Der Kampf an den Berliner Krankenh\u00e4usern
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Die Besch\u00e4ftigten bei Charit\u00e9 und Vivantes in Berlin mussten sich vor kurzem erneut in harten und lang andauernden Tarifkonflikten mit ihren Gesch\u00e4ftsf\u00fchrungen auseinandersetzen. Im Mutterkonzern Charit\u00e9 arbeiten etwa 16.300 Besch\u00e4ftigte. Dazu kommen ca. 3.100 Besch\u00e4ftigte in ausgelagerten Tochterunternehmen, vor allem beim Charit\u00e9 Facility Management (CFM) mit rund 2.800 Kolleg*innen. Zum Vivantes-Konzern, der sich selbst als \u201egr\u00f6\u00dfter kommunaler Krankenhauskonzern Deutschlands\u201c r\u00fchmt, geh\u00f6ren neun Krankenh\u00e4user, 18 Pflegeheime, zwei Senior*innenenwohnh\u00e4user, eine ambulante Rehabilitation, medizinische Versorgungszentren, eine ambulante Krankenpflege, ein Hospiz sowie Tochtergesellschaften f\u00fcr Catering, Reinigung und W\u00e4sche. Vivantes selbst besch\u00e4ftigt insgesamt rund 17.900 Arbeiter*innen. In den zw\u00f6lf sogenannten \u201eTochtergesellschaften\u201c sind ca. 2.900 Menschen besch\u00e4ftigt, meist zu prek\u00e4ren Bedingungen, die wesentlich schlechter ausgestaltet sind als im Mutter-Konzern. Am Ende des Monats bedeutet das f\u00fcr die outgesourcten Kolleg*innen bis zu 25 Prozent weniger Lohn f\u00fcr die selben T\u00e4tigkeiten.
Die Charit\u00e9 ist, wie auch Vivantes, ein landeseigene Unternehmen Berlins, beide werden aber nicht nach den Prinzipien der \u00f6ffentlichen Daseinsvorsorge, sondern nach dem privatwirtschaftlichen Prinzip der Profitabilit\u00e4t gef\u00fchrt. Das hei\u00dft, dass der Erfolg des Managements sich nicht an der Bereitstellung belastbarer Gesundheits-Infrastruktur, guten Behandlungen und gesunden Arbeitsbedingungen misst, sondern an der H\u00f6he des Umsatzes und der erwirtschafteten Profite! Es verwundert dementsprechend nicht, dass nach Inanspruchnahme ber\u00fcchtigter Unternehmensberatungen viele Bereiche und damit tausende Besch\u00e4ftigte in Tochterunternehmen mit Billig-L\u00f6hnen und prek\u00e4ren Arbeitsbedingungen ausgelagert wurden. Dort gilt nirgends der f\u00fcr kommunale Arbeitgeber verbindliche Tarifvertrag f\u00fcr den \u00f6ffentlichen Dienst (TV\u00f6D). Teilweise kam \u00fcberhaupt kein Tarifvertrag zur Geltung. Neben den finanziellen Einsparungen stellt dieses Vorgehen auch eine aggressive soziale Spaltung der Arbeiter*innenschaft dar, mit der Funktion, die Klassensolidarit\u00e4t erheblich zu schw\u00e4chen. Die Bonzen aus F\u00fchrungsetagen und Landespolitik hatten diese Rechnung allerdings ohne den Wirt gemacht!
Der vereinte Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und die Rolle der Gewerkschaftsf\u00fchrung
Die Diktatur des Kapitals wird auch im Gesundheitssystem immer offensichtlicher, denn bei der Umsetzung ihrer Gesch\u00e4ftsziele gingen die Unternehmensf\u00fchrungen so ma\u00dflos vor, dass die Gesundheit der Besch\u00e4ftigten selbst regelrecht ruiniert wird. In einem System von \u201eimmer mehr Leistung und immer gr\u00f6\u00dferen Profiten bei immer weniger Besch\u00e4ftigten!\u201c haben Gesundheit und Erhaltung der Arbeitskraft der Arbeiter*innen selbst im \u00f6ffentlichen Gesundheitssystem kaum mehr Bedeutung.
