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Ein Friedensprozess am Ende
Als der ehemalige kolumbianische Pr\u00e4sident Juan Manuel Santos im Jahr 2016 die seit 2012 w\u00e4hrenden Friedensverhandlungen mit der marxistischen Guerilla Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia \u2013 Ej\u00e9rcito del Pueblo, kurz FARC-EP (Revolution\u00e4re Streitkr\u00e4fte Kolumbiens \u2013 Volksarmee) erfolgreich abschloss und diese sich schlie\u00dflich 2017 demobilisierte, waren die Erwartungen gro\u00df. Die Friedensvertr\u00e4ge von Havanna verpflichteten die Regierung faktisch dazu, einen modernen, demokratischen Nationalstaat mit umfangreichen Sozialsystemen aufzubauen. Eine gigantische Herausforderung f\u00fcr eines der sozial ungleichsten L\u00e4nder der Erde. Wirtschaftlich w\u00e4re es auf ein keynesianisches Investitionsmodell, insbesondere in den ruralen Regionen, hinausgelaufen. Die Jurisdicci\u00f3n Especial para la Paz, kurz JEP (Sonderjustiz f\u00fcr den Frieden), die seit 2016 eingerichtet wurde, h\u00e4tte eine sukzessive Aufarbeitung paramilit\u00e4rischer, mit dem Staat verbundener Morde und Massaker bedeutet. Schlie\u00dflich h\u00e4tte die Substitution des Koka-Anbaus durch nachhaltige Agrarwirtschaft und die Neuverteilung von Land \u00fcber den eigens daf\u00fcr geschaffenen Fond dem andauernden Drogenkrieg das Fundament entzogen. Kurz: Eine Umsetzung der Vertr\u00e4ge von Havanna h\u00e4tte ein Fundament f\u00fcr einen dauerhaften Frieden darstellen k\u00f6nnen. Ihnen lag eine Definition von Frieden zu Grunde, die diesen nicht alleine als Zustand der Abwesenheit von physischer Gewalt begriff, sondern vor allem auch die L\u00f6sung der sozialen Ursachen des bewaffneten Konflikts in der politischen und \u00f6konomischen Machtstruktur ins Visier nahm. Das alles h\u00e4tte jedoch einen Bruch mit dem neokolonialen und militaristischen B\u00fcrgerkriegsmodell bedeutet, das aus einem exklusiven Staatsapparat besteht, in dem linke und linksliberale Stimmen marginalisiert und mit paramilit\u00e4rischem Terror \u00fcberzogen wurden und werden. Das ist offensichtlich nicht gewollt. Sp\u00e4testens seit dem Amtsantritt Iv\u00e1n Duques als Pr\u00e4sident im August 2018 wird nichts unversucht gelassen, um Bestimmung f\u00fcr Bestimmung zu revidieren, damit der Friedensprozess und mit ihm die politische Linke des Landes beerdigt werden kann.
Plebiszit und erste Revision
Der erste Schlag gegen den Frieden geschah bereits, bevor das Abkommen offiziell unterzeichnet worden war. Mit einer Volksabstimmung sollte die Bev\u00f6lkerung \u00fcber die Annahme der Friedensvertr\u00e4ge von Havanna entscheiden. Diese Abstimmung durchzuf\u00fchren war ein explizites Anliegen der Regierungsseite und mitnichten der Guerilla, die nur zu gut wei\u00df, dass die Kr\u00e4fteverh\u00e4ltnisse in den bev\u00f6lkerungsreichen Zentren des Landes, den Cordilleras, nicht zu ihren Gunsten stehen. Eine Mischung aus historischem Antikommunismus und rechter Medienmacht, erfolgreichen, hetzerischen Mobilisierungen der Rechten, ebenso wie eine nicht mehr vorhandene Pr\u00e4senz beziehungsweise Einfluss der Guerilla in den gro\u00dfen St\u00e4dten des Landes, sowie eine weit verbreitete politische Apathie (Wahlbeteiligung: 37,43%) im Land, f\u00fchrten schlie\u00dflich zu einer knappen Ablehnung der Friedensvertr\u00e4ge im Oktober 2016. In den darauf folgenden Wochen, in denen das Vertragswerk \u00fcberarbeitet wurde, wurden bereits zentrale Revisionen vorgenommen. Dabei wurde unter anderem die Unantastbarkeit des Privateigentums an Land festgeschrieben, was die vorgesehene Umverteilung der in Gro\u00dfgrundbesitzerh\u00e4nden befindlichen L\u00e4ndereien an Opfer des bewaffneten Konflikts und/oder Kleinb\u00e4uer*innen nachhaltig unterminierte.
