\u201eUnsere Stimmen sind unsere Waffe\u201c
\n\u201eWir sind nicht zu Fu\u00df durch W\u00fcsten gelaufen und haben\nUnmenschliches \u00fcberlebt, um abgeschoben zu werden. Wir alle hier haben Dinge\ngeschafft, die viel be\u00e4ngstigender sind als das hier\u201c, sagt Rex Osa. Der\nAktivist setzt sich seit \u00fcber einem Jahrzehnt in Deutschland politisch f\u00fcr die\nBelange von gefl\u00fcchteten Menschen ein. Nun wurde er von Refugees aus der\nLandeserstaufnahmestelle (LEA) im baden-w\u00fcrttembergischen Ellwangen um\nUnterst\u00fctzung und Informationen gebeten.
Wir befinden uns bei einem Organisationstreffen, bei\ndem eine Demonstration in Ellwangen gegen Abschiebung und Polizeigewalt geplant\nwird. Osa spricht auf Englisch mit fester aber ruhiger Stimme und schaut den anwesenden\nBewohner_innen der LEA auffordernd und freundlich in die Augen. Die knapp 30\nMenschen, die in einem Kreis zusammen auf einer Dachterrasse im Sonnenschein\nsitzen, teilen Getr\u00e4nke und Essen, w\u00e4hrend sie sich austauschen. Trotz der traumatischen Erlebnisse der\nletzten Tage und der hetzerischen Berichterstattung ist die Stimmung gut,\nk\u00e4mpferisch. \u201eHabt keine Sorge, auf Demonstrationen zu gehen. Hier in\nDeutschland ist das euer Recht. Niemand darf euch abschieben, nur, weil ihr an\neiner Demonstration teilnehmt. Unsere Stimme ist unsere Waffe.\u201c Osas Rede wird\nsich gegenseitig auf Franz\u00f6sisch \u00fcbersetzt, viele nicken zustimmend. Der\nAktivist spricht weiter und berichtet \u00fcber seine eigenen Erfahrungen: \u201eDie\nDeutschen m\u00fcssen uns sehen und h\u00f6ren, denn sie h\u00f6ren gerade nur die unwahren\nBerichte \u00fcber uns als Gewaltt\u00e4ter in den Zeitungen. Mich wollten sie damals auch\nabschieben, das Ticket war schon gebucht. Aber gerade mein Aktivismus hat mir\ngeholfen. Ich habe dadurch Menschen kennengelernt, Netzwerke gekn\u00fcpft. Wie ihr\nseht, ich bin noch immer hier\u201c. Ein Anwesender mit eingegipstem Bein nickt\nenergisch. Er ist, wie andere Aktivist_innen aus der Ellwanger LEA, emp\u00f6rt und\nhandlungsbereit. Sp\u00e4ter berichtet er, dass er am Morgen des dritten Mai, als\ndie Polizei mit \u00fcber hundert Beamt_innen die LEA st\u00fcrmte, wie viele andere aus einem\nFenster gesprungen sei. Die Bewohner_innen h\u00e4tten \u00fcberhaupt nicht gewusst, was\nvor sich ging. Nachfragen seien von der Polizei mit Gewalt quittiert worden, alle\nh\u00e4tten panische Angst gehabt, dass es sich um eine Massenabschiebung handele. Wenn\nman sich auch nur ein wenig mit Fluchtgeschichten aus afrikanischen Staaten\nnach Deutschland auskennt, kann man erahnen, welche Erinnerungen bei manchen der\nBewohner_innen wachger\u00fcttelt worden sein m\u00fcssen, als sie fr\u00fch morgens von einem\nbewaffneten, vermummten Kommando aus dem Bett gezerrt und mit Kabelbindern\ngefesselt wurden.
