Eine kurze Geschichte der Klimagerechtigkeit
\nand they call you an activist
and they call you a radical
and they call you a terrorist
just because you want your drinking water clean\u201d
Ash Grunwald, Blues-Musiker
Auch in Deutschland ist die internationale Bewegung\nf\u00fcr Klimagerechtigkeit im Aufwind. Nahezu unbekannt ist vielen Aktivist*innen\nallerdings, dass die Anf\u00e4nge dieser Bewegung zur\u00fcckreichen bis zur\nafroamerikanischen B\u00fcrgerrechtsbewegung in den USA, welche bereits in den\n1980ern den Kampf gegen Umweltrassismus\naufnahm. Aus der Analyse rassistischer Verh\u00e4ltnisse entwickelten Aktivist*innen\ndie Forderung nach Umwelt- und sp\u00e4ter Klimagerechtigkeit. Die Konzepte dieser\nBewegungen sind \u2013 auch angesichts erschwerter Kampfbedingungen in GroKo-Zeiten\n\u2013 hilfreich, um Strategien f\u00fcr linksradikale Umweltpolitik zu entwickeln, ohne\nin die Fallstricke des \u201ekatastrophistischen Klimatheaters\u201c zu tappen oder \u201edas\n\u00d6kothema\u201c als Nebens\u00e4chlichkeit, dessen Bearbeitung bis nach der Revolution\nwarten kann abzukanzeln.\n\n\n\n
Umweltrassismus
\n\n\n\nIn den 1960/70er Jahren war eine klassische Umweltschutzbewegung in den\nUSA aktiv. Diese soziale Bewegung war dominiert von weissen Aktivist*innen aus\nder Mittelschicht. Die Themen Gleichheit und Soziale Gerechtigkeit wurden\nselten thematisiert. Ebenso war die Tatsache, dass arme Menschen und People\nof Color erheblich gr\u00f6\u00dferen Umweltrisiken ausgesetzt waren und sind, kein\nThema der Bewegung. Die afroamerikanische Civil Rights Movement war\nw\u00e4hrenddessen noch vor allem mit den K\u00e4mpfen um Grundrechte vollauf\nbesch\u00e4ftigt.
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1982 trafen sich die Bewegungen schlie\u00dflich\nthematisch: Ausgangspunkt war der Konflikt um die Platzierung einer\nGiftm\u00fclldeponie zur Entsorgung hochgiftiger polychlorinierter Biphenyle (PCB)\nin Warren County, North Carolina. Der von den Beh\u00f6rden geplante Standort war brisant: Warren\nCounty war einer der \u00e4rmsten Landkreise des Bundesstaates, zwei Drittel der\nBev\u00f6lkerung waren Afroamerikaner*innen. W\u00e4hrend der Proteste gegen die\nGiftm\u00fclldeponie kam es zu \u00fcber 500 Festnahmen, darunter auch von hochrangigen\nPolitiker*innen und Kirchenvertreter*innen. Die Giftm\u00fcllanlage wurde trotz des\nWiderstands gebaut. Die Gegenproteste waren jedoch zugleich Ausgangspunkt einer\nneuen sozialen Bewegung. Kampfbegriff dieser neuen Formierung war der Ausdruck Umweltrassismus [1]. Damit ist\ngemeint, dass People of Color (nachfolgend: PoC) in\nPlanungsprozessen systematisch diskriminiert werden. Sp\u00fcrbar wurde dies unter\nanderem durch die prinzipielle Platzierung von Giftm\u00fcllanlagen und -deponien in\nStadtvierteln und Landkreisen, in denen ein hoher Anteil der Bewohner*innen PoC\nwaren. Parallel zu sozialen Bewegungen griffen\nSozialwissenschaftler*innen das Thema auf. In zahlreichen Studien wurde seither\nnachgewiesen, dass in Gemeinden mit einem hohen Anteil an PoC viel h\u00e4ufiger\nGiftm\u00fcllanlagen oder dreckige Industrien platziert werden als in Gemeinden mit \u00fcberwiegend\nweisser Bev\u00f6lkerung. Die Umweltrisiken und Gesundheitsgef\u00e4hrdungen f\u00fcr PoC sind damit \u2013 und bis heute anhaltend! \u2013 viel\nh\u00f6her als f\u00fcr wei\u00dfe Menschen [2]. Kamen andere Ergebnisse zustande, lag dies\nzumeist an methodischen Tricksereien der Forschenden [3].
