Have you tried turning Racism off \u2013 and not on again?
\nWer im Zuge der aktuellen Black Lives Matter-Proteste die US-amerikanische, aber auch deutschsprachige Technikszene verfolgt, wird derzeit unweigerlich mit einem Schlagabtausch um rassistische Terminologie konfrontiert. Die Auseinandersetzung dazu l\u00e4sst leider, wie so h\u00e4ufig, jede Einordnung in die breite Diskussion zum Thema vermissen und bewegt sich zumeist in v\u00f6lliger Unkenntnis der tats\u00e4chlichen Forderungen von Aktivist*innen.
Stein des Ansto\u00dfes ist dieses Mal eine Ank\u00fcndigung von GitHub. Das ist eine Plattform, auf der Freie Software und Open-Source Projekte kostenlos den Quellcode ihrer Software bereitstellen k\u00f6nnen, der dort in sogenannten Repositories gespeichert wird, einer Art verzweigtem Dateiverzeichnis, in dem sich zum Beispiel verschiedene Versionsst\u00e4nde einer Software unkompliziert verwalten lassen. In einer kurzen Stellungnahme des Gesch\u00e4ftsf\u00fchrers best\u00e4tigte dieser, dass GitHub daran arbeite, die bisherige Namenskonvention des Hauptzweigs dieser Repositories abzu\u00e4ndern: Man wolle weg von der Nutzung des Begriffs master. Der Begriff steht in einer Reihe mit anderen kritisierten, aber weithin verbreiteten Termini aus der Softwarewelt, konkret dem Pendant slave, sowie whitelist und blacklist.
Immer sch\u00f6n am Thema vorbei
Sofort erhielt die Plattform zahllose wutentbrannte Gegenstimmen. So kritisiert ein*e Nutzer*in etwa, dass hier ein einziges Individuum Namenskonventionen gegen die \u201egro\u00dfe Mehrheit\u201c durchsetze und zieht den direkten Vergleich zur Sklaverei. Man muss sich indes vor Augen f\u00fchren, dass es hier lediglich um eine Standardeinstellung geht, die sich leicht \u00e4ndern l\u00e4sst und GitHub zwar der popul\u00e4rste, aber nur einer von vielen Anbietern \u00e4hnlicher L\u00f6sungen ist. Andere Kritiker*innen der \u00c4nderungen verweisen auf weitere Aspekte. Zum Ersten seien etwa die verwendeten Begriffe nicht das gr\u00f6\u00dfte Problem, sagen sie \u2013 ohne darauf hinzuweisen, was das gr\u00f6\u00dfere Problem genau ist oder warum sich immer nur eines gleichzeitig bearbeiten lie\u00dfe. Zum Zweiten stehe die Terminologie nicht in Verbindung mit Schwarzen Menschen, sondern sei ganz unabh\u00e4ngig entstanden. Und zu guter Letzt seien diese Begriffe \u00fcbliche Konvention und sollten damit nicht ge\u00e4ndert werden. Die Argumentationsmuster der Kritiker*innen untermauern nicht nur den strukturellen Rassismus in der Branche, sondern gehen auch noch an den zentralen Kritikpunkten vorbei. Daran muss sich etwas \u00e4ndern.
Antirassistische Performance
Selbstverst\u00e4ndlich ist klar, dass die Rassismen der Tech-Branche nicht mit ein paar neuen W\u00f6rtern im Giftschrank \u00fcber Nacht verschwinden. Das w\u00e4re in etwa so, wie wenn Aktivist*innen, die eben noch Defund/Abolish the police fordern, sich dem Glauben hingeben, dass die Polizei mit einer Umbenennung zu \u201eOrdnungskraft\u201c ihre strukturellen Probleme losw\u00fcrde.