Die Verhaftung Jes\u00fas Santrichs
Zweifellos einer der ausschlaggebendsten Vorf\u00e4lle und gleichzeitig exemplarisch war die noch von Juan Manuel Santos veranlasste Verhaftung des FARC-F\u00fchrers und Chefideologen der alten Guerilla Jes\u00fas Santrich am 9. April 2018 in dessen Haus in Bogota. Santrich wurde vom US-amerikanischen Dienst Drug Enforcement Administration, kurz DEA (Drogenvollzugsbeh\u00f6rde), vorgeworfen, mit dem mexikanischen Sinaloa-Kartell [1] nach der Zeichnung der Friedensvertr\u00e4ge mit Kokain gehandelt zu haben. Da dieser Handel nach der Zeichnung der Vertr\u00e4ge erfolgt sein soll, habe Santrich kein Recht auf eine Verhandlung des Falls vor der JEP, so seine Ankl\u00e4ger*innen. Die USA forderten daraufhin seine Auslieferung auf Basis der historischen Auslieferungsgesetzgebung der 1980er Jahre, die aber im Zuge der Implementierung der K\u00f6rperschaft JEP ausgesetzt wurde \u2013 zumindest f\u00fcr solche Delikte w\u00e4hrend des bewaffneten Konflikts. Beweise gibt es, bis auf ein Telefonat und Bilder eines angeblichen Treffens, die beide von seinem ehemaligen Mitarbeiter Marlon Mar\u00edn eingef\u00e4delt worden waren, keine. Mar\u00edn ist interessanterweise zwischenzeitlich als Kronzeuge der DEA in den USA wieder aufgetaucht. Die Rechtsregierung unter Duque h\u00e4lt faktisch also einen Kongressabgeordneten (!) der Republik ohne Beweise fest und arbeitete an einer Auslieferung auf Basis einer Gesetzgebung, die f\u00fcr F\u00e4lle wie Santrich in den Friedensvertr\u00e4gen explizit ausgesetzt worden war. Zwischenzeitlich attackierte Duque die JEP auch auf dem parlamentarischen Weg, mit dem Ziel, diese de facto auszuhebeln. Das h\u00e4tte eine regul\u00e4re Strafverfolgung aller Guerilleros/as in den Entwaffnungszonen bedeutet. Dieses Szenario wurde nun vorl\u00e4ufig vom Obersten Gerichtshof verhindert. Weiterhin wurde Santrich auf Weisung der JEP gegen den Willen der Staatsanwaltschaft vorl\u00e4ufig auf freien Fu\u00df gesetzt.