\n\n\n\nUmwelt- und Klimagerechtigkeit
\n\n\n\nAuf die Analyse von Umweltrassismus\nfolgte schon bald die umfassendere Forderung nach Umweltgerechtigkeit\n(Environmental Justice). \u201eUmwelt\u201c wurde dabei nicht mehr im Sinne der\nklassischen Umweltschutzbewegungen als bewahrenswerte \u201ewilde Natur\u201c verstanden,\nsondern breiter gefasst: Umwelt meint die gesamte \u201enat\u00fcrliche\u201c und gebaute\nUmgebung von Menschen und ihren Communities. S\u00e4mtliche gesellschaftlichen\nVerh\u00e4ltnisse und Naturbeziehungen werden in diesem Verst\u00e4ndnis miteinbezogen.\nDer Ausdruck Gerechtigkeit verdeutlicht, dass der Fokus nicht alleine\nauf rassistischer Diskriminierung liegt, sondern auf den Umweltdimensionen\ns\u00e4mtlicher Verteilungsfragen.
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Seit Jahrzehnten zeigen Sozialforschung und soziale Bewegungen immer\nwieder, dass Umweltgerechtigkeit\nin einem unaufl\u00f6sbaren Widerspruch zu den Profitinteressen des Kapitals steht.\nGanz egal um welche Art von Naturzerst\u00f6rung es geht, meist stehen dahinter\nProfitinteressen des Kapitals. Das Konzept der Umweltgerechtigkeit stammt zwar aus sozialen K\u00e4mpfen in den USA,\ndoch die Zust\u00e4nde, die es benennt, sind Betroffenen, Linken und\nUmweltaktivist*innen weltweit bekannt. Beispielsweise sind es immer wieder die\nArmen und Marginalisierten, welche ungleich st\u00e4rker von Einflugschneisen oder\nder Platzierung krankmachender Industriebetriebe in ihren Vierteln betroffen\nsind. Zugleich werden Stadtparks oder Naherholungsgebiete meist in teureren\nStadtteilen angelegt. Wenig \u00fcberraschend ist aus dieser Sicht auch, dass\nVillenviertel selten als Standorte f\u00fcr Schwerindustrie oder M\u00fclldeponien\nerwogen werden.
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Soziale Ungerechtigkeiten und der Kampf um\nSoziale Gerechtigkeit sind \u00fcberhaupt nichts Neues im Kapitalismus. Linke haben\nsich (zumindest in Deutschland) historisch oftmals auf soziale Fragen\nbeschr\u00e4nkt. Das \u201e\u00d6kothema\u201c galt oftmals als reine Nebens\u00e4chlichkeit.\nSelbstverst\u00e4ndlich gab es ber\u00fchmte Ausnahmen, wie den Widerstand gegen den\nFlughafenausbau in Frankfurt am Main oder die Anti-Atom Bewegung, an welchen\nviele Linke beteiligt waren und zu deren vielf\u00e4ltigen Mitteln u.a. ziviler\nUngehorsam, aber auch militanter Widerstand geh\u00f6rten. Die K\u00e4mpfe um Flughafen\nund Atomenergie verdeutlichten eindr\u00fccklich die Verschr\u00e4nkung sozialer und\n\u00f6kologischer Konflikte in kapitalistischen Gesellschaften: Wer fliegt? Zu\nwelchem Preis? Auf wessen Kosten? Und weitergedacht: Wer leidet unter der zum\nFliegen notwendigen Erd\u00f6lf\u00f6rderung und deren regelm\u00e4\u00dfigen Naturzerst\u00f6rungen\n(z.B. durch Shell im Nigerdelta)? Dennoch ignorier(t)en viele radikale Linke das Thema in ihrer politischen Praxis. Die\n\u00f6kologische Frage und ihre sozialen Auswirkungen wurden h\u00e4ufig reformistischen\nUmwelt-NGOs wie dem WWF oder der Partei DIE GR\u00dcNEN \u00fcberlassen.