Seit 2011 setzten sich deshalb viele Besch\u00e4ftigte, in erster Linie gewerkschaftlich organisierte Kolleg*innen, unerm\u00fcdlich f\u00fcr bessere Arbeitsbedingen ein: Konkret f\u00fcr ein Ende des Outsourcing, die R\u00fcckf\u00fchrung der Tochtergesellschaften zum kommunalen Arbeitgeber und somit die Eingliederung in den TV\u00f6D. Auch bei den Stammbelegschaften von Vivantes und Charit\u00e9 wuchs das Bed\u00fcrfnis nach Vereinigung der Kr\u00e4fte mit den Kolleg*innen der Tochtergesellschaften, um bei Tarifverhandlungen bzw. Arbeitskampfma\u00dfnahmen gest\u00e4rkt aufzutreten und der Spaltung, die als Einsch\u00fcchterungs- und Disziplinierungsma\u00dfnahme eingesetzt wurde, vereint entgegenzuwirken.
\u201e'Kapital', sagt Quarterly Reviewer, 'flieht Tumult und Streit und \u00e4ngstlicher Natur'. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror von Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinen Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital k\u00fchn. Zehn Prozent sicher, und man kann es \u00fcberall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; f\u00fcr 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fu\u00df; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert; selbst auf Gefahr des Galgens.\u201c
(P. J. Dunning, zitiert von Karl Marx, Das Kapital, Bd. I, S.801, Berlin 1960)
\u00dcber Jahre wurde diesem berechtigten Vorhaben der Besch\u00e4ftigten aus Mutter- und Tochterkonzernen seitens der Gewerkschaft ver.di allerdings nicht entsprochen. Die Planung und Durchf\u00fchrung von neuen Tarifverhandlungen sowie damit einhergehender Arbeitskampfma\u00dfnahmen fanden stets getrennt voneinander statt. So zuletzt auch im Arbeitskampf der CFM, in dem die Besch\u00e4ftigten ebenfalls den TV\u00f6D forderten. Mittels eines Schlichtungsverfahrens durch den SPD-Politiker Platzeck wurde der Streik aber von oben herab beendet, ohne den TV\u00f6D erreicht zu haben. Und das im Fr\u00fchjahr des selben Jahres in dem mit der Berliner Krankenhausbewegung im Herbst die Kolleg*innen aus Charit\u00e9 und Vivantes ihre Forderungen gemeinsam mit den Kolleg*innen der Tochterunternehmen artikulieren sollten.
Die Illusion der Sozialpartnerschaft
Es stellt sich also die Frage, warum ver.di die Chancen der Zusammenf\u00fchrung der Tarifverhandlungen und Arbeitskampfma\u00dfnahmen wiederholt nicht nutzte. Wie ist die Politik der ver.di-F\u00fchrung zu erkl\u00e4ren?
Die Logik und die Politik der Gewerkschaftsf\u00fchrung sind durchdrungen von der Illusion, Arbeiter*innen und Chefs, Besch\u00e4ftigte und Manager*innen seien gleichberechtigte Gesch\u00e4ftspartner mit gemeinsamen Interessen. Gelegentlich w\u00fcrde diese Partnerschaft durch uneinsichtiges Vorgehen der Arbeitgeberseite gest\u00f6rt, sodass man manchmal um einen gr\u00f6\u00dferen Anteil am gemeinsam erwirtschafteten Ergebnis streiten m\u00fcsse. In dieser Logik wird die Realit\u00e4t der Klassenunterschiede ausgeblendet. Tats\u00e4chlich sind die Interessen der Unternehmensf\u00fchrungen in ihrem Streben nach Profit und die der Arbeiter*innen im System der Lohnarbeit diametral entgegengesetzt. Dennoch wird in der politischen Kultur der gro\u00dfen Gewerkschaften kontinuierlich die Sozialpartnerschaft in den K\u00f6pfen ihrer Mitglieder verankert, obwohl diese im krassen Widerspruch zur t\u00e4glichen Arbeitsrealit\u00e4t und den Erfahrungen im Betrieb steht.
