Der Tanz mit dem Faschismus
\nMorgen erscheint die Brosch\u00fcre \u201eStaat und Nazis Hand in Hand? Einsch\u00e4tzung zur Aktualit\u00e4t der faschistischen Gefahr in Deutschland\u201c, herausgegeben von einem Kollektiv antifaschistischer Gruppen. Beteiligt sind die Antifaschistische Aktion Karlsruhe, Antifaschistischer Aufbau M\u00fcnchen, Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart, Antifaschistische Aktion (Aufbau) T\u00fcbingen, Antifaschistische Aktion (Aufbau) Mannheim und Antifaschistische Aktion [o] Villingen-Schwenningen. Wir ver\u00f6ffentlichen heute und morgen vorab Artikel aus der Brosch\u00fcre; f\u00fcr den Erwerb der Brosch\u00fcre einfach bei den beteiligten Gruppierungen auf der Homepage schauen. Der folgende Artikel ist leicht gek\u00fcrzt und redaktionell bearbeitet worden.
Seit der letzten gro\u00dfen Wirtschaftskrise vollzieht sich in vielen L\u00e4ndern der Welt ein Rechtsruck. Im Windschatten dieser Entwicklung konnte auch die militante Rechte erstarken. In Deutschland \u00e4u\u00dfert sich diese Entwicklung beispielsweise in den unz\u00e4hligen Angriffen auf Gefl\u00fcchtete und deren Unterk\u00fcnfte. Zwar er\u00fcbrigte sich deren Zweck mit dem Schlie\u00dfen der europ\u00e4ischen Au\u00dfengrenzen und ihre Zahl nahm wieder ab, doch die BrandstifterInnen sind immer noch da. [1]
Weniger offensichtlich bildeten sich mit dem Aufschwung der rechten Bewegung immer mehr bewaffnete faschistische Gruppen. Wie viele es mittlerweile sind, kann wohl au\u00dfer dem Verfassungsschutz niemand sagen. Doch die Anzahl der Gruppierungen, welche in den letzten zwei Jahren aufgedeckt wurden, gibt zumindest einen verschwommenen Einblick. Der Mord an Walter L\u00fcbcke [2] und die Aufdeckung der Organisation \u201eNordkreuz\u201c [3] d\u00fcrften den meisten noch am besten im Ged\u00e4chtnis sein. Aber auch das Waffenlager in Hannover [4], der geplante Aufstand der Gruppe \u201eRevolution Chemnitz\u201c [5] oder die Gruppe \u201eNordadler\u201c [6] sind ebenfalls Beispiele dieser Entwicklung.
Um die eigentliche Frage zu beantworten, muss allerdings auch ein Blick auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung geworfen werden. Die letzte gro\u00dfe Wirtschaftskrise im Jahr 2007 brachte die kapitalistische Akkumulation weltweit ins Wanken. Im Vergleich zu den s\u00fcdeurop\u00e4ischen L\u00e4ndern waren die Auswirkungen der Krise in Deutschland verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig gering. In den s\u00fcdeurop\u00e4ischen L\u00e4ndern formierte sich ein massiver Widerstand innerhalb der Bev\u00f6lkerung. Und auch wenn in diesem Fall alles wieder in systemkonforme Bahnen gelenkt worden konnte, zeigte die k\u00e4mpferische Bewegung in Griechenland, wie schnell sich in Krisenzeiten Dynamiken entwickeln k\u00f6nnen.
Die Methoden zur Krisenbew\u00e4ltigung, welche den Laden beim letzten Mal gerade noch zusammen gehalten hatten, sind f\u00fcr die n\u00e4chste Krise keine Option mehr. Die Auswirkungen der Krise wurden vor allem auf der Grundlage einer massiven Ausweitung der \u00f6ffentlichen Verschuldung bek\u00e4mpft. Die Zentralbanken setzten den Leitzins auf Null und kauften Staatsanleihen im Wert von mehreren Billionen Euro. Das Zinsniveau ist immer noch auf einem historischen Tief und die Staatsverschuldungen sind hoch. Damit verengen sich die \u00f6konomischen Spielr\u00e4ume f\u00fcr die L\u00f6sung der n\u00e4chsten zu erwartenden Krise. Dar\u00fcber hinaus ist die Jugendarbeitslosigkeit in S\u00fcdeuropa immer noch exorbitant hoch und viele L\u00e4nder wie zum Beispiel Frankreich befinden sich in tiefen politischen Krisen.
