Bosnien und Herzegowina: Repressionen gegen No Name Kitchen
\nIn Velika Kladu\u0161a in Bosnien und Herzegowina sind Aktivist*innen der solidarischen Bewegung No Name Kitchen wiederholt Repressionen seitens der Beh\u00f6rden ausgesetzt. Am 22. September 2022 verlangte der bosnische Service of Foreign Affairs (SFA; eine administrative Einheit des Sicherheitsministeriums, Anm. Red.) zun\u00e4chst Ausweisdokumente der Menschenrechtler*innen. Ohne Vorweis eines Durchsuchungsbefehls oder genauerer Gr\u00fcnde machten sie Anstalten, das Lagerhaus zu betreten, von dem aus No Name Kitchen ihre Unterst\u00fctzung organisiert. Eine Aktivistin berichtet: \u201eSie wollten unsere P\u00e4sse sehen und unsere White Card, die Wohnungsbest\u00e4tigung. Dann haben sie unsere Namen und offizielle bosnische Wohnadresse aufgeschrieben\u201c. Die Aktivist*innen m\u00fcssen in Folge dessen ihren kollektiven Ort aufgeben. Mit Stand Mitte Oktober ziehen die Aktivist*innen in ein kleineres Geb\u00e4ude. Ihre Hilfsarbeiten, wie die Versorgung Fliehender \u2013 \u201ePerson/People on the Move\u201c \u2013 mit Kleidung, werden damit weiterhin erschwert.
Rauswurf ohne K\u00fcndigung
Mit Erlaubnis des Hausverwalters, bei welchem die Aktivist*innen zur Miete wohnten, durchsuchten Beamte des SFA das Geb\u00e4ude, welches die Aktivist*innen Warehouse nennen. Von hier aus organisierten sie die Versorgung der People on the Move; dort wurden Kleider, Notfall-Nahrungsmittel und andere Hilfsg\u00fcter aufbewahrt. Das mehrst\u00f6ckige Haus war zudem Wohnort einiger Aktivist*innen. Auch ein weiteres Wohnhaus, das sogenannte Guesthouse, wurde von staatlichen Autorit\u00e4ten besucht. Am selben Nachmittag erschienen zus\u00e4tzlich lokale Polizeibeamte, notierten ebenfalls Namen und White Cards der Aktivist*innen und filmten und fotografierten die Lagerr\u00e4ume des Warehouse. Am Tag darauf versuchten Beamte der kantonalen Inspektion, in das Warehouse und an Informationen \u00fcber die Lagerbest\u00e4nde zu gelangen.
Die Aktivist*innen mussten das Warehouse binnen eines Tages verlassen. Sie berichten von Einsch\u00fcchterung. Auch ihr Vermieter habe mittlerweile Angst vor polizeilichen Repressionen, die ihm angedroht w\u00fcrden, wenn er die Menschenrechtler*innen nicht rauswerfe. F\u00fcr die Aktivist*innen der No Name Kitchen liegt kein K\u00fcndigungsschreiben vor.
Auch in Biha\u0107, wo eine weitere No Name Kitchen-Gruppe arbeitet, versuchte die Polizei zwei Wochen sp\u00e4ter, am 3. Oktober 2022, an Informationen zu gelangen. Zwei Beamte befragten vor dem dortigen Warehouse die Nachbar*innen und Arbeiter*innen. Die Aktivist*innen hielten sich deshalb vom Warehouse fern, die Verteilung von G\u00fctern an diesem Tag musste ruhen. Die Strategie der Beh\u00f6rden scheint g\u00e4ngige Repressionstaktik zu sein: die Arbeit st\u00f6ren und ein Klima der Unsicherheit verbreiten.
Erh\u00f6hte Polizeipr\u00e4senz in bosnischer Grenzregion
Die Durchsuchungen finden in einem generellen Kontext erh\u00f6hter Polizeipr\u00e4senz und vermehrter Gewaltanwendung seitens der Staatsbeh\u00f6rden statt. Die Polizei und Grenzbeamte r\u00e4umen verlassene H\u00e4user, in denen fliehende Menschen leben. Teilweise werden die Geb\u00e4ude abgesperrt und die Habseligkeiten von People on the Move verbrannt. Die Aktivist*innen berichten etwa von einem pl\u00f6tzlich abgesperrten Haus mit Brandfl\u00e4chen am Montag, den 19. September 2022.
Die EU duldet und unterst\u00fctzt diese Repressionspolitik an ihren s\u00fcd-osteurop\u00e4ischen Au\u00dfengrenzen. Berichten lokaler Organisationen zufolge arbeiten SFA und die bosnische Grenzpolizei zusammen daran, m\u00f6glichst viele Menschen aus den verlassenen H\u00e4usern zu vertreiben. Wer nicht schnell genug davonrennen oder sich verstecken kann, wird von den Beh\u00f6rden mitgenommen; zuletzt etwa am 17. Oktober 2022. Wohin die People on the Move gebracht werden, ist den Organisationen unbekannt.