\n\nDoch wie kam es zu dieser Polizeigewalt? Die Medienberichte beginnen ihre Geschichte mit\nder Nacht zum 30. April, als zwei Polizist_innen und zwei Polizei-Auszubildende\nin der LEA Ellwangen eintrafen, um einen jungen togolesischen Mann zu dessen\nAbschiebung abzuholen. Die Beamt_innen und Auszubildenden verlie\u00dfen die LEA,\nohne den Mann mitzunehmen. Erste Meldungen gaben die Ereignisse wie folgt\nwieder: Bis zu 200 Gefl\u00fcchtete afrikanischer Herkunft h\u00e4tten die Beamt_innen\nk\u00f6rperlich mit Waffen angegriffen und den jungen Mann aus dem Polizeiwagen mit\nGewalt befreit. Die \u00fcberw\u00e4ltigende Mehrheit der Journalist_innen und politische\nHetzer erster Stunde \u00fcbernahmen unreflektiert die erste Polizeimeldung oder darauf\nbasierende Agenturmeldungen. Auf Sorgfaltspflicht und Recherche wurde\nverzichtet, auch auf das Heranziehen von weiteren Quellen. In Kombination mit\ndem allgegenw\u00e4rtigen, erdr\u00fcckenden Rassismus in Deutschland f\u00fchrte diese Art\nder journalistischen Arbeit zur Konstruktion einer Gefahrensituation im Kontext\nder LEA Ellwangen, die von\npolitischer Seite nur allzu gerne aufgenommen und mit Sanktionsphantasien\nweiterverbreitet wurde.
\n\nRecherche?\nFehlanzeige
\n\nEs scheint zu einem Marktgesetz geworden zu sein, dass der Ver\u00f6ffentlichungsdruck\nbei Skandalisierungsthemen so hoch ist, dass eine Recherche kaum oder gar nicht\nmehr stattfindet. So auch in diesem Fall: Einzelne rassistisch motivierte\nJournalist_innen und die Neigung, Informationen und Artikel-Versatzst\u00fccke\nvoneinander abzuschreiben, taten dann ihr \u00fcbriges: Die wutb\u00fcrgerliche\nMedienkaskade war in Gang gesetzt. Der \u201eRechtsstaat\u201c reagierte nun auf diese\nmit der Razzia am 3. Mai. Es galt, den \u201estarken Staat\u201c zu demonstrieren\nund den Willen der Gefl\u00fcchteten zu brechen. Dass es kein \u201eMob\u201c war (ein\nBegriff, der alleine schon h\u00f6chst diffamierend ist), dass in der LEA Ellwangen\nzu diesem Zeitpunkt \u00fcberhaupt nur knapp 150 gefl\u00fcchtete Menschen aus\nafrikanischen Staaten untergebracht waren (und damit allein schon die erste\nPolizeimeldung h\u00f6chst unglaubw\u00fcrdig ist), dass keine Gewalt gegen\nPolizist_innen angewendet wurde, dass sogar die Abschiebung selbst juristisch\nnicht so eindeutig gesichert war wie zun\u00e4chst dargestellt: Das alles sind\nInformationen, welche ab dem ersten Tag zur Verf\u00fcgung standen. Hierzu w\u00e4ren allerdings\nminimale Recherchestandards einzuhalten gewesen, oder es h\u00e4tten einfach mal die\nBewohner_innen selbst oder ihre Rechtsanw\u00e4lt_innen gefragt werden k\u00f6nnen.