Der n\u00e4chste Crash wird kommen und er wird auch in Deutschland einschlagen. Durch die starke Exportorientierung ist das deutsche Kapital besonders abh\u00e4ngig von der Lage der Weltwirtschaft. Und so werden bereits jetzt Vorbereitungen f\u00fcr die n\u00e4chste Krise getroffen. Durch die neuen Polizeiaufgabengesetze (PAG) werden die Befugnisse der Sicherheitsbeh\u00f6rden erweitert und der \u00dcberwachungsstaat ausgebaut. Auch die Umgehung demokratischer Mitbestimmung mittels der EU und die Einschr\u00e4nkung des Streikrechts zeigen, dass die herrschende Klasse auf den autorit\u00e4ren Staat setzt, um auch die n\u00e4chste Krise zu \u00fcberstehen.
Der diskrete Charme des Faschismus
Doch warum arbeitet die Bourgeoisie nicht gleich auf den Aufbau einer faschistischen Diktatur hin? Die Interessen des Kapitals gegen revoltierende Lohnabh\u00e4ngige lassen sich in der Krise doch wohl kaum besser durchsetzen als durch fanatische FaschistInnen. Doch genau darin liegt auch das Risiko f\u00fcr die Bourgeoisie. Sie muss hierbei einen Teil ihrer Macht an die FaschistInnen abgeben. Und dies ist f\u00fcr sie mit einigen Risiken verbunden.
Solange es den gemeinsamen Gegner \u2013 die organisierte ArbeiterInnenbewegung \u2013 gibt, k\u00f6nnen Widerspr\u00fcche innerhalb der faschistischen Bewegung oder zwischen Kapital und faschistischer Bewegung \u00fcberdeckt werden. Doch auch historisch war die erste Zeit nach der kompletten Zerschlagung der Arbeiterbewegung (ab Mitte 1933) in Deutschland durch Richtungsk\u00e4mpfe innerhalb der NSDAP-Elite gepr\u00e4gt. Die Politik der FaschistInnen war in weiten Teilen deckungsgleich mit den Interessen des Kapitals, trotzdem kam es immer wieder zu Konflikten. Sollten diese einmal zu gro\u00df werden, l\u00e4sst sich eine parlamentarische Regierung letztlich deutlich leichter absetzen als eine faschistische Diktatur. Und die FaschistInnen sind keineswegs blo\u00dfe Befehlsempf\u00e4ngerInnen der herrschenden Klasse. Vereinfacht gesagt kann ihre Politik auch im Chaos und in der totalen Niederlage enden. Der unglaubliche Aufwand mit welchem die physische Vernichtung der J\u00fcdInnen betrieben wurde, war nicht unbedingt im Sinne der herrschenden Klasse. Im Gegenteil: Die Fokussierung der faschistischen F\u00fchrung auf ihren antisemitischen Wahn mitten im zweiten Weltkrieg trieben Teile der herrschenden Klasse in eine oppositionelle Haltung zum NS-Regime, die bis hin zur Vorbereitung zum Tyrannenmord reichte.
M\u00f6gen die Gewinnaussichten noch so traumhaft sein, wenn die \u00dcberreste des Sozialstaats und der Gewerkschaften beseitigt sind, ist die herrschende Klasse langfristig doch darauf angewiesen, auf ein stabiles politisches System bauen zu k\u00f6nnen. Aus diesem Grund ist der Faschismus f\u00fcr die Bourgeoisie immer der letzte Notnagel in einer ansonsten ausweglosen Situation. Solange weniger risikoreiche Herrschaftsm\u00f6glichkeiten eine Option sind, wird sie auch auf diese setzen.
F\u00fcr die heutige Lage schlie\u00dfen wir daraus, dass der b\u00fcrgerliche Parlamentarismus mit seinen Volksparteien zwar angez\u00e4hlt sein mag, aber immer noch funktioniert. Offensichtlich arbeitnehmerInnenfeindliche Politik wie die Hartz-Reformen oder die oben aufgez\u00e4hlten Entwicklungen lassen sich ohne gro\u00dfen Widerstand durchsetzen. Die faschistische Bewegung wird deshalb nur von kleinen Teilen des Kapitals unterst\u00fctzt. Konsequent bek\u00e4mpft wird sie nat\u00fcrlich nicht, weil die grundlegenden Pfeiler des Kapitalismus durch die FaschistInnen niemals angetastet werden.