Die Rechtsradikalen gewinnen die Wahl
Der Wahlsieg Iv\u00e1n Duques gegen seinen linken Herausforderer Gustavo Petro im vergangenen Jahr machte allen klar, dass die politischen Weichen in Richtung Scheitern des Friedensprozesses gestellt werden. Duque gab sich in seinem Wahlkampf nicht einmal die M\u00fche, seine Absichten zu verbergen und verk\u00fcndete vor Anh\u00e4nger*innen dann schon mal, dass er die Friedensvertr\u00e4ge mit den FARC \u201ezerrei\u00dfen\u201c werde. Nach seinem Wahlsieg lie\u00df er zwar verlautbaren, dass er nur noch \u201e\u00c4nderungen\u201c an den Vertr\u00e4gen plane, jedoch merkte der liberale Politiker und ehemalige Chefunterh\u00e4ndler der Regierung Santos, Humberto de la Calle zu Recht an, dass es sich bei diesen angepeilten Ver\u00e4nderungen um eine \u201e\u00c4nderung des Wesensgehalts der Vertr\u00e4ge\u201c handele. Bei diesen Wahlen wurde auch deutlich, wie gravierend die Guerillabewegung an Einfluss in den politischen Zentren des Landes eingeb\u00fc\u00dft und wie stark ihre politische Isolation geworden war. Die nunmehr im November 2017 als legale Partei Fuerza Alternativa Revolucionaria del Com\u00fan - FARC (Alternative Revolution\u00e4re Kraft des Volks) transformierte Ex-Guerilla konnte \u00fcber ihre eigene Anh\u00e4nger*innenschaft hinaus kaum Stimmen gewinnen. Aufgrund der Bestimmungen in den Friedensvertr\u00e4gen entsendete die neue Linkspartei dennoch f\u00fcnf Kandidat*innen in Senat wie Abgeordnetenhaus, von denen allerdings nicht alle ihr Mandat aufnahmen.
Das Whitewashing des Staates...
Auch auf dem Feld der Aufarbeitung der sozialen Ursachen des bewaffneten Konflikts kam es zum umfassenden Rollback. Nahezu symbolisch f\u00fcr die einseitige Geschichtserz\u00e4hlung vom bewaffneten Konflikt steht die k\u00fcrzliche Ernennung des Ultra-Rechten Dar\u00edo Acevedo zum Leiter des Centro Nacional de Memoria Hist\u00f3rica, CNMH (Nationales Zentrum f\u00fcr Historisches Ged\u00e4chtnis). Acevedo geh\u00f6rt zu jenen \u201eHistorikern\u201c, die entgegen dem Forschungsstand zum bewaffneten Konflikt behaupten, dass diesem keine soziale Komponente zu Grunde liege, sondern es sich um einen \u201eKampf gegen den Terrorismus\u201c handele. In dieser Erz\u00e4hlung steht ein vermeintlich sauberer Staat einer mit Blut besudelten Guerilla gegen\u00fcber, die vollkommen abseits jeder politischen Intention die Bev\u00f6lkerung mit Drogenhandel und Terror \u00fcberzogen h\u00e4tte \u2013 eine derzeit bis weit hinein in linke Intellektuellenkreise reichende Annahme.
...und die Fortsetzung des Staatsterrorismus
Das Ansteigen der politischen Morde seit Zeichnung der Friedensvertr\u00e4ge im Jahr 2016 ist dabei ein besonders d\u00fcsteres Kapitel des gescheiterten Friedensprozesses. Ein k\u00fcrzlich unter anderem durch die linke soziale Bewegung Marcha Patri\u00f3tica und der NGO Instituto de estudios para el desarollo y la paz, INDEPAZ (Institut f\u00fcr Entwicklungs- und Friedensstudien) herausgegebener Bericht spricht von zwischenzeitlich 702 ermordeten Aktivist*innen und 135 ermordeten Ex-K\u00e4mpfer*innen der Guerilla seit Zeichnung der Friedensvertr\u00e4ge im Jahr 2016. Mit j\u00e4hrlich steigender Tendenz. Gleichzeitig ging die Regierung nach wie vor bei s\u00e4mtlichen Gelegenheiten mit massiver Gewalt und unter Inkaufnahme schwerster Verletzungen mit Todesfolge mit der Aufstandsbek\u00e4mpfungseinheit ESMAD gegen soziale Proteste, etwa im Choc\u00f3, oder auch in der armen Pazifikstadt Buenaventura vor. Die kolumbianische Regierung ist dabei nicht nur als unf\u00e4hig, sondern vor allem als unwillig zu