Tatmotiv: Misogynie. Frauen als Opfer rechter Gewalt
\nAbwertung und Unterdr\u00fcckung von Frauen* bis hin zu t\u00f6dlicher Gewalt gegen sie sind fester Bestandteil von unterschiedlichen ultrakonservativen, rechten und neonazistischen Ideologien. Das zeigen Studien und Recherchen der letzten Jahrzehnte \u00fcber Dominanz, Gewaltbereitschaft und rechte T\u00f6tungsphantasien, von Klaus Theweleits \u201aM\u00e4nnerphantasien\u2018 \u00fcber faschistische Frauenbilder bis zu aktuellen Forschungen zu Incel- und Rechtsterrorismus. Der Antifeminismus, der in diesen Gewaltakten m\u00fcndet, wird aber nicht zuletzt tatkr\u00e4ftig aus den Reihen der rechten Formierungen, der Evangelikalen, der Konservativen und weiterer, auch parlamentarischer, Akteure befeuert, die ein hierarchisches Geschlechterverh\u00e4ltnis aufrecht erhalten und die kapitalistischen Verwerfungen und Unsicherheiten durch eine R\u00fcckkehr zu einer Welt ohne feministische Gegenwehr (notfalls auch mit Gewalt) herbeizwingen wollen. J\u00fcngstes Beispiel: Die Debatte \u00fcber die k\u00fcnftige Ausrichtung der Alternative f\u00fcr Deutschland (AfD) in Fragen der Sozialpolitik, welche die Partei am kommenden Wochenende (28./29. November 2020) f\u00fchren will. Ihr Sexismus, Antifeminismus und Antikommunismus f\u00e4llt derzeit auch bei all jenen Menschen auf fruchtbaren Boden, denen durch die bisherige neoliberale Politik der Leistungsoptimierung und In-Konkurrenz-Setzung die Luft zum Atmen immer d\u00fcnner wird. Feminismus, Fr\u00fchsexualisierung und ganz allgemein \u201egesellschaftlicher Wandel\u201c habe, so greift die AfD in ihrem Leitantrag dieses Sentiment auf, dazu gef\u00fchrt, dass eine \u201eBestandserhaltung\u201c des \u201eVolkes\u201c aktuell nicht umfassend genug stattf\u00e4nde: \u201eIn einer zunehmend auf die eigene Bed\u00fcrfnisbefriedigung ausgerichteten, hedonistischen Gesellschaft ist die Bereitschaft naturgem\u00e4\u00df gering, zugunsten einer stabilen Ehe auf eigene W\u00fcnsche zu verzichten. Entsprechend hoch ist die Trennungsrate.\u201c Dass sich vor allem Frauen* nicht mehr ohne weiteres in gewaltvolle und ausbeuterische Beziehungen qua Zwang (\u00f6konomisch, politisch oder religi\u00f6s durch ein ewiges Ehegel\u00fcbde begr\u00fcndet) einlassen m\u00fcssen, findet die AfD h\u00f6chst bedauernswert. Allerdings: Eine Welt ohne feministische Gegenwehr, die hat es noch nie gegeben \u2013 und wir werden auch k\u00fcnftig diesen Bestrebungen mit aller Kraft entgegentreten.
Die folgenden Falldokumentationen entstammen dem j\u00fcngst ver\u00f6ffentlichten Band \u201eKein Vergessen \u2013 Todesopfer rechter Gewalt nach 1945\u201c, erschienen im Unrast Verlag. Autor Thomas Billstein widmet sich darin den \u00fcber 300 Todesopfern rechter Gewalt in Deutschland. Anliegen des Buchs ist es, den Opfern zu gedenken, aber auch auf die unvermindert drohende Gefahr durch rechte, nationalistische und neonazistische Gewaltt\u00e4ter aufmerksam zu machen. Autor und Verlag stellten uns die dokumentierten Morde mit dem Tatmotiv Misogynie \u2013 das meint die Verachtung und Abwertung von Frauen*, Frauenhass \u2013 zur Ver\u00f6ffentlichung im Kontext des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen* zusammen.
Fatma E.
Verstorben am 25. September 1984
Tatort: Berlin
Status: Nicht offiziell anerkannt
Motiv: Misogynie
Fatma E. wurde bei einem Attentat auf eine Beratungsstelle fu\u0308r Migrantinnen erschossen. Die to\u0308dliche Gewalttat ereignete sich im Treff- und Informationsort fu\u0308r Frauen aus der Tu\u0308rkei im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Dort wurden u\u0308berwiegend Frauen beraten, die sich vor ha\u0308uslicher Gewalt in der Familie schu\u0308tzen wollten. Fatma E. war als Klientin in einem Gespra\u0308ch mit Seyran Ates\u0327, die heute als Autorin und Rechtsanwa\u0308ltin in Berlin ta\u0308tig ist, als der Ta\u0308ter in den Raum stu\u0308rmte und auf beide Frauen schoss. Dabei wurde Fatma E. to\u0308dlich getroffen. Seyran Ates\u0327 u\u0308berlebte eine lebensgefa\u0308hrliche Verletzung und beno\u0308tigte mehrere Jahre fu\u0308r den Heilungsprozess.