Daraus folgt auch eine angepasste und zahme Position der Gewerkschaftsb\u00fcrokratie, wenn es um die Rolle von Tarifverhandlungen und Streiks geht. Statt im Streik das zentrale Kampfmittel zur Durchsetzung unserer Interessen als Besch\u00e4ftigte und als arbeitende Klasse gegen\u00fcber unseren Ausbeuter*innen zu erkennen, bevorzugt der ver.di-Apparat die Verhandlung auf vermeintlicher Augenh\u00f6he, setzt auf Kompromisse und Entgegenkommen der Arbeitgeberseite. Der Einsatz von Streiks ist f\u00fcr die herrschenden Gewerkschaftsf\u00fchrungen ausschlie\u00dflich in defensiver Haltung akzeptabel. Und wenn man dann z\u00e4hneknirschend zum Streik aufruft, ist die Zielsetzung nicht die unbedingte Durchsetzung aller berechtigten Forderungen der Besch\u00e4ftigten und die Erh\u00f6hung der Klassensolidarit\u00e4t - sondern, die gest\u00f6rte \u201epartnerschaftliche Beziehung\u201c wieder herzustellen.
Aus der Sicht der ver.di-F\u00fchrung w\u00fcrde ein konsequentes und k\u00e4mpferisches Vorgehen in Tarif- und Streikpolitik die seit langem bei Charit\u00e9 und Vivantes im Rahmen des TV\u00f6D praktizierte und vermeintlich harmonisch-sozialpartnerschaftliche Beziehung mit dem dem \u00f6ffentlichen Arbeitgeber gef\u00e4hrden. Jede*r Gewerkschaftsb\u00fcrokrat*in wei\u00df genau, dass kollektive Arbeitskampfma\u00dfnahmen auf betrieblicher und gewerkschaftlicher Ebene eine St\u00e4rkung des Klassenbewusstseins unter den Kolleg*innen mit sich bringen. Aus Sicht der B\u00fcrokratie droht dabei die Gefahr einer klassenk\u00e4mpferischen Eigendynamik unter den Besch\u00e4ftigten, die sich ihrer Kontrolle entzieht. Dies zu vermeiden, klein zu halten und schnellstm\u00f6glich zu beenden, stellt eines der \u201eehernen Gesetze\u201c der Gewerkschaftsf\u00fchrung dar und so wird jedes Angebot der Gegenseite als Chance gesehen, einen Kompromiss zu schlie\u00dfen und den \u201esozialen Frieden im Betrieb\u201c wieder herzustellen.
Die Berliner Krankenhausbewegung
Hier\u00fcber lie\u00dfe sich auch erkl\u00e4ren, was ver.di bewogen hat, mit dem 100-t\u00e4gigen Ultimatum der Berliner Krankenhausbewegung weitere drei Monate auf die Einsetzung effektiver Arbeitskampfma\u00dfnahmen zu verzichten. Aber auch die Gewinnung neuer Mitgliedschaften wird hier eine strategische Rolle gespielt haben.
Nichtsdestotrotz hat sich in diesem Zusammenhang gezeigt, wie gro\u00df der Kampfeswille der Besch\u00e4ftigten von Charit\u00e9, Vivantes und T\u00f6chtern ist. Die Berliner Krankenhausbewegung hat es geschafft, innerhalb kurzer Zeit einen hohen Organisationsgrad in den Betrieben zu erreichen und viele junge Kolleg*innen zu motivieren, f\u00fcr ihre Interessen auf die Stra\u00dfe zu gehen.