Was\ndiese zu sagen haben, ist n\u00e4mlich eine ganz andere Version der Ereignisse:\n\u201eUm 3 Uhr morgens am Montag, den 30. April, h\u00f6rten wir viel L\u00e4rm. Als wir\ndrau\u00dfen ankamen, beschwerten sich Leute \u00fcber die Abschiebung eines Togolesen.\nWir sahen, dass die Polizei den Mann zwingen wollte, in ihr Auto einzusteigen \u2013\ner war bereits in Handschellen. Und er sagte zur Polizei, dass er nicht\neinverstanden sei. Also sagten auch wir, dass wir die Polizei den Mann nicht\neinfach aus der Unterkunft mitnehmen lassen. Als sie sahen, dass immer mehr\nLeute von der Unterkunft nach drau\u00dfen kamen, zogen sie sich zur\u00fcck. Wir waren\nzu dem Zeitpunkt um die 30/40 Leute. [\u2026] Die Polizei war schon weg, als noch\nweitere Gefl\u00fcchtete zum Ort des Geschehens kamen. Sie trafen nur noch den Mann\nin Handschellen an, w\u00e4hrend wir ihnen von der Situation erz\u00e4hlten.\u201c Auch h\u00e4tten\nsie die Polizeiautos nicht umringt und keine Beamt_innen bedroht. \u201eWir sind\nnicht dumm, wir wissen wie das mit der Polizei in Deutschland l\u00e4uft. Alles was\nwir wollen, ist in Frieden in Deutschland leben zu k\u00f6nnen\u201c, \u00e4u\u00dfert sich ein\nBewohner der LEA.
\n\nJetzt reden\nwir!
\n\nMit diesem Ziel finden sich die Aktivist_innen am sp\u00e4ten\nNachmittag des 9. Mai vor dem Eingang der LEA in Ellwangen ein, um eine\nPressekonferenz zu geben. Ihr Motto: \u201eJetzt reden wir\u201c. Sowohl die Lokalpresse\nals auch \u00fcberregionale Medien sind gekommen. Der Name Ellwangen ist zu einem\nSynonym geworden, f\u00fcr Rechte wie f\u00fcr Linke. Die Gefl\u00fcchteten wehren sich allerdings\nentschieden dagegen, die Vorf\u00e4lle zu vereinzeln und ihre Geschichte\nhervorzuheben. Bundesweit, sagen sie, gibt es immer wieder Proteste gegen Abschiebungen\nund Polizeigewalt, doch in die Presse schafften es diese nur selten. Sie wollen\nzeigen, dass sie sich hier in Ellwangen nicht nur wegen der Ereignisse vom 30.\nApril und 3. Mai wehren, sondern wegen der bundesweiten Gesamtsituation. Denn\ndass sie mit ihren K\u00e4mpfen nicht alleine sind, ist bei der anschlie\u00dfenden\nDemonstration auch deutlich zu sehen: Refugee Gruppen aus unterschiedlichen\nSt\u00e4dten \u2013 beispielsweise aus Karlsruhe und Donauw\u00f6rth \u2013 sind angereist, um ihre\nSolidarit\u00e4t zu zeigen. Einen Tag sp\u00e4ter, auf der gro\u00dfangelegten Demonstration gegen das\nPolizeiaufgabengesetz (PAG) in M\u00fcnchen, sind viele Transparente von\nRefugees aus Bayern zu sehen, die solidarische Gr\u00fc\u00dfe nach Baden-W\u00fcrttemberg\nsenden. Es ist Bewegung in der Bewegung zu sp\u00fcren, da sind sich die rund 260\nTeilnehmenden der Demonstration in Ellwangen einig.
\n\nW\u00e4re es nicht eine so traurige Realit\u00e4t in Deutschland, k\u00f6nnte man\nglatt \u00fcber die Ironie des Schicksals lachen: Den Bewohner_innen der LEA wurde zuvor\nvon Presse und Politik unterstellt, sie seien gezielt organisiert gewesen oder\nw\u00e4ren gar von linkspolitischen Gruppen in Baden-W\u00fcrttemberg angestachelt\nworden. Jenseits der Tatsache, dass es f\u00fcr manche Deutsche wohl noch immer\nnicht vorstellbar ist, dass Schwarze Menschen eigenst\u00e4ndig Dinge auf die Beine\nstellen: Gerade erst die mediale Hetze und die Gewalt vom 3. Mai haben dazu\ngef\u00fchrt, dass die Refugees sich als Gruppe zusammengefunden haben und nun auch\nvon einer Vielfalt linker Gruppierungen und Einzelpersonen bei ihrem Schritt in\ndie \u00d6ffentlichkeit unterst\u00fctzt werden.