Sch\u00f6n bei der Leine halten \u2013 noch
Auf der Agenda der FaschistInnen steht zurzeit vor allem eins: Rache an den \u201eSchuldigen\u201c der \u201eFl\u00fcchtlingskrise\u201c. In ihrem Weltbild kommen Gefl\u00fcchtete nicht nach Europa, weil sie vor Krieg, Hunger und Armut fl\u00fcchten, sondern aufgrund eines angeblichen Plans zum gro\u00dfen \u201eBev\u00f6lkerungstausch\u201c. Demnach w\u00fcrden die Eliten der b\u00fcrgerlichen Politik daran arbeiten, durch gezielte Zuwanderung die europ\u00e4ischen V\u00f6lker unter Druck zu setzen, um willige ArbeitssklavInnen zu erhalten. Der Linken wird vorgeworfen die passende Hegemonie dazu herzustellen. Und so stehen neben Linken eben auch eine ganze Reihe b\u00fcrgerlicher PolitikerInnen auf den Todeslisten der Nazis. Der Mord an Walter L\u00fcbcke und die Mordversuche an Andreas Hollstein [7] und Henriette Reker [8] zeigen diese Tendenz des Rechtsterrorismus. Die Verselbst\u00e4ndigung der faschistischen Ideologie wird hier deutlich. Denn zumindest solange die b\u00fcrgerliche Demokratie noch im Sinne der Herrschenden funktioniert, hat das Kapital kein Interesse an Angriffen auf politische Mandatstr\u00e4gerInnen. Aus diesem Grund werden die putschistischen Kr\u00e4fte innerhalb der militanten Rechten eingebremst.
Mehr wird im staatlichen Kampf gegen rechten Terror aber auch nicht passieren. Solange FaschistInnen ihre Angriffe auf Linke und vermeintliche Ausl\u00e4nderInnen beschr\u00e4nken, bleibt die Praxis von Polizei und Verfassungsschutz die gleiche wie schon vor der Selbstenttarnung des NSU. Die unz\u00e4hligen ungekl\u00e4rten Angriffe auf Gefl\u00fcchtetenunterk\u00fcnfte und linke Hausprojekte, sowie \u00dcbergriffe auf MigrantInnen sprechen f\u00fcr sich.
Ein Beispiel hierf\u00fcr ist die Gruppe \u201eRevolution Chemnitz\u201c. Die Mitglieder waren schon jahrelang in verschiedenen rechtsradikalen Strukturen in Sachsen aktiv. Mindestens vier hatten bereits in der Gruppe \u201eSturm 34\u201c Erfahrung in Hetzjagden, Waffenbeschaffung und dem Aufbau terroristischer Organisationen gesammelt. Die Gruppe wurde 2006 unter Beteiligung eines Geheimdienstspitzels gegr\u00fcndet und w\u00fctete zwei Jahre lang in Sachsen. Obwohl mehrere Opfer lebensgef\u00e4hrliche Verletzungen davon trugen, musste niemand mit schweren Strafen rechnen. Christian Keilberg, der sowohl bei \u201eSturm 34\u201c, als auch sp\u00e4ter bei \u201eRevolution Chemnitz\u201c F\u00fchrungsrollen \u00fcbernahm, hatte seit 2006 zudem regelm\u00e4\u00dfig Kontakt zum Verfassungsschutz. Auch als \u201eRevolution Chemnitz\u201c konnte die Gruppe unbehelligt Menschenjagden auf MigrantInnen veranstalten. Sie beteiligten sich unter anderem an den Ausschreitungen in Chemnitz im August 2018 und patrouillierten als \u201eB\u00fcrgerwehr\u201c durch die Stadt. Erst aber, als sie mit konkreten Vorbereitungen f\u00fcr einen Putsch begannen, wurden sie von den Beh\u00f6rden als ernstzunehmende Bedrohung wahrgenommen. Im Oktober 2018 wurde die Gruppe schlie\u00dflich verhaftet. Diesmal waren aber nicht MigrantInnen das Ziel, sondern die Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung in Berlin. Die FaschistInnen hofften durch den Terroranschlag einen B\u00fcrgerkrieg auszul\u00f6sen und infolgedessen die Regierung zu st\u00fcrzen.