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In Europa r\u00fcckte das Thema \u00d6kologie erst ab 2009\nwieder st\u00e4rker in den Fokus der radikalen Linken. Anlass waren die Proteste gegen den damaligen UN-Klimagipfel in\nKopenhagen. Unter der Forderung nach Klimagerechtigkeit fanden\nGraswurzel-NGOs, Regierungen aus dem globalen S\u00fcden und Aktivist*innen aus dem\nglobalen Norden in Protestb\u00fcndnissen zusammen. Kleinster gemeinsamer Nenner war\ndie Forderung nach Ausgleich bzw. Wiedergutmachung der immens gewordenen\nKlimaungerechtigkeiten (Climate Injustices), welche global\nentlang der Nord-S\u00fcd-Trennlinie verlaufen. So sind zum Beispiel die pazifischen\nInselstaaten am st\u00e4rksten vom steigenden Meeresspiegel betroffen, w\u00e4hrend sie\nhistorisch am wenigsten zum menschengemachten Klimawandel beitragen.
\n\n\n\nHier ging\u2018s noch nie um Eisb\u00e4ren!
\n\n\n\nEine linke Analyse von Umweltfragen ersch\u00f6pft sich\nnicht in der Sorge um Naturschutzgebiete und den Erhalt von einer angeblichen\n\u201ewilden Natur\u201c. Die Begriffe Umweltgerechtigkeit und Klimagerechtigkeit zeigen\nauf, dass das Thema \u00d6kologie noch nie ein rein\n\u00f6kologisch-naturwissenschaftliches Thema war. Stattdessen verdeutlichen sie,\ndass soziale Fragen der Verteilung und der gleichberechtigen Zug\u00e4nge, das\nhei\u00dft, die Teilhabe an Ressourcen und M\u00f6glichkeiten von Gesellschaften, stets\n\u00f6kologische Konsequenzen haben. Umgekehrt h\u00e4ngt die Ausgestaltung von\nMensch-Naturverh\u00e4ltnissen stets von gesellschaftlichen Machtverh\u00e4ltnissen ab.
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Die Einen brausen mit dem Hybrid-SUV \u00fcber immer neue\nSchnellstra\u00dfen zum Bio-Kr\u00e4utershopping oder ins schicke \u00d6ko-Wellnesshotel aufs\nLand, oder sie jetten zur Regenwaldexpedition-Himalayabesteigung an das andere\nEnde der Welt, um sich so von den Strapazen ihres Gro\u00dfstadtalltags im\nenergetisch sanierten Altbauapartment zu erholen. Andere dagegen wurden schon\nlange von der Gentrifizierung aus der Innenstadt verdr\u00e4ngt und wohnen nun an\ngenau dieser lauten Schnellstra\u00dfe oder unter der Einflugschneise. Sie bekommen\nden krankmachenden L\u00e4rm und Dreck von Verkehrsmitteln ab, die sie sich selbst\nnicht leisten k\u00f6nnen, und das Geld aus der prek\u00e4r-befristeten Lohnarbeit oder klammen\nSozialleistungen reicht sicher nicht f\u00fcr ausgew\u00e4hlte Bio-Lebensmittel oder\nvermeintlich authentische Naturerlebnisreisen. Ausdifferenziert ist das Thema\noffensichtlich um einiges vielschichtiger und widerspr\u00fcchlicher. Gibt es kein\ngutes \u00f6ffentliches Nahverkehrsnetz, so wird die Alltagsbew\u00e4ltigung ohne eigenes\nAuto sehr schwierig. Ebenso profitieren die Ausgebeuteten innerhalb des\nglobalen Nordens, global betrachtet selbst von der Ausbeutung des globalen\nS\u00fcdens [4], wenn sie zum Beispiel eingeflogenes Obst vom Discounter, Schokolade\noder Kaffee konsumieren etc\u2026 Ebenso wie nicht alle Menschen im globalen Norden\ngleicherma\u00dfen von der Ausbeutung von \u201eNatur\u201c [5] und Mensch profitieren, sind\nauch l\u00e4ngst nicht alle Menschen im globalen S\u00fcden nur passiv Leidtragende der\ngegenw\u00e4rtigen sozial-\u00f6kologischen Verh\u00e4ltnisse [6], weltweit sind Mittel- und\nOberschichten anzutreffen, welche ressourcenintensive \u201ewestliche\u201c\nLebensstile verfolgen.