Obwohl der Ta\u0308ter durch einige Zeug*innen identifiziert wurde und eine Zugeho\u0308rigkeit zu den rechtsextremen Grauen Wo\u0308lfen festgestellt wurde, konnte er vor Gericht einen Freispruch mangels Beweisen erwirken. Dies lag auch daran, dass der vor Gericht geladenen Vertreter des Verfassungsschutzes sich weigerte, Auskunft und Hintergru\u0308nde u\u0308ber die Grauen Wo\u0308lfe preiszugeben.
Birgit Meier
Verstorben im August 1989
Tatort: Lu\u0308neburg, Niedersachsen
Status: Verdachtsfall
Motiv: Misogynie
Birgit Meier wurde von einem rechten Serienmo\u0308rder entfu\u0308hrt und erschossen.
Die Ermordete war Fotografin und hatte sich einige Monate vor der Tat von ihrem Ehemann getrennt, welcher ein erfolgreicher Unternehmer war. Sie lebte alleine in dem ehemals gemeinsamen Haus. Birgit Meier hinterlie\u00df eine erwachsene Tochter und wurde 41 Jahre alt. Seit dem 15. August 1989 wurde sie vermisst.
Aufgrund der beendeten Beziehung und der noch nicht gekla\u0308rten Gu\u0308tertrennung wurde nach dem Verschwinden zuna\u0308chst der Exmann verda\u0308chtigt, Birgit Meier etwas angetan zu haben. Die Untersuchungen von Polizei und Ermittlungsbeho\u0308rden waren von zahlreichen Ermittlungsfehlern gezeichnet und fu\u0308hrten u\u0308ber Monate und Jahre nicht zum Erfolg, das Opfer blieb zuna\u0308chst spurlos verschwunden.
Erst mit der Einsetzung einer neuen Staatsanwa\u0308ltin kamen weitere Ermittlungen in Gang. Im Jahr 1993 wurde gegen den Friedhofsga\u0308rtner Kurt-Werner Wichmann Anklage wegen Mordverdachts im Fall Birgit Meier erhoben. Ta\u0308ter und Opfer kannten sich flu\u0308chtig, u.a. durch eine gemeinsam besuchte Party. Bei der Hausdurchsuchung fanden die Ermittler*innen zahlreiche Waffen, Folterwerkzeuge und ein im Garten vergrabenes Auto, indem sich zwar Blutflecken, aber keine Leiche befanden. Der Ta\u0308ter war kurz vor der Durchsuchung geflohen, wurde aber kurze Zeit spa\u0308ter bei Heilbronn gefasst und festgenommen. Er erha\u0308ngte sich nach einigen Tagen in der U-Haft, ohne sich zuvor konkret zum Tatverdacht zu a\u0308u\u00dfern.
Kurt-Werner Wichmann wurde bereits in der Jugend durch extreme Gewalttaten und Sadismus auffa\u0308llig. Im Haus seiner Eltern bedrohte er eine Untermieterin mit einem Messer und versuchte sie zu erwu\u0308rgen. 1968 wurde er dringend tatverd\u00e4chtig, eine Radfahrerin hinterru\u0308cks erschossen zu haben. 1970 wurde er fu\u0308r die Vergewaltigung einer Anhalterin zu fu\u0308nfeinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt. Bei der Hausdurchsuchung fanden sich in einem versteckten Raum neben Waffen auch rechtsextreme Bu\u0308cher und Propaganda. Zudem hisste der Ta\u0308ter auf seinem Grundstu\u0308ck oftmals die Reichskriegsflagge.
Erst im September 2017 wird im ehemals vom Ta\u0308ter bewohnten Haus die Leiche von Birgit Meier entdeckt, da sich ihr Bruder, der ehemalige Leiter des Landeskriminalamts Hamburg, in seiner Freizeit mit anderen Helfer*innen weiter um die Aufkla\u0308rung des Falls bemu\u0308hte.
Kurt-Werner Wichmann ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch an anderen Morden beteiligt gewesen. Dies gilt vor allem fu\u0308r die sogenannten \u203aGo\u0308hrde Morde\u2039, zwei Doppelmorde im niedersa\u0308chsischen Staatsforst Go\u0308hrde. Hier geht die Polizei allerdings davon aus, dass Wichmann einen Mitta\u0308ter hatte.
Der Fall ist als Verdachtsfall aufgefu\u0308hrt, weil die Tatmotivation offenkundig zwar kein rechtes Motiv erkennen la\u0308sst, der Ta\u0308ter allerdings neben seinem gewaltta\u0308tigen frauenfeindlichen Angriffen, ein auf den Nationalsozialismus basierendes abwertendes Menschenbild verinnerlicht hatte.
Beate Fischer
Verstorben am 23. Juli 1994
Tatort: Berlin
Status: 2018 offiziell anerkannt
Motiv: Misogynie
Beate Fischer wurde von vier Neonazis misshandelt, vergewaltigt und erwu\u0308rgt.