Nat\u00fcrlich bekommen Polizei, Geheimdienst und Staatsanwaltschaften keine Anweisungen des Kapitals, ob und wann sie eine faschistische Terrorgruppe hochnehmen sollen. Dass die Polizeibeh\u00f6rden aber auf dem rechten Auge blind sind, ist kein Zufall. Zum einen legt das die Geschichte dieser Beh\u00f6rden nahe. Das Bundeskriminalamt (BKA) wies bei seiner Gr\u00fcndung genauso wie die Justiz oder der Verfassungsschutz eine gro\u00dfe personelle und strukturelle Kontinuit\u00e4t zur Zeit des Faschismus auf. Aufgebaut wurde es von ehemaligen SS-Angeh\u00f6rigen. Diese Leute wurden in erster Linie f\u00fcr diese Aufgaben ausgew\u00e4hlt, weil sie stramme AntikommunistInnen waren und sind. Und zum anderen ist das aber auch die logische Folge einer ihrer grundlegenden Aufgaben innerhalb der b\u00fcrgerlichen Gesellschaft, dem Schutz der herrschenden Eigentumsverh\u00e4ltnisse.
Der Umgang des Staates mit faschistischen Strukturen h\u00e4ngt aber noch von mehreren Faktoren ab. Wie gut ist die Organisation mit Spitzeln durchsetzt? Hat sie internationale Kontakte? Welche Aktionen plant sie im Einzelnen und wie konkret sind ihre Pl\u00e4ne? F\u00fcr uns ist wichtig festzuhalten, dass dieser Staat niemals grunds\u00e4tzlich gegen die faschistische Bewegung vorgehen wird. Einzelne Verhaftungen oder Verbote \u00e4ndern daran nichts.
Anmerkungen:
[1] Die Angriffe auf Gefl\u00fcchtete und ihre Unterk\u00fcnfte stiegen ab 2015 stark an. F\u00fcr 2016 verzeichnet die gemeinsame Chronik der Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl einen H\u00f6chstwert von 3.768 Angriffen. Danach sank die Zahl wieder von 2.285 in 2017 auf 1.434 in 2018. F\u00fcr 2019 sind zum Zeitpunkt der Ver\u00f6ffentlichung dieses Textes 37 \u00dcbergriffe dokumentiert. Die Dunkelziffer liegt vermutlich f\u00fcr alle Jahre deutlich \u00fcber den angegebenen Zahlen.
[2] Walter L\u00fcbcke war ein hessischer CDU-Politiker und bis zu seinem Tod Regierungspr\u00e4sident im Regierungsbezirk Kassel. Durch Aussagen gegen Pegida-Anh\u00e4nger erlangte er gr\u00f6\u00dfere Bekanntheit. Am 02. Juni 2019 wurde er mutma\u00dflich durch den Faschisten Stephan Ernst get\u00f6tet.
[3] Nordkreuz war zusammen mit S\u00fcdkreuz und Westkreuz Teil des faschistischen Hannibal-Netzwerks. Im Rahmen der Ermittlungen gegen den faschistischen Oberleutnant der Bundeswehr Franco Albrecht im Sommer 2017 wurde die Struktur aufgedeckt.
[4] Im April 2019 wurden bei einem Faschisten in Hannover 51 Waffen, Munition, rund 100.000\u20ac Bargeld sowie Nazi-Orden gefunden.
[5] Die faschistische Gruppe \u201eRevolution Chemnitz\u201c wurde im Herbst 2018 festgenommen, nachdem bekannt geworden war, dass sie sich um halbautomatische Schusswaffen bem\u00fcht hatten. Sie waren schon in der Vergangenheit an faschistischen Attacken beteiligt und sollen f\u00fcr den 03. Oktober einen Angriff auf die \u201eEinheitsfeierlichkeiten\u201c geplant haben.
[6] Bei der Gruppe \u201eNordadler\u201c fanden im April 2018 Hausdurchsuchungen statt. Sie hatten Listen mit pers\u00f6nlichen Daten von AntifaschistInnen sowie PolitikerInnen angelegt und sich in Chats \u00fcber Waffen und m\u00f6gliche Anschlagsziele ausgetauscht.
[7] Andreas Hollstein ist Mitglied der CDU und B\u00fcrgermeister der westf\u00e4lischen Stadt Altena. Am 27. November 2017 stach ihm ein Mann mit einem Messer in den Hals und verletzte in gef\u00e4hrlich. Sein Motiv war die Politik gegen\u00fcber Gefl\u00fcchteten des CDU-Mannes. Sie war ihm zu \u201eliberal\u201c.
[8] Henriette Reker ist parteilose Oberb\u00fcrgermeisterin von K\u00f6ln. Am Tag vor ihrer Wahl wurde sie bei einem Wahlkampftermin mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. Auch hier wurde die Politik gegen\u00fcber Gefl\u00fcchteten als Motiv angegeben. Der T\u00e4ter war ein fr\u00fcheres Mitglied der ehemaligen faschistischen Partei FAP.