Insbesondere im Fall von GitHub verstehen Antirassist*innen die Ank\u00fcndigung als klar performativen Akt, der die Firma in ein positives Licht r\u00fccken soll. Gleichzeitig wird dort n\u00e4mlich seit Jahren der Protest an und aus dem Unternehmen \u00fcber einen Vertrag mit ICE, der US-Deportationsbeh\u00f6rde, ausgesessen. Die gro\u00dfen Probleme sind tats\u00e4chlich andere, aber dar\u00fcber besteht Einigkeit. Es bedeutet damit auch vielmehr: Jede*r von uns tut gut daran, zu pr\u00fcfen, ob Ank\u00fcndigungen von Firmen wie GitHub eben nur \u00fcber bisherige rassistische Unternehmenspraxis hinwegt\u00e4uschen sollen und sie als solches zu entlarven. Und das zeitgleich mit der Untermauerung, rassistische Begriffe nicht weiter zu verwenden.
Deskriptive Begriffe statt Rassismus
Beachtlich ist, mit welcher Inbrunst rassistische Terminologie in der Informationstechnik (IT) bisweilen verteidigt wird. Denn die oben genannten Begriffe sind so vage, dass sie Neulingen im jeweiligen Feld in der Regel kaum informativen Wert vermitteln. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, wie gerne unter Softwareentwickler*innen \u00fcber korrekte Bezeichnungen gestritten wird und wie akzeptiert ein gewisses Ma\u00df an Pedanterie in dieser Frage ist. Dabei mangelt es wahrlich nicht an passenden Alternativen.
Whitelist und Blacklist werden zum Beispiel h\u00e4ufig durch die viel aussagekr\u00e4ftigeren Begriffe Allowlist und Blocklist (wie Ausnahmen und Blockregeln eines Werbeblockers) ersetzt, w\u00e4hrend slave, je nach Kontext, etwa mit replica ausgetauscht wird; etwa, wenn es um die Synchronisation von Daten von einem Hauptserver zu einem Backupserver geht. Im Falle von master scheint die Tech-Community sogar unter einer kollektiven Amnesie zu leiden, denn bis vor einigen Jahren hie\u00df es schlichtweg trunk. Denn trunk (zu deutsch: der Baumstamm) ist tats\u00e4chlich eine hilfreiche Analogie, wenn man sich ins Ged\u00e4chtnis ruft, dass Sofware-Repositories verzweigte Dateiverzeichnisse sind und trunk eben der Hauptzweig ist. Oftmals werden die Anpassungen von Projekten deswegen sogar als negative cost beschrieben, eben weil unspezifische durch aussagekr\u00e4ftige Begriffe ersetzt werden, die unerfahreren Entwicker*innen einen schnelleren Einstieg erlauben. Die Frage ist also vielmehr, warum sich hier manche in fachlich v\u00f6llig nichtssagende, aber eben rassistische Begrifflichkeiten verbei\u00dfen, wo es doch technisch akkurate Alternativen gibt.
Auch die Diskussion, ob oder in welcher Form die bisherige Terminologie in Verbindung zu Schwarzen Menschen steht, geht v\u00f6llig am Thema vorbei. Denn offensichtlich wird sie damit regelm\u00e4\u00dfig in Verbindung gebracht: Die andauernde Problematisierung der Begriffe, insbesondere durch Schwarze Menschen, ist doch entlarvendes Zeugnis davon. Warum hier viele auch nur den kleinsten Impuls versp\u00fcren, ein paar Worte zu erhalten, die bei anderen Erinnerungen an die systematische Entrechtung, Folterung und Ermordung ihrer Vorfahren und Familien wecken und Kontinuit\u00e4ten bis in die heutige Zeit aufweisen, entbehrt jedem Verst\u00e4ndnis.
Und so steht am Ende die Frage im Raum, mit welchem Ziel hier Konventionen verteidigt werden, die keinen informativen Wert haben und von gro\u00dfen Teilen der Community abgelehnt werden. Offensichtlich ist vielen selbst die Forderung nach dem kleinsten aller Zugest\u00e4ndnisse, dem performativen Akt, zu viel des Guten. Welche deutliche Aussage das \u00fcber die gr\u00f6\u00dferen Probleme innerhalb der Branche zul\u00e4sst, kann jede*r f\u00fcr sich selbst beantworten.