Der aufhaltsame Aufstieg des Neofaschismus in Italien
\nWas l\u00e4uft da\ngerade in Italien? Ist die Bev\u00f6lkerung im Angesicht der j\u00fcngsten\nfremdenfeindlichen und rechten Angriffen konservativ - oder geradezu\nfaschistisch geworden? Aus den Berichten der Mainstream-Medien und\nKorrespondenten l\u00e4sst sich kaum etwas \u00fcber den Zustand des Landes\nableiten, da sie in den meisten F\u00e4llen durch eine Brille der\nParteipolitik, korrupten Eliten, stagnierenden und vermutlich\nbankrotten \u00d6konomie und der Probleme des Migrationsregimes berichten.
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Aber es w\u00e4re\nschlichtweg falsch, sich an diese Erz\u00e4hlungen zu halten, um den\nWahlkampf und die aktuelle Wiederbelebung der Antifa-Bewegung in\nItalien zu verstehen.
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Beginnen wir mit\nder Selbstwahrnehmung der repr\u00e4sentativen Politik, die zunehmend zur\nAngelegenheit eines mehr oder weniger wohlhabenden \u00e4lteren,\nschrumpfenden Teils der italienischen Bev\u00f6lkerung wird, wodurch\ngro\u00dfe Teile der italienischen Bev\u00f6lkerung aus der \u201e\u00f6ffentlichen\nMeinung\u201c verschwinden.
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Insbesondere in\nden letzten f\u00fcnf Jahren sind die Mitgliederzahlen der Parteien (und\nder offiziellen Gewerkschaften) erheblich zur\u00fcckgegangen, die\n\u00f6ffentliche Finanzierung von Parteien wurde verboten, ihre hoch\nverschuldeten territorialen Organisationen teils abgebaut und der Weg\nf\u00fcr die Beeinflussung der Parteien durch private (und sogar\nausl\u00e4ndische) Lobbys und Interessen geebnet. Im Vergleich zu einer\nWahlbeteiligung von 80 Prozent im Jahr 2006 wird erwartet, dass nicht mehr\nals zwei Drittel der potenziellen W\u00e4hler am 4. M\u00e4rz zu den\nWahlurnen gehen werden. Manche sagen, die Wahlbeteiligung k\u00f6nnte\nsogar unter 50 Prozent fallen; bei den Jugendlichen k\u00f6nnte die\nWahlabstinenz bis zu 70 Prozent betragen.
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Nachdem man sich\ndiesen Kontext verdeutlicht hat, muss das elendige Narrativ\nthematisiert werden, das auf der einen Seite einen scheinbar\nunausweichlichen Faschismus beschreibt, der aus dem Nichts oder Dank\nder Gerissenheit ihrer F\u00fchrer entsteht, und auf der anderen Seite\ndiesen gemeinsam mit dem Antifaschismus als eine veraltete Ideologie\nbegreift, die nur Gang-Gewalt auf den Stra\u00dfen sch\u00fcrt. Drei\ngrundlegende Verschiebungen m\u00fcssen in Betracht gezogen werden, um\nden erneuten Aufstieg von Nationalismus und Faschismus in Italien\nad\u00e4quat zu begreifen.
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Krise und\nAutoritarismus als neue Ordnung
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Die Erste ist die\nStaatsschuldenkrise in S\u00fcdeuropa in den Jahren 2010-2011. Die\nunnachgiebige und r\u00e4uberische Haltung der EU-B\u00fcrokratien, die die\nGier und Vetternwirtschaft nationaler Politiker ausnutzte,\nentmachtete einige Teile der nationalen Bourgeoisie, wie man auch\nsp\u00e4ter w\u00e4hrend dem griechischen OXI sehen konnte. Letztere,\ninsbesondere diejenigen, deren Interessen von den Sanktionen gegen\nRussland im Zuge der Krim-Krise 2014 betroffen waren, begannen, sich\nvom Atlantizismus und dem neoliberalen Europ\u00e4ismus abzuwenden. Dies\nwar eine Entwicklung, die parallel verlief zu der Ver\u00e4nderung der\nausl\u00e4nderfeindlichen Partei Lega Nord \u2013 damals ein\nf\u00f6deralistischer und regionalistischer Zusammenschluss \u2013, die\nunter ihrem neuen Sekret\u00e4r Matteo Salvini auf eine lepenistische und\nnationalistische Linie gebracht wurde.