Hilfsorganisationen kooperieren mit der Polizei
Organisationen wie Danish Refugee Council (DRC), International Organisation of Migration (IOM), Save the Childrenund Red Cross kooperieren mit der Polizei und behindern gezielt die Arbeit von No Name Kitchen. Eine Aktivistin berichtet: \u201eDRC, IOM, Save the Children und Red Cross haben schon mehrmals unsere Wege und Autos blockiert. Sie wollten uns in Gespr\u00e4che verwickeln und damit aufhalten und versuchen, Informationen von uns zu bekommen. Sie erwecken den Eindruck, harmlos zu sein, aber sind mitverantwortlich f\u00fcr die Repressionen\u201c.
IOM ist Teil der United Nations (UN). Sie bauen und verwalten die Stacheldrahtcamps entlang der EU-Grenzen. DRC hat Berichten der Aktivist*innen zufolge, die Aufgabe, ein bestimmtes Kontingent an People on the Move in die Camps zu bringen. \u201eDie Organisationen treffen sich \u2013 unseres Wissens \u2013 einmal pro Woche mit der Polizei und tauschen sich aus\u201c, beschreiben die Aktivist*innen von No Name Kitchen die Zusammenarbeit mit den staatlichen Strukturen.
No Name Kitchen unter st\u00e4ndigem Druck
Die Aktivist*innen erfahren indes auch ohne Polizeipr\u00e4senz weitere Formen der Kriminalisierung. Sie m\u00fcssen ohne Freiwilligen-Ausweis arbeiten, da diese ihnen von Autorit\u00e4ten nicht gew\u00e4hrt wird. No Name Kitchen wurde in der Vergangenheit wegen seiner politischen Arbeit und aktiven Solidarit\u00e4tsbekundungen des Landes verwiesen.
Die Repression behindert die Arbeit der Menschenrechts-Aktivist*innen massiv. Gerade angesichts der fallenden Temperaturen droht lebenswichtige Hilfe f\u00fcr People on the Move wegzufallen. Die People on the Move leben oft ohne Zelte in der Grenzregion der EU und besetzen oft verlassene, bauf\u00e4llige H\u00e4user, sogenannte Squats. Die Versorgung mit Decken, Socken und Feuerholz kann hier den Unterschied zwischen Leben und Lebensgefahr bedeuten. Wenn Organisationen wie No Name Kitchen \u00fcber zwei Wochen nicht in der Lage sind, ihre Arbeit zu leisten, hat das konkrete Auswirkungen darauf, wie es den Menschen gesundheitlich geht und wie gut sie sich auf den Grenz\u00fcbergang vorbereiten k\u00f6nnen.
Bei Polizeikontakt droht People on the Move dar\u00fcber hinaus massive Gewalt. No Name Kitchen dokumentiert als Teil des Border Violence Monitoring Networks (BVMN) die illegalen Pushbacks und bringt F\u00e4lle vor Gerichtsh\u00f6fe. Auch diese Arbeit \u2013 die Aufdeckung und Publikmachung struktureller, subventionierter Menschenrechtsverletzungen \u2013 wird durch beh\u00f6rdliche Repressionen empfindlich gest\u00f6rt. Allein vom 20. September bis zum 22. Oktober 2022 wurden 27 Pushbacks in den Raum Velika Kladu\u0161a durchgef\u00fchrt, teilweise mehrere an einem Tag. Konkret bedeutet das, 565 Menschen, darunter Kinder und alte Menschen, denen Polizist*innen mit Pfefferspray, Hunden, Schlagst\u00f6cken und Stiefeltritten begegneten. Und das sind nur die registrierten F\u00e4lle.
Die Repressionen der letzten Wochen f\u00fchrten sogar zu \u00dcberlegungen innerhalb der solidarischen Bewegung, Velika Kladu\u0161a als Einsatzort aufgeben zu m\u00fcssen. Selbst bei anderen Organisationen, die mit No Name Kitchen im Feld zusammenarbeiten, schlug diese Episode Wellen der Verunsicherung, auch ein kompletter Austausch des Teams und somit ein Neuanfang standen im Raum. In diesem Klima organisierter Feindseligkeit und polizeilicher Repression versucht No Name Kitchen weiterhin, Menschen zu helfen, denen das Recht auf Asyl von der EU verwehrt wird.
Zum Titelbild:
Ein kleiner Teil des ehemaligen No Name Kitchen-Warehouse konnte bei einer befreundeten Organisation im Korridor untergebracht werden. \u00dcber zwei Wochen mussten Hilfsg\u00fcter unter diesen Umst\u00e4nden gepackt werden.
Bilder von Karina Wasitschek.