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\n\nGroKo na und?
\n\n\n\nMomentan ist sie kaum zu ignorieren: die Gro\u00dfe Koalition aus CDU und SPD\n(nachfolgend: GroKo). Neben m\u00e4chtigen Unternehmen ist sie aktuell in\nDeutschland das gr\u00f6\u00dfte Hindernis sinnvoller Umweltpolitik. Auf praktisch allen\nEbenen verhindert bzw. bek\u00e4mpft die neue GroKo\nKlimagerechtigkeit: Schon in den ersten Sondierungsgespr\u00e4chen wurden\nDeutschlands Klimaziele f\u00fcr das Jahr 2020 gestrichen. Die aktuelle GroKo ist, wie ihre\nVorg\u00e4ngerregierungen, Teil des Problems und war noch nie Anlass zur Hoffnung\nauf soziale oder \u00f6kologische Verbesserungen. Ignorieren l\u00e4sst sie sich jedoch\nkaum, weshalb eine Analyse der GroKo-Politik\nf\u00fcr linke Klimapolitik wichtig ist: Eine fr\u00fchere GroKo hatte im Jahr 2007 das Ziel bekanntgegeben, Deutschlands\nCO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu\nsenken. Dieses Ziel wurde nun von der neuen GroKo gestrichen. Als Grund wurde angegeben, dass es nun sowieso\nnicht mehr zu schaffen sei und deshalb alle M\u00fchen vergebens seien. \u201eAber, aber\u201c\nsetzt die GroKo nach, zwar k\u00f6nne das 2020er-Ziel nicht (mehr)\neingehalten werden, doch daf\u00fcr gibt es nun eine neue Zahl in ferner Zukunft:\n2030. Wow. Und damit das Ganze jetzt nicht nach Vertr\u00f6sten klingt, solle bis\nzum Jahr 2030 eine CO2-Minderung von abenteuerlichen 55 Prozent im\nVergleich zu 1990 erreicht werden. Au\u00dferdem solle im Stromsektor der Anteil der\nErneuerbaren Energien auf 65 Prozent ausgebaut werden, der aktuell ca. ein\nDrittel ausmacht. Klingt erstmal sehr ambitioniert k\u00f6nnte mensch denken.
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Allerdings f\u00e4llt beim genauen Hinschauen auf, dass so\nnaheliegende konkrete Ma\u00dfnahmen wie ein sofortiger (oder zumindest baldiger)\nKohleausstieg nicht Teil der neuen Klimaziele sind. Ebenso werden weiterhin\nMassentierhaltung, industrielle Landwirtschaft und Verbrennungsmotoren\nsubventioniert, statt abgeschafft. Auff\u00e4llig ist auch, dass da viel von Zielen\ndie Rede ist, aber wenig vom Weg dorthin: Anstelle eines Kohleausstiegs finden\nsich verschiedene Wirtschaftsf\u00f6rderungsprogramme: von der Planung von Zusch\u00fcssen\nf\u00fcr Altbausanierungen oder dem Austausch alter Heizkessel bis hin zur F\u00f6rderung\nvom Neubau weiterer Windkraft- und Solaranlagen. Klingt alles gar nicht so\n\u00fcbel, doch hat es mit der z\u00fcgigen Reduktion von Treibhausgasemissionen in\nabsoluten Zahlen nichts zu tun. S\u00e4mtliche Ma\u00dfnahmen zielen lediglich auf\nEffizienzsteigerungen ab, bestimmte Investitionen sollen gef\u00f6rdert werden, und\nkommen damit vor allem dem Kapital zu Gute frei nach dem Motto: \u201eWer hat, dem\nwird gegeben\u201c.