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Die Zweite steht\nim Zusammenhang mit den Auswirkungen der Migrationsstr\u00f6me im Zuge\ndes Arabischen Fr\u00fchling. Auch wenn diese in Italien weniger\nbedeutend waren als in L\u00e4ndern wie dem Libanon oder der T\u00fcrkei,\nstrapazierten sie den italienischen Staates in vielerlei Hinsicht \u2013\nnamentlich in Bezug auf Wohlfahrts- und Umverteilungssysteme,\nnationale Identit\u00e4t, Beziehung zur EU \u2013 und beeinflussten\ndementsprechend die politische Debatte. Trotz NATO-Operationen in\nLibyen; der Verantwortung daf\u00fcr, mittels der Etablierung \u00f6rtlicher\nCyber- und Milit\u00e4rkomplexe Unterdr\u00fcckung, Krise und Instabilit\u00e4t\nin Teilen Afrikas und des Nahen Ostens gef\u00f6rdert zu haben; der\nKomplizenschaft mit Erdo\u011fans AKP-Regime; und der \u00fcbergreifenden\nKooperation zwischen Parteien und kriminellen Organisationen bei der\nAusbeutung von Zuwanderern und ArbeiterInnen insbesondere im\naufstrebenden Logistiksektor konnten nur wenige den Zusammenhang\nzwischen Krieg, Migration und Austerit\u00e4t erkennen \u2013 und noch\nweniger dagegen ank\u00e4mpfen. \n
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Die dritte\nVerschiebung ist die vollendete Verwandlung der Mitte-Links\nPartito Democratico (PD) in ein neoliberales und autorit\u00e4res\nGebilde. \n
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Vor allem seit\ndem Jahr 2014, als der\nSekret\u00e4r von PD Matteo Renzi die ehemalige Letta-Regierung durch\neinen Palast-Putsch st\u00fcrzte, besteht eine verh\u00e4ngnisvolle\nhistorische Verantwortung dieser Partei, die extreme Rechte zur\u00fcck\nin die Mainstream-Politik gelassen zu haben. Nachdem seine Vorg\u00e4nger\nerstmals nach 50 Jahren ein gemeinsames Gedenken an die Faschisten\ndes Zweiten Weltkriegs gestatteten und eine Law-and-Order-Politik und\ndiskriminierende Rahmenbedingungen einf\u00fchrten in einem Versuch,\ndiese mit einer \u201elinken\u201c Identit\u00e4t zu verbinden, stach die von\nRenzi gef\u00fchrte Regierung in zweierlei Hinsicht hervor.