So unterschiedlich wie die Teilnehmenden der Demonstration sind,\nso stark ist die Solidarit\u00e4t zueinander \u2013 sie liegt fast greifbar in der Luft. Die\nmeisten begegnen sich zum ersten Mal: Bewohnerinnen der LEA, mit und ohne\nKinderw\u00e4gen, laufen neben dem \u00e4lteren deutschen Friedensaktivisten; ein junger\ngefl\u00fcchteter Mann unterh\u00e4lt sich angeregt mit eine_r queeren Aktivist_in \u00fcber politische\nMusik; ein Bewohner der LEA mit seinem Kind auf dem Arm tanzt zu den\nmelodischen Parolen, die aus dem Lautsprecher dringen; die Spr\u00fcche \u201eHoch die\ninternationale Solidarit\u00e4t\u201c und \u201eNo borders, no nations, stop deportations\u201c\nfinden kollektiven Anklang und begleiten den Demozug bis zum Ende. Die\nEllwanger Polizei h\u00e4lt sich sichtlich zur\u00fcck, Antikonfliktteams statt\nDemopolizei flankieren den Menschenzug. Die Stimmung ist friedlich, die\nOrdner_innen der Demo, ebenfalls Bewohner_innen der LEA, sind besser\norganisiert als auf jeder links-deutschen Veranstaltung. Ein zuvor\nstattgefundene Gespr\u00e4ch zwischen Polizei, Bewohner_innen und B\u00fcrgermeister\nhinter verschlossenen T\u00fcren wird von den Refugees positiv wahrgenommen, auch wenn\nmanche Medienberichte dazu sp\u00e4ter das Gef\u00fchl vermitteln, als w\u00e4ren die\nGefl\u00fcchteten gegen\u00fcber Polizei und Politik mit ihren Forderungen eingeknickt.\nDie Lautst\u00e4rke und die Stimmung auf der Demonstration zeigt ein anderes Bild.\nMit Kritik halten sich die Aktivist_innen nicht zur\u00fcck: So st\u00f6\u00dft die\nEntscheidung, dass die Demoroute nicht an der Polizeiwache vorbeif\u00fchren darf,\nobwohl es daf\u00fcr keine gesetzliche Grundlage gibt, auf Missbilligung. Das\nArgument der Polizei, dies w\u00fcrde eine Ausfahrt blockieren, wirke fadenscheinig,\nsagen sie. Es w\u00e4re wichtig gewesen, diesen Ort als Symbol der strukturellen\nHerrschaftsverh\u00e4ltnisse in Deutschland sichtbar zu machen. \u00a0
\n\nDas\ndominanzgesellschaftliche Bild der \u201ehelfenden Institution\u201c br\u00f6ckelt
\n\nNun also tr\u00f6pfeln die Informationen der Pressekonferenz langsam\nauch zu den Medien durch. Allerdings: Konkrete Richtigstellungen in den\nBl\u00e4ttern mit dem gr\u00f6\u00dften Bockmist gibt es bislang nicht - wer gibt schon gerne\nzu, inkompetent bei der eigenen Arbeit zu sein. Allerdings wurden die gr\u00f6bsten\nFehldarstellungen korrigiert: Aus den angeblich vier durch die Gefl\u00fcchteten\nverletzten Polizist_innen wurde, nachdem Journalist_innen schlicht bei der\nzust\u00e4ndigen polizeilichen Stelle nachhakten, ein einziger verletzter Polizist,\nder diese Verletzung auch noch ohne Fremdeinwirkung erhielt. Aus den\nangeblichen \u201eWaffen\u201c wurden Gegenst\u00e4nde allt\u00e4glichen Gebrauchs, aus dem Vorwurf\nder k\u00f6rperlichen Gewalt der der N\u00f6tigung. Was die Aktivist_innen aus Ellwangen also\nam 30. April bei der versuchten Abschiebung des jungen Mannes getan haben,\nf\u00e4llt unter das Stichwort des \u201ezivilen Ungehorsams\u201c: Durch verbalen\nWiderspruch und die Weigerung, sich vom Ort des Geschehens zu entfernen, an dem\netwas von \u00f6ffentlichem Interesse stattfindet, einen politischen Protest\nsichtbar zu machen. Die Gefl\u00fcchteten zeigten sowohl am 30. April und bei der\nsp\u00e4teren Demonstration, dass sie sich nicht derma\u00dfen regieren lassen. Auch\nabgesehen von der Lebensrealit\u00e4t aus Armut, Obdachlosigkeit und Gef\u00e4hrdung\ndurch Menschenhandel, die sie bei Abschiebung nach Italien erwartet, sollte\nziviler Ungehorsam ein absolut legitimes Mittel der politischen Partizipation\nsein.