Die 100 Tage wurden aktiv genutzt, um eine \u00f6ffentlichkeitswirksame Kampagne auf die Beine zu stellen mit dem Ziel, solidarische Unterst\u00fctzung durch breite Teile der arbeitenden Klasse zu erlangen. W\u00e4hrend die b\u00fcrgerliche Presse zwar lange nur verhalten berichtete, entstand eine basisnahe Vernetzung zwischen den k\u00e4mpfenden Besch\u00e4ftigten mit solidarischen Nachbarn und Arbeiter*innen aus anderen Branchen. Das gemeinsame Interesse aller Lohnabh\u00e4ngigen an einem gemeinwohlorientierten Gesundheitswesen wurde herausgestellt und das bisher h\u00e4ufig verbreitete Vorurteil, in Krankenh\u00e4usern seien Streiks nicht m\u00f6glich oder gar unsozial gegen\u00fcber den Patient*innen wurde aufgebrochen. Die Parole \u201eDer Normalzustand gef\u00e4hrdet die Gesundheit, nicht der Streik\u201c steht beispielhaft hierf\u00fcr. Die aktive Verbindung mit anderen sozialen K\u00e4mpfen wie der Kampagne \u201eDeutsche Wohnen & Co enteignen!\u201c oder den streikenden Arbeiter*innen beim Lieferdienst Gorillas stellten einen wichtigen Schritt in Richtung einer geeinten Bewegung der Lohnabh\u00e4ngigen f\u00fcr unsere Interessen dar, aus der sich die M\u00f6glichkeit ergeben kann, Arbeitsk\u00e4mpfe in einem gr\u00f6\u00dferen politischen Zusammenhang zu denken.
Klassenkampf von oben und die Antwort der Kolleg*innen
Hingegen nutzte die Gegenseite die Zeit, ihre perfiden Angriffe auf den Arbeitskampf vorzubereiten. Anhand von Einsch\u00fcchterungen der Besch\u00e4ftigten durch Vorgesetzte, Verleumdung der Streiks als Gef\u00e4hrdung der Patient*innen und letztendlich den Versuch, den Streik gerichtlich verbieten zu lassen, offenbarten die Gesch\u00e4ftsf\u00fchrungen von Charit\u00e9 und Vivantes ihre Sicht auf die angeblich gleichberechtigte Sozialpartnerschaft. Fakt ist, dass von oben herab unverhohlener Klassenkampf mit allen Mitteln gef\u00fchrt wurde, die der Kapitalseite zur Verf\u00fcgung stehen.
Unter dem fadenscheinigen Vorwand fehlender Notdienstvereinbarungen, deren \u201esozialpartnerschaftlicher\u201c Verhandlung sie sich verweigerten, setzte sie ein richterliches Streikverbot durch, das schon die Warnstreiks zum Ablauf des Ultimatums im Keim ersticken sollte. Die Gesch\u00e4ftsf\u00fchrungen der unterschiedlichen Konzerne traten hierbei geeint auf und konnten sich auf R\u00fcckendeckung aus der Senatspolitik verlassen. Die Arbeitgeberseite verspottete damit das M\u00e4rchen der Sozialpartnerschaft.