bezeichnen, was die Bek\u00e4mpfung des Problems des Paramilitarismus anbelangt. \u00d6ffentlich leugnete bereits die vergleichsweise liberale Regierung von Juan Manuel Santos die historischen wie aktuellen und hinreichend belegten Verbindungen zwischen kolumbianischem Staat und paramilit\u00e4rischen Gruppen. Mit Iv\u00e1n Duque ist der politische Arm des Paramilitarismus wieder zu Amt und W\u00fcrden gekommen. Die Haltung der derzeitigen Regierung zu dieser Frage hat kein Politiker besser auf den Punkt bringen k\u00f6nnen als \u00c1lvaro Uribe Velez, Ziehvater des jetzigen Pr\u00e4sidenten Iv\u00e1n Duque und Gr\u00fcnder der ersten paramilit\u00e4rischen Gruppen, selbst. So schrieb dieser Ex-Pr\u00e4sident Kolumbiens k\u00fcrzlich \u00fcber seinen Twitter Account, dass \u201ewenn eine ruhige Autorit\u00e4t, stark und mit sozialen Kriterien Massaker bedeutet, dann weil auf der Gegenseite mehr Gewalt und Terror herrscht als Protest\u201c. Dieses, die Morde an Aktivist*innen legitimierenden Statement ging anschlie\u00dfend unter dem Hashtag #Masacreconcriteriosocial (#MassakermitsozialemKriterium) viral. Dazu passt dann auch, dass Iv\u00e1n Duque nichts zum Schutz der Menschen tut, aber stattdessen eine Sicherheitspolitik forciert, in der es erneut m\u00f6glich wird, legale paramilit\u00e4rische Gruppen zu gr\u00fcnden. In den 90er Jahren hatte \u00c1lvaro Uribe Velez bereits mit den CONVIVIR eine legale Form des Paramilitarismus in Form von privaten B\u00fcrgermilizen geschaffen, die Hand in Hand mit dem Staat gegen die Guerilla und andere Linke vorgingen, um dann sp\u00e4ter umstandslos in die Kontra-Guerilla der AUC \u00fcberzugehen.
Der Ausbau des Milit\u00e4r-Regimes
Bei nicht wenigen Aktivist*innen f\u00fcr den Friedensprozess war mit den Vertr\u00e4gen von Havanna die Hoffnung verbunden, dass ein dauerhafter Waffenstillstand mit der letzten verbliebenen relevanten Guerilla Ej\u00e9rcito de Liberaci\u00f3n Nacional, ELN (Nationales Befreiungsheer) folgen k\u00f6nnte und der aufgebl\u00e4hte kolumbianische Milit\u00e4rapparat damit eingek\u00fcrzt w\u00fcrde. Real ist auch hier das Gegenteil eingetreten. Hatte Juan Manuel Santos noch vergleichsweise erfolgreiche Friedensverhandlungen mit der ELN gef\u00fchrt, blockierte die Regierung Duque die Verhandlungen zun\u00e4chst, um sodann die milit\u00e4rische Aggression gegen die letzte verbliebene linke Guerilla zu verst\u00e4rken. Diese reagierte zu Anfang des Jahres 2019 mit einem Anschlag gegen eine Polizeiakademie in Bogota, was dann endg\u00fcltig zum Vorwand genommen wurde, den fragilen Friedensprozess zu begraben. Mit diesem Man\u00f6ver erhielt sich die Regierung Duque einen inneren Feind, um die Aufrechterhaltung der immensen Milit\u00e4rausgaben (drei bis vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes) und deren Erh\u00f6hung um drei Milliarden US-Dollar (2018) zu rechtfertigen. Bereits seit Santos gilt Kolumbien als \u201eglobaler Partner\u201c der NATO in S\u00fcdamerika. Die USA nutzen dar\u00fcber hinaus nach wie vor sieben Milit\u00e4rbasen auf kolumbianischem Territorium, insbesondere als Drohung gegen die Linksregierung in Venezuela. K\u00fcrzlich wurden in der New York Times fragw\u00fcrdige Weisungen im kolumbianischen Milit\u00e4r \u00f6ffentlich gemacht. Die Weisungen sehen Belohnungen von T\u00f6tungen von Guerilleros vor und Strafe bei Nicht-Erf\u00fcllung des \u201eSolls\u201c. Damit betreibt die Regierung Duque eine \u00e4hnliche falso positivo-Milit\u00e4rpolitik wie seinerzeit \u00c1lvaro Uribe Velez und dessen damaliger Verteidigungsminister Juan Manuel Santos.