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Auf der einen\nSeite wurden die st\u00e4rksten sozialen Bewegungen\n(H\u00e4userkampfaktivistInnen, Studis, lokale Komitees,\nLogistikarbeiterInnen) in Italien sowohl mit gezielten Gesetzen als\nauch mit beinahe terroristischen \u201eSicherheitsoperationen\u201c\nangegriffen. Der Einsatz von Bereitschaftspolizei, Wasserwerfern,\nTr\u00e4nengas und anderen Mitteln der Massenkontrolle nahm w\u00e4hrend der\nAmtszeit der PD exponentiell zu, ebenso wie Formen von\npsychologischer, antisozialer Kriegsf\u00fchrung. Zum Beispiel wurde der\nBauhof f\u00fcr den Hochgeschwindigkeitszug TAV im Susa-Tal militarisiert\nund als \u201eOrt von nationalem Interesse\u201c erkl\u00e4rt, um die\nbasisdemokratischen Gegner zu kontrollieren und zu sanktionieren. Bei\nZwangsr\u00e4umungen von besetzten H\u00e4usern (inklusive kranker und\n\u00e4lterer BewohnerInnen und Kindern) in Bologna und Rom hingegen\nwurden teils bis zu 40 Polizeiwagen und Feuerwehrautos gleichzeitig\nin Anspruch genommen, was AktivistInnen dazu brachte zu sagen: \u201eDie\nPD tut, wovon die Lega nur tr\u00e4umt\u201c. \n
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Nach Renzis\nNiederlage und seinem R\u00fccktritt nach dem Verfassungsreferendum vom\nDezember 2016 (und der Schaffung der Gentiloni-Regierung: einem\nVersuch der Staatseliten, den Neoliberalismus und \u201eSicherheitswahn\u201c\nweiter zu festigen) wurde dieser Ansatz vom neuen Innenminister Marco\nMinniti fortgesetzt und vertieft. Der ehemalige Staatssekret\u00e4r in\nder Regierung D'Alema \u2013 verantwortlich f\u00fcr die Verweigerung des\npolitischen Asyls f\u00fcr den kurdischen F\u00fchrer Abdullah \u00d6calan im\nJahr 1999, was zu seiner anschlie\u00dfenden Verhaftung in Kenia f\u00fchrte\n\u2013 machte Karriere durch eine Reihe von Regierungs- und Parteiposten\nbei der Polizei, Geheimdiensten und NATO-Diensten. Als\nM\u00f6chtegern-Gustav Noske forcierte er eine Reihe abscheulicher\nMa\u00dfnahmen gegen die unteren Klassen und Bewegungen: Da g\u00e4be es zum\neinen den gleichnamigen Minniti-Orlando-Erlass, der die Polizei dazu\nerm\u00e4chtigt, Stadt- oder Stadtteilverbote f\u00fcr willk\u00fcrliche\nKategorien von Menschen und AktivistInnen auszusprechen. Zus\u00e4tzlich\nbef\u00f6rderte er den ehemaligen Genua-G8-Folterer Caldarozzi zu einer\nAnti-Mafia-Beh\u00f6rde. Und er war gleicherma\u00dfen daf\u00fcr verantwortlich,\nden Aufbau von Internierungslagern in Libyen zwecks Kappung des\nmassiven Gefl\u00fcchtetenzustroms vorangetrieben zu haben, ebenso wie\nf\u00fcr die Massenfestnahmen von Migranten auf italienischem Boden,\nwobei eine solche Operation in Mailands Hauptbahnhof vom vergangenen\nJahr an die ber\u00fchmt-ber\u00fcchtigte \u201eZeus Xenios\u201c-Operation in\nAthen 2013 erinnerte. Dem Ganzen wurde mit dem (gescheiterten) Verbot\nvon Antifa-Demonstrationen in Macerata als Antwort auf die\nrechtsterroristische Attacke Anfang Februar 2018 die Krone\naufgesetzt. Dies war der Rahmen f\u00fcr die Verteidigung des\n\u201einstitutionellen Antifaschismus\u201c mit einer konfrontationsfreien,\ngedenkfeiernden und naiv-toleranten Herangehensweise \u2013 derweil sich\nStra\u00dfenfaschisten trotz der Gesetzeslage organisieren und\nfinanzieren konnten.