\n\n\n\nErfolgreiche Klimapolitik? Wie geht das?
\n\n\n\nIn der deutschen Nachkriegsgeschichte gab es lediglich\nzwei Ereignisse, die eine nennenswerte Reduktion der Treibhausgasemissionen zur\nFolge hatten. Zum einen war dies die Stilllegung der Industrie der ehemaligen\nDDR 1990 und zum anderen die krisenbedingt reduzierte Wirtschaftsleistung\n2008/09. Mit \u201evorbildlicher Klimapolitik\u201c oder einer absichtlichen Verschiebung\nder sozial-\u00f6kologischen Verh\u00e4ltnisse hatte dies nie etwas zu tun. In diesem\nKontext lassen sich die Klimaziele der Regierung auch einfach als Teil des \u201eKlimatheaters\u201c\nverstehen, welches Politik und Kapital aus Imagegr\u00fcnden regelm\u00e4\u00dfig\nveranstalten. International gibt es regelm\u00e4\u00dfige Gipfeltreffen des Klimatheaters und auf nationaler Ebene\nist der Ableger davon das beschriebene Ged\u00f6ns um angebliche Klimaziele. Aber\nder Reihe nach.
\n\n\n\nDas katastrophistische Klimatheater (oder: Alle Jahre wieder)
\n\n\n\nDas Klimatheater wird von der internationalen Politik inzwischen\nregelm\u00e4ssig veranstaltet. Geburt der internationalen Umweltpolitik war eine UN-Konferenz\n1972 in Stockholm. Seitdem folgten regelm\u00e4\u00dfig neue Theatervorstellungen: 1992\nwurde in Rio de Janeiro der Grundstein des Kyoto-Protokolls gelegt. Seitdem\nsteht das Klima im Mittelpunkt internationaler Umweltpolitik. 10 Jahre sp\u00e4ter\ngab es noch einen Aufguss davon: \u201eRio+10\u201c in Johannesburg. Die UN-COPs \u2013 auch\nbekannt als Weltklimagipfel oder eben \u201eKlimatheater\u201c \u2013 begannen im Rahmen des Kyoto-Protokolls\nund finden seither j\u00e4hrlich statt. Zuletzt 2017 in Bonn, oder eben besonders\naufw\u00e4ndig massenmedial inszeniert in Kopenhagen 2009 und in Paris 2015. F\u00fcr\n2018 steht Katowice in Polen auf dem Tourneeplan.
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Das Theaterskript ist immer dasselbe: Inspiriert von\nnaturwissenschaftlicher Klimaforschung und deren neuesten Prognosen wird ein\nultimativ bedrohliches Klimakatastrophenszenario entworfen. Die L\u00e4nder nehmen\nihre Pl\u00e4tze ein: Diese drohende Klimawandel-Apokalypse gelte es selbstverst\u00e4ndlich\n(mal wieder) zu verhindern! Und deshalb gibt es ja jetzt auch einen Gipfel\ndazu, auf dem nun ein schwammiger Plan und unverbindliche Vertr\u00e4ge komponiert\nwerden. Anschliessend wird noch mit verschiedenen Zahlen jongliert: Mal ein\n2-Grad-Ziel. Das n\u00e4chste Mal 1,5 Grad. Dann eine Reduktion von Treibhausgasen\num 20 Prozent, ein anderes Mal gar 30, 40 oder 80 Prozent. Oder ganz verwegen\ndas Kyotoprotokoll, der \u201eMeilenstein\u201c. Zum Abschluss \u2013 alle bitte l\u00e4cheln! \u2013 die Pressefotos.\nSo werden letzten Endes irgendwelche politisch festgelegten Zahlen massenmedial\nvermarktet, ohne dass sich an den Um- und Zust\u00e4nden der kapitalistischen Tristesse\nirgendwas \u00e4ndert [7]. Erfolgreiche Reduktionen von Treibhausgasen haben bislang\nzumindest in Deutschland kaum stattgefunden. \u00c4hnlich trist sieht es mit\nDeutschlands Klimazielen f\u00fcr 2020 aus. Interessant ist am Klimatheater\nund dessen Erz\u00e4hlung der drohenden Katastrophe nur das, wovon es ablenkt, oder,\nwas es leugnet.