Ein Gezielter Bruch der Vertr\u00e4ge
Zu den genannten Faktoren und Entwicklungen treten dann noch mangelhafte Umsetzung der Bestimmungen f\u00fcr die Zonas Veredales Transitorias de Normalizaci\u00f3n, ZVTN (Transitionszonen) nun Espacio Territoriales de Capacitaci\u00f3n y Reincorporaci\u00f3n, ETCR (Territoriale Orte der Fortbildung und Wiedereingliederung) hinzu. Weiter die fortgesetzte Inhaftierung von politischen Gefangenen der FARC, keine Umsetzung der sozialen Bestimmungen der Friedensvertr\u00e4ge, geschweige denn jener zur ruralen Entwicklung, sowie die wieder aufgenommene milit\u00e4rische Vernichtungspolitik von Koka-Plantagen mit krebserregendem Glyphosat statt Substitution und Landentwicklung. War die Regierung unter Juan Manuel Santos noch ambivalent und hielt eine Balance zwischen erf\u00fcllten und unerf\u00fcllten Bestimmungen, kann man von der Duque-Regierung sagen, dass sie in s\u00e4mtlichen Bereichen das genaue Gegenteil zu den vereinbarten Vertr\u00e4gen umsetzt. Es wird mehr als deutlich, dass der kolumbianische Staat und seine politische Klasse sp\u00e4testens seit Iv\u00e1n Duques Pr\u00e4sidentschaft darauf hinarbeiten, die Vertr\u00e4ge unwirksam werden zu lassen. Der Friedensprozess wurde einseitig, n\u00e4mlich durch die Regierungsseite, aufgek\u00fcndigt, w\u00e4hrend die ehemalige Guerilla s\u00e4mtliche Bestimmungen wortgenau umsetzte. Inwieweit eine solche negative Entwicklung bereits unter Santos absehbar war, ist Gegenstand heftiger Kontroversen. Fest steht jedoch, dass bereits in der \u00c4ra Santos Probleme in der Umsetzung der Bestimmungen auftraten, weil Teile des Staatsapparats sich weigerten, die Bestimmungen ad\u00e4quat umzusetzen. Weiterhin f\u00e4llt bereits in die \u00c4ra Santos die Verhaftung von Santrich und die Aufk\u00fcndigung des so genannten Fast Track-Verfahrens, d.h. einer beschleunigten, dekretartigen Beschlussfassung ohne weitere Diskussion in den politischen Kammern. Durch die Aufk\u00fcndigung des Verfahrens musste Bestimmung f\u00fcr Bestimmung der Friedensvertr\u00e4ge erneut durch die Kammern des kolumbianischen politischen Systems diskutiert beziehungsweise beschlossen werden. Es ist also zwar anzunehmen, dass ein liberalerer, nicht mit dem Paramilitarismus verbundener Pr\u00e4sident, weniger aggressiv gegen die Friedensvertr\u00e4ge vorgegangen w\u00e4re. Allerdings muss zugleich festgehalten werden, dass keine einzige der mit der kolumbianischen Oligarchie verbundenen politischen Parteien \u2013 von den Rechten um Centro Democr\u00e1tico, Cambio Radical, Partido Social de Unidad Nacional und Partido Conservador Colombiano bis hin zu den Liberalen um die Partido Liberal Colombiano \u2013 ein Interesse an der wortgenauen Umsetzung der Friedensvertr\u00e4ge hat. Diese lesen sich zwar aus einer westlichen Perspektive als moderate, sozialdemokratische Programmatik, bedrohen jedoch in einem System, in dem die politische Linke, inklusive Sozialdemokratie und Gewerkschaften, stets ausgeschlossen und verfolgt wurde, potentiell das traditionelle Herrschaftssystem.