Erst auf massiven Druck durch Proteste der Streikbewegung wurde die gerichtliche Verf\u00fcgung revidiert und ein gemeinsamer Streik in den Mutter- und Tochterunternehmen wurde erm\u00f6glicht. Statt die Besch\u00e4ftigten zu spalten, trat infolgedessen das Gegenteil ein: Die Aggressivit\u00e4t der Arbeitgeber und die offensichtliche Verh\u00f6hnung der Interessen der Besch\u00e4ftigten sorgten daf\u00fcr, dass diese ihrer Wut noch mehr Ausdruck verliehen und ihren Kampf mit gro\u00dfer Entschlossenheit aufnahmen. Die Anfang September durchgef\u00fchrte Urabstimmung verdeutlichte unmissverst\u00e4ndlich die Bereitschaft der \u00fcberw\u00e4ltigenden Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder, einen unbefristeten \u201eErzwingungsstreik\u201c zu f\u00fchren: An der Charit\u00e9 stimmten 97,85 Prozent, bei Vivantes 98,45 Prozent und in den Tochterunternehmen 98,82 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Kolleg*innen f\u00fcr die Arbeitskampfma\u00dfnahme! F\u00fcr viele von ihnen stellte der Arbeitskampf eine letzte Chance dar, in ihrem Beruf weiterhin arbeiten zu k\u00f6nnen, ohne k\u00f6rperlich und psychisch auszubrennen. Die Durchsetzung der Hauptforderungen der Besch\u00e4ftigten gegen\u00fcber der Arbeitgeberseite waren dementsprechend nicht nur wichtig sondern essentiell notwendig. Sie lauteten:
- Tarifvertrag Entlastung bei der Charit\u00e9 und bei Vivantes mit verbindlichen Vorgaben zur Personalbesetzung und einem Belastungsausgleich bei Unterbesetzung!
- Faire L\u00f6hne und TV\u00f6D f\u00fcr alle Besch\u00e4ftigten!
Der gemeinsame Streik nahm schnell an Fahrt auf und es gab viele Aktionen und Demonstrationen, an denen nicht nur die Streikenden, sondern auch viele solidarische Menschen aus anderen Berufen, gesundheitspolitische Unterst\u00fctzungskreise sowie linke, sozialistische Organisationen teilnahmen. Neben den Gesch\u00e4ftsf\u00fchrungen wurde auch die Senatspolitik direkt adressiert, da im Zuge des Tarifkampfes die grunds\u00e4tzliche Frage nach der politischen Ausgestaltung des \u00f6ffentlichen Gesundheitssystems aufflammte. Die zust\u00e4ndigen Politiker*innen hielten sich fernab von Lippenbekenntnissen und Wahlwerbung jedoch zur\u00fcck und der Arbeitgeber blieb hart. Immer wenn ver.di die Bereitschaft zu Verhandlungen er\u00f6ffnete, gl\u00e4nzten die Gesch\u00e4ftsf\u00fchrungen von Charit\u00e9 und Vivantes mit Abwesenheiten, Desinteresse oder absurden Angeboten, die in ihrer Konsequenz sogar noch Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen bedeuteten.
Die Logik der sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftspolitik stie\u00df an ihre Grenzen und es kam zu einem der l\u00e4ngsten Krankenhausstreiks in der deutschen Geschichte. Erst nach \u00fcber einem Monat sah sich die Gesch\u00e4ftsf\u00fchrung der Charit\u00e9 gen\u00f6tigt, dem politischen und \u00f6konomischen Druck des Streiks nachzugeben und Verhandlungsangebote zu pr\u00e4sentieren, auf die ver.di eingehen konnte, ohne sich gegen\u00fcber der Basis der Bewegung die Bl\u00f6\u00dfe zu geben. Der Initiative folgte kurze Zeit sp\u00e4ter die Ank\u00fcndigung zur Einigung beider Seiten \u00fcber ein \u201eEckpunkte-Papier\u201c zu einem TV-Entlastung.