\n\n\n\nDie Katastrophe ist l\u00e4ngst da
\n\n\n\nDie Katastrophe ist l\u00e4ngst angekommen in Gegenwart und Alltag. In Form\nvon Megastaudammprojekten, Atomkraftwerken, Fracking, Bergbau,\nlandwirtschaftlichen Monokulturen, industrieller Massentierhaltung,\nLandgrabbing, dem Verbrennen fossiler Brennstoffe, und so weiter und so fort\u2026.\nDer allt\u00e4gliche kapitalistische Wahnsinn und seine Naturverh\u00e4ltnisse\nt\u00f6ten bereits heute, machen krank und berauben Menschen und ihre Communities\nweltweit ihrer Lebensgrundlagen. Ganz unabh\u00e4ngig davon, was die Zukunft noch\nbringen wird. Ursache hierf\u00fcr ist nicht allein der Klimawandel, sondern der\nsoziale Umgang (global bis lokal) mit sich ver\u00e4ndernden nat\u00fcrlichen Umst\u00e4nden.
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So wird zeitgleich etwa grossz\u00fcgig verschwiegen, dass\ndie Hauptursache des Klimawandels das Verbrennen der fossilen Ressourcen Kohle,\n\u00d6l und Gas ist, ohne die im Kapitalismus so ziemlich gar nichts l\u00e4uft.\nSinnvolle Klimapolitik w\u00fcrde also konsequent daf\u00fcr sorgen, diese Vorkommen\nunangetastet im Boden zu lassen \u2013 bzw. die Voraussetzungen daf\u00fcr zu\nschaffen, dass fossile Brennstoffe St\u00fcck f\u00fcr St\u00fcck durch nachhaltigere Mittel\nersetzt werden, sei es in Produktion wie Transport. Praktisch zu Ende gedacht bedeutet dies das Ende des Kapitalismus. Und\nw\u00e4hrend die GroKo ab und zu eine neue Zielzahl herausposaunt, ist Deutschland\nweiterhin Braunkohleweltmeister und millionenfacher Autoproduzent.
\n\n\n\nWas tun?
\n\nAll jene, denen an Klimagerechtigkeit gelegen ist, k\u00f6nnen sich selbstverst\u00e4ndlich\nnicht auf irgendeine Bundesregierung oder den n\u00e4chsten Gipfel verlassen. Hier und\njetzt gilt es die gesellschaftlichen\nNaturverh\u00e4ltnisse grundlegend zu ver\u00e4ndern, d.h. zu demokratisieren und\nVetos von unmittelbar Betroffenen gegen Vorhaben wie dreckige Industrieanlagen,\nBergbau oder landwirtschaftliche Monokulturen zu respektieren. Hierf\u00fcr kann das\nKonzept Umwelt-/Klimagerechtigkeit samt seinen Wurzeln in den K\u00e4mpfen\ngegen Umweltrassismus praktisch\nsein.