Die Folgen f\u00fcr die bolivarianische Bewegung in Kolumbien
F\u00fcr die bolivarianische Bewegung [2] und insbesondere die neue Linkspartei FARC ergeben sich vor dem Hintergrund dieses Szenarios gravierende Probleme. Zum einen kann festgehalten werden, dass die St\u00e4rke des politischen Gegners untersch\u00e4tzt und die eigene St\u00e4rke \u00fcbersch\u00e4tzt wurde. Die ehemalige Guerilla stellte zu Recht fest, dass eine klar sozialistische Partei im politischen Spektrum des Landes fehlte und gr\u00fcndete demnach eine solche Partei mit vergleichsweise moderatem Programm und eben keine Kommunistische Partei [3]. Als Erfolg kann festgehalten werden, dass diese Partei in den St\u00e4dten teilweise in der Lage war, insbesondere junge Menschen politisch zu organisieren. Ein Erfolg ist wohl auch, dass es mit Gustavo Petro ein erstmals links stehender Pr\u00e4sidentschaftskandidat in die Stichwahl schaffte mit immerhin 41,77 Prozent der abgegebenen Stimmen. Jedoch haftete der Partei das Stigma des vermeintlichen Hauptschuldigen am bewaffneten Konflikt derart stark an, dass sie nicht nur von ihren politischen Gegnern, sondern auch innerhalb der Linken selbst politisch isoliert wurde. Das Wahlergebnis, aber auch das inhaltliche Umkippen des Pr\u00e4sidentschaftskandidaten der FARC Rodrigo Londo\u00f1o in puncto Venezuela und dann der folgende Abbruch seiner Kandidatur sind Ausdruck dieser politischen Isolation. [4] Die von ihr angestrebte Rolle eines Sammelpunkts einer breiter aufgestellten Linken und der Bewegung f\u00fcr den Frieden wurde ihr von der Wahlbewegung Gustavo Petros, Colombia Humana (Menschliches Kolumbien) abgelaufen.
Dieser ausbleibende politische Erfolg wurde begleitet von der Zunahme politischer Morde an der Anh\u00e4nger*innenschaft der Partei ebenso wie an ihr nahestehenden Aktivist*innen, den zunehmenden Vertragsbr\u00fcchen und der symbolischen Verhaftung von Santrich. Gleichzeitig verlie\u00dfen immer mehr demobilisierte Guerillerxs die Entwaffnungszonen in die Anonymit\u00e4t oder zur\u00fcck in den bewaffneten Kampf. Von 13.049 urspr\u00fcnglich registrierten K\u00e4mpfer*innen sind heute nur noch 3.500 in den ETCR. Die F\u00fchrung der FARC geriet so nicht nur unter Druck des politischen Gegners, da dieser zunehmend auf die abnehmende Zahl von in den Zonen pr\u00e4senter K\u00e4mpfer*innen verweisen konnte, sondern stand einer unzufriedener werdenden Basis gegen\u00fcber, die partiell nicht mehr bereit war, den Friedensprozess unter diesen Bedingungen mitzutragen. So bildeten sich innerhalb der Partei mehrere Fl\u00fcgel aus, die nun zunehmend sch\u00e4rfer miteinander in Konflikt geraten. Zur Zeit lassen sich drei Positionen im bolivarianischen Spektrum feststellen:
(1) Da w\u00e4re der Versuch der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs, an dem insbesondere Gentil Duarte arbeitet. Der ehemalige hochrangige Kommandeur des Bloque Oriental (\u00d6stliche Front der FARC-EP) der Guerilla arbeitet seit seinem Untertauchen 2016 an einer Wiedervereinigung der versprengten Restverb\u00e4nde der FARC, die auch die Disidencia genannt werden. Diese versprengten Verb\u00e4nde haben sich unter F\u00fchrung lokaler Ex-Kommandeure warlordisiert. Partiell k\u00e4mpfen sie auch weiter unter politischem Banner. Bis dato gibt es noch keinen Einblick in die politische Programmatik der Gruppen. Ein Hinweis jedoch gibt die Aktion von dissidenten Mitgliedern der FARC in der Nationaluniversit\u00e4t in Bogot\u00e1 im August 2018. Dort hatte eine vermummte und bewaffnete Miliz eine Kundgebung im traditionellen Stil der Milicias Urbanas (Stadtguerilla der FARC-EP) aus den Zeiten des bewaffneten Konflikts abgehalten. In der Rede wurde der Friedensprozess als gescheitert und die F\u00fchrung der legalen Partei als \u201eVerr\u00e4ter\u201c bezeichnet. Parallel dazu zirkulierte ein 16-seitiges Pamphlet, in dem die Reaktivierung der Partido Comunista Clandestino Colombiano, PCCC (Klandestine Kolumbianische Kommunistische Partei), dem politischen Arm der aufgel\u00f6sten Guerilla, und die R\u00fcckkehr zum Marxismus-Leninismus als Leitlinie gefordert wird.