\n\nZiviler Ungehorsam allein reichte aus, damit sich die vier\nPolizist_innen, von denen \u00fcbrigens die H\u00e4lfte lediglich Auszubildende waren, zur\u00fcckzogen.\nUnd das ist nicht verwunderlich: Bei aller mehr als n\u00f6tigen Kritik an\npolizeilichem Handeln, dem dort herrschenden, strukturellen Rassismus und\nausge\u00fcbter Gewalt, sollte man sich die Tatsache vergegenw\u00e4rtigen, dass\nPolizist_innen nicht nur ausf\u00fchrende Staatsgewalt sind. Sie sind auch Menschen,\ndie in sozialen Beziehungen zu anderen Menschen stehen, und viele wollen dabei ein\nSelbstbild von sich als \u201eguter\u201c Person aufrechterhalten. Dieses Selbstbild\nl\u00e4sst sich \u2013 vorausgesetzt, der_die jeweilige Polizist_in hat keine Freude an\nGewalt gegen Personen, was dokumentierte Polizeigewalt aus anderen Kontexten\ndurchaus nahelegen k\u00f6nnte \u2013 nur mit starker kognitiver Dissonanz\naufrechterhalten, wenn man immer wieder weinende, flehende, verzweifelte\nMenschen und ihre Kinder gegen ihren Willen aus spartanischen Unterk\u00fcnften\nbegleiten oder gar zerren muss, um sie in Armut, Gewalt oder Tod abzuschieben. Es mag angesichts der gesellschaftlichen Rolle der Polizei, welche die Aufrechterhaltung von\nstrukturellem Rassismus st\u00fctzt \u2013 wie sich beispielsweise an den miserablen und\nrassistischen Ermittlungen zum sogenannten NSU oder Oury Jallohs Tod in Polizeigewahrsam zeigt\n\u2013 nicht naheliegend scheinen, doch es geht hier um eine taktische Analyse der\nkonkreten Situation. In diesem Kontext ist der Blick auf lokale, d\u00f6rfliche (Polizei-)Strukturen\nnotwendig, die dazu angehalten sind, immer wieder die gleichen Personen in\nihrem Lebensumfeld zu unterdr\u00fccken. Statistisch findet in Ellwangen fast jeden\nzweiten Tag eine Abschiebung statt, man begegnet sich also immer und immer\nwieder. Jede_r, die_der bei einer Abschiebung dabei war wei\u00df, wie unertr\u00e4glich\ndiese soziale Situation selbst f\u00fcr Beobachter_innen ist. Und noch \u201eschwerer\u201c\nwird es f\u00fcr Angeh\u00f6rige der Mehrheitsgesellschaft, wenn man sich nicht blo\u00df mit den\nunmittelbar Betroffenen auseinandersetzen muss, die dieses Leid auch zeigen,\nanstatt still zu sein, sondern mit weiteren Menschen. Denn wenn diese das\neigene Verhalten anprangern und man sich rechtfertigen muss, dann kann die\n\u00dcberzeugung schon mal br\u00f6ckeln, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. So gibt\netwa Ernst Walter, Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft in Bezug auf\nAbschiebungen nach Afghanistan zu, dass\ndie Bundespolizei gro\u00dfe Probleme hat, gen\u00fcgend Beamt_innen f\u00fcr die\nAbschiebungen zu finden: \u201eSelbst im privaten Freundeskreis werden Kollegen, die an Abschiebungen\nteilnehmen, angefeindet\u201c. Es ist kein Zufall, dass die meisten Abschiebungen\nnachts