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Als Analyse \u00f6kologisch-gesellschaftlicher Umst\u00e4nde und\nals Forderung nach umfassender Gerechtigkeit bietet das Konzept Klimagerechtigkeit Chancen f\u00fcr eine\ngrundlegend revolution\u00e4re Perspektive und erm\u00f6glicht zugleich einen Entwurf f\u00fcr\nlinksradikale \u00f6kologisch-orientierte\nRealpolitik, welche sich sofort praktisch anwenden lie\u00dfe. Eine \u00e4hnliche\nStrategie in Hinblick auf soziale Fragen schlug Anja Klein etwa im re:volt-Artikel\n\u201eDer GroKo-Salat\u201c vor.
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Der Begriff Umweltgerechtigkeit\nverdeutlicht, dass die Katastrophe schon l\u00e4ngst da ist und vor allem weiterhin\nsozial verursacht wird. Eine Ver\u00e4nderung der sozialen Verh\u00e4ltnisse (wie z.B.\nein neuer Standort f\u00fcr eine Giftm\u00fcllanlage oder eben deren Schliessung) hat\nsofort soziale und \u00f6kologische Folgen. Und jeden Tag k\u00e4mpfen Menschen an\nzahllosen Orten auf der Welt um die Verbesserung dieser Verh\u00e4ltnisse, welche\nauch langfristig die Bewahrung nat\u00fcrlicher Lebensgrundlagen sicherstellen.
Zu guter Letzt scheint eine Vereinnahmung des Konzeptes Klimagerechtigkeit der herrschenden Politik bislang kaum zu gelingen,\nund anders als das Einschw\u00f6ren auf ferne Klimaziele oder gr\u00fcnen Kapitalismus,\nwelche in Umweltpolitik lediglich neue Verkaufsargumente sehen, l\u00e4sst sich\nmittels Klimagerechtigkeit im\nBlick behalten, dass es um Befreiung geht. Und die gibt es nur ohne\nKapitalismus, Rassismus, Patriarchat und alle anderen Formen von Unterdr\u00fcckung\nund Ausbeutung. Klimagerechtigkeit zu Ende gedacht bedeutet viel mehr als \u201edas \u00d6kothema\u201c. Wieder einmal\nf\u00fchrt eine gr\u00fcndliche Analyse zu antikapitalistischer, sozialrevolution\u00e4rer,\ninternationalistischer Befreiungspolitik. Wen wundert\u2018s. In diesem Sinne lasst\nuns hier und heute anfangen und weitermachen mit den K\u00e4mpfen um realpolitische\n\u00f6kologische Verbesserungen gegen Tagebaue, Flughafenerweiterungen,\nMassentierhaltung und vieles mehr. Mit den analytischen Konzepten Umweltrassismus und Klimagerechtigkeit gelingt es\nwom\u00f6glich besser, im Alltagsget\u00fcmmel eine revolution\u00e4re Vision zu entfalten und\nm\u00f6gliche lebenswerte soziale Naturverh\u00e4ltnisse als praktikable Alternativen zum\nKapitalismus zu entwickeln.
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Naja und f\u00fcr Linke, die immer noch finden, dass \u201edas\n\u00d6kothema\u201c reine Nebensache ist und bis nach der Revolution warten kann, gibt\u2019s\nja immer noch die diesbez\u00fcglich unr\u00fchmliche Geschichte des realsozialistischen\nOstblocks. Generell bleibt zu sagen: Die kolonial-autorit\u00e4re Durchsetzung von\nindustriellen Gro\u00dfprojekten wie Atomkraftwerken, Bergbau, Schwerindustrie,\nlandwirtschaftlichen Monokulturen und vieles mehr \u2013 gegen alle Einw\u00e4nde von Betroffenen,\nIndigenen und Anwohner*innen \u2013 ist nicht gerade das, was ich unter der Flagge\nlinker Befreiung Mensch und \u201eNatur\u201c\nzumuten m\u00f6chte.