(2) Der linke Parteifl\u00fcgel um Iv\u00e1n M\u00e1rquez und Jes\u00fas Santrich. Diese beziehen in der parteiinternen Auseinandersetzung eine Position der Selbstkritik und der scharfen Kritik am aus ihrer Sicht gescheiterten Friedensprozess. M\u00e1rquez, der gemeinsam mit anderen Kritiker*innen des Friedensabkommens im Juni 2018 wegen der Verhaftung von Santrich abgetaucht ist, ver\u00f6ffentlichte in regelm\u00e4\u00dfigen Abst\u00e4nden Schreiben der Selbstkritik an die Parteibasis. Dies trifft auf ein wachsendes Unwohlsein in der F\u00fchrung der Partei, gilt M\u00e1rquez als deutlich beliebter und als alter Rivale des Parteichefs Londo\u00f1o. Sein letztes Schreiben anl\u00e4sslich des skandal\u00f6sen Hin und Her um die Entlassung von Santrich bedauerte erneut die vorzeitige Entwaffnung, sprach sich aber zugleich f\u00fcr einen Kampf um den Frieden aus. Welchen Plan M\u00e1rquez \u00fcber eine kritische Begleitung des Friedensprozesses hinaus verfolgt, bleibt bislang unklar. Er steht derzeit f\u00fcr eine Position des \u201eWeder-Noch\u201c: Weder ein \u201eWeiter so!\u201c, noch Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs. M\u00e1rquez wurde in seiner Haltung durch Jes\u00fas Santrich noch vor dessen Entlassung wie zu erwarten best\u00e4rkt, w\u00e4hrend der Parteivorsitzende Rodrigo Londo\u00f1o als Vertreter des rechten Parteifl\u00fcgels sich abwesend zeigte.
(3) Der rechte Fl\u00fcgel der Partei um den Parteivorsitzenden Rodrigo Londo\u00f1o will unter allen Umst\u00e4nden am Friedensprozess festhalten und verteidigt den gescheiterten Prozess innerhalb und au\u00dferhalb der Partei bedingungslos gegen seine Kritiker*innen. Gleichzeitig wird man den Eindruck nicht los, dass dieser Fl\u00fcgel eine Art Anbiederungspolitik verfolgt. So entschuldigte sich Londo\u00f1o k\u00fcrzlich offiziell beim spanischen Staat, da auf dem Video der Entlassung Santrichs ein Unterst\u00fctzer der Partei mit dem Logo der baskischen Unabh\u00e4ngigkeitsbewegung ETA aufgetreten war. Die rechte Presselandschaft hatte dieses Symbol anschlie\u00dfend zum Anlass genommen, der Linkspartei die Friedfertigkeit abzusprechen - was angesichts von 135 Toten Parteimitgliedern einer glatten Opfer-T\u00e4ter-Umkehr gleichkommt. Das Schreiben M\u00e1rquez\u2019 schlie\u00dflich provozierte Parteif\u00fchrer Rodrigo Londo\u00f1o k\u00fcrzlich so sehr, dass er im Alleingang und an s\u00e4mtlichen Parteigremien vorbei dessen Position zu einer Position f\u00fcr den Krieg (Twitter, 22. Mai 2019) und damit unvereinbar mit der Partei erkl\u00e4rte. Die Folge war ein Aufschrei an der Basis, sowie \u00f6ffentliche Richtigstellungen und Verurteilungen aus der F\u00fchrungsriege der Partei. Benedicto Gonz\u00e1lez, einer der Kongressabgeordneten der FARC und hochrangiges Mitglied, erkl\u00e4rte die Stellungnahme \u00f6ffentlich de facto f\u00fcr illegitim und nicht repr\u00e4sentativ. Londo\u00f1o ruderte anschlie\u00dfend zur\u00fcck und beschwor die Einheit in der Partei.