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Auf der anderen\nSeite fetischisierten Renzi und die ihn umgebenden Medien Salvini\n(und auch andere faschistische Parteien) als ihren bequemen\n\u201eabscheulichen Gegner\u201c und \u201en\u00fctzlichen Idioten\u201c anstatt sich\nauf einen absehbar nicht erfolgreichen Kampf gegen die aufsteigende\npopulistische F\u00fcnf-Sterne-Bewegung einzulassen. Sie konzentrierten\nsich somit auf einen, der niemals ernsthaft beabsichtigte, seinen\nnationalistischen und r\u00fcckschrittlichen Kampf gegen die \u201eanst\u00e4ndige\u201c\nneoliberale, europ\u00e4isch-progressive Elite zu gewinnen. Diese\nFokussierung erm\u00f6glichte es aber der rechtsextremen Partei, dem\nMainstream ihre eigenen Erz\u00e4hlungen, Perspektiven und abstrusen\nVorschl\u00e4ge zu unterbreiten. Parallel zu spektakul\u00e4ren Darstellungen\nvon Faschisten und Verbrechersyndikaten in Fernsehserien und\nFreizeitmagazinen erlaubten die Beh\u00f6rden zunehmend \u201esymbolische\u201c\n\u00f6ffentliche Gedenken an die faschistische Vergangenheit: Selbst der\nNazi-Kriegsverbrecher Erich Priebke erhielt eine \u00f6ffentliche\nBeerdigung und die sterblichen \u00dcberreste des verstorbenen K\u00f6nigs\nVittorio Emanuele III, der Mussolini unterst\u00fctzte, wurden\nzur\u00fcckgef\u00fchrt.
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Antifa heute\nhei\u00dft Angriff auf die \u201eNationale Pr\u00e4ferenz\u201c
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Was\nsind nun also die Ergebnisse dieser Prozesse? Nach der Entfremdung\nvon seiner eher linksgerichteten Basis, der K\u00fcrzung von\nSozialleistungen und der Entmachtung seiner StellvertreterInnen in\nGewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Institutionen in einem\nVersuch, nach rechts zu expandieren und zu einer \u201enat\u00fcrlichen\u201c\nRegierungspartei zu werden, die jeden einf\u00e4ngt,\nk\u00f6nnten die anstehenden Wahlen der letzte Akt eines allm\u00e4hlichen\nProzesses der PASOKisierung der PD sein \u2013 und zu ihrem endg\u00fcltigen\nUntergang f\u00fchren, oder sie in eine Koalition mit ihrem ehemaligen\nGegner Berlusconi zwingen. Aber das schlimmste Erbe der letzten f\u00fcnf\nJahre der Technokraten- und PD-Regierung (zusammen mit anderen\nexogenen Faktoren wie dem Versagen von Syriza und Podemos vor der\nh\u00f6heren Gewalt der EU-Politik) ist die durchg\u00e4ngige institutionelle\nHegemonie der Ideologie der \u201eNationalen Pr\u00e4ferenz\u201c. Letztere,\ndie in den 80er Jahren in Frankreich von Ideologen der rechtsextremen\nFront National entwickelt wurde, dreht sich um einen\nbevormundenden Ethnozentrismus und Nationalismus, der darauf aus ist,\n\u201eunsere Probleme zuerst zu l\u00f6sen\u201c und den Einheimischen den\nZugang zu Sozialhilfe und Dienstleistungen als erstes zu geben\nunabh\u00e4ngig vom jeweiligen Bed\u00fcrfniszustand. So wird die Solidarit\u00e4t\nzwischen Einheimischen und Fremden in verschiedenen K\u00e4mpfen und\nBewegungen behindert und ein fiktiver \u201einterner Feind\u201c geschaffen\n\u00e4hnlich wie im Europa der 1930er Jahren. Der Diskurs der \u201eNationalen\nPr\u00e4ferenz\u201c, der jetzt von allen Parteien im aktuellen Parlament\ngef\u00fchrt wird, muss das erste Ziel einer erneuerten langfristigen\nAntifa-Strategie nach den Wahlen sein. Diese wird notwendig eine sein\nm\u00fcssen, die die Verweigerung und den Ausschluss autorit\u00e4rer und\nsicherheitspolitischer Entwicklungen mit einer erneuten Pr\u00e4senz in\nzunehmend gemischten K\u00e4mpfen und Territorien integriert.
Das Kollektiv betreibt die linksradikalen Onlineplattform InfoAut.\n\n
Aus dem Englischen \u00fcbersetzt von Conrad Schwerdt.