dieser Art,\ndie auch f\u00fcr Mitglieder der faschistischen Goldenen Morgenr\u00f6te (\u03a7\u03c1\u03c5\u03c3\u03ae\n\u0391\u03c5\u03b3\u03ae) attraktiv sind, auf allen griechischen Inseln zu etablieren und\nden gesellschaftlichen Diskurs und das politische Klima damit immer weiter nach\nrechts zu dr\u00fccken. Und sie stehen damit nicht alleine: Zur gleichen Zeit nutzen\nsowohl andere faschistische Gruppierungen, als auch die lokalen Beh\u00f6rden, also\nder griechische Staatsapparat und die SYRIZA-gef\u00fchrte Regierung, seit Monaten\nschon jede M\u00f6glichkeit, gegen\u00fcber allen \u00f6ffentlichen Protesten der\nMigrant_innen auf der Insel mit aller Gewalt vorzugehen.
\n\n\n\nDar\u00fcber\nhinaus nutzt SYRIZA die rechtsextreme und einwanderungsfeindliche Ausrichtung\nder Nea Dimokratia auf Lesbos, um sich selbst ein milderes politisches Profil\nzu geben. Nat\u00fcrlich ist es mehr als deutlich, dass die Verantwortung der\nRegierung sehr gro\u00df ist: Sie sind f\u00fcr die Umsetzung der unertr\u00e4glichen und rassistischen\nEU-T\u00fcrkei-Vereinbarung verantwortlich, welche zu den Tausenden wie festgeketteten\nMigrant_innen auf den Inseln gef\u00fchrt hat. Sie tragen die Verantwortung f\u00fcr die\nmiserablen Bedingungen in den Hot Spots, die faktische Abschaffung der Asylrechte\nund die Entwicklungen, die Griechenland zwischenzeitlich zu einem Freiluft-Gef\u00e4ngnis\nf\u00fcr Refugees gemacht haben.
\n\n\n\nAntifaschistische\nSolidarit\u00e4t
\n\nZum Gl\u00fcck gibt es aber auch die andere Seite der Medaille: In der Nacht des 8. Mai 2018 fand eine gro\u00dfe antifaschistische\nDemonstration auf der griechischen Insel Lesbos mit mehr als 1000 Teilnehmenden\nstatt. Es war eine friedliche, aber auch dynamische Reaktion auf das kurz zuvor\nstattgefundene Pogrom am Sappho-Platz. Die Demo wurde gemeinsam von\nverschiedenen linken, kommunistischen und anarchistischen politischen Kr\u00e4ften,\nsowie von Solidarit\u00e4tsinitiativen und Menschen, die in Refugee-Support-Organisationen\narbeiten, organisiert. Eine kleine, aber entschlossene Anzahl von Refugees war ebenfalls\ninvolviert, die gegen die rassistischen \u00dcbergriffe und f\u00fcr ihr Recht auf eine\nbessere Zukunft und ein menschenw\u00fcrdiges Leben k\u00e4mpften. Es war eine Demo, in\nder alle diejenigen Stimmen zum Ausdruck kamen, die das Bed\u00fcrfnis hatten, an\nder Seite der Migrant_innen und Refugees zu stehen, einschlie\u00dflich vieler\nInitiativen und Organisationen, ungeachtet ihrer politischen Differenzen.
\nIm Mittelpunkt der gemeinsamen Forderungen aller Beteiligten steht die\nSolidarit\u00e4t. Der gemeinsame, monatelange Widerstand steht in Kontrast zu der\nBrutalit\u00e4t des EU-T\u00fcrkei-Abkommens, das seit M\u00e4rz 2016 fl\u00fcchtende Menschen auf\nden Inseln \u201egefangen h\u00e4lt und sie einsperrt, und wendet sich gegen die Intoleranz\ngegen\u00fcber rassistischen, sexistischen und faschistischen \u00c4u\u00dferungen und Praktiken.\nUnter den politischen Kr\u00e4ften sind es insbesondere die Initiative von ANTARSYA\nund die \u201eOrganisation der Neuen Linken Bewegung f\u00fcr die Kommunistische\nBefreiung\u201c (NAP), die sich an jeder widerst\u00e4ndigen Aktion beteiligen. Sie\nversuchen dabei, die Rolle der EU und der griechischen Regierung beim Aufbau\nund der St\u00e4rkung der Festung Europa zu zeigen. Sie machen deutlich, dass die\naktuelle Krise, welche die gefl\u00fcchteten Menschen trifft, nur gel\u00f6st werden\nkann, wenn Kriege und imperialistische Interventionen in Afrika und Asien\ngestoppt werden - und dass demnach Griechenlands Austritt aus der NATO und der\nAbzug der NATO-Kriegsschiffe aus der \u00c4g\u00e4is zentrale Forderungen der Refugee-Solidarit\u00e4tsbewegung\nwerden m\u00fcssen.
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Nikos Manavis (Mytilini) und Eleni Triantafyllopoulou (Athen)\nsind Teil des Redaktionskollektivs von Prin, einer kommunistischen Zeitung in\nGriechenland.
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