W\u00e4hrend Londo\u00f1o angeschlagen aus der \u00f6ffentlichen Auseinandersetzung hervorgeht, rumort es innerhalb der Basis der Partei weiter. Zahlreiche Anh\u00e4nger*innen des linken Fl\u00fcgels haben die Partei bereits verlassen. Besonders opportunistische Anh\u00e4nger*innen des rechten Fl\u00fcgels sind zur gr\u00fcn-liberalen Partido Verde (Gr\u00fcne Partei) \u00fcbergelaufen. Mit weiteren Angriffen der kolumbianischen Regierung um Iv\u00e1n Duque auf das wenige Erreichte im Friedensprozess, insbesondere die JEP, und die legale Partei, ist zu rechnen. Die Situation wird daher f\u00fcr die FARC eher noch prek\u00e4rer werden. Sollten sich noch mehr Mitglieder der legalen Partei vom Ziel des Friedens abwenden, steht Kolumbien vor einem erneuten bewaffneten Konflikt mit altbekannten Akteur*innen. Wird dahingegen weiter an einem faktisch gescheiterten Friedensprozess festgehalten droht ein Massaker im Ausma\u00df der Ausl\u00f6schung der FARC-Vorg\u00e4ngerpartei Uni\u00f3n Patri\u00f3tica (UP) bzw. die Integration als liberale Systempartei. Die politische Verantwortung f\u00fcr dieses jeweilig desastr\u00f6se Ergebnis des Friedensprozesses hat jedenfalls, wie Jes\u00fas Santrich es k\u00fcrzlich in seiner Botschaft anl\u00e4sslich seiner Entlassung richtig mitteilte, allein der kolumbianische Staat zu tragen.
Anmerkungen:
[1] Die DEA stand erwiesenerma\u00dfen immer wieder im B\u00fcndnis mit Narco-Kartellen. Zuletzt wurde bekannt, dass sie sich mit dem Sinaloa-Kartell gegen die Zetas in Mexiko verb\u00fcndet hatte. Also genau mit dem Kartell, das nun laut DEA mit Santrich Gesch\u00e4fte gemacht haben soll. Die Recherche wurde von der mexikanischen Tageszeitung El Universal \u00f6ffentlich gemacht.
[2] Die FARC nennen ihre ideologische Leitlinie Marxismus-Bolivarianismus, das hei\u00dft eine Symbiose von Marxismus-Leninismus und der panamerikanischen Ideen des antikolonialen Befreiungsk\u00e4mpfers Sim\u00f3n Bol\u00edvar. Auf den Bolivarianismus beziehen sich in Kolumbien viele Organisationen und Str\u00f6mungen, unter anderem die soziale Bewegung Marcha Patri\u00f3tica, die politische Partei Uni\u00f3n Patri\u00f3tica, die Partido Comunista Colombiano (PCC), die Jugendorganisation Juventud Rebelde, die Guerilla FARC-EP und nun die legale Linkspartei FARC.
[3] Der politische Arm der FARC-EP war bis zur Gr\u00fcndung der Linkspartei die Partido Comunista Clandestino Colombiano (PCCC).
[4] Londo\u00f1o hatte in dem Interview das Wording der radikalen Rechten in Kolumbien (Castro-Chavismus) zur Beschreibung von Venezuela \u00fcbernommen und sich davon distanziert. Das hatte noch nicht einmal der gem\u00e4\u00dfigte Sozialdemokrat Gustavo Petro so ge\u00e4u\u00dfert.
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