\n\n\n\n\u201eAl socialismo\nse puede llegar solo en bicicleta\u201c
(Der Sozialismus kann nur mit dem Fahrrad erreicht werden)
Jos\u00e9 Antonio Viera-Gallo, Staatssekret\u00e4r Justiz in der\nRegierung Allende
Der Autor Jakobus M\u00fchlstein ist ein hessischer\nKleinstadtautonomer. Er f\u00fchlt sich im Autonomen Kulturzentrum Metzgerstra\u00dfe\n8 in Hanau zu Hause. Er engagiert sich im Arbeitsschwerpunkt Gesellschaftliche\nNaturverh\u00e4ltnisse der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und der\nKlimabewegung. Bei EndeGel\u00e4nde wurde er auch schon gesichtet.
\n\nAnmerkungen
\n\n[1] Erstmals wurde der Vorwurf und Begriff des Umweltrassismus von Benjamin F.\nChavis Jr. \u00f6ffentlich vorgebracht. Er war einer der \u00fcber 500 Festgenommenen und\ndamaliger Gesch\u00e4ftsf\u00fchrer der United\nChurch of Christ.
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[2] Ein Klassiker der Umweltsoziologie ist die Studie \u201eToxic\nWastes and Race in the United States\u201c. Sie wurde direkt nach den Protesten in Warren County begonnen\nund 1987 ver\u00f6ffentlicht und ist bis heute unwiderlegt. Die Studie \u201eToxic Waste\nand Race at Twenty 1987 \u2013 2007\u201c von Robert D. Bullard, Paul Mohai, Robin Saha und Beverly Wright\n(2007) ist eine Aktualisierung der Studie von 1987 mit pr\u00e4ziseren\nErhebungsmethoden und Daten. Zus\u00e4tzlich enth\u00e4lt sie einen sehr ausf\u00fchrlichen\n\u00dcberblick \u00fcber die Geschichte der Umweltgerechtigkeitsbewegung und ihrer\nAnf\u00e4nge in Warren County sowie einige weitere Fallstudien.
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[3] Besonders gut dokumentiert\nz.B. im Artikel Environmental Justice von Paul Mohai, David Pellow und J.\nTimmons Roberts (2009), ver\u00f6ffentlicht im Annual Review of Environment and\nResources Vol.34/2009. Auf Seite 411 geht es um die verschiedenen\nDatengrundlagen und mathematischen Methoden der Auswertung.
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[4] \u201eImperiale Lebensweise\u201c ist der aktuell sehr hippe\nBegriff daf\u00fcr. Eine kurze Erkl\u00e4rung von Ulrich Brand und Markus Wissen findet\nsich hier, ausf\u00fchrlicher\nwird dieses analytische Konzept in ihrem gleichnamigen Buch dargestellt. Samuel\nDecker fasst es in seinem Artikel Bitte keine Verzichtsdebatten\u201c (analyse und kritik Nr.\n634 vom 23.01.2018) kurz und pr\u00e4gnant zusammen.
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[5] Das Wort Natur bzw. \u201eNatur\u201c steht bei n\u00e4heren\n\u00dcberlegungen auf sehr wackligen theoretischen F\u00fc\u00dfen, dennoch verwende ich es\nhier der Einfachheit halber, um mich nicht v\u00f6llig in wissenschaftstheoretischen\nDiskussionen zu verlieren.
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[6] In der Tradition der Kritischen Theorie wird dies\nin der Umweltsoziologie mit dem Konzept \u201eGesellschaftlicher Naturverh\u00e4ltnisse\u201c\nerfasst.
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[7] Um Missverst\u00e4ndnissen vorzugbeugen: Es geht\nkeineswegs darum Klimaforschung sowie deren Erkenntnisse und Berechnungen zu\ndiskreditieren oder zu leugnen. Insbesondere in Zeiten von Trump, AFD und\nKonsorten ist das Letzte, was wir brauchen, die stumpfe irrationale\nDiffamierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Der Punkt ist lediglich der,\nnicht auf die sehr einseitige katastrophistische Instrumentalisierung der\nKlimaforschung durch das Klimatheater der internationalen Politik\nhereinzufallen.
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