Spaltung durch getrennte Verhandlungen
Unabh\u00e4ngig von der Qualit\u00e4t des angek\u00fcndigten Kompromisses auf der Grundlage des Eckpunkte-Papiers bedeutete die Entscheidung der ver.di-Fachbereichsleitung, die Arbeitskampfma\u00dfnahmen bei Charit\u00e9 einzustellen, faktisch nichts anderes, als den Kampf der Besch\u00e4ftigten bei Vivantes und ihren Tochtergesellschaften massiv zu schw\u00e4chen und dem Tarifgegner eine willf\u00e4hrige und unsch\u00e4tzbare Unterst\u00fctzung zu leisten. Ver.di offenbarte gegen\u00fcber der Arbeitgeberseite ihren Willen, auch bei Vivantes die Arbeitskampfma\u00dfnahmen umgehend einzustellen, sobald die Arbeitgeberseite sich kompromissbereit zeigen w\u00fcrde. Es l\u00e4sst sich davon ausgehen, dass die F\u00fchrungen von Charit\u00e9 und Vivantes in regem strategischen Austausch miteinander standen, sodass ein \u00e4hnliches Eckpunkte-Papier auch f\u00fcr Vivantes schnell beschlossen wurde. Und wer blieb \u00fcbrig? Wieder einmal trifft es mit den Vivantes-Tochterunternehmen die Belegschaften, die in den prek\u00e4rsten Verh\u00e4ltnissen arbeiten und die alleine k\u00e4mpfend die geringste Macht auf ihrer Seite haben. Zwar wurde auf den letzten Demonstrationen immer wieder skandiert, dass jene in ihrem nun alleinstehenden Kampf um den TV\u00f6D nicht allein gelassen werden sollen aber die Realit\u00e4t sah anders aus. F\u00fcr die weiteren Verhandlungen um die Vivantes-T\u00f6chter wurde erneut der ehemalige Ministerpr\u00e4sident von Brandenburg, Platzeck, als Moderator einbezogen, der es schon ein Jahr zuvor erm\u00f6glichte, die R\u00fcckf\u00fchrung des Charit\u00e9 Facilitiy Managements in den TV\u00f6D zu verhindern. Mit dem demokratisch zweifelhaft abgeschlossenen Billig-Tarifvertrag der CFM war zu Anfang des Jahres auch schon die ideale Vorlage geschaffen worden, um den Besch\u00e4ftigten eine sofortige Eingliederung in den TV\u00f6D vorweg zu nehmen.
Befriedigung der Interessen der Besch\u00e4ftigten auf niedrigstem Niveau
Auch wenn die Tarifvertr\u00e4ge noch nicht unter Dach und Fach sind, kann man den roten Faden, der die Qualit\u00e4t der noch zu feilenden Tarifvertr\u00e4ge weitgehend bestimmen, auf der Grundlage der beiden \u201eEckpunkte-Papiere\u201c erkennen.
Erstens sollen die Tarifvertr\u00e4ge einen langen Zeitraum von drei Jahren umfassen. Das bedeutet, dass die Besch\u00e4ftigten aufgrund der sogenannten \u201eFriedenspflicht\u201c f\u00fcr einen langen Zeitraum zur Passivit\u00e4t verpflichtet werden. Zweitens wird die tats\u00e4chliche Entlastung der Besch\u00e4ftigten auf einen langen Zeitraum von drei Jahren verschoben, so dass sie erst ab 2024 einen wirklich sp\u00fcrbaren Entlastungsausgleich erhalten. Auf der Grundlage von Patienten-Personal-Ratio sollen f\u00fcr die Stationen und Bereiche klare Quoten festgelegt werden. \u201eBei Unterschreitung der festgelegten Besetzungsregelungen erhalten die hiervon betroffenen Besch\u00e4ftigten\u201c, so ver.di, \u201eeinen Belastungsausgleich.\u201c \u201eDaf\u00fcr werden so genannte Vivantes-Freizeitpunkte vergeben; einen Punkt bekommt beispielsweise eine Pflegefachkraft, wenn sie eine Schicht lang in Unterbesetzung arbeiten musste. Im Jahr 2022 erhalten Besch\u00e4ftigte f\u00fcr je neun Vivantes-Freizeitpunkte eine Freischicht oder einen Entgeltausgleich von 150 Euro; im Jahr 2023 gen\u00fcgen daf\u00fcr je sieben Vivantes-Freizeitpunkte, und im Jahr 2024 je f\u00fcnf Vivantes-Freizeitpunkte. Die Anzahl der zu gew\u00e4hrenden freien Tage ist allerdings gedeckelt: im Jahr 2022 auf sechs, im Jahr 2023 auf zehn und im Jahr 2024 auf f\u00fcnfzehn freie Tage; \u00fcber die Deckelung hinausgehende Anspr\u00fcche werden in Entgelt ausgeglichen.\u201c
