Handzahmer Ungehorsam
\nIn den letzten Tagen hat Italien \u2013 mal wieder \u2013 in Sachen Fluchtpolitik von sich reden machen: Das zivile Seenotrettungsschiff Sea Watch 3 sucht nun schon seit zwei Wochen einen Hafen im Mittelmeer, damit 32 Menschen, drei davon Kleinkinder, auf sicheren Boden gelangen k\u00f6nnen. Das Kr\u00e4ftemessen der europ\u00e4ischen Regierungen, angezettelt durch Innenminister Matteo Salvini, wird einmal mehr auf dem R\u00fccken wehrloser Menschen ausgetragen; ob dabei Menschen mit ihrem Leben bezahlen werden, ist f\u00fcr die M\u00e4chtigen unbedeutend. Dies hat gestern Abend auch Vizepremierminister Luigi Di Maio nochmals bewiesen, der Europa eine Lektion der \u201eMenschlichkeit\u201c erteilen will und angek\u00fcndigt hat, ausschlie\u00dflich die sich an Bord der Sea Watch 3 befindenden Frauen und Kinder aufzunehmen.
Gleichzeitig k\u00fcndigen die B\u00fcrgermeister zahlreicher italienischer St\u00e4dte an, gegen\u00fcber der rassistischen Politik des Innenministers ungehorsam zu sein. Die sogenannten \u201erebellischen B\u00fcrgermeister\u201c Leoluca Orlando (Demokratische Partei, PD) von Palermo und Luigi De Magistris (Democrazia e Autonomia, DemA) aus Neapel haben schon mehrmals angek\u00fcndigt, die H\u00e4fen f\u00fcr die zivilen Seenotrettungsschiffe zu \u00f6ffnen. Bis jetzt blieben diese Ank\u00fcndigungen leere Versprechungen, einerseits, weil die Verwaltung der H\u00e4fen nicht in der Macht der kommunalen Regierungen steht, sondern beim nationalen Infrastrukturministerium, andererseits, weil die B\u00fcrgermeister genau wissen, dass die lokalen Empfangsstrukturen nicht in der Lage sind, eine geeignete Antwort auf die Bed\u00fcrfnisse der Gefl\u00fcchteten zu geben.
Opposition ohne Z\u00e4hne?
Die genannten B\u00fcrgermeister haben in diesen Tagen auch noch einmal ihre Opposition gegen das Anfang Dezember 2018 vom italienischen Parlament angenommenen Ma\u00dfnahmepaket zur Versch\u00e4rfung der Sicherheitsgesetze unterstrichen. Mit den neuen Sicherheitsrichtlinien hat Salvini den humanit\u00e4ren Status f\u00fcr Gefl\u00fcchtete abgeschafft, so dass in den n\u00e4chsten Wochen rund 40.000 Gefl\u00fcchtete obdachlos und papierlos werden. Zudem sollen Asylsuchende mit Aufenthaltsgenehmigung sich nicht mehr beim Einwohneramt anmelden d\u00fcrfen. Gemeinden d\u00fcrfen demnach Asylsuchenden mit Aufenthaltsgenehmigung keinen Identit\u00e4tsausweis mehr erstellen, der den Zugang zum Gesundheitssystem sowie zu Arbeitsvermittlungszentren erm\u00f6glicht. Die zwei B\u00fcrgermeister reihen sich in einen ungehorsamen Protest ein, der sich seit den ersten Wochen nach der Annahme des neuen Ma\u00dfnahmenpakets in ganz Italien ausgeweitet hat, von Turin \u00fcber Florenz bis nach Reggio Calabria.
So wichtig diese angek\u00fcndigten Absichtserkl\u00e4rungen in der aktuellen W\u00fcste der Menschlichkeit auch sind, sie bleiben zurzeit tatenlos. Der B\u00fcrgermeister Palermos hat in den letzten Jahren stillschweigend die Politik der Demokratischen Partei unterst\u00fctzt und s\u00e4mtliche Ma\u00dfnahmen des \u201eParteigenossen\u201c und ehemaligen Innenministers Marco Minniti umgesetzt, auch wenn sie verfassungswidrig und menschenunw\u00fcrdig waren. So hat Marco Minniti die ambulanten Strassenverk\u00e4ufer \u2013 meist Migrant*innen \u2013 im Namen der \u201e\u00f6ffentlichen Ordnung\u201c kriminalisiert und das Rekursrecht von abgewiesenen Gefl\u00fcchteten massiv eingeschr\u00e4nkt. In den letzten Wochen hat er sich dadurch ausgezeichnet, dass er Wohnbesetzung von armutsbetroffenen Menschen italienischer und migrantischer Herkunft hat r\u00e4umen lassen. Er hat somit einem Beschluss von 2014 Folge geleistet, der unter der damaligen PD-Regierung von Matteo Renzi eingef\u00fchrt wurde und Besetzenden verhindert, sich offiziell beim Einwohneramt anzumelden. Dass nun Leoluca Orlando im Namen der Menschlichkeit Opposition inszeniert, ist haarscharf kalkuliert: Die Demokratische Partei versucht dadurch politisches Terrain zu gewinnen, welches ihr in den letzten Jahren verloren ging.
\u00c4hnliches gilt f\u00fcr den B\u00fcrgermeister De Magistris in Neapel. Schon vor Inkrafttreten der neuen Sicherheitsma\u00dfnahmen kritisierten st\u00e4dtische Basisaktivist*innen, dass das st\u00e4dtische Einwohneramt die Anmeldung von residenzlosen Menschen \u2013 auch hier wieder: italienischer sowie migrantischer Herkunft \u2013 nicht annimmt und somit keine Identit\u00e4tspapiere vergeben werden. Somit bleibt ihnen der Zugang zu grundlegenden Menschenrechten verwehrt. Es w\u00fcrde allerdings eine einfache kommunale Weisung gegen\u00fcber dem Einwohneramt der Stadt ausreichen, um dieser diskriminierenden Praxis einen Riegel zu schieben. Diese ist bislang nicht erfolgt.
Nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland, werden die italienischen \u201erebellischen B\u00fcrgermeister\u201c als einzige legitime Opposition gegen die Zentralregierung Italiens gesehen. In den letzten Tagen haben sie mit ihren Aussagen diese ihnen zugeschriebene Rolle noch einmal verst\u00e4rkt. Keine Frage, es ist begr\u00fc\u00dfenswert, dass sich lokale Politiker*innen einer zunehmen xenophoben Rhetorik und Politik entgegenstellen. Allerdings nehmen solche Lippenbekenntnisse die Dramatik der Lage nicht ernst genug. Sie bedienen damit die mediale Aufmerksamkeit ums Thema Migration und Flucht, mit dem Ziel, selbst auf die Titelseiten zu gelangen. Das hat aber wenig mit Rebellion und ebenso wenig mit solidarischer Klassenpolitik zu tun.