Die Frau, die im Alter von 32 Jahren starb, kam aus Berlin-Wei\u00dfensee. Sie war Sexarbeiterin und hinterlie\u00df einen Ehemann und zwei Kinder im Alter von vier und sechs Jahren.
Beate Fischer traf am Abend der Tat am S-Bahnhof Lichtenberg auf die Ta\u0308ter und war ihnen zuna\u0308chst freiwillig in die Wohnung von Heiko B., ebenfalls Neonazi und ein Bekannter der vier Ta\u0308ter, gefolgt. Nachdem es anfa\u0308nglich vermutlich zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam, wurde das Opfer misshandelt. Beate Fischer wollte daraufhin gehen, wurde jedoch durch die Neonazis daran gehindert. Anschlie\u00dfend vergewaltigten sie die Sexarbeiterin mehrfach und strangulierten sie. Am na\u0308chsten Tag wurde ihr Leichnam zu den Mu\u0308lltonnen in den Hof des Hauses gelegt.
Die besagte Wohnung war den Ermittler*innen als Neonazi-Treff bekannt, so dass Ermittlungen in die rechte Szene unternommen wurden. Die Ta\u0308ter Oliver P. und Mirko D. gestanden spa\u0308ter, an der Ermordung von Beate Fischer beteiligt gewesen zu sein. Daraufhin wurde am 26. Juli 1994 auch der damals 22-ja\u0308hrige Matthias F. aus Reinickendorf festgenommen.
Das Landgericht Berlin verha\u0308ngte eine lebenslange Haftstrafe fu\u0308r den Hauptta\u0308ter und neun bzw. zehn Jahre Jugendstrafe fu\u0308r die Mitta\u0308ter.
Bianca B.
Verstorben am 20. Februar 2008
Tatort: Leer, Niedersachsen
Status: Nicht offiziell anerkannt
Motiv: Misogynie
Bianca B. wurde von einem rechten Freund erwu\u0308rgt und enthauptet. Kurz bevor er weitere geplante Morde durchfu\u0308hren konnte, to\u0308tete der Ta\u0308ter sich selbst.
Die Ermordete arbeitete als gelernte Arzthelferin und verstarb im Alter von 27 Jahren. Ta\u0308ter und Opfer kannten sich gut und hatten in der Vergangenheit eine sexuelle Beziehung. Offensichtlich strebte der Ta\u0308ter Matthias S. eine feste Bindung mit dem Opfer an, das aber nicht daran interessiert war. In den fru\u0308hen Morgenstunden erwu\u0308rgte der zweiunddrei\u00dfigja\u0308hrige Ta\u0308ter Matthias S. die siebenundzwanzigja\u0308hrige Frau. Dann ko\u0308pfte er die Leiche mit einer Machete und machte zahlreiche Fotos von der entkleideten Leiche. Anschlie\u00dfend setzte der Ta\u0308ter seine Wohnung in Brand und fuhr mit seinem Auto weg. Unterwegs wurde allerdings die Polizei auf das Auto aufmerksam. Matthias S. raste daraufhin mit seinem PKW in einen entgegenkommenden Laster. Er war augenblicklich tot und somit fanden keine weiteren Angriffe mehr statt. Im Autowrack fand die Polizei Waffen und den abgetrennten Kopf von Bianca B.
Wie genau der Ta\u0308ter weitere Morde geplant hatte, lie\u00df sich seinem Abschiedsbrief entnehmen: \u00bbDie Leute, die ich umgebracht habe stellen fu\u0308r mich die Gesellschaft dar. (...) sie sind die Angeho\u0308rigen derjenigen, die mich ungerecht behandelt haben.\u00ab Gemeint waren hier vermutlich staatlich Bedienstete und Sachbearbeiter*innen, da sich der Ta\u0308ter im Brief u.a. u\u0308ber ein Gerichtsurteil nach einem Verkehrsdelikt beklagte und daru\u0308ber, dass ihm sein Arbeitslosengeld geku\u0308rzt worden war. Der Mo\u0308rder war Fan von (rechter) Metalmusik und bekennender Antisemit. In seinem Abschiedsbrief hie\u00df es unter anderem: \u00bbJa, ich habe eine Einstellung, die man als \u203arechts\u2039 bezeichnen kann.\u00ab Danach folgten Hetztiraden und die Anzweiflung des Holocaust.
Obwohl in vielen Medien die perso\u0308nliche Komponente und der unerfu\u0308llte Beziehungswunsch in den Vordergrund geru\u0308ckt wurde, war der geplante, aber glu\u0308cklicherweise nicht erfolgte, Serienmord mit den Bekenntnissen eines gefestigten rechten und antisemitischen Weltbildes nicht zu u\u0308bersehen. Die Tat sollte daher nicht nur als Verdachtsfall betrachtet werden.
Die Illustrationen des Artikelbilds stammen von moteus.
Sehr guter weiterf\u00fchrender Rechercheartikel zum Thema: Extrem rechter Frauenhass und neonazistische Gewalt von Heike Kleffner, erschienen 2014 im Antifa Infoblatt.