Bei der Charit\u00e9 sollen \u00fcber den Entlastungsausgleich hinaus in den n\u00e4chsten drei Jahren mehr als 700 zus\u00e4tzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege eingestellt werden, um eine Entlastung f\u00fcr die Pflegekr\u00e4fte an der Charit\u00e9 zu erreichen. Da aufgrund der hohen Belastung in der Pflege aber viele qualifizierte Arbeiter*innen die Vollzeitbesch\u00e4ftigung oder sogar das Berufsfeld an sich verlassen, bleibt die Frage offen, welche Stellen tats\u00e4chlich besetzt werden oder ob die Gesch\u00e4ftsf\u00fchrung sich weiterhin damit herausredet, sie f\u00e4nde nicht gen\u00fcgend Personal. Der positive Erfolg bei den Eckpunkte-Papieren ist der Durchbruch, dass die Kapitalseite zum ersten Mal \u00fcberhaupt die Forderung des Belastungsausgleichs grunds\u00e4tzlich akzeptieren muss. Dass die Besch\u00e4ftigten f\u00fcr den enormen Stress und die barbarische Arbeitsbelastung f\u00fcr ein ganzes Jahr ab 2022 nur sechs freie Ausgleichstage und 2023 nur zehn Ausgleichstage erhalten k\u00f6nnen, kann keine ernsthafte und tats\u00e4chliche Entlastung f\u00fcr die Betroffenen mit sich bringen.
F\u00fcr die Arbeitgeber werden sowohl die wenigen freie Ausgleichstage als auch der Entgeltausgleich in H\u00f6he von 150 Euro brutto eine hinnehmbare Summe sein und stellen nicht zwangsl\u00e4ufig den von ver.di erhofften \u00f6konomischen Druck dar, um strukturelle Verbesserungen zu Gunsten der Besch\u00e4ftigten in der Krankenhaus\u00f6konomie anzusto\u00dfen. Drittens blieb die Arbeitgeberseite in Bezug auf die R\u00fcckf\u00fchrung der Tochter-Besch\u00e4ftigten zum landeseigenen Betrieb und damit in den TV\u00f6D hartn\u00e4ckig. Nach \u00fcber sechs Wochen Streik steht als Verhandlungsergebnis ein Tarifvertrag fest, der zwar in Anlehnung an den TV\u00f6D einige materielle Verbesserungen f\u00fcr die Besch\u00e4ftigten bedeutet, aber die eigentliche Forderung nach Rekommunalisierung nicht erf\u00fcllt. In der Konsequenz bedeutet das, dass die Kolleg*innen der verschiedenen Betriebe des \u00f6ffentlichen Gesundheitssystems weiterhin in kommunale und outgesourcte gespalten bleiben. Selbst unter den verschiedenen Tochter-Betrieben werden durch unterschiedliche Staffelungen der Lohnsteigerung weiterhin Unterschiede gemacht und das Labor Berlin ist nicht einmal enthalten.
Die Besch\u00e4ftigten von Charite und Vivantes sowie der Tochterunternehmen konnten angesichts des Kampfpotentials der Belegschaften zeigen, dass entschlossene und ausdauernde Streiks auch im Gesundheitswesen m\u00f6glich sind. Mit den urspr\u00fcnglich verbindlich aneinander gekoppelten Forderungen von Mutter- und Tochterbelegschaften sowie der zeitlichen B\u00fcndelung der Kampfkraft bestand die reale Chance, alle der wichtigen Forderungen durchzusetzen und der herrschenden Klassenspaltung ein Ende zu bereiten. Diese gro\u00dfe Chance wurde leider vertan!