stattfinden, wenn fast niemand auf den Stra\u00dfen unterwegs ist; dass\nUnterbringungen f\u00fcr gefl\u00fcchtete Menschen h\u00e4ufig au\u00dferhalb des Stadtgeschehens\nliegen, dass der Zugang zu Schule und Ausbildung erschwert wird. Die\nAbschiebung einer Person, die in das soziale Leben in Deutschland eingebunden\nist und gar deutsche Mitsch\u00fcler_innen, Kolleg_innen oder Freund_innen hat, geht\nnicht so unbemerkt von statten wie es manche gerne h\u00e4tten. Der Vorsitzende der\nGewerkschaft der Polizei, Oliver Machow, \u00fcbt im\nBayrischen Rundfunk sogar vorsichtige Kritik an Horst Seehofers Pl\u00e4nen von sogenannten\n\u201eAnkerzentren\u201c, in denen Gefl\u00fcchtete gegen ihren Willen und mit Gewalt festgehalten\nund von der deutschen Gesellschaft segregiert werden sollen: \u201eDann sollen\nsie auf einmal eingesperrt werden. Ob das die neue Willkommenskultur ist, wei\u00df\nich nicht.\" Erst vergangenen Herbst berichtete\nein polizeilicher Whistleblower in der S\u00fcddeutschen Zeitung anonym \u00fcber\nRassismus und Korpsgeist bei der Polizei in der Region. W\u00fcrden nun beide\nAspekte aufeinandertreffen, n\u00e4mlich demoralisierte Polizist_innen, die\nSelbstbild und Realit\u00e4t nicht mehr vereinbaren k\u00f6nnen und rassistische\nKolleg_innen bzw. die Sorge vor Sanktionen durch h\u00f6here Beamt_innen, so f\u00e4llt\nes nicht allzu schwer sich vorzustellen, wie die Aussage hatte entstehen k\u00f6nnen,\nes habe sich um eine gef\u00e4hrliche, gro\u00dfe Menge von Menschen gehandelt, vor der\nman sich zur\u00fcckziehen muss. Es erscheint nur logisch, dass die staatliche\nReaktion auf die Situation am 30. April und die darauffolgende hetzerische Berichterstattung\neine gro\u00dfangelegte, brutale Razzia am 3. Mai war, durchgef\u00fchrt von einer\nanderen Polizeitruppe und Spezialeinheiten aus Aalen.
\n\nWenn Abschiebungen zivilen Ungehorsam und Solidarit\u00e4t erzeugen, so\nf\u00fchlen sich konservative und rechte Politiker_innen bedroht, nicht wegen\nangeblicher rechtsfreier R\u00e4ume, die sie herbeifantasieren, sondern wegen dem\nVerlust ihrer Diskursmacht. Diese Sorgen sollten sie zu Recht haben: die gefl\u00fcchteten\nMenschen in Ellwangen und dar\u00fcber hinaus haben gerade erst begonnen, ihre\nStimmen zu erheben. Die wiederholten Angriffe auf ihre K\u00f6rper, Rechte und W\u00fcrde\nhaben sie nicht entmutigt, sondern ihnen Entschlossenheit verliehen und\nMenschen in Deutschland, die diese Erfahrungen ebenfalls, jedoch aus anderen\nKontexten kennen, stehen nun an ihrer Seite. Es wird nun nicht mehr so einfach\nsein wie zuvor, diese Stimmen aus dem Diskurs zu verbannen, denn sie werden\nimmer mehr.
\n\nWenn ein_e Leser_in in Kontakt mit den Ellwanger Refugees oder dem\nAktivisten Rex Osa treten m\u00f6chte, bitte an refugees4refugees Stuttgart wenden: refugees4refugees@gmx.de